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„Ich liebe es, Hindernisse zu überwinden“

Egal, ob Kitesurfen, Wakeboarden, Hydrofoilen oder Wellenreiten: David Mzee begeistert sich für jede Form von Wassersport. Was – zugegeben – noch keine ungewöhnliche Geschichte wäre. Doch der 36-jährige Schweizer ist querschnittsgelähmt und hat sich all diese Aktivitäten erst nach seinem Unfall beigebracht.
Extremsportler David Mzee
© Dave Brunner

Dieses Lachen wollte einfach nicht mehr aus seinem Gesicht verschwinden, erinnert sich David Mzee. Den ganzen Tag hatte er erfolglos versucht, hinter dem Motorboot aus dem Wasser zu starten und am Wakeboard über den Zürichsee zu brettern. Und dann, beim allerletzten Versuch des Tages, war es ihm gelungen: „Ich weiß nicht warum, aber plötzlich hat es geklappt. Die Sonne war am Untergehen und ich bin übers Wasser geschossen. Es war ein unvergleichlich cooles Gefühl. Und am Abend bin ich zu Hause gesessen, habe innerlich gezittert vor Freude und Adrenalin. Da war es wieder, dieses Gefühl der absoluten Freiheit!“

Das ist ja schräg!

David Mzee war 22 Jahre jung, als ein Unfall im November 2010 sein Leben für immer verändern sollte. Im Rahmen seines Sportstudiums probierte er einen Dreifachsalto vom Minitrampolin. Doch statt einer – wie sonst immer – sicheren Landung schlug er in der „Schnitzelgrube“, einer mit Schaumstoffwürfeln gefüllten Mulde, mit dem Kopf voran auf. Die tragische Folge: Bruch des sechsten und des siebten Halswirbels. „Ich bin Tetraplegiker, das heißt, dass sowohl Arme als auch Beine von meiner Querschnittslähmung betroffen sind“, erklärt David Mzee im Gespräch mit dem funk tank-Magazin.

Aufs Kitesurfen ist er schon kurz nach seiner Reha aufmerksam geworden, weil ein Kollege eines Tages mit einem Sitz für das Brett am Schoß durch die Klinik rollte. „Ich hätte nicht gedacht, dass man nicht nur als ‚Fußgänger‘, sondern auch als Rollstuhlfahrer Wassersport auf einem Brett ausüben kann.“ Doch der heute 36-jährige Schweizer brauchte nicht lange, um sich für die neuen Möglichkeiten zu begeistern.

Nicht zuletzt, weil ihm der Sport ein Gefühl zurückbrachte, das er schmerzlich vermisst hatte. „Ein Rollstuhl ist so konstruiert, dass praktisch immer alle vier Räder den Boden berühren. Du kannst nicht zur Seite kippen. Und du kannst deshalb diese Schräglage nicht genießen, wenn du dich flott in einer Kurve bewegst. Jetzt kann ich das wieder erleben – und habe jedes Mal einen fetten Grinser im Gesicht.“

David beginnt bei minus 100

David Mzee – der mit dem Schweizer Rollstuhlrugby-Nationalteam an mehreren Welt- und Europameisterschaften teilgenommen hat – war immer schon ein begeisterter Sportler mit spezieller Liebe zum Handball, zur Kampfkunst und zum Skifahren. Wassersport war früher aber kein großes Thema, obwohl er seine Ferien oft in Kenia, dem Heimatland seines Vaters, verbracht hat „und dort die meiste Zeit im Wasser war. Ich kann mich erinnern, dass ich gern getaucht bin und mir vorgestellt habe, dass ich fliege. Nirgends sonst konnte ich mich so spielerisch auf und ab bewegen.“

Kitesurfen und Wakeboarden hat er tatsächlich erst nach seinem Unfall für sich entdeckt: „Ich habe allerdings nicht bei null begonnen“, sagt David und lacht. „Da ich als Tetraplegiker körperlich ganz andere Voraussetzungen und Bedürfnisse habe als fast alle anderen Menschen, die diese Sportarten ausüben, und ich weder auf ihr Know-how noch auf bestehendes Material zurückgreifen konnte, musste ich bei minus 100 beginnen.“

Besonders herausfordernd war, dass es keine Vorbilder gab: „Das Skifahren neu zu erlernen war auch nicht einfach. Aber das haben schon andere Querschnittsgelähmte vor mir hinbekommen. Ich wusste also: Selbst wenn ich körperlich vielleicht etwas andere Voraussetzungen habe als sie, so ist es doch zumindest prinzipiell machbar. Also werde ich es sicher irgendwie schaffen!“

Beim Wakeboarden und speziell beim Kitesurfen war es anders, sagt David Mzee: „Meines Wissens bin ich der erste Tetraplegiker in der Schweiz, der diese Sportarten ausübt. Es war also gar nicht sicher, ob es überhaupt möglich ist.“ Doch gerade solche Situationen motivieren ihn zusätzlich: „Ich liebe es, an mir zu arbeiten und Hindernisse zu überwinden. Ich liebe es, neue Bewegungserfahrungen zu sammeln und damit neue Fähigkeiten in mir freizuschalten.“

Extremsportler David Mzee am Wasser beim Sport
© Dave Brunner

Alles ist anders

Der Grad – und damit die körperlichen Folgen – seiner Verletzung gestalten den Wassersport besonders herausfordernd. Das beginnt damit, dass er immer auf Hilfe angewiesen ist, um in den hautengen Neoprenanzug zu schlüpfen; außerdem spürt man im Wasser die Kälte schneller und stärker, wenn man die Beine und den Rumpf nicht bewegen kann. Dazu kommt, dass David Mzee seine Sportgeräte grundsätzlich anders als andere Menschen unter Kontrolle bringen muss: „Ich habe einerseits keine Rumpfkontrolle. Und andererseits fehlt es mir in den Fingern sowohl an Kraft als auch an Feinmotorik. Das heißt, ich kann mich weder beim Wakeboarden noch beim Kitesurfen am Griff richtig festhalten.“

Deshalb legt David Mzee besonderes Augenmerk auf sein Equipment, das er mithilfe von Freunden technisch immer weiter entwickelt und verfeinert: „Vereinfacht gesagt geht es darum: Da ich die Kraft, die über den Wind im Segel oder den Motor des Bootes entsteht, nicht über meine Hände aufnehmen und nutzen kann, muss ich sie irgendwie auf meine Sitzschale übertragen, um mich so über Wasser ziehen lassen zu können.“

Akribischer Tüftler

Allein der Ordner „Evolution Kite Material“ auf seinem Computer umfasst mittlerweile mehr als 300 Dokumente, erzählt David Mzee. „Es sind so viele Dinge, die es zu beachten gilt. Und es gibt so viele Faktoren, die reguläres Equipment für mich richtig gefährlich machen.“ Als grundsätzliches Problem erweist sich das physikalische Prinzip, das jeden Boardsport im Wasser erst ermöglicht: Je größer das eingetauchte Volumen eines Festkörpers, also etwa eines Surfbretts, ist, umso höher ist der Auftrieb. „Diese Auftriebskraft ist sehr wichtig“, sagt David Mzee, „sie kann aber zum schlimmsten Feind eines Rollstuhlfahrers werden. Denn wenn das Board, auf dem du festgeschnallt bist, kentert und sich umdreht, bist du unter Wasser gefangen und kannst dich aus eigener Kraft nicht mehr zurückdrehen.“

Also tüftelt er an technischen Möglichkeiten, seine eigene Sicherheit am Wasser zu verbessern: „Mittlerweile habe ich mir in Norddeutschland ein eigenes Brett bauen lassen. Ein echter Gamechanger für mich war aber die neue Sitzschale, die ein befreundeter Techniker mit mir gemeinsam entworfen hat und aus der ich mich notfalls viel leichter lösen kann. Wenn ich denke, mit welchem Material ich vor ein paar Jahren begonnen habe, dann fühle ich mich heute deutlich sicherer …“

Immer neue Ziele

Woher seine – neu gewonnene – Leidenschaft für den Wassersport kommt, sagt David Mzee, war ihm selbst lange nicht bewusst. „Vor Kurzem habe ich aber darüber nachgedacht und dabei ist mir etwas klar geworden: Wasser ist ein Element, in dem die Bedeutung der Beine nicht ganz so groß ist. Der Mensch ist ohnehin nicht wirklich fürs Wasser gemacht und wird sich darin nie so gut und souverän bewegen wie ein Fisch. Ob man seine Beine bewegen kann, macht offenbar gar nicht so viel Unterschied und deshalb fühle ich mich im Wasser weniger eingeschränkt.“

Anders als bei anderen Sportarten, die er schon vor seinem Unfall beherrscht hat: „Mein großes Glück ist, dass ich beim Kitesurfen und Wakeboarden keine Vergleichsmöglichkeiten hatte. Deshalb haben mich die vielen misslungenen Versuche am Anfang nicht frustriert.“ Beim Skifahren hingegen wirkt sich der Vergleich durchaus auf die Psyche aus, sagt David Mzee: „Ich weiß, wie gut ich vorher war, und das führt heute zu einem Verlustgefühl. Es ärgert mich, dass ich am Monoski keine schwarzen Pisten mehr fahren kann, weil sie einfach zu steil für mich sind.“

Umso schöner ist es, dass er weiterhin neue Sportarten für sich entdecken und damit neue Fähigkeiten freischalten kann: „Im Frühjahr war ich in Australien und hatte die Möglichkeit, den Wave Garden zu besuchen. Ich war davor zwar noch nie Wellenreiten, aber es hat mir sofort riesigen Spaß gemacht.“

Adaptive surfing heißt diese spezielle Sportart, bei der Menschen auf dem Brett liegend mit den Wellen spielen können. „Ich habe gemerkt: Je wuchtiger die künstlich generierte Welle ist, umso besser spürt man sie. Mit mir war Sam Bloom im Wasser, die dreifache australische Weltmeisterin, und sie hat mir großen Mut gemacht. Sie hat gesagt, wenn ich so weitermache, kann ich eines Tages auch an der WM in Hawaii teilnehmen. Und das würde mich sehr reizen; Hawaii steht schon lang auf meiner Bucketlist …“

Extremsportler David Mzee beim Anziehen vor dem Sport im Rollstuhl
© Dave Brunner

Der Mensch ist ohnehin nicht wirklich fürs Wasser gemacht und wird sich darin nie so gut und souverän bewegen wie ein Fisch. Ob man seine Beine bewegen kann, macht offenbar gar nicht so viel Unterschied und deshalb fühle ich mich im Wasser weniger eingeschränkt.

Extremsportler David Mzee am Wasser beim Surfen
© Ken Leanfore for Wings For Life World Run

Eine Frage der Perspektive

Dabei betreibt David, der im Herbst zum zweiten Mal Vater einer Tochter wird, den Sport in erster Linie zum Ausgleich. 2016 – also sechs Jahre nach seinem Unfall – hat er nämlich sein „Bewegungswissenschaften und Sport“-Studium an der renommierten ETH Zürich doch noch abgeschlossen – als Jahrgangsbester mit Summa cum laude! Seither arbeitet David als einziger Schweizer Sportlehrer im Rollstuhl, außerdem hält er regelmäßig Vorträge: „Was mich daran fasziniert, ist aber gar nicht so sehr das Referieren selbst, sondern das anschließende Q&A. Ich liebe diesen Teil, den ich nicht unter Kontrolle habe, sondern in dem ich spontan reagieren muss.“

Dass er sein Leben mit so großer Zuversicht gestalten kann, liegt – wie er im Zoom-Gespräch erzählt – daran, dass immer der Blickwinkel die Perspektive bestimmt: „Mein Vater stammt ja aus Kenia und dadurch habe ich auch Dinge gesehen und erlebt, die anderen Menschen vielleicht fremd sind. Wir müssen erkennen, wie viel Glück wir haben und wie dankbar wir den Generationen vor uns sein müssen, die uns dieses Leben ermöglicht haben.“

Zumal eine so schwere Verletzung wie seine in der alten Heimat seines Vaters ganz andere Konsequenzen nach sich gezogen hätte, wie David zu erzählen weiß: „In Kenia wäre mein Leben nach dem Sturz anders verlaufen. Mein Vater hat mir die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der ungefähr zur gleichen Zeit einen ähnlichen Unfall hatte. Seine Möglichkeiten danach waren so weit weg von denen, die ich hier in der Schweiz vorgefunden habe.“

Cooles Umfeld

Dazu gehört, dass David seit 2016 an einer klinischen Studie der ETH Lausanne teilnimmt, die von der Wings For Life Foundation und der Internationalen Stiftung für Forschung in der Paraplegie gefördert wird. Im Zuge eines komplexen medizinischen Verfahrens wurde ihm eine Elektrode aufs Rückenmark implantiert. Dank dieses Neurostimulators ist es ihm mittlerweile möglich, mithilfe eines Rollators eigenständig Schritte zu gehen. Die Technik selbst wird stetig weiterentwickelt, im Herbst könnte Davids aktuelles Ansteuerungstool, das im Bauchraum implantiert wurde, durch ein verbessertes Gerät ersetzt werden: „Wenn alles wie erhofft funktioniert, könnten meine Bewegungen ein bisschen geschmeidiger werden.“

Egal, ob im Sport oder im Alltag: Widrigkeiten spornen David Mzee erst recht an. Wobei er selbst gar nicht zu philosophisch werden möchte: „Bei der Frage, wie ich all diese Hindernisse in meinem Leben überwinden kann, fallen mir als Erstes meine Familie und meine Freundinnen und Freunde ein. Ich habe einfach ein cooles Umfeld, und das macht es relativ einfach, selbst immer wieder die nötige Stärke zum Weitermachen aufzubringen.“ Zum Schluss gönnt uns David noch einmal ein spitzbübisches Lachen: „Und wenn jemand sagt: ‚Das kannst du nicht!’, dann spornt mich das erst so richtig an!“

Extremsportler David Mzee mit seinem Rollator gehend
© Romina Amato for Wings For Life World Run

David Mzee, 36, lebt mit Freundin und Tochter in der Nähe von Zürich. Der Sportlehrer und Motivationsredner ist seit einem Sportunfall 2010 querschnittsgelähmt. Der Tetraplegiker nimmt an einer klinischen Studie der ETH Lausanne (Schweiz) teil; eine Elektrode auf seinem Rückenmark ermöglicht es ihm, mithilfe eines Rollators eigenständig Schritte zu gehen.

David Mzee – Website

David Mzee – Limit/less 

Dave Brunner – Fotograf – Website

Dave Brunner – Fotograf – Instagram

Portrait Hannes Kropik
Hannes Kropik
vergöttert Katzen und arbeitet als freier Journalist und Autor. Geplanter Pensionsantritt: 2034.

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