Noch vor 30 Jahren wusste man wenig über das Land und seine Hauptstadt, das in der über vier Jahrzehnte dauernden Herrschaft von Enver Hoxha sogar in der Liste der kommunistischen Staaten eine Sonderstellung einnahm, die heute noch am ehesten mit Nordkorea vergleichbar ist. Obwohl an der Adria, zwischen dem heutigen Montenegro und Griechenland gelegen, war der Staat fast ein halbes Jahrhundert ein kultureller und politischer weißer Fleck mitten in Europa. Alle internationalen Verbindungen, sei es militärisch, wirtschaftlich, diplomatisch und sogar transitmäßig, waren bis aufs absolute Minimum gekappt; dazu ein grundsätzliches Religionsverbot und ein an Grausamkeit und Effizienz verwandten Organisationen wie Stasi und Securitate um nichts nachstehender Geheimdienst. Nach dem Tod Hoxhas 1985 und dem Zerfall des Ostblocks 1990 dauerte es daher noch bis in die späten 90er-Jahre, bis das Land auf die Beine kam und international Anschluss fand. Vor allem die Hauptstadt Tirana, deren Einwohner*innenzahl sich in rund drei Jahrzehnten mehr als verdoppelte, hat sich mittlerweile zu einer attraktiven Destination für internationale Gäste gemausert.
Durch das Nadelöhr
Davon merkt man bei der Ankunft am Mutter Teresa-Flughafen – die einzig sinnvolle Art einzureisen – anfangs wenig. Der ursprünglich rein militärisch genutzte Airport wurde kleinweise adaptiert und funktioniert ganz gut, platzt aber aus allen Nähten. Eine Bahnverbindung vom Flughafen sucht man vergeblich, mit einem der Unmengen von Taxis kommt man am besten in die Stadt. Beim heftigen Verkehrsaufkommen ist allerdings Geduld gefragt. Dafür wird man schon bei der Fahrt Richtung Skanderbeg-Platz, dem Mittelpunkt von Tirana, mit abwechslungsreichen Häuserfronten belohnt. Hier reihen sich gründerzeitliche Fassaden an gesichtslose Plattenbauten, zwischen hastig in den 90ern errichteten Geschmacklosigkeiten finden sich immer wieder kleine Vorgärten und grüne Innenhöfe. Entlang der fast schnurgeraden Hauptverkehrsstraßen wird man quasi wie in einer Kanüle ins Zentrum injiziert.
Von Gelb bis Grün
Der 38.000 Quadratmeter große, komplett gepflasterte und punkto Bodenversiegelung weltmeisterliche Skanderbeg-Platz wird umgeben von architektonischen Landmarks, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Statue des Nationalhelden Skanderbeg, aber auch die über 200 Jahre alte Et’hem-Bey-Moschee samt Uhrturm repräsentieren die alte Kultur und Tradition des Landes. Das gegenüberliegende Nationalmuseum mit seinem elf Meter hohen und 40 Meter langen historischen Mosaik wirkt zwar aus der Zeit gefallen, beeindruckt aber dennoch. Dominiert wird der Rundumblick aber von modernen Highrise-Gebäuden im Umfeld. Ganz besonders das gerade in Bau befindliche Hotel Intercontinental, das sich mit seiner ungewöhnlichen gelben Fassade nach Entwürfen der deutschen Architekt*innen Bolles+Wilson schon jetzt zu einer Art Wahrzeichen mausert. Ebenso markant, weil von einer runden Grundfläche zu einem quadratischen Rooftop morphenden Gebäudeform, ist der TID Tower aus der Feder der Brüsseler 51N4E. Mit einer ungewöhnlichen Fassade kann auch der Downtown One punkten: Die niederländischen Architekt*innen von MVRDV haben mit einer modernen Erker-Interpretation wie mit riesigen Pixeln Form und Topografie von Albanien integriert. Wenn man sich am richtigen Punkt in der Stadt befindet, kann man als Kontrast im Vordergrund die noch nicht ganz fertige Große Moschee von Tirana bewundern. Ein gleichermaßen ungewöhnliches wie ästhetisches Gebäude ist der 4 Ever Green Tower mit seiner blaugrünen Fassade, erdacht von den Italienern Studio Archea. Sehenswert, auch aus der Nähe!
International und national
Man sieht also, dass bei der Stadtplanung auf ein gutes Maß an Ideen aus unterschiedlichen Ecken Europas Wert gelegt wurde. Doch auch die lokale Architektur findet ihren Platz, am ungewöhnlichsten wohl in Form der schlicht Pyramide genannten ebensolchen. Das Ende der 80er-Jahre fertiggestellte, federführend von Enver Hoxhas Tochter Pranvera geplante und wenig attraktive Gebäude durchlief im Lauf der Zeit viele Nutzungsphasen. Vom personenkultigen Museum über Konferenz- und Ausstellungszentrum oder Büros internationaler Organisationen, Bar bzw. Disco bis hin zum provisorischen NATO-Posten erlebte der Bau einige Umwidmungen. Ein Abriss konnte verhindert werden, heute beherbergt der schrullige Klotz ein Kultur- und Bildungszentrum für Jugendliche, vor allem aber die Nutzung als gute Aussichtsplattform via der vielen Stufen rundum erfreut sich bei Einheimischen wie Tourist*innen großer Beliebtheit.
Natürlich sind die Bunker immer noch ein großer Magnet für Besichtigungen und die Albaner*innen legen auch Wert darauf, ihre oft schmerzliche Historie nicht zu vergessen – sie wollen eben nicht nur darauf reduziert werden.
Bewahren der Kultur
Natürlich sind die eingangs erwähnten Bunker immer noch ein großer Magnet für Besichtigungen und die Albaner*innen legen auch Wert darauf, ihre oft schmerzliche Historie nicht zu vergessen – sie wollen eben nicht nur darauf reduziert werden. Einen umfangreichen, wenn auch betroffen machenden Eindruck über die langen Jahre der Unterdrückung kann man sich im Bunk’Art 2 machen, einem in einem ehemaligen Regierungsbunker untergebrachten, unterirdischen Museum. Grundsätzlich lohnt es sich, auf eigene Faust die alten Strukturen der Stadt zu erkunden, vom bunten Markt Pazari i Ri bis zur romantisch gentrifizierten Festung aus dem 14. Jahrhundert gibt es hier Insta-Spots am laufenden Band. Und immer im Hintergrund: die bunten, spannenden und sehenswerten neuen Hochhäuser.
Kurzinfo Tirana: Flüge von Wien nach Tirana finden mit Ryanair täglich, mit Austrian vier Mal und Wizzair drei Mal pro Woche statt. Vom Flughafen, aber auch in der Stadt kommt man am besten mit Taxis voran, denn der schlecht ausgebaute öffentliche Verkehr wird grundsätzlich mit Bussen abgewickelt. In Albanien zahlt man hauptsächlich bar in der Landeswährung Lek, Euro sind oft auch möglich. Kontaktlos- bzw. Kartenzahlung ist nicht weit verbreitet. Albanien ist nicht Teil der EU oder Schengenzone, man benötigt aber kein Visum. Das Mobilfunknetz ist gut ausgebaut, jedoch rechtzeitig auf Roaming-Optionen achten!
Hoteltipp: Das brandneue, erst im Frühjahr 2024 eröffnete Mercure Tirana liegt ideal auf ungefähr der halben Strecke an der Ausfallsstraße zwischen Zentrum und Flughafen. Moderne, großzügige Zimmer, Küche und Bar befinden sich auf tadellosem mitteleuropäischem Vierstern-Niveau. Von hier aus ist man mit dem Taxi für knappe 10 Euro in 15 Minuten direkt im Zentrum. Der Knüller ist jedoch der exzellente, saubere Rooftop-Pool samt angeschlossener Terrasse und Bar. Hier lässt es sich an heißen Tagen mit Fernblick auf die Stadt und die umliegenden Berge fein aushalten.
Compliance-Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung der Accor Group.
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