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„Musik zu schreiben hat auch viel damit zu tun, sich selbst besser kennenzulernen“

Die zeitgenössische Klassik ist ihm zu fremd und intellektuell, er selbst spielt sowohl auf einem Violoncello aus 1727 als auch auf einer Kopie davon aus dem Jahr 2021. Warum die Musik von Bach so gut kombinierbar ist mit rockigen und energiegeladenen Stücken, erklärt der österreichische Cellist Matthias Bartolomey im funk tank-Interview.
Cellist Matthias Bartolomey beim Musikmachen
© Theresa Pewal

Der 39-jährige Matthias Bartolomey möchte mit seinem progressiven Spirit die sonst recht schnöde und strenge Musikwelt des Cellos aufrütteln und die Brücke zwischen Klassik und Popularmusik schlagen. Seit 2012 ist er mit dem Geiger und Mandolaspieler Klemens Bittmann als BartolomeyBittmann – progressive.strings musikalisch unterwegs. Jetzt hat er sein erstes Solo-Album mit dem Titel „Solo“ herausgebracht. Wir haben mit dem vielseitigen Cellisten gesprochen …

funk tank: Lieber Herr Bartolomey, Ihr Vater war Solocellist der Wiener Philharmoniker, Sie selbst haben bereits mit sechs Jahren Cellounterricht von ihm erhalten. Die Musik liegt Ihnen also im Blut. Wann war klar, dass Sie sich professionell für den Beruf als Musiker entscheiden, und wie kam es dann schlussendlich dazu?

Matthias Bartolomey: Mein Vater war nicht nur Solocellist, sondern auch die bereits dritte Generation von Bartolomeys bei den Wiener Philharmonikern. Ich bin für das Aufwachsen in dieser, über mehr als ein Jahrhundert gelebten musikalischen Kultur sehr dankbar und hatte bereits in frühen Jahren mein Ziel, eine professionelle Laufbahn als Musiker anzustreben, definiert. Wie genau diese aussehen würde, stellte sich jedoch erst deutlich später heraus.

Was kann das Cello, das andere Musikinstrumente nicht können?

Darüber könnte ich Stunden sprechen, aber ein sehr wichtiger und deutlich spürbarer Aspekt ist der große Tonumfang und die Nähe zur menschlichen Stimme. Das Cello kann aber auch ein Rock-Instrument sein, dem man schwere Riffs und verzerrte Klänge entlocken kann. Es steckt voller spannender Kontraste.

Cellist Matthias Bartolomey
© Stephan Doleschal

Im übergeordneten Sinn geht es mir darum, aufzuzeigen, dass gute Musik etwas Zeitloses hat. Etwas, das unabhängig davon, wann und in welcher Zeit es geschrieben wurde, berühren oder erschüttern kann.

Sie sind aktiver Musiker und unterrichten auch an der Universität Mozarteum Salzburg. Welche Eigenschaften braucht es, um erfolgreich im Musik-Business bestehen zu können? Ist es das Talent oder harte Arbeit und Fleiß, die eine*n zur guten Musikerin/zum guten Musiker machen?

Aus meiner persönlichen Erfahrung braucht es vor allem zwei Eigenschaften, um ein erfolgreicher Musiker/eine erfolgreiche Musikerin zu sein: Talent und harte Arbeit gehen Hand in Hand. Ein Talent ohne Disziplin, Ehrgeiz und Konsistenz wird ungeformt bleiben. Somit bildet beides einen essenziellen Aspekt des Musiker*innen-Daseins.

Die zweite Eigenschaft hat mit Musik nicht viel zu tun — es ist die unternehmerische Tätigkeit. Die Selbstvermarktung, der Kontakt zu Veranstaltern, Honorarverhandlungen, Netzwerke aufbauen etc.

Wichtig ist aber auch, sich in Geduld zu üben und das Scheitern als unumgänglichen und lehrreichen Faktor zu akzeptieren.

Österreich hat eine lange Tradition, was klassische Musik betrifft. In anderen Musik-Genres ist es hier jedoch etwas zu klein(kariert), um mit Kunst groß rauszukommen. Wieso sind Sie in Österreich geblieben bzw. gibt es Momente, wo Sie lieber in einem anderen Land leben würden? Welches Land wäre das und warum?

Gustav Mahler hat gesagt: „Wenn die Welt untergeht, möchte ich in Wien sein, da passiert alles 50 Jahre später.“ Das hat wohl heute immer noch gewisse Gültigkeit. Ich bin aber seit jeher mit Österreich sehr verwurzelt und hatte trotz meiner vielen Konzertreisen nie die dringende Sehnsucht, wegzugehen.

Es ist vielleicht gerade auch die traditionelle Ausprägung in Österreich, die mich motiviert hat, hier zu bleiben, um einen neuen und progressiven Spirit beizutragen.

Mit dem Geiger und Mandolaspieler Klemens Bittmann sind Sie als BartolomeyBittmann –progressive.strings unterwegs. U. a. auch in der Berliner Philharmonie, der Elbphilharmonie Hamburg und rund um den Globus. Musik ist ja eine universelle Sprache. Wie gehen Sie konkret beim Komponieren vor, wie entstehen Ihre Stücke? Und an welche Zielgruppe richten sich die Werke?

Wir haben mit BartolomeyBittmann von Beginn an den Fokus auf den Aufbau eines eigenen Repertoires gelegt und immer gemeinsam auf intuitiv-schöpferische Art Musik komponiert. Das machen wir nun seit mehr als zwölf Jahren so und haben hier ein spezielles Ökosystem für uns entwickelt. Momentan spielen wir unser Best of BB Programm, haben aber bereits Ideen für neue Stücke. Nächstes Jahr wird es auch eine Kooperation mit dem Niederösterreichischen Konzertchor im Festspielhaus St. Pölten geben. Unsere Musik um einen Chor zu erweitern, finden wir sehr spannend und wir freuen uns bereits darauf, die Arrangements dafür zu schreiben.

Wir haben per se keine direkte Zielgruppe. In erster Linie schreiben wir die Musik, die auch wir gerne hören würden. Aber unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen mit einer gewissen klassischen Grundbildung (bzw. einer Sensibilisierung für Streichinstrumente) unsere Musik interessant finden. Man könnte auch sagen: Ö1-Hörer*innen mögen uns. Es ist aber immer ein schönes Erlebnis, wenn Menschen, die aus einer gänzlich anderen musikalischen Sozialisierung kommen, unsere Musik für sich entdecken.

In der Musik abstrahieren wir unser Leben und die Welt, wie wir sie wahrnehmen. Das können banale, aber auch tiefgründige und bedeutungsvolle Dinge sein. Musik zu schreiben hat auch viel damit zu tun, sich selbst besser kennenzulernen.

Was inspiriert Sie für Ihr künstlerisches Schaffen?

Wenn man mit einem offenen Herzen und offenen Augen durch unsere Welt geht, kann alles, was man darin findet und erlebt, inspirierend sein.

In der Musik abstrahieren wir unser Leben und die Welt, wie wir sie wahrnehmen. Das können banale, aber auch tiefgründige und bedeutungsvolle Dinge sein. Musik zu schreiben hat auch viel damit zu tun, sich selbst besser kennenzulernen.

Die Cellisten Matthias Bartolomey und sein Vater Franz Bartolomey
Die Cellisten Sohn Matthias Bartolomey und Vater Franz Bartolomey © privat
Ende Mai haben Sie Ihr erstes Solo-Album herausgebracht. Hier trifft Tradition mit J. S. Bach auf progressive Eigenkomposition. Wunderbar dynamisch und mitreißend, wie ich finde. Ihnen gelingt die Verbindung von Klassik mit modernen, rockigen und energiegeladenen Stücken. Inwiefern braucht es das „Klassische“ für das „Neuartige“ und was bevorzugen Sie? Wie verbinden Sie „Alt“ und „Neu“?

Im übergeordneten Sinn geht es mir darum, aufzuzeigen, dass gute Musik etwas Zeitloses hat. Etwas, das unabhängig davon, wann und in welcher Zeit es geschrieben wurde, berühren oder erschüttern kann. Bach ist hier ein gutes Beispiel.

Was meine eigene Musik betrifft, kommt meine Motivation in erster Linie daher, dass mir ein Großteil der zeitgenössischen klassischen Musik fremd und zu intellektualisiert ist. Im Verlauf des 20. Jhdts. hat sich enorm viel Kreativität in der Popularmusik entwickelt. Mit der Brücke zur Popularmusik sehe ich die Zukunft der klassischen Musikwelt und möchte hier auch aktiv schöpferisch (vom Instrument für das Instrument komponierend) meinen Beitrag leisten.

Eine weitere Verbindung zwischen Alt und Neu manifestiert sich auf diesem Album nicht zuletzt dadurch, dass ich auf zwei Celli spiele. Das erste Instrument ist ein Violoncello von David Tecchler und wurde 1727 in Rom erbaut – es repräsentiert die Musik Bachs. Das zweite Violoncello ist dessen detailgetreue Kopie, welche von Philip Bonhoeffer im Jahre 2021 erbaut wurde und meine Musik repräsentiert. Es entsteht also nicht nur musikalisch, sondern auch instrumental ein Bogen über 300 Jahre.

Welche Herausforderungen hat die Arbeit zum ersten Album mit sich gebracht?

Ich hatte einen ganz speziellen Klang im Kopf. Einerseits ging es mir um sehr viel Nähe zum Instrument, um mit Direktheit die Musik unmittelbar spürbar zu machen. Andererseits sollte das Instrument und der Klang frei atmen und sich groß entfalten können. Mit dem Tonmeister David Furrer hatte ich hier genau den richtigen Mann mit an Bord, der mich mit viel Geduld und Gespür unterstützt hat.

Sie sind heuer live noch viel unterwegs. Auf welche Auftritte freuen Sie sich besonders? Und was steht in den kommenden Monaten sonst noch an?

Es kommen viele spannende Konzerte auf mich zu, denen ich allen mit viel Freude entgegensehe. Besonders freue ich mich auf die Cello Biennale in Amsterdam im November 2024.

Unter anderem habe ich für den Festivalwettbewerb der Biennale das zeitgenössische Auftragswerk komponiert, das alle Kandidat*innen der ersten Runde spielen werden. Eine große Ehre.

Matthias Bartolomey, 39, ist österreichischer Cellist, Komponist und Professor an der Universität Mozarteum Salzburg. Die Verbindung von Klassik mit modernen, rockigen und energiegeladenen Stücken ist seine Spezialität, denn für ihn hat gute Musik etwas Zeitloses. Bartolomey tourt dieses Jahr durch Österreich, u. a. hat er Auftritte mit Karl Markovics & Helmut Deutsch, Rudolf Buchbinder & Volkhard Steude sowie Ursula Strauss & Ariane Haering.

Matthias Bartolomey

BartolomeyBittmann

funk-tank-magazin-alicia-weyrich-by-stefan-diesner-3
Alicia Weyrich
arbeitet als Journalistin und Werbetexterin in Wien. Neben dem geschriebenen Wort liebt sie die Musik, das Meer, gutes Essen sowie Zeit mit ihrer Familie, ihren Freund*innen und ihren Tieren.

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