Moment mal … Das sieht doch aus wie ein Tampon?! Und während ich womöglich einen Augenblick zu lange auf die Kette bzw. den Anhänger von Monika Buttinger starre, fängt die renommierte Kostümbildnerin meinen Blick auf: „Ja, das ist ein Tampon“, lacht sie. „Meine Nichte hat das designt.“
Einige Wochen später bitte ich die Nichte um ein Interview, denn Rebekka Hochreiter bzw. Hochreiterin, wie sie sich auch nennt, schenkt nicht nur blutigen Tampons ein solch ästhetisches Antlitz, dass man sie um den Hals tragen mag. Noch diesen Herbst stellt sie ihre „Lauter laute Fotzen*“-Installation vor das Linzer Rathaus, um ein weiteres Beispiel ihres facettenreichen Tuns zu nennen. Zur Provokation? Auch, aber da steckt viel mehr dahinter, sagt Rebekka im Gespräch, bei dem jeweils eine selbst kreierte Klitoris von ihren Ohren baumelt.
Rebekka Hochreiter wuchs in einem kleinen Ort nahe Lichtenberg im Mühlviertel mit einer jüngeren Schwester auf; als Tochter einer Damenkleidermachermeisterin, die an der Modeschule unterrichtet, und eines bildenden Künstlers. Viele Kreative umgaben sie von klein auf, „die Moni (Buttinger, Anm.) war für mich auch immer ein Vorbild“, erzählt sie. Mit 15 bringt ihr Papa ihr das Schweißen bei, nach der Hauptschule macht sie eine Ausbildung zur Goldschmiedin. Sie mag die Stunden in der Werkstatt, will aber tiefer graben. Sie bewirbt sich an der Linzer Kunstuniversität, beginnt zunächst mit Bildhauerei und wechselt dann zur experimentellen Gestaltung. Parallel dazu fängt sie an, in Theater- und Filmprojekten mitzuarbeiten; mal ist es für ein feministisches Theaterstück von Sina Heiss, mal die Assistenz in der Maske für einen Kinofilm. „Wie bekommt man Zombies mit wenig Budget hin? – Was alles mit unterschiedlichen Materialien möglich ist, hat mich immer interessiert“, sagt Rebekka Hochreiter.
Im Laufe der Jahre knüpft sie sich einen bunten Teppich an Erfahrungen und Fertigkeiten aus zahlreichen Projekten; sie macht ihren Uniabschluss, ihre Arbeiten werden zunehmend politisch – und sorgen live und im Netz für Furore. Wie beispielsweise als sie die feministische Ausstellung „Fotzengalerie“ gemeinsam mit FIFTITU% – dazu später – kuratiert: „In einem rechtspopulistischen Medium gab es viel Aufregung darum, dass öffentliche Fördergelder für so etwas verwendet werden“, erklärt sie. „Diese Ausstellung war aber in der Kunsthalle Linz und die ist 40 mal 40 mal 40 Zentimeter groß. Die Leute, die das kritisiert haben, wussten das nicht einmal, das hat uns amüsiert.“
Goldene Tampons
Rebekka war etwa zehn Jahre alt, als sie festzustellen begann, dass dieses „wir sind alle gleich“ nicht der Realität entspricht. Dazu trugen ihre Mutter „mit einem sehr starken Gerechtigkeitssinn“ und die Lektüre von Waris Diries „Wüstenblume“ bei. Das Model beschreibt darin ihre Beschneidung als Kind und ihren Kampf gegen Genitalverstümmelung. „Ich habe das Wort Feminismus damals noch nicht wirklich gekannt, aber ich habe mich gefragt, warum wir als Mädchen anders behandelt wurden, warum wir über gewisse Sachen nicht sprechen sollten oder warum ein Tampon etwas war, das man möglichst unterm Tisch weitergeben sollte.“
Sie spürt die Ungerechtigkeiten hautnah. Sie erlebt wiederholte Zurechtweisungen, die Frauen* vermitteln, dass ihr Körper nicht ihnen gehört, und sie erfährt selbst sexualisierte Gewalt im öffentlichen Raum. „Viele weiblich gelesene Personen machen ähnliche Erfahrungen: mit Leuten, die dir sagen, was und wie viel du essen sollst, wie du dich kleiden und verhalten sollst, mit Männern, die dich im öffentlichen Raum belästigen.“
Als Künstlerin ergreift sie die Initiative, ohnehin ungeschriebene Regeln um Periode und Co. zu demontieren. Gemeinsam mit Kolleg*in Alice Moe schreibt sie 2015 für das Donaufestival Krems ein Menstruationsmanifest, sie lackieren Tampons golden und verkaufen sie als Ohrringe. „Es wird kaum wirklich über Menstruation geredet. Und wenn, dann heißt es meistens nur: Die Arme hat gerade ihre Tage. Die wenigsten trauen sich sagen: Hey, mir geht’s heute echt nicht gut, weil ich menstruiere.“ Das Festival markierte sozusagen den Start ihrer Mission: „Wie kann ich die Kommunikation im öffentlichen Raum vorantreiben?“
Erst kürzlich fand sie wieder Bestätigung für die Notwendigkeit ihrer Initiativen: „Ich bekam die Möglichkeit, mehrere Biologie-Schulbücher durchzublättern. Ich war neugierig, wie weiblich gelesene Körper dargestellt und wie die Vielfalt der Geschlechter behandelt wird – und wurde ziemlich enttäuscht. Im Prinzip hat ein einziges Buch gut abgeschnitten und selbst da war die Klitoris nicht vollständig abgebildet, das hat mich schockiert.“
Sie experimentiert akribisch, bis ihre Tampon-Schmuckstücke in Haptik und Ästhetik so sind, wie sie sich das wünscht. Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten, doch Rebekka Hochreiter winkt elegant ab. „Ich mache bis heute nur Einzelstücke auf Anfrage.“
Sie will ihr kreatives Schaffen nicht einengen, sich nicht auf eine Sache allein fokussieren, sondern sucht stets neue Wege. Die Tampons ziehen sich aber wie ein roter Faden durch ihr Tun. „Was mich motiviert, ist mein Ziel: die Ent-Schämung. Ich erlebe es bei mir selbst. Durch die ständige Auseinandersetzung sind diese Themen für mich mittlerweile null schambehaftet. Sehr schön ist außerdem, dass mir die Menschen als Reaktion viele persönliche Geschichten und Erfahrungen schenken.“
Ich habe das Wort Feminismus damals noch nicht wirklich gekannt, aber ich habe mich gefragt, warum wir als Mädchen anders behandelt wurden, warum wir über gewisse Sachen nicht sprechen sollten oder warum ein Tampon etwas war, das man möglichst unterm Tisch weitergeben sollte.
Blühende Tampons
Unter dem Titel „dear people who menstruate“ schuf Rebekka Hochreiter einen Animationsfilm, bei dem ein Strauß an Tampons knospengleich aufgeht, nachdem sie sie mit verschiedenen Flüssigkeiten beträufelt: mit Blut, Kunstblut und Wasser. „Spannend: Mit Wasser funktioniert es am besten. Tatsächlich wurden Tampons lange nur mit Wasser getestet“, sagt sie. „Und jetzt kommt man drauf, welche Schadstoffe Tampons enthalten?! Bisher war es nicht wichtig genug, sich damit auseinanderzusetzen, was Menschen in ihren Körper einführen?!“
Eine weitere Ungerechtigkeit, nämlich die mit der Menstruation verbundenen Kosten, macht sie mit „Mary’s Dress“ zum Thema. „Wenn ich in die Arbeit gehe, muss ich nicht fürs Klopapier zahlen, aber für Tampons oder Binden schon.“ Aus rund 10.000 Stück Binden schuf sie eine wundervolle Robe in Weiß, um die Lebensbedarfsmenge zu visualisieren, und parallel eine Verbindung zu Werbeindustrie und dem angeblich schönsten Tag des Lebens herzustellen.
Ein Panzer aus dem F-Wort
Seit 2020 ist Rebekka Hochreiter stellvertretende Geschäftsführerin von FIFTITU%: „Wir sind die einzige Beratungs- und Vernetzungsstelle für kunstschaffende FLINTA-Personen in ganz Österreich“, erklärt sie (FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen, Anm.).
Der Verein unterstützt Künstler*innen bei rechtlichen Fragen, Projektförderungen und Diskriminierung. Eine Challenge für FLINTA*-Künstler*innen ist zweifellos die Vereinbarkeit zwischen Elternschaft und Kunst, weiß sie. „Die Quote an den Unis wird zunehmend ausgeglichener, aber verhältnismäßig können danach wenig FLINTA*-Personen Fuß fassen bzw. davon leben“, weiß Rebekka. FIFTITU% setzt sich für mehr Sichtbarkeit ein. „Es ändert sich laufend etwas, aber wir müssen uns noch immer fragen: Wer sitzt in den Jurys, leitet Museen oder Galerien?“
Zum Portfolio des Vereins gehören auch Kooperationen für Kunstprojekte. So wird Anfang September ein queerfeministisches Festival in Zusammenarbeit mit Ars Electronica und der Kunstuni Linz über die Bühne gehen. Rebekka baut dafür mit der Szenografin Leonie Reese vor dem Linzer Rathaus ihre drei Mal sechs Meter große, aus mehreren Vulven bestehende Installation auf. Sie trägt nicht ohne Grund den Titel „Lauter laute Fotzen“: Die Künstler*innen Missex, Tonica Hunter und Bana kreieren Beats, die die Vulven in Bewegung bringen.
Der leger anmutende Umgang mit dem abwertenden Wort ist freilich kein Zufall. „Den Begriff Fotze haben ich und viele, die ich kenne oder die mir davon erzählt haben, schon oft abgekriegt. Manchmal einfach so, oder wenn wir zu etwas keine Lust haben. Fotze ist immer eine Beleidigung, es soll uns klein machen. Mein Zugang ist aber: Nimm den Begriff, eigne ihn dir an, das hat mich total immun dafür gemacht. Das wirkt heute wie ein Panzer.“
FIFTITU% gilt als eine bundesweit einzigartige Plattform, die sich für bessere Bedingungen der Frauen* im Kunst- und Kulturbereich engagiert. Die Aktivitäten des Vereins umfassen neben kultur- und frauen*politischer Arbeit, regionaler, nationaler und internationaler Vernetzung und vielfältigen künstlerischen Projekten auch konkrete Beratung und Unterstützung von Kunstschaffenden, beispielsweise bei Förderanträgen. Die Aufnahme von Quotenregelung in der Kunst- und Kulturförderungen oder die Verankerung frauen*politischer Forderungen in Kulturentwicklungsplänen gehören zu ihren Errungenschaften.
Praktisch: die Datenbank New(s)base zu Ausschreibungen, Wettbewerben, Stipendien und Co.
Rebekka Hochreiter ist stellvertretende Geschäftsführerin an der Seite von Geschäftsführerin Oona Valarie Serbest.
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