Martin Gruber und aktionstheater ensemble mit „Wir haben versagt“

Ab 12. Jänner gastiert das aktionstheater ensemble unter der Leitung von Martin Gruber wieder im Wiener Theater am Werk. Das neue Stück „Wir haben versagt“ von der freien Theatergruppe ist eine „performative Selbstanklage. Mit guter Musik, um die Tragödie zu ertragen“ …

funk tank: Verehrter Herr Gruber, spätestens wenn man in Ihren Stücken sitzt, muss es „Klick“ im Gehirn machen und ein Umdenken in Richtung Gemeinschaft stattfinden. Ihr aktuelles Stück hat aber eine ganz andere Message, denn Sie sind der Meinung, versagt zu haben. Wie und warum haben Sie versagt?

Martin Gruber: Wie in jedem Stück beginnen wir bei uns selbst. Sagen wir als Vertreter*innen der nicht explizit rechten Seite, nehmen wir die Schuld des aktuellen politischen Desasters auf uns und gestehen: „Wir haben versagt.“ Jetzt liegt hinter dieser selbstmitleidigen, performativen Bußübung natürlich nicht etwa Bescheidenheit, sondern im Gegenteil eine ziemliche Hybris. Will heißen: Jetzt haben wir uns so lange mit unserer Kunst abgerackert, und dann wird die extreme Rechte stärkste Kraft. 


Fremdenhass und Rechtsruck sind Themen, die politisches Theater nahezu behandeln muss. Sie tun das sehr treffend, auch wenn es oft wehtut. Wie erklären Sie sich den Erfolg rechter Parteien? Sind wir noch zu retten?

Es ist wahrscheinlich die Sehnsucht nach einer vergangenen Welt, jene nach einer autochthonen und friktionsfreien Gesellschaft, die freilich so nie existiert hat. Von der rechten Seite werden simple Lösungen angeboten, die einen Beruhigungseffekt auslösen. Nach dem Motto: Lehnt euch zurück, wir werden das alles für euch lösen. Schuld sind die Anderen – die Migrant*innen, die Woken, die Schwulen, die Feministinnen etc. Das ist natürlich Blödsinn, aber es gibt auch auf der, sagen wir, progressiven Seite keine wirklichen großen Entwürfe. Keine gesellschaftsvereinende politische Erzählung, welche zuerst komplexe Zusammenhänge verständlich herunterreißt, um dann etwaige Lösungsansätze zu kreieren, bei welchen sich die oder der Einzelne erkennen kann.

Es könnte beispielsweise formuliert werden, warum es uns allen etwas bringt, wenn wir den Kuchen etwas aufteilen oder was der wirkliche Benefit einer diversen Gesellschaft wäre. Ohne freilich auch nur einen Jota von einer liberalen demokratischen Ordnung abzugehen. Ich vernehme auch auf der linken oder progressiven Seite ein popeliges Verharren im Klein-Klein.

Der Spin-Doctor hat gesagt: Sag zehnmal Umwelt und fünfzehnmal Solidarität, und dann werden sie uns schon wählen. Die Floskel alleine wird den Turnaround nicht bringen. Wir haben es anscheinend mit einer Entpolitisierung des Politischen zu tun. Es mag vielleicht etwas kitschig klingen, aber ich glaube, dass sich der eine oder andere Ansatz nur übers Zuhören finden lässt. Ob uns das passt oder nicht, die meisten Menschen, die Rechts gewählt haben, fühlen sich nicht gehört. Ich habe gerade vorher einen Song von den Tiger Lillys gehört, die erste Zeile geht so: „I´m calling but no one will be hearing.“

Besonders bemerkenswert finde ich die Verbindung von privaten Schicksalen und großen gesellschaftlichen Themen in Ihren Stücken. Ihre Schauspieler*innen sind weitaus mehr als Darsteller*innen, oft tragen sie ja auch reale Geschichten vor. Wie entstehen die Texte?

Die Themen gibt die Gesellschaft vor. Da jede*r Einzelne ein Teil dieser Gesellschaft ist, finden sich dann die Zusammenhänge zum größeren Ganzen. Wir versuchen, die sogenannte Alltagssprache auf ihre mehr oder weniger versteckten Machismen oder Rassismen zu untersuchen. Im täglich Dahingestammelten outen wir aber auch unsere Sehnsüchte. Ich versuche, den entstandenen dramatischen Text, die Dialoge, auch die manischen Monologe, dann so zu montieren oder rhythmisieren, dass transparent wird, was „hinter“ dem Gesagten liegen mag. Einige Texte schreibe ich auch selbst. Der Stücktext wird so verdichtet, dass klar wird, dass auch manipuliert und gelogen wird. Und wenn die Sprache versagt, kommt Musik und Choreografie ins Spiel.

"Wir haben versagt" von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble
© Stefan Hauer
Mit den meisten Künstler*innen arbeiten Sie seit vielen Jahren zusammen. Gibt es auch Momente, wo die „Familie“ untereinander einmal Abstand braucht, weil Sie so eng zusammenarbeiten? Wie schalten Sie ab?


Am schönsten lässt sich Einsamkeit bekanntlich erleben, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist. Eine Zeit mit mir, bei der ich weiß, dass ich die Länge des Alleinseins bestimmen kann. Und dann Zeit mit Freund*innen.

Ich gestehe: Es gab noch kein Stück von Ihnen, bei dem ich nicht geweint habe. Das meine ich als Kompliment, für mich gehört das Körperliche und das Fühlen zu einer guten Inszenierung. Wie definieren Sie ein gelungenes Theaterstück? Was muss es haben/aussagen/auslösen, muss es überhaupt irgendwas?

Kunst ist die Möglichkeit, mittels eines Abzielens auf sämtliche Sinne, Zusammenhänge zuerst lustvoll zu zerlegen, um sie dann, je nach Gusto, in ein neues Licht zu setzen. Das Erleben, um ja nicht zu sagen Konsumieren, von Kunst ist, da jede*r eine andere Geschichte hat, eine höchst persönliche, intime Angelegenheit. Insofern „muss“ sie natürlich gar nichts. Wenn Sie unsere Stücke zum Weinen bringen, dann freut mich das sehr, weil das Stück etwas auslöst, sich also etwas gelöst hat. Ich persönlich weine oft und oft auch gerne. Im gelöst entspannten Zustand weiß ich dann auch mitunter warum. Wenn nicht, ist es auch gut.

Wir haben es anscheinend mit einer Entpolitisierung des Politischen zu tun. Es mag vielleicht etwas kitschig klingen, aber ich glaube, dass sich der eine oder andere Ansatz nur übers Zuhören finden lässt. Ob uns das passt oder nicht, die meisten Menschen, die Rechts gewählt haben, fühlen sich nicht gehört.

Wenn Sie sich nicht mit dem eigenen Theater befassen – mit welcher Form der Kunst beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit? Was sollten unsere Leser*innen unbedingt lesen/hören/anschauen?

Zuallererst freue ich mich auf den neuen Film von Pedro Almodóvar. Ich hatte noch keine Gelegenheit, „The Room Next Door“ zu sehen. Aber nicht zuletzt seine Auseinandersetzungen mit dem Tod bringen mich immer voll ins Leben. In Sachen bildender Kunst würde ich empfehlen, einfach draufloszugehen: Albertina Modern, MuseumsQuartier, Ausstellungen junger Künstler*innen. Seit der Ausstellung von Amoako Boafo im Belvedere kann man auch wieder mal einen Schiele sehen – ohne gleich an Wiener Souvenirkitsch-Kaffeedosen zu denken.

Das aktionstheater hat den Nestroypreis bekommen, Sie wurden ebenfalls schon mehrfach ausgezeichnet. Wie wichtig sind (Ihnen) Auszeichnungen in der Kunst? Sind Sie eitel?

Ja, natürlich bin ich eitel. Gleichzeitig bemühe ich mich, mich dabei nicht allzu ernst zu nehmen. Unsere Stücke sind nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit dieser Eitelkeit. Auch sämtliche Ensemblemitglieder sind angehalten, ihre Eitelkeit schamlos auszuschlachten. Das ist die einzige Möglichkeit, aus dem eigenen Narzissmus einen Mehrwert zu ziehen. Die diversen Preise füttern die Eitelkeit natürlich auch. Ich muss aber gestehen, dass im institutionenverliebten Österreich die Anerkennung einer freien Compagnie schon sehr wohl tut.

"Wir haben versagt" von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble
© Stefan Hauer

Kunst ist die Möglichkeit, mittels eines Abzielens auf sämtliche Sinne, Zusammenhänge zuerst lustvoll zu zerlegen, um sie dann, je nach Gusto, in ein neues Licht zu setzen.

Ihr Ensemble ist seit 1989 eine freie Theatergruppe, die regelmäßig in Bregenz, Dornbirn und Wien gastiert. Gibt es kulturelle Unterschiede hinsichtlich Verortung? Wo spielen Sie am liebsten?

Nach der einen Spielserie hier freue ich mich auf die nächste dort, dann auf Gastspiele im Ausland. Ich konnte mich noch nie entscheiden, was ich am liebsten mag. Der Unterschied der einzelnen Zuschauer*innen ist größer als der zwischen den Bundesländern. Auch was den Humor betrifft. Es gibt kein homogenes Publikum.

Stichwort freie Theatergruppe – sehr viele gibt es nicht, die lange durchhalten, immerhin müssen freie Gruppen mit weitaus weniger Budget und Förderungen auskommen und in der Kultur fehlt leider sowieso oft das Geld. Wie und wo sollte aus politischer Sicht was getan werden und: Is the struggle real?

The struggle has been real for the last 36 years. Österreich hat durchaus eine lobenswerte Subventionskultur, früher haben das Mäzene übernommen, man war jedoch von deren Geschmack und Goodwill abhängig. Es liegt aber an der Verhältnismäßigkeit.

Das Gros der österreichischen Bevölkerung assoziiert Kunst und Kultur immer noch mit Sängerknaben, Staatsoper und Burgtheater. Als Folge davon wird ein ziemlich überzogener Teil der freigemachten Gelder für das Erwartbare und in erster Linie für restaurative Kunst eingesetzt. Auch von linken Parteien. Die Relevanz der zeitgenössischen Kunst wird zwar in diversen Sonntagsreden immer wieder betont, findet aber nicht wirklich seinen Niederschlag in der Realität. Das Zeitgemäße bekommt sein eigenes Plätzchen zugewiesen, da steht dann am Eingang des jeweiligen Kunsttempels: „Achtung Avantgarde“.

Im besten Fall liefert zeitgenössische Kunst Denk- und Fühl-Material für die ganze Zivilgesellschaft. Sollte die extreme Rechte dereinst die Agenden der Kunst übernehmen, werden wir wissen, was wir versäumt haben.

Ihre Stücke sind immer sehr schnell ausverkauft. Was kommt nach „Wir haben versagt“? Das ist hoffentlich kein Abschied, denn es klingt nicht so hoffnungsvoll …

Die Tatsache, dass wir als Zivilgesellschaft versagt haben, heißt ja nicht, dass wir nicht immer wieder von vorne anfangen dürfen. Ich habe mir für das nächste Stück den etwas kitschigen Titel „Ragazzi del Mondo. Nur eine Welt“ ausgesucht. Wir spielen also mit der banalen Erkenntnis, dass wir nur eine Welt haben. Dass wir uns aber blöderweise immer wieder in unsere eigenen kleinen Bubbles zurückziehen. Wie hoffnungsvoll dieses Unterfangen wird, wage ich jetzt noch nicht vorauszusagen. Was ich aber annehme, ist, dass zwischen den Worten die eine oder andere Hoffnung durchsickern wird.

Martin Gruber gründete 1989 das aktionstheater ensemble, das regelmäßig in Wien und Vorarlberg gastiert. Die Stücke der freien Theatergruppe verbinden Sprache, Körper und Musik, Choreografien, Erfahrungen, persönliche Recherchen und historische Ereignisse.

Das aktuelle Stück „Wir haben versagt“ von Theater-Regisseur Martin Gruber ist am 12. Jänner und vom 14. Jänner bis 19. Jänner im Wiener Theater am Werk zu sehen.

Aufgrund hoher Nachfrage besteht die Möglichkeit, an der Generalprobe am 11. Jänner um 19.30 Uhr teilzunehmen. Ab sofort können ermäßigte Karten um 15 Euro unter karten@aktionstheater.at bestellt werden.

Wir verlosen 2 x 2 Karten für das bereits ausverkaufte Stück „Wir haben versagt“ am 19. Jänner 2025 ab 19.30 Uhr im Wiener Theater am Werk – hier mitmachen!

aktionstheater ensemble 

Schlageranfall mit Michael Niavarani, Viktor Gernot, Jenny Frankl

Wenn man ein Pressegespräch besucht, bei dem Michael Niavarani mit dabei ist, dann ist eines gewiss: Spätestens nach ein paar Minuten wird schallend gelacht. So auch bei der Präsentation von „Schlageranfall“, einem Liederabend, bei dem der Name Programm ist: Der „Nia“ macht wieder einmal gemeinsame Sache mit seinem alten Spezl Viktor Gernot und hat auch die drei Damen aus dem Simpl-Ensemble, Katharina Dorian, Jenny Frankl und Ariana Schirasi-Fard, ins Boot geholt. Gemeinsam mit einer fünfköpfigen Band präsentieren sie ihre Lieblingsschlager von Peter Alexander bis Caterina Valente. Zu sehen ist das Ganze am 30. Dezember im ORF. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um mit den drei jüngeren Damen und den beiden älteren Herren nicht nur über Schlager zu sprechen, sondern auch über die Gründe für den Mangel an erfolgreichen Frauen auf der Kabarettbühne. Zwischen schallendem Gelächter und Ulkereien kamen dabei auch recht ernsthafte Argumente zutage.

funk tank: Ich frage für eine Freundin: Wie ordinär wird es, wenn Michael Niavarani mit dabei ist? Schlager ist ja doch eher eine saubere Angelegenheit.

(Allgemeines Gelächter in der Runde.)

Viktor Gernot: Die Lieder sind keimfrei. Dazwischen ist es leicht angepatzt, sagen wir es mal so.
Michael Niavarani: Ja, wobei es sich tatsächlich in Grenzen hält.
Jenny Frankl: Für deine Verhältnisse auf jeden Fall! Obwohl . . .
Niavarani: Was?
Frankl: Na, in der letzten Nummer sind wir ja alle fast nackt. Wo ihr nur das Handtuch anhabt.
Niavarani: Ja, es ist eigentlich fast pornografisch.
Gernot: Ich hab die Szene verdrängt, da haben wir ja wirklich fast nix an.
Niavarani: Da sind wir oben ohne – die Herren.
Frankl: Aber die haben größere Brüste als wir.

(Niavarani brüllt vor Lachen.)

Niavarani: Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie neidisch die drei Damen auf meine Brüste sind! Weil sie ja auch so behaart sind.

Zurück zum Schlager, bitte. Wenn man Schlager sagt, denken die einen an Peter Alexander und Caterina Valente und die anderen an Vanessa May. Liegen da Welten dazwischen oder doch nicht?

Gernot: Ich behaupte, dass früher die Leute, die Schlager produziert haben, von besonderer Güte waren. Da haben die besten Autor*innen halt drei alberne Verse gedichtet, aber das waren Leute, die sonst Theaterstücke oder Filmskripts geschrieben haben. Und die Leute, die das arrangiert haben, haben sonst Filmmusik gemacht. Und die Orchestermusiker*innen waren die besten, die man damals für Geld haben konnte. Und auch bei den Interpretinnen und Interpreten hast du kein Autotuning gebraucht oder irgendwelche Verschönerungsgeschichten im Tonstudio – das waren Profis, die jederzeit bei einer Theaterproduktion mitmachen hätten können. Hinter den kleinen, albernen Geschichten stand also großes Können, großes Kino. Das Ganze immer mit einem Augenzwinkern. Und wenn es um Liebesdinge oder Erotik gegangen ist, dann war das immer nur Andeutung, das Maximum war, dass ein Kuss als Kuss ausgesprochen wurde, sonst waren es Metaphern. Es gab viele, viele Rhythmen, es war ja auch ein Spiegel der Tanzmusik dieser Zeit, von Walzer über Latin bis hin zu allen Vier-Viertel-Takten, die es gibt. Und jetzt geht alles mit demselben nz-nz-nz-Beat durch, damit der Diskjockey nicht überlegen muss, wenn er die nächste Nummer auflegt. Also damals ein viel größerer Reichtum.

Und waren die Texte wirklich so seicht, wie es sich anhört, oder habt ihr dann doch auch Tiefen gehört? Wird der Schlager inhaltlich unterschätzt?

Niavarani: Es geht oft um nix. Was man dem Schlager vorwirft, ist, dass er sich nicht kritisch mit den Themen der Zeit auseinandersetzt. Aber was ist so schlecht daran? Vielleicht möchte man manchmal einfach nicht von aktuellen Problemen belästigt werden.
Gernot: Es gibt schon auch kritische Nummern: „Die süßesten Früchte“ erzählt von der Kluft zwischen Arm und Reich, „Zwei kleine Italiener“ von der Sehnsucht des Gastarbeiters nach der Heimat im unfreundlichen Deutschland.

Umgekehrt gibt es ja auch den Metoo-Schlager schlechthin: „Rote Lippen soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da“ – wer heute ein Lied veröffentlichen würde, in dem er eine Frau einfach küsst, weil sie ihm gefällt, würde wohl medial gesteinigt werden.

Niavarani: Er singt ja nicht, dass sie sich gewehrt hat – im Gegensatz zu „Delilah“, einem Lied über einen Femizid, in dem er auch noch sagt, dass sie schuld ist: „My, my my Delilah, why, why, why Delilah?“ Warum hast du mich so weit gebracht, dass ich dich abstechen musste? Das kann man wirklich nimmer singen.
Gernot: Und in der zweiten Strophe von „Rote Lippen“ sind sie verheiratet, es gibt also ein Happy End. Und was hätte die Geschichte erzählt, bei dieser unglaublichen Empörungsbereitschaft heute? Wenn sie ihn küsst, dann wäre das okay, dann würden viele sagen: Die starke junge Frau ergreift die Initiative, das ist cool. Beim Mann ist es ein Übergriff. Aber du kannst davon ausgehen: Wir Männer wollen immer.
Frankl: (Lacht laut.) Ja, das ist ja das Problem! Aber wir haben dahingehend schon die Lieder untersucht, wir stellen uns nicht unreflektiert auf die Bühne und thematisieren auch Worte, die man heute nicht mehr benutzt. Da gibt es zum Beispiel das Lied, dessen Titel wir nie ausgesprochen haben: „Da sprach der alte Häuptling der . . .“
Katharina Dorian: Außerdem muss man auch ganz ehrlich sagen: Es ist ja nicht so, als ob jeder heutige Popsong oder jedes andere Genre sich ausschließlich um tiefgründige, hochpolitische Themen drehen würde. Da geht es genauso um Liebesgeschichten, und das mit teilweise vier Worten.
Gernot: Und der Liedtext ist immer nur ein Teil des Ganzen, ein Lied ist ein Arrangement, eine Orchestrierung, eine Interpretation, und dann ist da noch die Erzählweise mit der Melodie. Ein Lebensgefühl oder die Qualität einer Nummer überträgt sich oft einfach nur über den geilen Song.
Niavarani: Wir finden es total in Ordnung, wenn die Menschen einfach zwei Stunden lang einfach Spaß haben und sich freuen, dass wir diese Lieder singen. Das ist schon sehr viel und sehr schwer zu schaffen.

Schlageranfall im ORF mit u. a. Niavarani, Gernot und Frankl
© ORF/Hoanzl/Nadine Studeny
Wer ist euer Zielpublikum?

Niavarani: Alle, die Karten kaufen.
Frankl: Bei unseren beiden Herren hier sind es die Damen 60 plus.
Gernot: (In Richtung Katharina Dorian, Jenny Frankl und Ariana Schirasi-Fard.) Und für alle anderen haben wir euch eingeladen.
Ariana Schirasi-Fard: Wobei wir zu meiner Überraschung bisher doch auch ein relativ junges Publikum dabei hatten.
Gernot: Auf jeden Fall sind viele mit uns mitgealtert, wir sind ja jetzt auch schon drei Jahrzehnte auf der Bühne.
Niavarani: Es gibt Menschen, die mich schon im Graumann-Theater gesehen haben. Und ich glaube, die sind so treu geblieben, weil sie sich denken: „Jetzt geh ich noch einmal hin, weil irgendwann müssen die doch was machen, was wirklich gut ist.“
Gernot: Inzwischen ist es wie bei den Rolling Stones: Es könnte das letzte Medley sein.

(Schallendes Lachen am Tisch.)

Auf der Bühne seid ihr drei Frauen und zwei Männer . . .

Schirasi-Fard: . . . und die ausschließlich männliche Band.
Niavarani: Und wir haben auch nicht nach Talent gesucht, sondern nach Geschlechtsteil.

Aber zumindest am Mikrofon gibt es keinen Männerüberhang. Und auch die Simpl-Revue ist weiblich gut besetzt. Aber generell fällt mir in der Szene nicht mehr als eine Handvoll Kabarettistinnen ein, die ein ähnliches Standing haben wie Michael Niavarani, Viktor Gernot und doch gut zwei Dutzend andere Männer. Woran liegt das?

Niavarani: Dass es weniger Frauen gibt, die so berühmt sind und Kabarett machen.
Frankl: Aber woran liegt das, das ist die Frage?
Gernot: Ich behaupte, dass Humor etwas ist, was Buben sehr früh als machtvolles Mittel erkennen, das viele ganz früh, schon im Kindergarten, bewusst einsetzen. Weil sie draufkommen, sich über sich selbst und andere lustig zu machen, die anderen zum Kudern zu bringen, ist die einzige Chance, wahrgenommen zu werden.
Frankl: Und den Frauen wird immer schon erklärt, wie sie zu sein haben: sehr brav, nicht zu laut lachen und schön sein. Und ich glaube, wir schleppen das bis heute mit, sodass eben Frauen nicht auf die Bühne gehen und ihre Wampe herzeigen (Seitenblick auf Niavarani.), weil sie von der Gesellschaft sehr lange gehört haben, dass das nicht gut ist. Wenn das ein Mann macht, ist das aber cool und lustig. Würden die Frauen genauso selbstbewusst hervortreten – aber dazu gehört eben dieses ganze Body-Mind-Set, das eben so lange mitgeschleppt wurde und vielleicht jetzt endlich aufgebrochen wird –, dann wäre das genauso lustig. Vielleicht liegt es auch daran, dass man sich als Frau nicht so vorzupreschen traut, wie die Männer das ja schon lange mitbekommen haben, dass sie das dürfen. Und man hat ja auch das Gegenüber: Das Publikum ist bei einem Mann ganz angetan, wenn er das macht, bei einer Frau hingegen vielleicht ein bissl irritiert: Warum versteckt sie sich nicht, wenn sie zu viele Kilos hat?
Schirasi-Fard: Überleg einmal, wenn wir uns irgendwelche Reels schicken: Unser Humor ist ein anderer, wir lachen über andere Dinge. Und ich glaube, dass die breite Masse gewohnt ist, über Männerthemen zu lachen und nicht über Frauenthemen. Weil sie oft gar nicht wissen, warum wir etwas lustig finden.
Dorian: Es war ja auch lange Etikette, dass Frauen bei Tisch über Witze von Männern lachen sollen, aber bitte bloß nicht versuchen sollen, selber welche zu machen.
Niavarani: Das war eine herrliche Zeit! (Allgemeines Gelächter, weil die Damen genau wissen, dass er es nicht so meint – oder?)
Dorian: Und wenn einem das so eingetrichtert wird . . . Das sind alles so Zahnrädchen, die ineinandergreifen.
Niavarani: (Jetzt wieder ernst.) Wenn man sich die großen Komikerinnen anschaut, dann erkennt man eindeutig, dass es zwischen einem männlichen und einem weiblichen Humor null Unterschied gibt. Es ist tatsächlich so: Entweder ist etwas lustig oder es ist nicht lustig. Das ist ein mathematisches Gesetz, und es ist scheißegal, ob das ein Mann oder eine Frau macht. So. Jetzt aber kommt es, wie Jenny sagt, auf die Rezeption durch das Publikum an. Und ich habe mir diese Frage immer schon gestellt, wenn ich am Broadway eine Carol Burnett oder eine Tina Fey gesehen habe, die unfassbar lustig sind . . .
Gernot: Aber die sind alle dünn.
Niavarani: Naja, eine Frau kann ihre Wampe nicht herzeigen, wenn sie keine hat. Jedenfalls hab ich mich immer gefragt: Warum ist das bei uns so schwierig? Warum gibt es bei uns so wenige erfolgreiche Komikerinnen? Und es liegt tatsächlich an der Rezeption. Die Komödie ist ja immer etwas Zerstörerisches, es ist immer lustig, wenn was schiefgeht, wenn was kaputtgeht, das ist eigentlich extrem negativ, wenn was passiert. Und es ist schon richtig, von den Frauen wurde immer verlangt, sie sollen die Familie zusammenhalten, was Gutes kochen, schön sein, dem Mann den Rücken freihalten und so weiter – diese ganze patriarchalische Struktur ist der Grund, weshalb es so wenige erfolgreiche Komikerinnen gibt. Nicht, weil Frauen nicht lustig wären. Es ist vollkommen egal, welches Geschlechtsteil man zwischen den Beinen hat, wenn man auf der Bühne lustig ist. Es muss auch oft nicht das eigene sein.

(Jenny Frankl zerkugelt sich vor Lachen.)

Schirasi-Fard: Aber wenn du dir die ganzen Rom-Coms anschaust, dann sollen Frauen in erster Linie die Schöne sein, die angebetet wird. Oder aber ein lustiger Sidekick, und das sind dann nicht die Schönen. Weil die sollen ja bitte nicht ablenken von der Schönen.

Und lustig auf eigene Kosten. Gerne auch als Blondinen-Witz.

Frankl: (Schaut kurz irritiert.)
Niavarani: Die Jenny versteht’s net, die is blond.

(Allgemeines Gelächter.)

Schlageranfall im ORF mit u. a. Niavarani, Gernot und Frankl
© ORF/Hoanzl/Nadine Studeny

Diese ganze patriarchalische Struktur ist der Grund, weshalb es so wenige erfolgreiche Komikerinnen gibt. Nicht, weil Frauen nicht lustig wären. Es ist vollkommen egal, welches Geschlechtsteil man zwischen den Beinen hat, wenn man auf der Bühne lustig ist. Es muss auch oft nicht das eigene sein.

Aber im Ernst, wie stehst du als blonde Frau zu Blondinen-Witzen?

Frankl: Finde ich super. Man darf einfach niemanden ausschließen. Wenn man Witze macht, gehören alle inkludiert. Man darf über alle Witze machen, man muss es einfach charmant und gut verpacken. Und der klassische Blondinen-Witz, nun ja . . .

. . . unterscheidet sich im Grunde nicht vom Burgenländer-Witz, Ostfriesen-Witz, . . .

Frankl: Ja, scheißegal. Ich lach meistens über Blondinen-Witze, weil sie als Witze an sich lustig sind. Da kannst du ja einfügen, was du willst.

Das hat Otto Waalkes in „7 Zwerge“ mit den Schwarzhaarigen-Witzen vorgemacht.

Frankl: Genau. Hauptsache, der Witz selbst ist gut.

TV-Tipp: Am Montag, 30. Dezember 2024, werden zur Primetime um 20:15 Uhr in ORF 1 zahlreiche Schlager aus den Fünfzigern und Sechzigern gesungen – und kommentiert. Die Kabarett-Urgesteine Michael Niavarani und Viktor Gernot gestalten den 90-minütigen Abend gemeinsam mit Katharina Dorian, Jenny Frankl und Ariana Schirasi-Fard sowie der Band „Best Friends“.

Aufgezeichnet wurde der „Schlageranfall“ in Niavaranis Globe Wien, mit dem er heuer ein rundes Jubiläum gefeiert hat: Michael Niavarani ist seit zehn Jahren Hausherr in seinem Theater in St. Marx – zusätzlich zum ebenfalls von ihm gegründeten Theater im Park, das heuer seine bereits fünfte Saison hatte, und zum Kabarett Simpl, das er seit 2019 besitzt. Im Simpl ist er groß geworden, seinen ersten Auftritt dort hatte der 1968 geborene Schauspieler im Jahr 1989. Bereits 1993 wurde er zum ersten Mal künstlerischer Leiter, damals noch unter Hausherr Albert Schmidleitner. Die aktuelle Simpl-Revue „Paradies dringend gesucht“ hat er gemeinsam mit Jenny Frankl geschrieben, die ebenso wie Katharina Dorian und Ariana Schirasi-Fard zum aktuellen Simpl-Ensemble gehört.

Michael Niavarani / Viktor Gernot / Jennifer Frankl / Katharina Dorian / Ariana Schirasi-Fard

Von Flohmärkten zu Sotheby’s: Kunsthandel Pichler in Wien

Der Familienladen in zweiter Generation ist ein Sammelsurium handverlesener, kuratierter Stücke, die allesamt und einzeln für sich eine Geschichte erzählen. Inmitten sitzt Verena Barth, die das Familiengeschäft 2023 von ihrer Mutter übernommen hat. „Der Kunsthandel Pichler ist mehr als ein Geschäft – er ist eine Ode an die Schönheit vergangener Zeiten, verknüpft mit einem modernen Sinn für Stil und Nachhaltigkeit.“ So beginnt unser Gespräch, in dem die geschäftstüchtige Vintage-Expertin mir einen Einblick in die Welt der Antiquitäten, die besondere Dynamik zwischen Mutter und Tochter und die Freude am Sammeln und Restaurieren gibt.

funk tank: Wie hat alles begonnen und welche Entwicklung hat das Geschäft seitdem durchlaufen?

Verena Barth: Die Gründung geht auf meine Mutter Eva zurück, die 1992 nach ihrer Zeit als Stewardess ihren Traum verwirklichte und in den ehemaligen Räumlichkeiten einer Wäscherei unseren Kunsthandel hier in der Marokkanergasse eröffnete. Ihre Vision war es, ihre Leidenschaft für Kunst zum Beruf zu machen. Was als reines Möbel- und Interieurgeschäft begann, entwickelte sich durch ihr persönliches Interesse weiter und schloss schließlich auch Echtschmuck sowie Modeschmuck aus den Bereichen Vintage und Antiquitäten mit ein.

Wie haben sich die Vorlieben und Ansprüche der Kund*innen im Laufe der Zeit verändert?

Anfangs standen vor allem Möbel im Fokus. Es gab sogar einen eigenen Restaurator und Tapezierer. Heute kann man beobachten, dass andere Stilrichtungen gefragt sind als damals. Zum Beispiel verkaufte meine Mutter viele Biedermeiermöbel, die wir heutzutage kaum noch im Geschäft anbieten. Früher war es auch üblich, dass die Kund*innen ihre Möbel restaurieren oder neu tapezieren ließen. Heute sind viele nicht mehr bereit, in eine aufwändige Restauration zu investieren und stellen ihre Möbel nicht mehr „auf Hochglanz“ in die Wohnung.

Was hat es mit der Entwicklung des Schmuckangebots auf sich?

Im Laufe der Zeit nahm der Schmuck immer mehr Raum im Sortiment ein und ist mittlerweile fast der größte Bestandteil unseres Angebots. Neben Modeschmuck haben wir auch den Bereich Echtschmuck erweitert. Bevor ich 2016 für fünf Jahre ins Ausland ging, arbeitete ich bereits bei meiner Mutter und machte eine Ausbildung zur Gemmologin. In dieser Zeit vertiefte ich mein Wissen über signierten Vintage-Modeschmuck, ein absolutes Lieblingsthema von mir. Während meines Aufenthalts in der Schweiz konnte ich mit antikem und Vintage-Echtschmuck arbeiten und mein Wissen über Diamanten erweitern. Diese Erfahrungen bringe ich jetzt in das Geschäft ein.

Kunsthandel Pichler
© Kunsthandel Pichler
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Mutter und Tochter in einem so kreativen Umfeld?

Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mutter, was die beste Grundlage für eine Zusammenarbeit ist. Wir haben uns schon immer gut verstanden, auch wenn wir gelegentlich unterschiedlicher Meinung sind. Besonders wichtig war, dass Eva bei der Geschäftsübergabe 2023 offen für Neues war, wie Social Media und den Onlineshop. Natürlich fiel es ihr nach drei Jahrzehnten nicht immer leicht, loszulassen. Ein Beispiel ist das Umstellen des Schreibtisches, der immer an derselben Stelle stand und nach etwa 30 Anläufen schließlich umgestellt wurde. Ich konnte das gut nachvollziehen, und letztendlich haben wir es geschafft.

Nach welchen Kriterien wählt ihr die Stücke für euer Sortiment aus?

Bei uns gibt es keine bestimmte Stilrichtung oder Epoche, die wir bevorzugt verkaufen. Wir wählen Stücke aus, die uns gefallen und die wir uns selbst in unser Zuhause stellen oder tragen würden. Oft geben wir uns gegenseitig Tipps, was dem anderen gefallen könnte. Zudem gehen wir auch auf spezielle Kund*innenanfragen nach bestimmten Schmuckstücken, Interieur oder Accessoires ein.

Woher bezieht ihr eure Sachen?

Der Großteil unserer Dinge stammt aus Wohnungsauflösungen oder von Kund*innen, die uns ihre Stücke direkt anbieten. Diese Angebote erfolgen meist per E-Mail, WhatsApp oder Telefon. Bei größeren Auflösungen kommen wir auch persönlich vorbei. Zudem besuchen wir regelmäßig Flohmärkte im In- und Ausland. Nahezu jede Reise ist mit einem Flohmarktbesuch verbunden. Das sorgt dafür, dass unser Sortiment bunt und abwechslungsreich bleibt.

Wie wichtig sind euch die Restaurierung und Pflege der Stücke, die ihr verkauft?

Jedes neue Stück wird gründlich gereinigt, gepflegt, kontrolliert und bestimmt. Verschiedene Materialien erfordern unterschiedliche Pflege. Bei Reparaturen haben wir nicht nur umfangreiches Wissen und ein großes Netzwerk an Partner*innen, sondern auch die ganze Familie hilft immer wieder mit.

Wie lässt sich die Geschichte bzw. Herkunft eines Stückes eruieren?

Der Stil, das Material und das äußere Erscheinungsbild spielen dabei eine entscheidende Rolle. Besonders hilfreich sind Punzierungen, Marken oder Stempel, die sich vor allem im Schmuckbereich oder bei Edelmetallen finden. Diese erlauben es, Herkunft und Alter des Stücks genau zu bestimmen. Hierfür haben wir eine umfassende Bibliothek zur Hand.

Eva Pichler und Verena Barth vom Kunsthandel Pichler
Eva Pichler und Verena Barth © Kunsthandel Pichler

Meine Mutter hat mir gezeigt, dass Kunsthandel mehr als ein Beruf ist – es ist eine Lebensphilosophie.

Oft entwickelt man eine emotionale Verbindung zu den einzelnen Stücken. Wie trefft ihr die Entscheidung, ob ein Objekt verkauft wird oder ob es in euer privates Sortiment fließt?

Da wir begeisterte Sammlerinnen sind, müssen wir uns manchmal zurückhalten, um nicht alles selbst zu behalten. Oft lege ich mir ein Stück für ein bis zwei Tage zur Seite und schlafe darüber, um zu entscheiden, ob ich es wirklich brauche. Wenn es dann doch in den Verkauf geht, freue ich mich, wenn es jemandem gefällt, der es zu schätzen weiß. Wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass es ein Geschäft ist und die Stücke verkauft werden sollen – sonst ist man am Ende seine eigene beste Kundin!

Was war das aufregendste Stück, das ihr jemals verkauft oder erworben habt?

Ein besonders aufregendes Stück, an das wir uns erinnern, ist ein Panther aus Bronze, den meine Mutter vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt entdeckte. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein dekoratives Objekt, aber sie spürte, dass mehr dahintersteckte. Erst zu Hause, beim genaueren Betrachten, fiel ihr die feine Punzierung auf, die den Panther als Werk eines namhaften Künstlers auswies. Die Überraschung und Freude waren groß, und nach weiterer Recherche entschieden wir, das Stück bei Sotheby’s in London versteigern zu lassen. Es war ein unvergesslicher Moment, der uns zeigte, dass wahre Schätze manchmal im Verborgenen liegen.

Welche Trends im Bereich Vintage und Antiquitäten beobachtet ihr?

Die Objekte haben bereits viele Jahre überdauert, befinden sich oft in ausgezeichnetem Zustand und sind – abgesehen vom Nichtkonsum – die beste Alternative. Früher wurde vieles in höherer Qualität gefertigt, und es war üblich, sorgfältig auf die Dinge zu achten. Diese hochwertige Herstellung wirkt sich positiv auf die Langlebigkeit der heutigen Vintage- und Antiquitätenstücke aus und ist ein Gewinn für Käufer*innen. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass diese Stücke bereits existieren und nicht neu produziert werden müssen, was nachhaltig ist. Zudem kehren viele Trends immer wieder, sodass man im Vintage- und Antiquitätenbereich oft moderne Akzente findet.

Wie kann ich als Laie erkennen, ob es sich um ein „gutes“ Secondhand-Stück handelt?

Besonders wichtig ist die Verarbeitung und die Materialien. Hochwertige Materialien wie echtes Leder oder Massivholz deuten auf Qualität hin. Auch kleine Details wie saubere Nähte oder solide Verschlüsse sprechen für Langlebigkeit. Im Schmuckbereich sollte man auf Stempel oder Punzierungen achten, die Aufschluss über das Material und die Herkunft geben. Die Patina eines Stücks erzählt ebenfalls eine Geschichte – sie zeigt, dass das Objekt gelebt hat und die Zeit gut überdauert hat.

Hochwertige Verarbeitung und kleine Details verraten oft mehr über die Geschichte eines Objekts, als man denkt.

Was sind häufige Fehler, die Käufer*innen beim Einkauf von Secondhand-Objekten machen?

Ein häufiger Fehler ist es, sich zu sehr auf Perfektion zu versteifen. Kleine Gebrauchsspuren sind normal und verleihen einem Stück Charakter. Es ist wichtig, nicht nur auf den Preis zu achten und dabei die Qualität zu übersehen. Viele Käufer*innen neigen dazu, Dinge zu kaufen, die sie letztlich nicht nutzen werden. Frage dich, ob das Stück zu deinem Stil passt und im Alltag verwendet wird. Ein bewusster Kauf sorgt dafür, dass du lange Freude an deinem Vintage-Stück hast.

Was sind eure Pläne für die Zukunft des Geschäfts?

Seit meiner Übernahme konnte ich bereits viele Meilensteine erreichen. Dazu gehören der Aufbau eines Onlineshops und verschiedene Kooperationen, wie das Kunstprojekt Wand.Solo, das ich gemeinsam mit der Kuratorin Barbara Steininger leite. Wir haben dieses Jahr auch einige Events mit Kooperationspartner*innen veranstaltet. Ein weiterer Schwerpunkt war die Weiterentwicklung unserer Social-Media-Kanäle, um das Geschäft und die Produkte vorzustellen. Ich zeige auch gerne, wie ich Vintage- und Antikstücke in meinen Alltag integriere – sei es durch Outfit-Ideen oder Einrichtungstipps. In Zukunft möchte ich meiner Community noch mehr Input geben, wie sie Vintage-Stücke in ihr Leben einbauen können, und mehr Hintergrundwissen vermitteln. Weitere Kollaborationen und Events, insbesondere mit Frauen, stehen ebenfalls auf dem Plan. Ein spannendes Projekt mit meinem Mann, das meine Leidenschaft für besondere Stücke mit einer kreativen Einrichtung in einem neuen Kontext außerhalb Österreichs am Meer verbindet, ist ebenfalls in Arbeit. Mehr Details dazu werden bald verraten, aber es wird einen besonderen Touch vom Kunsthandel Pichler haben.

Kunsthandel Pichler
© Kunsthandel Pichler

Verena Barth vom Kunsthandel Pichler ist ausgebildete Gemmologin und verfügt über umfassendes Fachwissen zu Edel- und Schmucksteinen. In der Schweiz sammelte sie wertvolle Erfahrungen, indem sie für einen Antiquitätenhändler mit Schwerpunkt auf antiken Schmuck tätig war. Seit 32 Jahren ist der Familienbetrieb Kunsthandel Pichler im 3. Bezirk in Wien ein beliebter Treffpunkt für Vintage- und Antiquitätenliebhaber*innen, die nach einzigartigen Stücken aus vergangenen Zeiten suchen. Mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und der Wertschätzung des Wiederverwendens bietet das Geschäft eine charmante Alternative zum Massenkonsum.

Kunsthandel Pichler

Christina Stürmer: Eine Burg, die nichts erschüttert

Gerade hat Christina Stürmer einen Teil ihrer MTV Unplugged Tour hinter sich, im kommenden Sommer spielt die 42-Jährige mit ihrer Band in Österreich und Deutschland weitere Konzerte. Der Fokus der zweifachen Mama hat sich in den vergangenen Jahren verschoben, denn für sie bedeutet Familie alles. Wie sie ihre Musikkarriere mit dem Mama-Sein vereint und wer die Sängerin dabei unterstützt, hat sie uns im Interview via Videocall während der Tour erzählt:

funk tank: Guten Morgen, liebe Christina, danke, dass du dir Zeit nimmst für unser Interview, du bist ja gerade auf Tour und sicher noch müde vom gestrigen Auftritt …

Christina Stürmer: Guten Morgen, wir kommen gerade vom Frühstück und langsam wieder in die Gänge. Früher haben wir immer bis 1 Uhr mittags geschlafen, mittlerweile ist das nicht mehr so, da merkt man, dass wir in die Jahre gekommen sind (lacht). Normalerweise stehe ich zu Hause um 06:30 Uhr auf, weil meine große Tochter schon in die Schule geht und die Vorbereitungen mit Jause usw. dauern. Jetzt auf Tour hat sich das verschoben, es wird abends später, dafür habe ich den Luxus, dass der Wecker erst um 10 Uhr läutet. Sobald die Tour zu Ende ist, bin ich dann wieder in der anderen Welt. Ich mache jetzt schon Playdates für meine Töchter aus …

Deine beiden Töchter sind 8 und 3,5 Jahre alt. Wie sieht so ein Tourleben aktuell aus? Sind die Kids dabei?

Früher war die Große mit auf Tour, heuer ist Oliver (Oliver Varga, Partner und Bandmitglied, Anm. d. R.) zum ersten Mal überhaupt in all den 22 Jahren nicht mit uns mit und passt auf unsere Kinder auf. Gerade spüre ich, dass diese Tour allen gut tut, nicht nur mir, sondern auch Oliver und den Kindern, das schweißt sie noch mehr zusammen, wenn die Mama mal nicht da ist.

Ich habe es sehr genossen, dass mein Partner bisher immer an meiner Seite war auf Tour, er spielt ja von Beginn an Gitarre in der Band. Bei den heurigen Unplugged Konzerten haben wir es so gelegt, dass es nicht so viele Konzerte am Stück sind und wenn wir getrennt sind, telefoniere ich sehr oft und lange mit meinen Töchtern. Wir hören und sehen uns dank Videotelefonie täglich, es ist okay für sie, aber sie machen sich einen Kalender zu Hause, wo sie Tag für Tag abschneiden, bis ich wiederkomme. Die Tour ist immer überschaubar und ich stimme das mit dem Familienleben ab. Ich hätte so gerne, dass beide einmal mitkommen, bisher hat das aber von den Locations her nicht so gepasst oder wegen der Schule der Großen.

Kommendes Jahr gibt es ein paar Termine, wo es klappen könnte, z. B. in Finkenstein in Kärnten. Da kommen dann sicher auch Oma und Opa mit. Bei uns hält die gesamte Familie zusammen, da unterstützen auch die Großeltern, um Oliver zu entlasten, während ich weg bin.

War es für dich schwierig, deine Arbeit und die Anfänge vom Mama-Sein unter einen Hut zu bringen? Ich meine nicht nur organisatorisch, sondern auch psychisch. Man muss als Frau doch irgendwie alles sein, liebevolle Mama, erfolgreiche Businessfrau, ausgeglichene Partnerin …

Definitiv. Der Vorteil bei mir ist, dass Oliver von Anfang an in der Band gespielt hat und weiß, was auf Tour abgeht, wie eine Albumproduktion abläuft und generell das Business rennt. Manchmal habe ich echt viel zu tun, manchmal bin ich dann aber auch voll und ganz zu Hause.

Eine Schwangerschaft und das Mama-Sein laufen bei jeder Frau anders ab. Ich war zwar nahe am Wasser gebaut und oft gerührt und habe nach wie vor sehr viel Respekt davor, was der weibliche Körper alles kann. Aber ich hatte das große Glück, dass sowohl meine Schwangerschaften als auch die Geburten gut verlaufen sind, auch danach war das Überforderungsgefühl nie da. Sicher auch dank meiner Hebamme, die mich vor, während und nach der Geburt unterstützt hat. Das kann ich jeder Frau nur empfehlen. Und ich habe eine gute Veranlagung, das spielt sicher auch eine Rolle.

Bei meiner ersten Tochter Marina war ich auf Tour, als sie ein dreiviertel Jahr alt war, rückblickend denke ich mir: Wow, krass, wie ich das gemacht habe. Da ziehe ich den Hut vor mir selber. Das Schöne war damals, dass Oliver dabei war, Mama und Papa waren also beim Kind und meine Schwester war als Nanny mit, wenn wir Soundcheck hatten oder das Konzert. Bei der zweiten Tour waren dann Oma und Opa mit und haben aufgepasst. Es ist so toll, dass wir das bisher immer so geschafft haben. Wir haben eine gute Beziehung zu unseren Eltern und Schwiegereltern. Ich habe es selbst als Kind geliebt, mit meinen Großeltern zusammen zu sein, Oliver ebenso, da hat man als Kind ja andere Regeln und Möglichkeiten und darf viel mehr. Und so führen wir das jetzt weiter.

Das klingt idyllisch und schön.

Im Nachhinein denke ich schon an die Zeit, als ich Marina gestillt habe während der Tour. Das Stillen raubt ja viel Kraft und ich musste vor den Konzerten timen, wann ich stille und abpumpe, das war heftig, sie war da ja noch ganz klein.

Mental war da sicher die größte Herausforderung die Öffentlichkeit. Damit hatte ich zu kämpfen. Die Leute haben mich via Social Media als Rabenmutter beschimpft. Und wenn sie beim Papa war, haben die Menschen geschrieben, dass das Kind zur Mutter muss.

Oft bashen ja Frauen andere Frauen …

Ja, es waren eigentlich nur Frauen. Auch da hat mir die Hebamme sehr geholfen. Und die Familie, die mir immer das Gefühl gab, dass alles gut ist. Sowie Marinas gutes Befinden. Sie hatte ja das beste Leben. Sie war immer bei uns und musste im Gegensatz zu anderen Kindern nicht zur Tagesmutter, während die Eltern arbeiten. Ich habe bei der Kleinen gemerkt, dass sie entspannt war, wenn wir entspannt waren. Sie liebt es bis heute, unterwegs zu sein. Es gibt so viele schöne Fotos, wo sie aus dem Bus schaut und die Städte und Landschaft sieht. Das wirkt bis heute.

Es gibt genug weibliche Talente. Es muss die Leistung passen, nicht jede Position muss von einer Frau besetzt werden, aber fähige Frauen gehören gefördert.

Wie finden deine Töchter deine Musik? Versucht ihr als musikalische Eltern, euer Interesse und Talent auch bei ihnen zu fördern?

Wir hören viel Musik zu Hause. Sie sind sehr musikalisch, haben ein Taktgefühl und treffen die richtigen Töne beim Singen, das bewundern wir als Eltern immer wieder. Beide haben noch kein Instrument gelernt, aber natürlich die Möglichkeit, bei uns Instrumente auszuprobieren. Ich bin der Meinung, dass das von selbst kommen und Spaß machen muss, wir zwingen ihnen da nichts auf. Sie lieben es einfach zu tanzen und zu singen und haben ein gutes Rhythmusgefühl, das ist eh schon die halbe Miete.

Die beiden hören gerne Christina Stürmer, die Große war auch schon bei Konzerten. Besonders angetan hat es ihnen die „Wintasun“ mit Wolfgang Ambros. Da sitzen diese zwei jungen Mädchen oft da und singen und feiern Wolfgang Ambros, das finde ich so cool. Jetzt wo die Aufnahmen zu den Unplugged Konzerten vorbei sind, hören wir privat meistens anderes.

Was hörst du privat?

Ich höre sehr gerne X Ambassadors. Marina hat eine Zeit lang Harry Styles gemocht, das finde ich auch spitze. Deine Freunde höre ich nach MTV Unplugged auch ohne Kinder im Auto, es zeigt so schön, wie wir als Eltern Dinge tun, die schon unsere Eltern bei uns getan haben. Z. B. das doofe Zählen, das erstaunlicherweise funktioniert (lacht). Gregory Alan Isakov feiere ich so richtig ab, das habe ich auch bei beiden Geburten gehört, das beruhigt mich. Und ansonsten Mac Miller, der ist leider schon gestorben, sein letztes Album „Circle“ liebe ich.

Ich glaube, dass alles so stabil in mir ist, weil ich meine Kinder habe, die mir so viel Kraft geben und ich dadurch nie das Gefühl habe, abzuheben.

Du bist die erste deutschsprachige Musikerin, die zum MTV Unplugged Format eingeladen wurde. Ein Hinweis darauf, wie ungerecht verteilt es zugeht in der Musikbranche. Musstest du mehr abliefern, weil du eine Frau bist?

Ich hatte nie das Gefühl, dass ich extra abliefern muss in unserer Gruppe, weil ich zwar lange die einzige Frau war, aber eben auch die Chefin. Jetzt auf Tour ist unsere Pianistin Maria mit, das bereichert die Band und bringt eine neue Energie mit.

In der Branche ernte ich viel Respekt, das liegt daran, dass ich das seit 22 Jahren mache.

Generell sitzen schon viele Männer am Hebel im Musikbusiness, das finde ich schwierig. Aber auch hier gibt es Veränderungen, Wanda z. B. haben eine Managerin und bei mir macht das jetzt Barbara Stilke. Auf Tour war es mir wichtig, dass die Vorbands größtenteils weiblich sind und ich so meinen Beitrag dazu leiste. Es gibt genug weibliche Talente. Es muss die Leistung passen, nicht jede Position muss von einer Frau besetzt werden, aber fähige Frauen gehören gefördert. Ich bemerke, dass es noch nicht so üblich ist, dass Frauen andere Frauen unterstützen, es wird besser, aber da gibt es sicher noch Nachholbedarf.

Wir sind geschlechtertechnisch noch lange nicht bei der Gleichberechtigung angelangt. Wie vermittelst du deinen Kindern die Notwendigkeit dieser?

Was meine Kinder betrifft, wollen wir ihnen mitgeben, dass alle gleich sind, unabhängig vom Geschlecht, von der Herkunft oder vom Aussehen her. Das fruchtet auch. Ich lese viel mit meinen Töchtern – es gibt immer mehr Bücher über starke Mädchen und Frauen, Emotionen, Mut, wichtige Werte.

Deine Songs behandeln manchmal traurige Themen. Wie erklärst du deinen Töchtern deine Texte?

Die kleine Lotta bekommt das noch nicht mit, aber Marina mit 8 schon, die weint immer wieder bei meinen Liedern, z. B. bei „Mama“. Wichtig ist, dass man den Kindern das Gefühl von Sicherheit gibt, mit ihnen darüber spricht und auch vermittelt, dass sie bei uns so sein können, wie sie sind. Es ist gut, die Schleusen zu öffnen. Manchmal weiß man gar nicht, warum man weint, das habe ich oft. Aber mir geht es danach immer besser, es ist eine Art von Reinweinen …

Du warst sehr jung schon sehr erfolgreich und wirkst nach wie vor so angenehm bodenständig und gefestigt — wie machst du das?

Das ist schwierig zu sagen, ich überlege ja nicht, warum ich wie bin. Es hat sicher auch was mit der Familie zu tun. Seit der Geburt meiner Kinder hat sich was verschoben, weil sich der Fokus geändert hat, ich bin immer mit einem Fuß zu Hause. Es kann sein, dass das Interview von uns jetzt zu Ende ist und mich meine Tochter gleich danach anruft und fragt, wo ihre Clip-Ohrringe sind (lacht).

Ich glaube, dass alles so stabil in mir ist, weil ich meine Kinder habe, die mir so viel Kraft geben und ich dadurch nie das Gefühl habe, abzuheben. Ich mache wahnsinnig gerne Musik und weiß es zu schätzen, aber das Größte sind meine Töchter.

Ich mache regelmäßig Shiatsu und meditiere, um den Körper richtig zu spüren und zu merken, was einem guttut und was nicht. Ich fühle mich seit den Kindern wie eine Burg, die nichts und niemand erschüttern kann. Weil mein Körper das alles leisten konnte und leistet als Mama. Ich bin davon überzeugt, dass wir das gut machen als Eltern und als Paar. Das macht mich innerlich so stark.

Christina Stürmer
© Ingo Pertramer

Christina Stürmer zählt zu den erfolgreichsten Musikerinnen in Österreich. Die 42-Jährige startete ihre Karriere bei der TV-Show Starmania (2003), mit den nachfolgenden Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum hat sie über 1,9 Millionen Tonträger verkauft. Kommendes Jahr geht Christina Stürmer mit ihrer Band weiter auf MTV Unplugged Tour in Deutschland und Österreich:

26.06.2025 – Erlangen – E-Werk
27.06.2025 – Dresden – Weisser Hirsch
28.06.2025 – Dachau – Musiksommer
29.06.2025 – Graz – Kasematten
04.07.2025 – Wien – Arena Open Air
17.07.2025 – Deggendorf – Donaufest 2025
19.07.2025 – Tuttlingen – Ruine Honberg
20.07.2025 – Finkenstein – Burgarena
25.07.2025 – Linz – Domplatz
01.08.2025 – Immenstadt – Immenstädter Sommer

Christina Stürmer

Das Interview ist mit freundlicher Zusammenarbeit mit !ticket Eventmagazin entstanden.

Katie La Folle: Die erschöpfte Frau auf der Suche nach Sicherheit

Am 6. November hatte Katie La Folles neues Kabarettsolo „Rettet die Teetassen“ Premiere. Darin verarbeitet die 37-Jährige, die bürgerlich Katrin Immervoll heißt, nicht nur all das, was sie beschäftigt, seit sie vor zwei Jahren Mutter geworden ist, sondern widmet sich ganz grundsätzlich dem Thema Feminismus, aber auch ihrer Generation, die so zerbrechlich wie Teetassen ist. Das Ganze tut sie auf höchst melodramatische Weise, gleichzeitig aber doch auch unaufdringlich selbstironisch und immer authentisch – wie in den Programmen davor ist das Pariser Showgirl Katie La Folle ihr Alter Ego. Wir haben mit der Künstlerin über die Zeit der Entstehung ihres neuen Programms im Speziellen und ihr Leben als Frau im Allgemeinen gesprochen.

funk tank: Bei deinem neuen Programm „Rettet die Teetassen“ hat vor allem der Vulva-Song für Aufmerksamkeit gesorgt. Ich nehme an, damit hast du gerechnet.

Katie La Folle: Es war für mich klar, dass ich diesen Vulva-Song mache, weil ich das Thema immer noch so spannend finde. Allein, wenn ich mit meiner Tochter oder meiner Stieftochter darüber spreche, wie man „das da unten“ nennt. Eigentlich sollte es ganz normal sein, das zu benennen – und es heißt eben nicht Mumu, Fifi, Möse oder Schlitzchen, sondern einfach Vulva. Und ich fand es ganz cool, mich mit meinem Vulva-Song den Schambereichen der Frau zu widmen: Es gibt ja Schamlippen, Schamhaar – aber den Schamstängel beim Mann gibt es zum Beispiel nicht (lacht). Also die Scham ist weiblich. Leider.

Was sagst du zum Thema Penisneid?

Ich glaube, den gibt es definitiv, sonst hätte ich kein feministisches Programm gemacht. Aber ich fände es schön, das nicht als Neid zu betiteln, sondern als Penisvorteile. Und diese Vorteile könnten genauso gut zur Vulva herüberwandern, sodass alle Vorteile haben.

Wie sind die Geschlechtsteile in dieses Programm gekommen?

Als meine Tochter zwei Monate alt war, war ich körperlich wahnsinnig erschöpft, aber geistig so wahnsinnig unterfordert, dass ich im Wochenbett zu schreiben begonnen habe. Das waren einfach einmal so meine ersten Gedanken zum Thema Geburt, Schwangerschaft, die Plazenta-Geschichte, die im Programm vorkommt, die Hebammen-Gespräche, … . Dann habe ich das Ganze wieder ruhen lassen, weil ich doch sehr beschäftigt war mit dem Baby, habe aber schon gewusst: Wenn ich nach der Karenz voll zurückkomme, dann mit einem neuen Programm. Also habe ich den Stoff weiter gesammelt und das Ganze auch für das Kabarettstipendium des Bundesministeriums für Kunst und Kultur eingereicht. Das Programm ist im Sommer 2023 entstanden, also gut ein Jahr vor der Premiere. Das große Überthema dabei war die Erschöpfung der Frau, die Suche nach Sicherheit in einer fragilen Welt.

Das Thema hat wohl bei der Einreichung für das Stipendium geholfen.

Ich glaube schon. Sie fanden aber auch die Idee mit dem Bunker im Kleingarten und den Dörr-Ratzen, die darin hängen, sehr lustig. Das kommt alles im Programm vor. 

Kabarettistin Katie La Folle
© Mathias Ziegler
Muss Kabarett einen bestimmten Auftrag erfüllen?

Es sollte kritisch sein. Und wenn man was dazulernt, ist es ja nicht schlecht.

Wie authentisch sind deine Inhalte auf der Bühne? Wie viel Katrin Immervoll steckt in deinem Alter Ego Katie La Folle?

Natürlich ist es immer ein bisschen überzeichnet. Aber zu 95 Prozent muss ich sagen: It’s just me, in einer outrierten Version.

Wie war denn bisher die Resonanz des Publikums angesichts der vielen Geschlechtsteile?

Ich war überrascht. Ich war mir nicht sicher, ob es auch beim älteren Publikum gut ankommt, aber es dürfte auch dieses abholen, was ich so an Feedback bekomme. Ich versuche halt nicht mit dem Hammer draufzuschlagen, sondern das irgendwie ein bisschen charmant zu lösen. Beim Schreiben hatte ich die Schwierigkeit, dass mich so viele Themen bewegt haben und auch zur Verzweiflung gebracht haben, was da alles in der Welt passiert – wie bringt man diese Gedanken lustig auf die Bühne? Genau deshalb hat auch die Vulva diesen Song gekriegt, weil mit Musik alles ein bisschen leichter zu verdauen ist. Es gefällt offenbar Jung wie Alt und Frauen wie Männern. Gerade vorhin hat ein alter weißer Mann zu mir gesagt, dass er es richtig toll fand.

Wenn du dein Aufwachsen vor rund dreißig Jahren mit dem deiner Tochter und deiner Stieftochter vergleichst: Hat sich da gesellschaftlich etwas verändert?

Ich glaube schon. Allein, wie sich Geschichten in Büchern und Fernsehserien verändert haben. Natürlich nicht alles, Grimms Märchen mit der bösen Stiefmutter lesen wir ja trotzdem immer noch. Aber es ist alles doch irgendwie ein bisschen – ich hasse dieses Wort, aber – empowernd geworden. Mädchen können heute auch die Dinge machen, die früher als typisch männlich gesehen wurden. Ich glaube schon, dass sich da in den Medien und auch in der Gesellschaft etwas ändert. Aber dann gibt es auch so schöne Gegenbewegungen wie die Herdprämie der FPÖ, die uns doch wieder in alte Rollenbilder treiben möchte. Sowas bringt mich zur Weißglut.

Es gibt ja Schamlippen, Schamhaar – aber den Schamstängel beim Mann gibt es zum Beispiel nicht. Also die Scham ist weiblich. Leider.

Es gibt aber auch Frauen, die sich tatsächlich wohl in der Rolle des vom Mann versorgten Heimchens am Herd fühlen.

Ich verstehe das auch total. Das hat mich bei mir selbst so erschreckt, dass ich da so schnell in diese alte Rolle zurückgefallen bin, vor der es mir eigentlich gegraust hat: Mein Mann hat zwar einen Papamonat gemacht, aber er war dann der, der die Brötchen nach Hause bringt. Immerhin gibt es Karenzgeld, aber von dem eine Wohnung zu bezahlen ist in Wien unmöglich. Es hat mich ziemlich gewurmt, dass ich nicht gleich wieder so viel arbeiten konnte, wie ich eigentlich wollte. Auch jetzt ist es so, man hat einfach nicht so viele zeitliche Ressourcen, vor allem, wenn man gern Mama ist und gern Zeit mit seinem Kind verbringt. Es ist immer ein Widerspruch. Und man kann es auch nie jemandem recht machen. Wenn man das Kind zu früh in die Betreuung schickt, ist es falsch, aber man soll ganz schnell wieder arbeiten gehen, und zwar am besten Vollzeit, weil Teilzeit schlecht für die Pension und für das System ist. Und die große Debatte dreht sich zu Recht darum, dass die Care-Arbeit daheim nicht so honoriert wird wie Berufstätigkeit. Und deshalb zahlen wir in keine Pensionskasse ein und stehen dann in der Altersarmut da. Wenn man das Glück hat, dass eine Beziehung bis zur Pension hält, dann passt alles – aber die Hälfte der Ehen wird vorher geschieden. Deshalb haben Alleinerzieherinnen einfach die ärgsten Existenzängste.

Wer passt jetzt gerade auf deine Tochter auf?

Der Papa natürlich. Am Vormittag ist sie im Kindergarten, da versuche ich so viel wie möglich zu arbeiten, und am Nachmittag bin ich dann für sie da oder mein Mann oder beide. Jetzt in der Vorbereitung aufs Programm hat oft er das Kind ins Bett gebracht, und ich habe noch geschrieben oder geprobt bis nach Mitternacht. Das sind schon arge Tage, die man da meistert.

Schafft ihr Halbe-Halbe?

Ja, aktuell schon, weil er gerade in Bildungskarenz ist. Aber wenn er als Angestellter Vollzeit arbeitet, geht es sich leider nicht aus.

Musst du jetzt Abstriche machen? Oder kompensiert das, was du mit deiner kleinen Tochter erlebst, das, was du als Bühnenkünstlerin versäumst?

Familiär ist es auf jeden Fall erfüllend, ein Kind zu haben. Ich muss zeitliche Abstriche machen. Ich realisiere auch, dass ich nicht mehr die zeitlichen Möglichkeiten wie früher habe. So viel zu unterrichten wie vorher, geht sich zum Beispiel jetzt nicht mehr aus. Natürlich kann man sich absprechen, aber man muss immer organisieren – das hört ja nicht auf, bis die Kinder selbstständiger werden. Man gibt sehr viel, da bleibt dann nicht mehr sehr viel Zeit und Energie für andere Dinge. Wenn man arbeiten möchte, muss man die restliche Energie, die man hat, dorthin kanalisieren. Das funktioniert bei mir ganz gut, aber auch nur mit Unterstützung von Papa, Großeltern, Babysitterin.

Nicht umsonst heißt es: Man braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.

Das stimmt absolut. Es gibt nichts Gefährlicheres, als wenn man nur noch zu Hause ist in diesem Dreiergespann Vater-Mutter-Kind und sich gar niemanden dazuholt. Ich war echt eine Mama, die viel unternommen hat, aber du bist trotzdem sehr viel allein mit dem Baby – und geistig bist du dann echt unterfordert. Da ist es ganz wichtig, sich mit anderen Eltern zusammenzutun, um einen Austausch zu haben. Ich habe auch oft meine Eltern besucht, einfach damit auch einmal wer anderer das Baby hält. Weil es wird schnell einmal zu viel, und man vergisst sich selbst.

Du hast im Jahr 2012 eine Saison als Tänzerin in Paris verbracht. Hast du da einen anderen Umgang mit Frauen und Mädchen mitbekommen als in Österreich?

Mein Fokus war damals klarerweise ein anderer, aber ich habe immer noch französische Freund*innen. Und was ich so mitbekomme, leben die das ganz anders, die sind von Grund auf feministischer eingestellt. Da ist es eher schon fast ein Stress, dass man rasch wieder in den Job zurück muss, dort gibt es auch nur drei Monate Karenzgeld. Nach drei Monaten mein Kind abzugeben, wäre mir zu früh gewesen. Aber es ist auch okay, wenn man es tut – ich bin absolut pro Kinderbetreuungseinrichtungen. Man muss es sich halt auch leisten können.

Braucht es im Jahr 2024 wirklich noch immer feministisches Kabarett?

Ja, weil es scheinbar immer noch nicht angekommen ist, dass Gleichberechtigung wichtig ist. Und es ist ein wahnsinnig abgedroschener Satz, aber es braucht feministische Themen auf der Bühne, damit sie normal wird. Es ist zum Beispiel immer noch so, dass jede*r eine Meinung zum weiblichen Körper hat. Frauen werden objektiviert und sollen einem gewissen Bild entsprechen. Das löst sich eh zum Glück langsam und normalisiert sich. Da spielen auch die sozialen Medien eine Rolle. Zum Beispiel gibt es jetzt diesen „Women in male fields“-Trend, bei dem typische patriarchale Aussagen ins Weibliche umgedreht werden. Zum Beispiel: „Sorry, meine Vulva braucht Platz. Deshalb mache ich Womanspreading.“ Oder: „Wenn er so viel Haut zeigt, dann braucht er sich nicht zu wundern.“ Aber es ist immer noch so, dass man als Frau kritischer betrachtet wird.

Was gibst du da deiner Tochter mit?

Laut zu sein und kontern zu lernen. Und drauf zu scheißen.

Katrin Immervoll wurde 1987 in Wien geboren und hat eine internationale Karriere hinter sich. Anfang der 2010er-Jahre war sie als Tänzerin in Frankreich, Deutschland und Großbritannien engagiert und kam sogar bis in die Ukraine und nach Russland. Zurück in Österreich startete die Absolventin des Wiener Konservatoriums, die auch in zahlreichen Musicals wie „Evita“, „Kiss me, Kate“ und „Sound of Music“ aufgetreten ist, eine Karriere als Kabarettistin. Ihrem ersten Soloprogramm „Die folle Wahrheit“, das bereits 2012 in einem Cabaret in Paris entstanden war, folgten „Finden“ (2017), „Folle vertont“ (2019) und „Furios“ (2020). Immer mit dabei war und ist ihr Alter Ego Katie La Folle, das Pariser Showgirl, das allen Programmen der 37-Jährigen seinen sympathischen Stempel aufdrückt, so auch bei ihrem neuen Programm „Rettet die Teetassen“, das momentan in Wien zu sehen ist.

Katie La Folle

Anna Friedberg „Ich bin da irgendwie reingepurzelt“

Ein Mittwochvormittag Mitte Oktober: Anna F. schaltet sich für unseren Zoom-Call von einem relativ schmucklosen Balkon zu – viel Beton, wenig Grün, noch weniger Ausblick. Man könnte diesen Balkon überall vermuten, vom Wiener Stadtrand bis zum Berliner Plattenbau, aber für das ärmellose T-Shirt und die schwarze Sonnenbrille, mit der Anna F. vor der Kamera sitzt, ist es im Oktober zu kalt und zu grau, egal ob in Wien oder Berlin. „Ich bin gerade in Athen“, sagt sie dann auch gleich, „hier ist es noch angenehm warm.“ Nach einem intensiven Jahr gönnt sich Anna F. noch ein paar Tage Urlaub, bevor es mit Promotion und Konzerttour losgeht. Nach ihren beiden Solo-Alben ist „Hardcore Workout Queen“ nun das erste, das sie gemeinsam mit ihrer Band Friedberg veröffentlicht (Release: 8.11.). Es sei eine Art „musikalischer Road-Trip“, sagt Anna F. Nicht nur, weil die Künstlerin „einfach gerne drauflos“ macht, ohne bestimmtes Ziel. Sondern auch, weil selbst in der Musik Abwechslung brauche. „Ich finde Alben, auf denen Lieder zu ähnlich klingen, sehr schnell langweilig. Da höre ich dann einfach nicht mehr zu.“ Das ist wohl der Hauptgrund, dass sich auf „Hardcore Workout Queen“ Indie-Rock mit Elektro-Sounds, Dance und ein bisschen Pop-Beats abwechseln. Von Langeweile jedenfalls keine Spur.

funk tank: Anna, du hast dein letztes Album vor zehn Jahren veröffentlicht, sechs Jahre lang hast du an „Hardcore Workout Queen“ gearbeitet. Was hat so lange gedauert?

Anna F.: Als ich von Berlin nach London gezogen bin, musste ich mich erst einmal zurechtfinden und ankommen. Und dann kam noch Corona. Aber grundsätzlich liegt es wahrscheinlich eher daran, dass ich sehr lange an Dingen arbeite, bis ich etwas wirklich gut finde. Ich mache wirklich sehr viele Versionen von meinen Songs, probiere aus, feile daran herum. Das ist nicht schlau, weil es viel zu lange dauert, das weiß ich. Vor allem, weil ich dann meistens eh zur Ausgangsidee zurückkehre.

Das ist spannend – in der Werbebranche heißt es immer: Nimm nie die erste Idee. Alles, was danach kommt, ist besser.

(Lacht) Ja? Vielleicht ist das in der Musik anders. Ich finde, man kann diesen besonderen Vibe, den eine erste Aufnahme hat, nur ganz schlecht wiederherstellen. Selbst, wenn sie mit schlechtem Equipment an irgendeinem x-beliebigen Ort aufgenommen wurde. Zumindest bei den Vocals funktioniert das für mich nicht – wenn man Drums oder Gitarre dann nochmal einspielt, ja, okay. Aber bei der Stimme? Nein, ich finde, das ist eine ganz bestimmte Stimmung, die du nicht rekreieren kannst.

Wann weißt du denn, wann der Moment ist, einen Song „loszulassen“?

Das ist ein Gefühl, das ich ganz schwer erklären kann. Ich bin sehr kritisch mit dem, was ich mir selbst von anderen Musiker*innen anhöre und dem, was ich selbst produziere. Wenn ich mir denke: „Das würde ich mir selbst gerne anhören!“, bin ich bereit zu sagen: Gut, der Song ist fertig.


Als Anna F. hast du dich zu Beginn deiner Karriere als Solo-Künstlerin etabliert. Wie ist es jetzt, mit Band zu arbeiten?

Noch bevor es „Friedberg“ in dieser Konstellation gab, hatte ich schon sehr viele Songs geschrieben. Nicht nur den Text, sondern auch die Parts für die Instrumente. Wir sind ja eigentlich eine Live-Band – das klingt teilweise beim Konzert auch komplett anders als die Studioaufnahmen. Aber der Großteil des kreativen Prozesses liegt eigentlich bei mir.

Macht man es sich damit schwerer oder leichter?

Gute Frage. Ich weiß es nicht genau, das ist wahrscheinlich Ansichtssache. Es ist meine Art zu arbeiten, ich mache das gerne so.

Also ist es eigentlich Anna F. mit Band?

Es ist mein Projekt, ja. Aber die Live-Shows sind ja wirklich unser Herzstück und die sind uns allen superwichtig. Da heben wir die Songs und die Musik einfach nochmal auf eine komplett andere Ebene. Die Live-Versionen sind ja teilweise doppelt so lang, wir haben ganz lange Jam-Parts und haben da auf der Bühne auch eine richtige Energy. Das ist super. Unseren ersten Live-Gig haben wir übrigens ganz spontan in einem Pub in London an einem Sonntag gespielt, ohne Soundcheck oder Probe vorher. Vor einem Haufen Fremder, die mit ihren Familien gerade „Sunday Roast“ (klassischer Sonntagsbraten, Anm.) gegessen haben. Wir wollten es einfach probieren. Zwei Wochen später hatten wir nochmal einen Gig in einem anderen kleinen Laden – zufälligerweise war dort gerade ein Booking-Agent. So kam dann eines zum anderen.

Du bist von Wien erst nach Berlin und dann nach London. Hier bist du musikalisch jetzt angekommen?

Irgendwie schon. Ich wollte ja eigentlich erst nur für ein halbes Jahr her, aber irgendwann hat es sich richtig angefühlt, hier zu bleiben. In Berlin habe ich mich oft treiben lassen, in London habe ich richtigen Antrieb bekommen, die Stadt ist total inspirierend. Ich lebe im Nordosten von London, in Hackney Wick. Hier leben und arbeiten viele Kreative – Regisseur*innen, Fotograf*innen, Grafikdesigner*innen, Musiker*innen, Filmproduzent*innen. Da ergeben sich oft tolle Dinge, selbst, wenn man nur in der Früh seinen Coffee-to-go holt.

Wie ist dein Blick von London aus auf die österreichische Musikszene?

Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass man aus Österreich weggehen muss, um irgendwie Wertschätzung zu bekommen – ich glaube, dass sich da nicht viel verändert hat. Und sonst glaube ich, dass sich österreichische Künstlerinnen und Künstler schon sehr gut behaupten, vor allem aus Deutschland schaut man interessierter nach Österreich und was sich hier tut.

Bandfoto Friedberg
© Lewis Vorn

Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass man aus Österreich weggehen muss, um irgendwie Wertschätzung zu bekommen.

In Österreich bist du als „Popwunder“ (Zitat: Die Presse) groß geworden. Wie schaust du auf die Anna F. von damals? Willst du dieses „Label“ noch mit dir in Verbindung bringen?

Boah, manchmal denke ich mir schon, dass ich da einfach so reingepurzelt bin. Ich bin ja direkt von Friedberg nach Wien gekommen und ich hatte ja auch kein richtiges Management oder so und habe überall mitgemacht. Im Nachhinein denke ich mir, da hätte ich manchmal auch ‚Nein‘ sagen können – oder jemand hätte das für mich machen können. Aber das ist nie passiert, ich hatte das Ruder nicht wirklich in der Hand, sondern habe irgendwie immer Menschen getroffen, die mir gesagt haben, was ich jetzt als Nächstes am besten machen sollte. Das ist jetzt definitiv anders, ich habe da viel dazugelernt, sage öfter auch mal ‚Nein‘, weil ich gelernt habe, auf mich und mein Bauchgefühl zu vertrauen. Ich war auch nie wirklich Teil einer „Szene“, was schade ist. Wobei ich nicht mal genau weiß, ob es so eine große Musikszene damals so richtig gab, oder ob sich das erst mit der Zeit etabliert hat. Ach ja, und ich glaube übrigens, dass ich mit all dieser Erfahrung eine ganz gute Managerin und Beraterin wäre (lacht).

Kann man das Projekt „Friedberg“ auch als Abschied an Anna F. sehen?

Für mich ist es eine Art von Abschied, ja. Aber keine Sorge: Es ist nicht schlimm für mich, wenn andere Menschen mich als Anna F. in der Band Friedberg sehen.

Ich habe in einem Artikel gelesen, dass du früher sehr zurückhaltend und schüchtern warst, deine Ideen mit anderen zu teilen.

Das kann man wahrscheinlich auch als Zuschreibung an die Anna F. von früher sehen. Früher war das ganz schlimm, da habe ich Songs monatelang mit mir rumgetragen. Ich hatte wirklich Angst davor, sie jemandem zu zeigen, weil ich Angst vor einer Bewertung hatte – vor allem von Menschen, die man kennt und schätzt. Das hat mich richtig fertig gemacht. Aber da spielt mittlerweile auch rein, dass ich mehr Selbstsicherheit habe und auf meinen Bauch hören kann. Und mir ist es ja auch wichtig, Feedback zu bekommen und damit zu arbeiten. Aber grundsätzlich will man ja, dass das, was da aus dem Innersten von einem selbst hinauskommt, von anderen gemocht wird, oder? Damit bin ich wahrscheinlich auch nicht alleine.

Die Steirerin Anna Wappel alias Anna F. ist seit 20 Jahren Teil der heimischen Musikbranche. Der Durchbruch gelang der heute 38-Jährigen im Jahr 2009 mit ihrem Hit „Time Stands Still“, im selben Jahr veröffentlichte sie mit „For Real“ ihr erstes von drei Alben und sie erhielt den Amadeus Austrian Music Award. Seit 2018 lebt Anna F. in London, mit ihrer Band „Friedberg“ war sie kürzlich Vorband von Placebo, ihre Songs werden auf dem renommierten Sender BBC Radio 6 gespielt, jetzt hat die Band mit „Hardcore Workout Queen“ ihr erstes Album veröffentlicht.

Friedberg touren im Dezember durch Deutschland, Frankreich, Österreich und Portugal: Friedberg Live

Friedberg – Website

Alfred Dorfer: Meisterlicher Blödler, scharfsinniger Satiriker

Er zählt zu den beliebtesten Kabarettisten des Landes und ist neben Josef Hader der einzige Komiker in Österreich, der auch im gesamten deutschsprachigen Raum humoristisch verstanden und verehrt wird. Alfred Dorfer steht seit den 80ern erfolgreich auf der Bühne und hat spätestens mit den Produktionen „Indien“ (1993) und „Muttertag“ (1993) sowie mit der TV-Serie „MA 2412“ (1998–2003) auch im Film- und Fernsehbusiness für Aufsehen gesorgt. Mit der Late-Night-Show „Dorfers Donnerstalk“ (2004–2010) hat Dorfer sein satirisches Talent bewiesen. Es folgten zahlreiche Produktionen und Programme. Bis heute schafft Alfred Dorfer die perfekte Balance zwischen befreiender Unterhaltung und scharfsinnigem Humor, der auch einmal wehtut, weil er so treffend unsere Zeit und Gesellschaft behandelt.

Anlässlich des neuen Programms „GLEICH“, das ab 18. Oktober im Wiener Stadtsaal zu sehen ist, hat Alfred Dorfer mit uns im Wiener Café Prückel über Berufliches wie Privates gesprochen …

funk tank: Wir sitzen heute im Café; Kaffeehäuser haben ja in Wien eine lange Tradition, auch unter den Kunstschaffenden als Ort der Inspiration. Ist das Kaffeehaus auch ein Arbeitsplatz für Sie und entstehen hier kreative Texte?

Alfred Dorfer: Ja, manchmal entstehen in Kaffeehäusern auch meine Texte. Weil ich Gott sei Dank die Eigenschaft habe, dass ich Umgebungen akustisch ausblenden kann. Das haben sehr viele ja nicht, ich kenne Leute, die hören, was die ganz hinten im Raum reden.

Und wollen es auch wissen …

Genau. Ich will es nicht wissen und ich höre es auch nicht.

Wo und wie trinken Sie Ihren Kaffee am liebsten?

Früher war das Drechsler mein Stammcafé, das hat aber jetzt ein neues Konzept. Das Prückel mag ich sehr, liegt für mich jedoch aus der Hand, weil ich im 4. Bezirk wohne. Ansonsten im Sperl. Im ehrwürdigen Café Jelinek war ich gerne mit meinem Sohn, als er klein war. Dem habe ich versucht anzutrainieren, dass Kaffeehäuser großartig sind.

Generell ist es so, dass ein Tag ohne Kaffee-Beginn nicht geht. Kennen Sie diese Dreher? Das ist meine Art des Kaffees. Ich habe keine Maschine. Jeden Tag schraube ich mir den Kaffee zusammen und trinke ihn. In Kaffeehäusern bevorzuge ich dann Espresso.

Ich möchte, bevor wir zu Ihrem neuen Programm kommen, noch kurz bei Wien bleiben, konkret bei Ihrem Studium der Thewi (Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Anm.). Ich habe 2005 begonnen, Thewi zu studieren und kann mich noch genau daran erinnern, dass ich Sie in den ersten Tagen in der Uni gesehen habe und sofort wusste: „Hier bin ich richtig, hier werde ich was lernen.“

Was für ein Fehlschluss (lacht).

Ja, das stimmt, es war dann doch eher ein brotloses Studium, aber wunderschön (lacht). Sie haben ja lange Pause gemacht mit dem Studium, warum haben Sie sich dann dazu entschlossen, es wirklich fertig zu machen? Ist das was typisch Österreichisches, wo Titel ja noch wichtig sind?

Nein, es war so, dass ich in den 80er-Jahren das Studium fertig gemacht habe, damals war es ein Doktoratsstudium. Ich bin mit dem Diss-Thema in der Hand rausgegangen und habe mir gedacht, dass ich das nicht packe. Ich war 23 Jahre alt. Dann ist es auch geruht, 20 Jahre lang. Irgendwann wurde ich auf Tournee gefragt, warum ich aufgehört habe, obwohl ich doch schon so weit war und nur mehr die Arbeit gefehlt hat. Und ich wusste keine Antwort darauf. Da mich das universitäre Umfeld immer interessiert hat, habe ich dann meine damalige Doktormutter Hilde Haider angerufen und gesagt: „Hier spricht Alfred Dorfer, ich würde jetzt gerne die Diss machen.“ Und sie meinte: „Ich warte schon 20 Jahre auf Sie.“ Zu der Zeit wurde ja das System umgestellt, also musste ich zuerst das Magisterium abschließen und habe danach die Diss geschrieben.

Was ist bis heute Positives hängen geblieben aus dieser Studienzeit? Damals war das ja noch im historischen Institut in der Hofburg …

Ja, wunderschön. Da ich damals parallel Schauspiel gemacht habe, war ich der Meinung, dass du auch die Theorie kennen solltest, wenn du einen künstlerischen Beruf ausübst. Du solltest über Theatergeschichte Bescheid wissen und Stilfragen beurteilen können. Für mich ist Theaterwissenschaften ja ein Bildungsstudium, das war z. B. auch der Stil in der DDR, dass sie ihre Künstler*innen theoretisch ausgebildet haben.

Da mein Sohn dann schon groß war, hatte ich wieder die Zeit dafür und habe das Studium dann nach vier Jahren abgeschlossen. Mir ging es eher darum, eine Lücke zu füllen und eine ungelöste Frage in meiner Biografie zu beantworten. Bei der Promotionsfeier war ich z. B. nicht, ich unterschreibe auch nicht mit Dr. Alfred Dorfer …

Das Studium hat mir zudem noch etwas gebracht, denn aufgrund dieser Tätigkeit habe ich dann einen Lehrauftrag in Graz und Klagenfurt auf der Uni bekommen und rund acht Semester lang gelesen, was toll war.

Ich denke, dass die Tendenz, die Leute gegeneinander aufzubringen, aufspaltend ist. Damit meine ich nicht nur die FPÖ, sondern auch die andere Seite. Eine schlechte Migrationspolitik und eine schlechte Bildungspolitik spaltet alle.

Bildung hat ja auch was mit Politik zu tun bzw. vice versa. Politisch schaut es bitter aus, wenn wir an die Wahlergebnisse bei uns denken. Ihre persönliche Einschätzung: Wie geht es weiter in der Politik? Tritt Van der Bellen zurück? Wird Kickl Kanzler?

Das Problem ist, dass ich mich sehr damit beschäftige, aber es nicht weiß. In dieser Geschichte bin ich ratlos. Wir haben ja praktisch nur zwei Optionen. Und beide stehen für mich nicht dafür, dass wir die großen Probleme, die wir haben und in Zukunft noch mehr haben werden, lösen können. Daher fürchte ich, dass bei uns bald italienischer Wind wehen wird mit Wahlen alle zwei Jahre. Zumindest war das dort früher üblich. Ich denke, dass die Tendenz, die Leute gegeneinander aufzubringen, aufspaltend ist. Damit meine ich nicht nur die FPÖ, sondern auch die andere Seite. Eine schlechte Migrationspolitik und eine schlechte Bildungspolitik spaltet alle. Hätten wir funktionierende andere Parteien, wäre das nicht so ausgegangen. Die personelle Ausdünnung sollte man auch einmal besprechen, das ist zwar kein österreichisches Problem, aber bei uns ist es schlagend. Wo sind die Persönlichkeiten und die Programme? Es fehlt auch, dass die Politiker*innen sagen: „Wir haben einen Fehler gemacht und uns geirrt. Gehen wir es an und ändern das.“

Was wäre Ihre erste Amtshandlung als Politiker?

Ich bin kein Politiker und würde es auch nie machen. Ich könnte es gar nicht, alleine von meiner Psychostruktur her. Du stellst als Politiker*in nur mehr dar, durch die ständige Beobachtung kann alles gegen dich verwendet werden, du verlierst dein Leben.

Krisen haben und hatten wir weltweit. Corona, Kriege, Wirtschaft. Das alles hat natürlich auch die Psyche der Menschen verändert. Was tun Sie persönlich, um zuversichtlich zu bleiben und sich nicht runterziehen zu lassen?

Ich bin grundsätzlich jemand, der immer versucht, konstruktiv zu sein. Das ist noch lange nicht optimistisch (lacht).

Es hat aktuell tatsächlich was gegeben, wo mir das Herz übergegangen ist vor Freude. Die Reaktionen der Menschen auf das Hochwasser waren so positiv. Unter Einsatz der eigenen Gesundheit, ganz egal ob Rot, Blau oder Grün, haben Menschen gratis und in großer Zahl geholfen. Das ist das wirkliche Gesicht des Landes, noch, das finde ich großartig und das gilt es auch zu betonen und daraus Ressourcen zu ziehen. Ich werde Benefiz-Veranstaltungen für die Leute machen, die geholfen haben, die Bergrettung, die Feuerwehr, die Freiwilligen, … Das kann ich dazu beitragen.

Am 18. Oktober feiert Ihr Programm „GLEICH“ Premiere im Wiener Stadtsaal. Mir stellt sich die Frage, warum Kabarett-Programme meist sehr neutrale Titel haben. Bei Ihnen ist es „GLEICH“, bei Thomas Maurer ist es „Trotzdem“. Das kann ja alles und nichts bedeuten …

Um aus der Schule zu plaudern: Du brauchst einen Titel, bevor du weißt, was du machst. Weil die Programmhefte viel früher gedruckt werden und der Vorlauf der Theater lange ist. Du brauchst auch einen Pressetext, bevor du genau weißt, was du machst. Daher ist es super, wenn du einen Titel hast, wo du danach was dazu sagen kannst (lacht). Da kann quasi nix falsch sein an „GLEICH“, „Trotzdem“, … Bei „GLEICH“ kann man immer noch sagen: „Es hat drei Bedeutungen. 1. Damit ist gleichartig gemeint; 2. Es passiert gleich; 3. Alles ist mir gleich.“ Die Wahrheit ist: Der Titel hat mir gefallen, bevor ich wusste, wohin die Reise geht. Und ein kurzer Titel ist immer gut, weil man da relativ wenig falsch schreiben kann und es sich jede*r merkt.

Worum geht es im neuen Programm?

Mittlerweile weiß ich, worum es geht. Es geht um einen sehr losen Rahmen, wie immer bei meinen Programmen. Beim Programm „und …“ war es die Situation Umzug; jetzt geht es um eine Parabel und zwar darum, dass die zu teuren, alten Menschen im Weg sind und sie daher ausgesiedelt werden sollen. Da sie die kaufkräftigste Generation sind und wichtig für die Gesellschaft, weil sie zu den Reichsten gehören, die Wahlen entscheiden usw., kann man sie nicht einfach wegräumen oder sie umbringen. Aber sie stören. Sie wohnen in viel zu großen Wohnungen und werden daher alle zusammengelegt und gemeinsam betreut. Ich werde engagiert, um in diesem Ghetto im Theater aufzutreten und dort der Bezirkskasperl zu sein. Es geht darin überhaupt nicht um die Diskriminierung der Alten, sondern eher um den Umgang mit dem Alten, in dem wir noch stecken. Das bietet wunderbare Gelegenheiten, um u. a. über Migration, Bildung, Generationskonflikte zu sprechen. Aber eben auf meine Art, ohne gegen jemanden oder etwas zu wettern.

Portraitfoto Kabarettist Alfred Dorfer im Zuge vom neuen Programm "Gleich"
© Stefan Csáky, www.grainyday.photo

Ich bin grundsätzlich jemand, der immer versucht, konstruktiv zu sein. Das ist noch lange nicht optimistisch.

Sie nehmen also keine Position ein …

Das mache ich selten. Manchmal tue ich das, damit es nicht zu Missverständnissen führt. Ironie kann man ja immer so oder so deuten, die einen fühlen sich bestätigt, die anderen angegriffen. Aber im Prinzip ist es keine Predigt.

Sie treten ja auch viel in Deutschland auf. Adaptieren Sie Ihr Programm dafür? Hat man dort einen anderen Schmäh?

Ich wollte deswegen nach Deutschland gehen, um herauszufinden, ob das, was ich mir ausdenke, nicht nur ein Lokalkolorit ist. Und es hat in Deutschland und der Schweiz funktioniert und tut es noch. Im Laufe der 20 Jahre habe ich aber begonnen, die Orte so auszusuchen, wo ich das Gefühl hatte, dass man es humoristisch gut versteht und die wegzulassen, wo man sowieso anrennt. Z. B. Köln. Ich bin viel zu alt und es ist viel zu weit weg, um meine Abende damit zu verbringen, dort Humorbotschafter zu sein. Die Karnevalshochburg hat einfach einen anderen Zugang zu Humor.

Im Zuge des neuen Programms habe ich gesehen, dass Sie auf Instagram sehr aktiv sind, sogar Reels gepostet werden. Sind Sie Fan der neuen Medien oder muss man da einfach mitmachen? Reichweite haben Sie ja sowieso …

Mich interessiert an Social Media etwas: Mich interessiert, wie man in diesem ganzen Müll und Sumpf mit Bild oder Text etwas herstellen kann. Etwas, das was aussagt, auch in der Kürze der Aufnahmefähigkeit. Ich bin noch in der Versuchsphase. Ich glaube, dass das eine Möglichkeit ist, eine Kolumne zu haben. Wie ich sie damals in der Zeit hatte, wo ich 14 Jahre lang jede Woche versucht habe, politische Themen aus satirischer Sicht darzustellen. Die noch offene Frage, ob das auf Social Media auch geht, möchte ich klären. Und ich will herausfinden, ob ich so jüngeres Publikum ansprechen kann.

Sie sind Meister im Blödeln und beherrschen tiefsinnige Komik – was ist leichter zu schreiben/spielen?

Diese von Ihnen angesprochene Spanne bildet sehr gut ab, was ich bin. Weil ich finde, dass Unterhaltung, wo es rein um das Entladende geht, eine große Kunst ist. Ich kenne nicht viele Leute, die das können. Also Unterhaltung, die nicht unter der Gürtellinie ist, aber auch nicht belastet mit Themen wie Krieg usw. Ich blödle privat unheimlich gern. Ich gehöre nicht zu der Kategorie, die besagt, dass der klassische Komiker privat mieselsüchtig oder depressiv ist.

Oder zu intellektuell und verkopft …

Genau. Diese Verkrampfung im Gesäß habe ich nicht.

Ich gehöre nicht zu der Kategorie, die besagt, dass der klassische Komiker privat mieselsüchtig oder depressiv ist.

Gibt’s beruflich irgendetwas, das Sie unbedingt verwirklichen wollen, aber bisher nie möglich war?

Mit 60 Jahren dämmert dir schon was, was mit 58 Jahren noch kein Thema ist. Plötzlich kriegst du fast einen Aktivitätsstress: Das wollte ich noch. Und das wollte ich noch. Und das wollte ich noch.

Ich wollte z. B. ein Lokal eröffnen. Ich fand die Idee einer Mischung aus Buch und Kaffee oder Buch und Wein eine lange Zeit sehr faszinierend. Das habe ich mittlerweile verworfen. Jetzt sind es kleinere Geschichten, die ich vorhabe. Also nicht so was Großes wie das Studium.

Ich war sehr viel in Südamerika und in Mittelamerika unterwegs. Dort kommst du mit Englisch nicht durch. Da ich gut Latein kann, habe ich dann bei meinen Trips vor Ort Spanisch gelernt. Und dort die Leute wie ein kleines Kind gefragt, was was heißt. Die Menschen waren sehr freundlich, ich hatte also über 100 Lehrer*innen. Irgendwann habe ich diese Leidenschaft nicht mehr ausgeübt, daher kann ich Spanisch bis heute nicht gut genug. Solche Pläne habe ich. Also kleine Geschichten, keine großen Konzepte, wie das Erlernen eines neuen Berufs.

Wobei, in der Corona-Zeit habe ich einen neuen Beruf gelernt. Ich habe zwei Jahre lang als Gemüseverkäufer am Naschmarkt gearbeitet, weil ich die damaligen Betreiber einer der Geschäfte dort gut kannte. Ich kenne mich jetzt sehr gut aus mit Gemüse und der Zubereitung von beispielsweise Schwarzkohl, das ist übrigens der absolute Trend momentan.

Klingt blähend?!

Natürlich, wie jeder Kohl. Jedenfalls habe ich so mit 60 noch einen neuen Beruf gelernt. Ich könnte jetzt überall anfangen als Gemüseverkäufer. Das Leben am Markt war für mich eine schöne Zeit. Ein Teil dieser Erfahrungen kommt auch im neuen Programm vor.

Bis Mitte 2025 sind Sie mit „GLEICH“ auf Tour. Was kommt danach?

Ich bin länger damit unterwegs. Rein geografisch gesehen dauert die Runde mit Österreich, Deutschland und der Schweiz sicher zweieinhalb Jahre. Rechnen wir den Ausfall der Pandemie dazu und wenn ich dann noch zwei Mal mein Programm spiele pro Stadt, sind wir schon bei sieben Jahren. Also werde ich das jetzt mindestens drei bis vier Jahre machen …

Portraitfoto Kabarettist Alfred Dorfer im Zuge vom neuen Programm "Gleich"
© Stefan Csáky, www.grainyday.photo

Alfred Dorfer zählt zu den beliebtesten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum. Der Wiener steht seit den 80ern erfolgreich auf der Bühne und hat spätestens mit den Produktionen Indien (1993) und Muttertag (1993) sowie mit der TV-Serie MA 2412 (1998–2003) auch im Film- und Fernsehbusiness für Aufsehen gesorgt. Sein neues Kabarett-Programm „GLEICH“ feiert am 18. Oktober 2024 im Wiener Stadtsaal Premiere. Einige Abende sind schon ausverkauft, für die Termine ab Dezember sind noch Karten erhältlich.

Fotos Interview: Stefan Csáky

Thomas Maurer Interview – Soloprogramm „Trotzdem“

In seinem Soloprogramm „Trotzdem“, das im Wiener Stadtsaal Premiere feiert, entführt Thomas Maurer das Publikum in eine „Mischung aus Wellnesshotel und Social-Media-Entzugsklinik“. Es geht unter anderem darum, was Social Media und Artificial Intelligence mit uns machen. Wie das Komische die Rettung sein kann, erklärt der 57-jährige Wiener im funk tank-Interview:

funk tank: Sehr verehrter Herr Maurer, „Obwohl“ oder „Trotzdem“ … ?

Thomas Maurer: Trotzdem klingt heroischer. Obwohl obwohl schon auch was hat. Aber ich nehm trotzdem trotzdem.

Für wen ist Ihr neues Programm genau das Richtige und wer sollte lieber zu Hause bleiben?

Wenn man gern einen pointenreichen Abend hat und es nicht als Nachteil empfindet, wenn diese Pointen auch unangenehmen Dingen und Sachverhalten abgerungen werden, wird man das Programm, denke ich, mögen. Wenn nicht, dann nicht.

Sowohl aus politischer Sicht als auch das Klima betreffend und vom globalen Gemeinschaftsgedanken sowieso, sieht es bitter aus – Wie schaffen Sie es, trotzdem Humoriges auf die Bühnen zu bringen und was tun Sie, wenn Ihnen einmal nicht mehr zum Lachen ist?

Alles, was schiefgeht, kann man ins Komische drehen. Und ich finde, man soll auch. Die Brechung, die Pointe erzeugt einen – oft sehr nötigen – Abstand zur unmittelbaren Empfindung. Auch und gerade, wenn’s einen selbst betrifft. Ich hatte zum Beispiel unlängst inmitten einer extrem stressvollen Arbeitsphase derart lang und derart intensiv Zahnweh, dass ich die Absurdität der Situation selber komisch fand.

Sie haben schon unzählige Soloprogramme geschrieben, jedes einzelne davon war ein Erfolg. Wovon oder von wem lassen Sie sich dafür inspirieren? Kennen Sie dennoch sowas wie Lampenfieber oder Blackout-Momente, wo gar nichts mehr geht?

Zu Lampenfieber habe ich nie geneigt, zu Blackouts Gott sei Dank auch nur alle heiligen Zeiten. Inspiration kann aus allen möglichen unerwarteten Richtungen kommen. Ich habe auch schon einmal mit großer Freude den Beleg für die „Rambo III“-DVD in die Buchhaltung getan, weil ich im gerade entstehenden Programm daraus zitiert habe und im Fall einer Steuerprüfung beweisen könnte, dass das eine berufliche Ausgabe war. Großartige Kollegen und Kolleginnen versuche ich eher zu genießen, als zu versuchen, mir was abzuschauen.

Ist Humor angeboren oder erlernbar?

Vermutlich beides. Man sollte eine entsprechende Disposition mitbringen, aber es gibt natürlich auch so was wie einen Trainingseffekt. Damit meine ich nicht, dass man routiniert alte Scherze neu verpackt, sondern dass es eine spezielle Art des Denkens ist, in möglichst allem das potentiell Komische entdecken und dann auch artikulieren zu können. Und die wird einem mit den Jahren immer selbstverständlicher.

Zusammen mit Florian Scheuba und Robert Palfrader sind Sie ab Oktober mit neuem Programm der „Wir Staatskünstler“ unterwegs; fast zeitgleich startet Ihr Soloprogramm. Quasi ein Leben auf Tour. Wie geht sich das eigentlich aus? Schlafen Sie auch irgendwann? Werden die Wahlergebnisse spontan in Ihr Staatskünstler-Programm einfließen oder gibt es schon einen fixen Inhalt?

Ich bin eigentlich ein fauler Hund, der tragischerweise im Körper eines Workaholics gefangen ist. Freiberufler*innen tun sich generell schwer damit, etwas abzusagen, weil man ja nie weiß, wann die nächste Gelegenheit kommt. Die Wahlergebnisse werden bei den Staatskünstlern und in meinem Podcast mit Thomas Cik ein Thema sein, im Solo werden sie eher eine Art Hintergrundrauschen bilden.

"Wir Staatskünstler": Thomas Maurer, Florian Scheuba, Robert Palfrader.
"Wir Staatskünstler": Thomas Maurer, Florian Scheuba, Robert Palfrader © Ingo Pertramer

Ich bin eigentlich ein fauler Hund, der tragischerweise im Körper eines Workaholics gefangen ist.

Was geht leichter von der „Feder“ – politisches Kabarett oder Comedy? Gibt es Themen, wo Sie klare Grenzen ziehen und über die Sie nicht sprechen bzw. Witze machen?

Ich seh da nicht so einen großen handwerklichen Unterschied. In beiden Fällen geht’s darum, eine möglichst komische Idee zu haben. Im Kabarettfall soll die halt einen Gedanken oder Inhalt vermitteln, bei Comedy ist die Pointe selbst der Inhalt. Und natürlich ist es besonders reizvoll, einen guten Witz an einer Stelle zu reißen, die man allgemein für unpassend halten würde. John Oliver etwa hat großartige aufklärerische, aber auch saukomische Sendungen über Themen wie die Todesstrafe oder die US-Opioid-Krise gemacht. Aber natürlich ist ein schlechter Witz über ein heikles Thema etwas furchtbar Unerfreuliches.

Wäre die Welt eine bessere, hätten wir Kabarettist*innen in der Politik? Können Sie sich vorstellen, als Politiker zu arbeiten?

Ich glaube, ich hätte für die Ochsentour durch die Partei nie die Mentalität und Konstitution gehabt. Und Quereinsteiger gehen in der Regel mangels Netzwerk und Hausmacht kläglich unter. Noch dazu bin ich auf keinem Gebiet wirklich Experte. Ich weiß zwar, dass ich diese Eigenschaft mit viel politischem Personal vom Bundeskanzler abwärts teile, aber besser wär’s, wenn’s anders wär.

Worüber haben Sie zuletzt gelacht? Und was hat Sie zuletzt zum Weinen gebracht?

Ich habe unlängst wieder in Helmut Qualtingers furiose „Schwejk“-Lesung hineingehört, das ist ein All-time-Favorite. Weinen tu ich selten und strikt privat.

Ihr Satire-Podcast „Maurer & Cik“ ist für den Österreichischen Kabarettpreis nominiert. Es gibt sie also doch, die intelligenten Content-Creator*innen. Wie wichtig sind Ihnen Auszeichnungen? Und inwiefern unterscheidet sich die Arbeit mit Podcasts zu Ihren Programmen auf der Bühne? Passiert da viel spontan?

Eine Auszeichnung ist schon einmal deshalb angenehm, weil sie der Eitelkeit schmeichelt und obendrein dazu beiträgt, dass mehr Leute von der Existenz des ausgezeichneten Produkts erfahren.

In meinen Programmen stecken normalerweise doch viele Arbeitswochen; beim Podcast wird vorab nur grob eine Themenliste erstellt – okay, Thomas Cik bereitet sich richtig vor, aber der ist ja auch Journalist – und der Rest passiert dann eigentlich spontan, ohne Vorformulierung und in der Regel unkorrigiert.

Bis Anfang 2025 sind Sie mit den diversen Programmen auf Tour. Was kommt danach?

2026. Hoffentlich.

Der Wiener Thomas Maurer, 57, arbeitet als Kabarettist, Autor und Schauspieler. Zusammen mit Florian Scheuba und Robert Palfrader widmet Maurer sich mit „Wir Staatskünstler“ der politischen Satire. Sein neues Soloprogramm „Trotzdem“ feiert am 8. Oktober 2024 im Wiener Stadtsaal Premiere und geht bis Dezember 2024 in mehreren Bundesländern über die Bühnen.

Thomas Maurer

Wir verlosen 1 x 2 Tickets für den Kabarett-Abend mit Thomas Maurer und „Trotzdem“ am 17. Oktober 2024 ab 19.30 Uhr im Wiener Stadtsaal: Zum Gewinnspiel!

Claudia Kottal Kennst du Ruth Maier?

Sie haben uns geschlagen. Gestern war der schrecklichste Tag, den ich je erlebt habe. Ich weiß jetzt, was Pogrome sind, was Menschen tun können, die Ebenbilder Gottes. In der Schule sagte der Direktor, sie zünden Tempel an, verhaften, schlagen. Vor der Tür steht ein Lastauto, drei Professoren haben sie verhaftet. Dann werden wir nach der Reihe zum Telefon gerufen. Wie in einem Schlachthaus …“
Das ist ein kurzer Auszug aus Ruth Maiers Text, den sie am Freitag, den 11. November 1938, in ihr Tagebuch schrieb. Einen Tag zuvor hatte die Wienerin ihren 18. Geburtstag. Wenige Monate später gelingt es ihr, nach Norwegen zu emigrieren. Doch auch dieses Land wird von den Nazis besetzt, sie wird deportiert.

Ihre Texte gelten heute als bemerkenswert reflektiert, der norwegische Autor Jan Erik Vold hob 2007 ihren literarischen Schatz. 2020 wurde Es wartet doch so viel auf mich … auf Deutsch im Mandelbaum Verlag herausgegeben; das Werk beinhaltet Texte aus ihren Tagebüchern und Briefen.

„Es berührt ganz tief, den Bericht einer Augenzeugin zu lesen“, sagt Schauspielerin Claudia Kottal, die wir am Wiener Naschmarkt zum Interview treffen. „Sie beschreibt Plätze in Wien, die wir kennen, über die wir heute gehen.“ Sie wollte für eine bessere Welt kämpfen und sie wollte Kinder gebären, auch das schrieb Ruth Maier einmal. Die Chance, Mutter werden zu können, wurde ihr mit 22 Jahren genommen: Sie wurde im KZ Auschwitz ermordet.

„Ich bin irgendwann in der Früh aufgewacht und hatte diesen Titel im Kopf: ‚Ich bin Ruth‘. Er erzählt, dass es uns allen hätte passieren können oder uns auch heute passieren könnte“, beschreibt die Schauspielerin. Die durchaus inspirierende Scheiß-mir-nix-Attitüde der Sandra Tichy, die Claudia Kottal in der ORF-Serie Biester spielt, weicht im Interview einer feinfühligen Künstlerin, die sich im Wortsinn politisch engagieren will. Gegen Gewalt an Frauen, gegen Mobbing und Diskriminierung – und mit der Theaterproduktion „Ich bin Ruth“, die sie mit ihrer Frau Anna Kramer und der gemeinsamen Freundin Suse Lichtenberger auf die Beine stellt.

Die ausverkaufte Premiere ging am 17. September über die Bühne, bis 3. Oktober ist das Stück noch in der Wiener Semmelweisklinik zu sehen. Wir haben mit Claudia Kottal vor der Premiere gesprochen …

funk tank: Es ist mir unangenehm, aber ich kannte Ruth Maier zuvor nicht …

Claudia Kottal: Uns ging es genauso! Meine Frau und ich haben im DÖW, im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, zum Thema Homosexualität im Nationalsozialismus recherchiert; eine ganz tolle Mitarbeiterin dort hat uns auf sie aufmerksam gemacht. Das DÖW hatte sogar eine Wanderausstellung über sie gemacht, es gibt auch eine ORF-Dokumentation, aber die wenigsten kennen Ruth Maier. Das liegt auch daran, dass ihre Texte erst 2007 zunächst auf Norwegisch und noch später auf Deutsch veröffentlicht wurden. Wir haben ihr Buch zu lesen begonnen – und sofort beschlossen, daraus etwas zu machen. Man fühlt sich in die Zeit zurückversetzt, ihre Tagebucheinträge berühren sehr; auch die Briefe, die sie an ihre jüngere Schwester geschrieben hat. Sie hat es noch mit dem ersten Kindertransport nach England geschafft und überlebte.

Wie setzt ihr das auf der Bühne um?

Wir drei Schauspielerinnen erarbeiten das im Kollektiv, ohne Regie „von außen“. Wir haben uns zunächst in einem sehr langwierigen Prozess herausgefiltert, welche Passagen wir verwenden; auf der Bühne sind wir dann alle drei Ruth. Wir sprechen und spielen ausschließlich ihre Texte und sagen bewusst nichts, was nicht sie geschrieben hat. Infotexte, Bilder – Fotos und Zeichnungen von ihr – werden auf die Wand projiziert, dafür haben wir zwei ganz tolle junge Bühnenbildnerinnen gefunden: Hannah Berki und Monika Kovačević.

Außergewöhnlich ist zudem die Location …

Wir wollten das unbedingt an einem nicht klassischen Theaterort umsetzen. Dann sind wir auf die Semmelweisklinik gestoßen, die heute Künstler*innen für Ateliers und Performances nutzen. Ein Theaterstück wurde dort noch nicht aufgeführt. Wir müssen also Podeste bauen, die Sesseln reinbringen …

Wow, klingt nach sehr viel Arbeit …

Ja, aber es wird magisch! Wir spielen in der ehemaligen Waschküche, das ist ein riesengroßer, denkmalgeschützter Raum. Und: Wir sind draufgekommen, dass Ruth Maier in derselben Straße gelebt hat. Wenn man eine Station früher aus der Straßenbahn steigt, geht man an ihrem Haus vorbei (Hockegasse 2).

Theaterstück "Ich bin Ruth" in der Wiener Semmelweisklinik
"Ich bin Ruth" in der Wiener Semmelweisklinik © Apollonia Theresa Bitzan

Ich bin irgendwann in der Früh aufgewacht und hatte diesen Titel im Kopf „Ich bin Ruth“. Er erzählt, dass es uns allen hätte passieren können oder uns auch heute passieren könnte.

Die Musik dazu machen Clara Luzia und Cathi Priemer-Humpel – seit Kurzem spielt ihr sogar gemeinsam in einer Formation: The Quiet Version. Da ist neu in deinem Tun …

Wir haben kürzlich das erste Mal einen Song für Pratersterne gespielt, das erste Konzert haben wir erst am 11. Jänner 2025 im Wiener Stadtsaal. Als sie mich gefragt haben, habe ich gesagt: Ich kann das nicht, ich bin keine Musikerin. Ich habe zwar lange Klavier gespielt, aber ich bin tausend Mal mehr nervös, wenn ich Klavier spielen muss, als reden auf der Bühne (lacht).

Aber zusammen gearbeitet habt ihr schon?

Ja, mehrfach, und wir sind auch sehr gut befreundet. Wir haben zum Beispiel 2019 für das Kosmos Theater „Jetzt müssen wir auf morgen warten“ (Regie: Amina Gusner) und 2020, während der Pandemie die Webcomedy „Die Massnahme“ gemeinsam gemacht.

Ruth Maiers Texte sind sehr aktuell. Wie erlebst du die aktuelle politische Situation?

Heute dieses Stück zu machen, während es Kriege gibt und die Bedrohung für uns höher ist als jemals zuvor, seit ich auf der Welt bin, ist doppelt so arg. Wir fragen uns ständig: Wie konnte das alles passieren? Wie konnte der Antisemitismus so stark werden?

Ruth Maier war ein sehr politischer Mensch, sie hat die Situation klug analysiert – und wir finden Parallelen zu heute. Sie schreibt beispielsweise darüber, dass die Regierung die Verantwortung nicht übernimmt und versucht, den Leuten die Schuld an der Wirtschaftskrise unterzujubeln.

Du hast kürzlich in einem Interview gesagt, dass du dich verstärkt gegen Gewalt an Frauen und gegen Mobbing engagieren möchtest. Wieso diese beiden Themen?

Ich denke gerade an die kürzlich ermordete Olympia-Marathonläuferin Rebecca Cheptegei, ein Femizid. Es erschreckt mich, in welchem Ausmaß Gewalt an Frauen vor allem von ihren Partnern verübt wird. Ob wir es jemals schaffen, etwas dagegen zu unternehmen? – Dafür muss sich gesellschaftlich einiges verändern.

Mobbing ist für mich ein wichtiges Thema, weil ich das als Kind erlebt habe. War ich zu lieb oder habe ich zu sehr aus der Reihe getanzt? Einmal wurde ich in einem Sommercamp gefesselt und in eine Pferdebox gesperrt. Das Auslachen hat sich irgendwie durch die Schuljahre durchgezogen. Ich glaube, heute gibt es ein höheres Bewusstsein dafür. Natürlich hat die junge Generation auch ihre Schwierigkeiten, aber ich bin begeistert, wie sie sich vielen Dingen offen oder gegen Dinge stellt. Ich war eher ängstlich, zurückhaltend, ich bin beeindruckt, wie selbstbewusst heute junge Frauen sind.

Wieso wurdest du Schauspielerin?

Ich bin mit 16 beim Schultheater auf der Bühne gestanden, obwohl ich sonst sehr schüchtern war – und mit 18 dachte ich mir: Ich probiere es einfach. Aber selbst auf der Schauspielschule blieb das Schüchternsein zunächst und die Selbstzweifel kommen immer wieder. Das könnte mit dem früheren Mobbing, mit der Angst, ausgelacht zu werden, zusammenhängen. Ich glaube, ich wollte mich überwinden, das war wohl ein Grund. Aber nicht der einzige! (lacht) Es war schon auch immer der Wunsch da, sich auszudrücken.

Deine Sandra Tichy pfeift sich nix! Mittlerweile habt ihr auch schon die zweite Staffel der ORF-Serie „Biester“ abgedreht – wir warten gespannt auf den Sendetermin …

Ich liebe die Rolle wirklich sehr! Ich habe die ersten Zeilen vom Text gelesen und wollte sie unbedingt spielen. Es macht mir Spaß, dass sie sich so viel Raum nimmt, dass sie so ganz anders ist, als ich.

ORF-Serie „Biester“ mit Anja Pichler und Claudia Kottal
„Biester“ mit Anja Pichler und Claudia Kottal © ORF/MRFILM/Petro Domenigg
Dürfen wir etwas spoilern? Gibt es weitere spannende Projekte?

Es passieren viele unerwartete Wendungen, die Dynamik zwischen den jungen Girls verändert sich, und auch die Situation von Sandra und ihrem Mann … Es gibt für mich auch ein neues Fernsehprojekt, aber da darf ich noch nichts verraten. Jetzt bin ich zunächst einmal Ruth Maier.

Suse Lichtenberger, Anna Kramer und Claudia Kottal in "Ich bin Ruth"
Suse Lichtenberger, Anna Kramer und Claudia Kottal in "Ich bin Ruth" © Hannah Berki

Claudia Kottal wurde 1981 als Tochter einer Polin und eines Österreichers geboren und wuchs in Fischamend, Niederösterreich, auf. Ihre Schauspielausbildung machte sie am Konservatorium Wien. Sie spielte u. a. am Theater in der Josefstadt, Kosmos Theater, Theater der Jugend, im Dschungel Wien, bei den Wiener Festwochen und den Salzburger Festspielen. Claudia Kottal schrieb für das Wiener Theater Bronski & Grünberg „Vor dem Fliegen“ nach dem Roadmovie „Thelma & Louise“ und inszenierte es auch selbst. Vor der Kamera stand sie etwa für die ORF-Satire „Wir Staatskünstler“, den Kinofilm „Love Machine“ – und kürzlich für die zweite Staffel der TV-Serie „Biester“. Claudia Kottal ist mit Schauspielerin Anna Kramer verheiratet.

„Ich bin Ruth. Das kurze Leben der Ruth Maier“: Uraufführung. Premiere: 17. September 2024, 19.30 Uhr. Semmelweisklinik, Hockegasse 37, Haus 4, 1180 Wien. Weitere Vorstellungen: 18., 25.–29. September, 1.–3. Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Dernière: 6. Oktober, Matinée um 11 Uhr (im Rahmen von Kunstfest Währing, inklusive Publikumsgespräch).

Ich bin Ruth – Infos & Tickets

Interview mit Michel Attia zum 50. Musikstammtisch

Langsam, aber sicher will sich der 46-jährige Michel Attia zurückziehen. Nicht ganz, aber einfach ein bisschen leiser treten „und nur mehr für zwei arbeiten“. Was das genau bedeutet, woher der Musikexperte seine Inspiration nimmt und warum er es liebt, Musiker*innen zu vernetzen, hat uns Michel anlässlich seines Musikstammtisch-Jubiläums verraten …

funk tank: Lieber Michel, wer in Österreich was mit Musik zu tun hat, kommt an dir nicht vorbei, du kennst gefühlt jede*n in der Szene und bist Netzwerk-König. Was machst du eigentlich genau?

Michel Attia: Ich bin Jongleur und jongliere mit Gefallen. Mein Brotjob ist bei FM4 seit knapp 22 Jahren als Event-Chef, damit verdiene ich mein Geld und das macht mir noch immer Spaß. Ansonsten habe ich viele Ideen, die ich umsetze, aber damit wenig bis kein Geld verdiene. Ich veranstalte Michels Musikstammtisch alle zwei Monate in Wien, unregelmäßig in Hamburg, dann gibt es noch das Speak Ösi in Hamburg, ab und zu das Katerfrühstück und ich habe ein Postkarten-Label namens Bussi, Wien.

Der Musikstammtisch feiert am 26. September sein 50. Mal. Wie ist die Idee dazu entstanden und was macht diesen Treffpunkt in Wien aus? Für wen ist er?

Eigentlich war das eine spontane Idee, ich hätte damals zum Echo in Berlin fliegen sollen und konnte wegen eines Arzttermins nicht hinfliegen, das hat mich total geärgert. Dann habe ich in meiner Bubble auf Facebook ausgerufen, dass ich eine Konkurrenzveranstaltung dazu in Wien mache, was natürlich total absurd war. Da ich damals auch ein Lokal hatte, war das easy zu organisieren und ich habe mit 20 Leuten gerechnet, es kamen dann aber um die 100 Personen. So war mir klar, dass es den Bedarf gab und darum habe ich dann entschlossen, das regelmäßig alle zwei Monate als Afterworkevent zu machen.

Michels Musikstammtisch existiert bis heute und ist für die Musikbranche gedacht, also für Musiker*innen und Menschen aus der Branche. Ich habe keine strengen Kriterien, aber irgendwas muss man schon mit Musik zu tun haben, wenn man nur Blockflöte spielt, ist das auch okay.

Darf irgendwer nicht rein? Sagen wir z. B. Rammstein?

Wenn Rammstein tatsächlich kämen, dann würde ich zumindest dafür sorgen, dass sie nicht bedient werden an der Bar und dann würden sie das hoffentlich kapieren. Eigentlich sind aber alle herzlich willkommen, die Einladungen gehen ja über meine Facebook-Gruppe raus und da sehe ich sowieso, wer sie bekommt.

Musikstammtisch im Wiener WUK
Musikstammtisch im Wiener WUK © Nikolaus Ostermann
Du hast ja immer Partner*innen für Freigetränke für den Musikstammtisch, finanzierst du so diese Events? Und es gibt immer internationale Gäste aus der Branche, wie suchst du die aus?

Anfangs habe ich mein privates Geld reingesteckt, mittlerweile habe ich zum Glück ein Jahressponsoring der Wirtschaftsagentur Wien und es gibt fast jedes Mal einen Partner/eine Partnerin für Freigetränke, da freuen sich vor allem die Nachwuchsmusiker*innen.

Das mit den Gästen hat sich zufällig entwickelt. Die deutsche Agentur Goodlive war auf der Suche nach einem passenden Event in Wien, wo sie sich präsentieren kann. Mittlerweile melden sich immer wieder Agenturen, Plattenfirmen, Kulturvereine, Unternehmen usw. oder ich suche sie aus, was öfter vorkommt.

Gibt es dann auch Panels oder sowas in der Art?

Nein, bei mir ist das Ganze niederschwellig und ohne Talks, Panels usw., genau das genießen die Leute, glaube ich.

Wer aus der Branche kommt dann genau?

Im Großen und Ganzen kommen die Stammgäste aus dem Alternative Mainstream. Aber auch z. B. von Starmania, von Ö3, Energy oder aus dem Jazz. Was mir am meisten fehlt, ist, dass auch die Leute aus der Clubkultur kommen und Personen aus der Hochkultur würde ich mir ein bisschen mehr wünschen.

Du veranstaltest ja nicht nur in Wien deine Stammtische, sondern auch in Hamburg. Was machst du dort?

Ich liebe Hamburg und habe dort schnell bemerkt, dass es nichts Regelmäßiges für die Musikbranche gibt, außer halt einmal im Jahr am Reeperbahn Festival. Dort kenne ich auch viele Leute und habe denen von meinem Musikstammtisch erzählt und die haben es wieder weitererzählt und seitdem veranstalte ich das in Hamburg unregelmäßig.

Zusätzlich habe ich Speak Ösi dort gemacht. Ich liebe schlechte Wortspiele (lacht). Mir gefällt die Idee der Speakeasy-Bars und das habe ich dann in Hamburg als Speak Ösi umgesetzt. Für 12 Personen mit Kulinarik aus Österreich, also österreichische Produkte und Köch*innen. Das ist dann in einer Wohnung versteckt und die Leute werden abgeholt und dorthin gebracht. Z. B. mit Hubert Mauracher, der Musiker ist und für viele als der beste Thai-Koch des Landes gilt, was ja witzig ist, weil er eigentlich aus der Tiroler Wirtshausküche kommt. In der Zeit vom Reeperbahn Festival habe ich das dann veranstaltet, bisher 5 Mal, heuer lasse ich das mal aus, um das Festival genießen zu können.

Ich mache das alles ja nicht, um mir selbst einen Gefallen zu tun, sondern weil ich Menschen und Ideen gerne zusammenbringe.

Spannend bei dir ist ja auch, dass du wenig aktiv auf Social Media bist, aber dennoch immer überall mitmischt. Wie trittst du mit den Leuten in Kontakt?

Social Media interessiert mich eigentlich gar nicht. Ich versuche alles auf Telefonate, Textnachrichten und E-Mails zu beschränken. Aber ich habe Leute, die mir damit helfen. Beim Speak Ösi z. B. verschicke ich das an 100 Leute in Hamburg und dann spreadet sich das von selbst und dann melden sich auch Menschen, die ich vorher gar nicht kannte, das ist sehr lustig. Es wird aber ab demnächst für den Musikstammtisch eine einfache Website inkl. Newsletter und LinkedIn geben, weil die Branche dann doch den Termin via Facebook nicht immer mitbekommt. Algorithmus und so.

Katerfrühstück im Jaz in the City Wien
Katerfrühstück im Jaz in the City Wien © Marvin Strauss

Ich mache das alles ja nicht, um mir selbst einen Gefallen zu tun, sondern weil ich Menschen und Ideen gerne zusammenbringe.

Noch mal kurz zu Hamburg. Wenn du die Hamburger Musikszene mit der Wiener vergleichst – Welche Gemeinsamkeiten gibt es und worin besteht noch Nachholbedarf in Österreich?

Ich sehe es eher andersherum. Ich sehe Nachholbedarf in Hamburg. Ich finde, Wien ist viel gemeinschaftlicher in der Szene als Hamburg, in Hamburg kocht jede*r ihr/sein eigenes Süppchen, das erinnert mich an Wien vor 20 Jahren.

Dein Lieblingsfestival national und international?

National natürlich die Events von FM4, ich mag sehr gerne unser Geburtstagsfest und das nicht nur, weil ich das buche und kuratiere. Ansonsten gibt es ganz schön viele Festivals in Österreich, es wird immer mehr und nie weniger. Was auch nicht ganz unproblematisch ist. Mir gefällt das Lido Sounds, das finde ich sehr charmant. Oder das Acoustic Lakeside. International ist das Primavera ein Vorzeigefestival in Barcelona mit der Kombi aus Musik und Essen und Meer. Aber es gibt noch so viele andere, ich suche immer nach Gründen, um nach Hamburg zu reisen, also natürlich das Reeperbahn Festival. Genial finde ich auch das Roskilde Festival in Dänemark, vor allem für die Größenordnung. Das Flow Festival in Helsinki, das Oya Festival in Oslo, …

Obwohl du sehr viel unterwegs bist, bleibst du Wien treu. Warum?

Ich bin in Wien geboren, es ist ein bisschen eine Hassliebe. Ich liebe die Stadt, die Menschen, das Essen. Ich bin total froh, dass das meine Homebase ist. Aber nur Wien würde ich nicht aushalten. Durch das Reisen kann ich das ausgleichen. Weil hier alles länger dauert und Wien keine Trendstadt ist, ist alles ein bisschen langsamer, das finde ich super.

So kannst du bei deinen Ideen auch schneller als andere sein …

So sehe ich das auch. Ich war ja mit vielen Eventkonzepten für FM4 hier der Erste und alles war aus anderen Ländern geklaut. Die FM4 Überraschungskonzerte habe ich von den MySpace Secret Shows, die FM4 Radio Session ist nichts anderes als MTV Unplugged, die Eastpak Beatsteaks Wohnzimmertour in Deutschland habe ich übernommen und hier die FM4 Private Sessions daraus gemacht. Das ist natürlich ein Vorteil, man kann sich gut von anderen Ländern inspirieren lassen. Hamburg ist Wien da sehr ähnlich, es hat auch ein bisschen einen Dorfcharakter. Darum hat Speak Ösi dort funktioniert, in Berlin wäre das nicht gegangen, da gibt es sowieso schon viele Pop-up-Restaurants …

Eine Hommage an die Stadt hast du ja auch zusammen mit einer Kollegin geschaffen. Erzähl mal von deinen Postkarten …

Eigentlich wieder nur geklaut. Ich habe beim Mauerpark-Flohmarkt in Berlin Postkarten von den Straßen Berlins mit Streetart usw. gesehen und in Wien gab es das noch nicht. Dann habe ich das einfach gemeinsam mit Fotokünstlerin Claudia Stegmüller gemacht.

Postkarten-Label Bussi, Wien
Postkarten-Label Bussi, Wien © Bussi, Wien
Was steht als Nächstes bei dir an?

Ich versuche langsam weniger zu machen, den Musikstammtisch wird es weiter geben, aber Ziel ist es, weniger zu arbeiten und nicht mehr. Es gab immer noch eine Idee und auch ein bisschen der Gedanke der Welteroberung. Noch geht es mir gut, aber ich merke, dass ich aufpassen muss und nicht mehr über meine Grenzen gehen sollte. Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Du musst so viel arbeiten wie für drei Österreicher, weil du wirst es nicht leicht haben hier.‘ Das war noch eine andere Generation, ich habe mich aber daran gehalten. Jetzt versuche ich nur mehr für zwei zu arbeiten …

Michel Attia konzipiert und bucht beim Radiosender FM4 als „Head of Booking & Events“ diverse Eigenveranstaltungen wie die FM4 Radio Sessions, FM4 Überraschungskonzerte oder das FM4 Geburtstagsfest. Aus einer Laune heraus initiierte er 2016 den regelmäßigen Branchentreff Michels Musikstammtisch in Wien, den er mittlerweile auch unregelmäßig in Hamburg veranstaltet. Mit seinem Postkarten-Label Bussi, Wien huldigt er seine Homebase, die er liebt, aber immer wieder auch gerne verlässt, um sich für neue Ideen inspirieren zu lassen.

Bussi, Wien