Ab 12. Jänner gastiert das aktionstheater ensemble unter der Leitung von Martin Gruber wieder im Wiener Theater am Werk. Das neue Stück „Wir haben versagt“ von der freien Theatergruppe ist eine „performative Selbstanklage. Mit guter Musik, um die Tragödie zu ertragen“ …
Martin Gruber: Wie in jedem Stück beginnen wir bei uns selbst. Sagen wir als Vertreter*innen der nicht explizit rechten Seite, nehmen wir die Schuld des aktuellen politischen Desasters auf uns und gestehen: „Wir haben versagt.“ Jetzt liegt hinter dieser selbstmitleidigen, performativen Bußübung natürlich nicht etwa Bescheidenheit, sondern im Gegenteil eine ziemliche Hybris. Will heißen: Jetzt haben wir uns so lange mit unserer Kunst abgerackert, und dann wird die extreme Rechte stärkste Kraft.
Es ist wahrscheinlich die Sehnsucht nach einer vergangenen Welt, jene nach einer autochthonen und friktionsfreien Gesellschaft, die freilich so nie existiert hat. Von der rechten Seite werden simple Lösungen angeboten, die einen Beruhigungseffekt auslösen. Nach dem Motto: Lehnt euch zurück, wir werden das alles für euch lösen. Schuld sind die Anderen – die Migrant*innen, die Woken, die Schwulen, die Feministinnen etc. Das ist natürlich Blödsinn, aber es gibt auch auf der, sagen wir, progressiven Seite keine wirklichen großen Entwürfe. Keine gesellschaftsvereinende politische Erzählung, welche zuerst komplexe Zusammenhänge verständlich herunterreißt, um dann etwaige Lösungsansätze zu kreieren, bei welchen sich die oder der Einzelne erkennen kann.
Es könnte beispielsweise formuliert werden, warum es uns allen etwas bringt, wenn wir den Kuchen etwas aufteilen oder was der wirkliche Benefit einer diversen Gesellschaft wäre. Ohne freilich auch nur einen Jota von einer liberalen demokratischen Ordnung abzugehen. Ich vernehme auch auf der linken oder progressiven Seite ein popeliges Verharren im Klein-Klein.
Der Spin-Doctor hat gesagt: Sag zehnmal Umwelt und fünfzehnmal Solidarität, und dann werden sie uns schon wählen. Die Floskel alleine wird den Turnaround nicht bringen. Wir haben es anscheinend mit einer Entpolitisierung des Politischen zu tun. Es mag vielleicht etwas kitschig klingen, aber ich glaube, dass sich der eine oder andere Ansatz nur übers Zuhören finden lässt. Ob uns das passt oder nicht, die meisten Menschen, die Rechts gewählt haben, fühlen sich nicht gehört. Ich habe gerade vorher einen Song von den Tiger Lillys gehört, die erste Zeile geht so: „I´m calling but no one will be hearing.“
Die Themen gibt die Gesellschaft vor. Da jede*r Einzelne ein Teil dieser Gesellschaft ist, finden sich dann die Zusammenhänge zum größeren Ganzen. Wir versuchen, die sogenannte Alltagssprache auf ihre mehr oder weniger versteckten Machismen oder Rassismen zu untersuchen. Im täglich Dahingestammelten outen wir aber auch unsere Sehnsüchte. Ich versuche, den entstandenen dramatischen Text, die Dialoge, auch die manischen Monologe, dann so zu montieren oder rhythmisieren, dass transparent wird, was „hinter“ dem Gesagten liegen mag. Einige Texte schreibe ich auch selbst. Der Stücktext wird so verdichtet, dass klar wird, dass auch manipuliert und gelogen wird. Und wenn die Sprache versagt, kommt Musik und Choreografie ins Spiel.
Am schönsten lässt sich Einsamkeit bekanntlich erleben, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist. Eine Zeit mit mir, bei der ich weiß, dass ich die Länge des Alleinseins bestimmen kann. Und dann Zeit mit Freund*innen.
Kunst ist die Möglichkeit, mittels eines Abzielens auf sämtliche Sinne, Zusammenhänge zuerst lustvoll zu zerlegen, um sie dann, je nach Gusto, in ein neues Licht zu setzen. Das Erleben, um ja nicht zu sagen Konsumieren, von Kunst ist, da jede*r eine andere Geschichte hat, eine höchst persönliche, intime Angelegenheit. Insofern „muss“ sie natürlich gar nichts. Wenn Sie unsere Stücke zum Weinen bringen, dann freut mich das sehr, weil das Stück etwas auslöst, sich also etwas gelöst hat. Ich persönlich weine oft und oft auch gerne. Im gelöst entspannten Zustand weiß ich dann auch mitunter warum. Wenn nicht, ist es auch gut.
Wir haben es anscheinend mit einer Entpolitisierung des Politischen zu tun. Es mag vielleicht etwas kitschig klingen, aber ich glaube, dass sich der eine oder andere Ansatz nur übers Zuhören finden lässt. Ob uns das passt oder nicht, die meisten Menschen, die Rechts gewählt haben, fühlen sich nicht gehört.
Zuallererst freue ich mich auf den neuen Film von Pedro Almodóvar. Ich hatte noch keine Gelegenheit, „The Room Next Door“ zu sehen. Aber nicht zuletzt seine Auseinandersetzungen mit dem Tod bringen mich immer voll ins Leben. In Sachen bildender Kunst würde ich empfehlen, einfach draufloszugehen: Albertina Modern, MuseumsQuartier, Ausstellungen junger Künstler*innen. Seit der Ausstellung von Amoako Boafo im Belvedere kann man auch wieder mal einen Schiele sehen – ohne gleich an Wiener Souvenirkitsch-Kaffeedosen zu denken.
Ja, natürlich bin ich eitel. Gleichzeitig bemühe ich mich, mich dabei nicht allzu ernst zu nehmen. Unsere Stücke sind nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit dieser Eitelkeit. Auch sämtliche Ensemblemitglieder sind angehalten, ihre Eitelkeit schamlos auszuschlachten. Das ist die einzige Möglichkeit, aus dem eigenen Narzissmus einen Mehrwert zu ziehen. Die diversen Preise füttern die Eitelkeit natürlich auch. Ich muss aber gestehen, dass im institutionenverliebten Österreich die Anerkennung einer freien Compagnie schon sehr wohl tut.
Kunst ist die Möglichkeit, mittels eines Abzielens auf sämtliche Sinne, Zusammenhänge zuerst lustvoll zu zerlegen, um sie dann, je nach Gusto, in ein neues Licht zu setzen.
Nach der einen Spielserie hier freue ich mich auf die nächste dort, dann auf Gastspiele im Ausland. Ich konnte mich noch nie entscheiden, was ich am liebsten mag. Der Unterschied der einzelnen Zuschauer*innen ist größer als der zwischen den Bundesländern. Auch was den Humor betrifft. Es gibt kein homogenes Publikum.
The struggle has been real for the last 36 years. Österreich hat durchaus eine lobenswerte Subventionskultur, früher haben das Mäzene übernommen, man war jedoch von deren Geschmack und Goodwill abhängig. Es liegt aber an der Verhältnismäßigkeit.
Das Gros der österreichischen Bevölkerung assoziiert Kunst und Kultur immer noch mit Sängerknaben, Staatsoper und Burgtheater. Als Folge davon wird ein ziemlich überzogener Teil der freigemachten Gelder für das Erwartbare und in erster Linie für restaurative Kunst eingesetzt. Auch von linken Parteien. Die Relevanz der zeitgenössischen Kunst wird zwar in diversen Sonntagsreden immer wieder betont, findet aber nicht wirklich seinen Niederschlag in der Realität. Das Zeitgemäße bekommt sein eigenes Plätzchen zugewiesen, da steht dann am Eingang des jeweiligen Kunsttempels: „Achtung Avantgarde“.
Im besten Fall liefert zeitgenössische Kunst Denk- und Fühl-Material für die ganze Zivilgesellschaft. Sollte die extreme Rechte dereinst die Agenden der Kunst übernehmen, werden wir wissen, was wir versäumt haben.
Die Tatsache, dass wir als Zivilgesellschaft versagt haben, heißt ja nicht, dass wir nicht immer wieder von vorne anfangen dürfen. Ich habe mir für das nächste Stück den etwas kitschigen Titel „Ragazzi del Mondo. Nur eine Welt“ ausgesucht. Wir spielen also mit der banalen Erkenntnis, dass wir nur eine Welt haben. Dass wir uns aber blöderweise immer wieder in unsere eigenen kleinen Bubbles zurückziehen. Wie hoffnungsvoll dieses Unterfangen wird, wage ich jetzt noch nicht vorauszusagen. Was ich aber annehme, ist, dass zwischen den Worten die eine oder andere Hoffnung durchsickern wird.
Martin Gruber gründete 1989 das aktionstheater ensemble, das regelmäßig in Wien und Vorarlberg gastiert. Die Stücke der freien Theatergruppe verbinden Sprache, Körper und Musik, Choreografien, Erfahrungen, persönliche Recherchen und historische Ereignisse.
Das aktuelle Stück „Wir haben versagt“ von Theater-Regisseur Martin Gruber ist am 12. Jänner und vom 14. Jänner bis 19. Jänner im Wiener Theater am Werk zu sehen.
Aufgrund hoher Nachfrage besteht die Möglichkeit, an der Generalprobe am 11. Jänner um 19.30 Uhr teilzunehmen. Ab sofort können ermäßigte Karten um 15 Euro unter karten@aktionstheater.at bestellt werden.
Wir verlosen 2 x 2 Karten für das bereits ausverkaufte Stück „Wir haben versagt“ am 19. Jänner 2025 ab 19.30 Uhr im Wiener Theater am Werk – hier mitmachen!