Nachhaltigkeit ist ein Thema, das uns seit Jahren begleitet, und mal ehrlich: oft kann man es nicht mehr hören. Alle sind plötzlich „grün“, jedes Unternehmen scheint zu tun, was es kann. Bei genauerer Betrachtung stellt sich aber oft heraus, dass wir bei diesem Thema noch immer auf der Stelle treten. Nachhaltigkeitsziele sind zwar formuliert, aber oft bleibt unklar, was tatsächlich passiert. In diesem Zusammenhang taucht ein neuer Begriff auf: Green Hushing. Besonders im Rahmen der vergangenen Fashion Week in Kopenhagen fiel er oft. Green Hushing beschreibt das Phänomen, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsbemühungen bewusst nicht mehr öffentlich machen. Auch oder sogar besonders dann, wenn man tatsächlich viel dafür tut. Auf Nachfragen reagierte die Designriege der skandinavischen Modemetropole cool: Man sei hier bereits einen Schritt weiter und habe Nachhaltigkeit sowieso bereits in die Marken-DNA integriert. Und sieht man die Pionierarbeit, die die Kopenhagener Fashion Week in Sachen umweltschonender Maßnahmen leistet, glaubt man ihnen das auch. Aber wie sieht es in unseren Breitengraden aus? Ist es wirklich an der Zeit, nicht mehr darüber zu reden und stattdessen nur noch zu handeln? Oder hilft das Unternehmen nicht nur, ihre dürftigen Bemühungen ganz verebben zu lassen?
Das Role Model Skandinavien
Wenn wir über Vorbilder in Sachen Nachhaltigkeit nachdenken, blicken wir oft nach Skandinavien. Länder wie Schweden, Norwegen und Dänemark sind uns in vielen Aspekten weit voraus. Einer der Hauptgründe dafür: In skandinavischen Ländern wird langfristiger gedacht. Politische Entscheidungen werden nicht in Wahlzyklen getroffen, sondern auf Generationen ausgerichtet. Erfolge werden genauso offen kommuniziert wie Rückschläge, und genau diese Offenheit trägt dazu bei, dass Menschen bereit sind, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Der Schlüssel liegt in der Mischung aus klarer Kommunikation, langfristigen Zielen und der Integration von Nachhaltigkeit in die Bildung – von der Schule bis zum Erwachsenenalter. So wird das Thema nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis gelebt. Das Phänomen Green Hushing wurzelt aber nicht nur in dieser berechtigten Selbstsicherheit. Wie überall rund um den Globus herrscht auch hier noch Verunsicherung.
„Green Hushing ist nicht nur in der Modebranche ein Thema, sondern in Skandinavien in allen Branchen“, sagt Charlotte Frydenlund Michelsen. Sie ist Co-Founder und Consultant bei True Nordic Impact und steht Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Umweltziele beratend zur Seite. „Viele der größeren Modemarken wie Samsøe Samsøe, Ganni, Acne Studios und Filippa K kommunizieren über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen recht klein auf ihren Websites oder durch die Veröffentlichung von jährlichen Umweltberichten“, erzählt die Expertin. Bei den kleineren oder neueren Marken ist man jedoch etwas zurückhaltender. Einige von ihnen heben nur bestimmte Bereiche ihrer Bemühungen hervor, z. B. die von ihnen verwendeten Materialien, während andere es vorziehen, sich völlig zurückzuhalten. „Ich glaube, einer der Gründe für das Schweigen ist auch die Angst, dass man ihnen vorwirft, nicht genug zu tun oder Greenwashing zu betreiben, was ihrem Ruf schaden kann. In Dänemark zum Beispiel gab es in letzter Zeit immer mehr Fälle, in denen Marken und Online-Plattformen wegen irreführender Nachhaltigkeitsaussagen angeprangert wurden.“ Anfang dieses Jahres kündigte die unabhängige dänische Behörde Forbrugerombudsmanden auch noch an, dass sie ihre Bemühungen zur Untersuchung von Greenwashing in der Textilindustrie verstärken wird. Das lässt Marken besonders vorsichtig werden.
Während es zweifellos Zeit ist, große Schritte in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft zu machen, bleibt das Reden darüber genauso wichtig wie das Handeln selbst.
Ein Kampf durch den Zertifikat-Dschungel
Vor allem durch die neuen EU-Verordnungen reicht es nicht mehr aus, nur von Nachhaltigkeit zu sprechen. Die Unternehmen müssen nun konkrete Maßnahmen vorweisen, die nicht nur ihre eigenen Betriebsabläufe berücksichtigen, sondern z. B. auch die Auswirkungen auf ihre Lieferkette und die Gemeinden, in denen ihre Produkte oder Dienstleistungen verwendet werden. „Außerdem müssen sie jetzt konkrete Nachhaltigkeitsansprüche kommunizieren, anstatt allgemeine Begriffe zu verwenden, und ihre Fortschritte ausreichend dokumentieren“, so Charlotte. Die vielen neuen und teils komplizierten EU-Vorschriften sind aber auch eine Herausforderung, sogar für bereits „grüne“ Labels, wie die Expertin noch anfügt: „Wir sehen viele Marken, die unbedingt vorankommen wollen, aber angesichts der sich noch entwickelnden Vorschriften ist es für sie schwierig, genau zu wissen, welche Anforderungen gestellt werden und worauf sie ihren Schwerpunkt legen sollten.“
Außerdem kann es überwältigend sein, sich in der Vielzahl der verfügbaren Zertifizierungen und freiwilligen Verpflichtungen zurechtzufinden, wie z. B. das Nordic Swan Ecolabel, das EU Ecolabel, GOTS, GRS, Fairtrade, B Corp, Higg Index und die Science Based Targets Initiative, um nur einige zu nennen. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Märkte und großen Modehändler jeweils ihre eigenen Zertifizierungsanforderungen haben. „In der Modebranche besteht meiner Meinung nach eines der Hauptprobleme darin, dass es noch keinen universellen Standard für die Messung oder Kommunikation von Nachhaltigkeit gibt. Dies führt dazu, dass die Verbraucher*innen versuchen, selbst zu entscheiden, ob ein Produkt wirklich nachhaltig ist, und sich oft nur auf einzelne Faktoren wie den Anteil an recyceltem Material konzentrieren“, so Michelsen. „Da spielen aber noch viele andere ökologische und soziale Faktoren eine Rolle, und ohne klare Informationen von Seiten der Marken können die Verbraucher*innen nur schwer eine wirklich fundierte Entscheidung treffen“, sagt sie weiter. Gerade durch das Sprechen über Nachhaltigkeit – sei es in den Medien, im Alltag oder in der Politik – schaffen wir in diesem Wirrwarr ein Bewusstsein und bieten Möglichkeiten zur Weiterbildung. Denn letztlich kann nur derjenige handeln, der auch weiß, was zu tun ist. Und hier schließt sich der Kreis: Während es zweifellos Zeit ist, große Schritte in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft zu machen, bleibt das Reden darüber genauso wichtig wie das Handeln selbst.
Man will, aber kann nicht
„Kürzlich stieß ich auf eine Verbraucherstudie von Opinion aus dem Jahr 2024, die sich auf skandinavische Verbraucher*innen konzentrierte. Und die ergab, dass 85 % der Menschen bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern, um der Natur zu helfen. Dennoch sind sich viele unsicher, welche Produkte wirklich verantwortungsvoll sind. Ich denke, dass diese Verwirrung dazu führen kann, dass die Menschen bei dem bleiben, was sie gewohnt sind, anstatt das „Risiko“ einzugehen, umwelt- und klimaschonendere Optionen zu kaufen. Man könnte ja auf Greenwashing reinfallen und das ist ärgerlich“, sagt die Unternehmerin. Green Hushing ist also eigentlich ein Dilemma: Wenn Unternehmen oder Regierungen nicht mehr über ihre Maßnahmen sprechen, bleibt unklar, was wirklich passiert. Wenn niemand transparent über Fortschritte oder Hindernisse berichtet, können wir auch keine Lehren aus Fehlern ziehen und uns gemeinsam verbessern. Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema und oft mit Herausforderungen verbunden. Rückschläge gehören dazu, aber sie sollten nicht verschwiegen, sondern offen angesprochen werden. Diese Transparenz schafft Vertrauen und motiviert andere, ebenfalls aktiv zu werden. Wenn wir öffentlich über unsere Erfolge und Misserfolge sprechen, inspirieren wir andere dazu, selbst Teil der Lösung zu werden.
Charlotte Frydenlund Michelsen leitet das Unternehmen True Nordic Impact in Dänemark. Die allgemeine Verwirrung, wenn es um tatsächlich nachhaltige Maßnahmen geht, war der Grund, warum Michelsen das Unternehmen ins Leben rief. Gemeinsam mit ihrem Team wollen sie Unternehmen dabei helfen, ihre Umweltbemühungen zu priorisieren und einen sinnvollen Beitrag für die Zukunft zu leisten.
Eine Verbraucherstudie aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 85 % der Menschen in Skandinavien bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern, um der Natur zu helfen. Dennoch sind sich viele unsicher, welche Produkte wirklich verantwortungsvoll sind.
Green Hushing bezeichnet die Tendenz von Unternehmen und Labels, ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen und Umweltziele bewusst nicht öffentlich zu kommunizieren, selbst wenn sie tatsächlich umweltfreundliche Schritte unternehmen. Der Grund dafür ist häufig die Sorge vor Kritik, etwa weil die Maßnahmen als Greenwashing ausgelegt oder als unzureichend wahrgenommen werden könnten.