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Stil /

Die Zukunft und das Wohnen

Wie wir mit einer Büroklammer für die Zukunft trainieren können, welche Türen künstliche Intelligenz in der Innenarchitektur öffnet, und wo menschliche Qualitäten weiterhin punkten werden.
Moodbild Future Living
© Unsplash/Inside Weather

Alles, was erfunden werden kann, wurde bereits erfunden.“
„Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“
Die beiden charmanten Zitate waren kürzlich Teil einer fesselnden Keynote Speech der Zukunftsforscherin Christiane Varga, der Bund Österreichischer Innenarchitektur (BÖIA) hatte sie eingeladen.
Von wem sie stammen? Der Herr, der meinte, alle Innovation gebe es bereits auf Erden, war Charles Duell, Chef des amerikanischen Patentamts. Die offensichtlich falsche Einschätzung traf er vor mehr als 120 Jahren. Thomas Watson, seines Zeichens IBM-Geschäftsführer, war der Schöpfer der heute geradezu absurd klingenden Prognose, fünf Computer würden reichen.
Wir schmunzeln. Doch die beiden Herren tappten in die Falle, in die war allesamt stolpern, wenn wir nicht bewusst unseren Horizont laufend erweitern. Christiane Varga führt weiter aus: „Wir neigen dazu, in der Gegenwart Dinge aus der Vergangenheit in die Zukunft zu projizieren. Wenn wir zu linear denken, machen wir Fehlprognosen.“ Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir zwar einen Bereich im Kopf haben, in dem der Fokus auf Kreativität und Potenzialentfaltung liegt und wie eine Zukunftsmaschine fungiert, aber eben auch einen anderen, in dem das Hirn, sprich der Kopf, lieber Energie sparen und sich nicht mit Dingen auseinandersetzen möchte, die es noch nicht kennt. Der „Zukunftsvermeider“ verführt uns sozusagen zum Tunnelblick, „und das ist in Zeiten, in denen die Dinge so komplex sind, fatal“, sagt Christiane Varga.

Neugierig bleiben

Straußengleich den Kopf in den Sand zu stecken, vertreibt unsere Vorbehalte gegenüber der künstlichen Intelligenz (KI) logischerweise nicht. Die KI generell zu verteufeln, sie nehme uns unsere Jobs weg, wäre quasi linear gedacht. „Es stimmt, es werden schon jetzt bestimmte Tätigkeitsbereiche ersetzt. Ich glaube aber vielmehr: Menschen werden nicht durch die KI ersetzt, sondern durch Menschen, die sich damit auskennen.“
Die gute Nachricht ist: Um vorfreudig in die Zukunft zu blicken, braucht es etwas Urmenschliches – und zwar das sogenannte divergente Denken. „Es bedeutet, unser Gehirn vernetzt zu nutzen und abseits ausgetretener Pfade zu denken. Das divergente Denken ist kein Synonym für Kreativität, sondern die Voraussetzung dafür“, erklärt die Zukunftsforscherin. Das Erstaunliche dabei ist, dass vor allem Kindergartenkinder als divergente Genies gelten. Ein Experiment veranschaulicht das schön. Die Frage war: Wozu kann man eine Büroklammer benutzen? – Mehr als 100 Antworten galten dabei als herausragend. „Dies erreichen 98 Prozent der Kindergartenkinder, immerhin 32 Prozent bei den Zehnjährigen, nur mehr 12 Prozent bei den 15-Jährigen und ganze 2 Prozent bei den Erwachsenen“, zitiert sie aus „Breaking Point and Beyond. Mastering the Future Today“ von George Land und Beth Jarman.
„Unser Blick verengt sich also mit zunehmendem Alter. Wir können aber dagegen steuern, indem wir neugierig bleiben, neue Perspektiven wählen und bewusst den Austausch außerhalb unserer Bubbles forcieren“, zählt Christiane Varga auf.

Speakerin, Soziologin und Zukunftsforscherin Christiane Varga
Speakerin, Soziologin und Zukunftsforscherin Christiane Varga © Sophie Menegaldo

Die KI „übersetzt“ Bild aus dem Kopf

Vieles davon hat sich der dynamische Vorstand des Bundes Österreichischer Architektur (BÖIA) zum Ziel gesetzt. Der Verein blickt auf mehr als sechs Jahrzehnte Geschichte zurück. Seit dem Rebranding 2022 wird seine Mission – Netzwerken, Interessensvertretung und Weiterbildung – sukzessive mit neuem Leben erfüllt. „Future Interior: KI & Visionen in der Gestaltung“ war der erfolgreiche Auftakt einer neuen Eventreihe. Visionäre Vortragende waren dabei – neben Christiane Varga – Franz Riebenbauer, Gründer und Creative Director des gleichnamigen Studios, sowie die Architekten und Designer Georg Popp und Simon Hirtz, die unter anderem an der New Design University unterrichten.
Franz Riebenbauer, der sowohl an der „Angewandten“ in Wien als auch an der University of California in Los Angeles einen Lehrauftrag hat, nahm das Publikum auf einen rasanten Ritt durch die Welt jener Artificial Intelligence (AI)-Tools mit, die er und sein Team bereits in ihren Alltag integrieren. Dabei berichtete er unter anderem von einem schönen Aha-Erlebnis, als er kürzlich an einem Konzept für eine aufwändige Leuchteninstallation arbeitete. „Auf Basis unserer Beschreibung gab die KI genau das Bild wieder, das ich in meinem Kopf hatte.“
Das bedeute aber nicht automatisch eine Zeitersparnis, es käme vielmehr zu Verschiebungen im Arbeitsprozess, führte er aus. Der Gedanke wurde beim Event vielfach aufgegriffen. In einem Punkt schienen sich die meisten einig: Der Einsatz entsprechender KI-Tools schafft für Innenarchitekt*innen neue Möglichkeiten, um noch präziser auf die Wünsche der Kund*innen einzugehen. Menschliche Qualitäten wie Beziehungsfähigkeit und Empathie sind hierbei also ebenso gefragt, wie bei der Realisierung von Projekten, bei der Budget, Umsetzungsmöglichkeiten und ausführende Unternehmen auf einen Nenner gebracht werden sollen.

Unser Blick verengt sich also mit zunehmendem Alter. Wir können aber dagegen steuern, indem wir neugierig bleiben, neue Perspektiven wählen und bewusst den Austausch außerhalb unserer Bubbles forcieren.

Homecoming

Was wollen wir eigentlich umgesetzt haben bzw. wie wollen wir heute und morgen leben? „Ob Wohnhaus oder Firma, die Tendenz geht zu langfristigen Nutzungskonzepten“, sagt BÖIA-Geschäftsführerin Martina Fürnkranz. Räume können dementsprechend weitsichtig multifunktional geplant werden, „damit zum Beispiel der Kinderbereich in einem Haus später in eine Einliegerwohnung umgewandelt werden kann, um sie zu vermieten und die Pension aufzubessern.“ Was einst als „öko“ belächelt wurde, ist heute zeitgemäß. Gesundes und nachhaltiges Wohnen beinhaltet etwa Möbel aus geöltem Massivholz statt kurzlebigen Plastikteilen. Gefragt sind Modelle mit modernem und zeitlosem Design, die in Österreich oder in der EU produziert wurden. Parallel dazu wächst das Bewusstsein für individuelle Schätze. „Omas Erbstück oder ein aus dem Urlaub mitgebrachtes Teil sollen ebenso schön zur Einrichtung passen“, beschreibt Martina Fürnkranz. Der Trend zu Reduktion hält auch beim Wohnen Einzug. Das betrifft sowohl die Fläche, auf der man lebt – „zwei Personen, die auf 200 Quadratmeter wohnen, wird es in Zukunft immer seltener geben“ – als auch die Möbel, die man sich anschafft. „Gute Teile sind multifunktional, wie zum Beispiel ein ausziehbarer Schreibtisch fürs Homeoffice oder ein Beistelltisch, der zum Hocker wird, wenn Gäste kommen“, sagt Martina Fürnkranz.
Nachdem das Wohnen sukzessive teurer wurde, liegt es für sie auf der Hand, dass sich die Menschen auch langfristige Lösungen für die Einrichtung wünschen. Ganz oben stehen dabei weiterhin gut durchdachte Konzepte für Bad und Küche – die zumeist größten Investitionen. Ein Upgrade erlebt aktuell der Stellenwert des Eingangsbereichs. „Man kommt nach Hause und will Post, Jacke, Handy und Schlüssel ablegen. Wohin mit all dem, ohne das sofort ein Chaos entsteht?“, fragt Martina Fürnkranz. „Wenn es für all das einen eigenen Platz gibt, hat der Vorraum eine ganz andere Wirkung, und es ist ein viel schöneres Heimkommen.“

Der Vorstand vom BÖIA – Bund Österreichischer Innenarchitektur
Der Vorstand vom BÖIA – Bund Österreichischer Innenarchitektur © Sophie Menegaldo

Der BÖIA – Bund Österreichischer Innenarchitektur ist ein österreichweiter Interessensverband von Innenarchitektinnen und Innenarchitekten sowie im Bereich Innenarchitektur, Raum- und Objektgestaltung Tätigen. 

Bund Österreichischer Innenarchitektur

Portrait Viktória Kery-Erdélyi
Viktória Kery-Erdélyi
studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und ist freiberufliche Journalistin in der Magazinbranche.

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