„Ich will noch so viel lernen und ausprobieren“, erklärt die 37-Jährige im Interview. Mira Lu Kovacs ist der beste Beweis dafür, dass langjährige Erfahrung und wissbegieriger Elan sich nicht ausschließen müssen. Die Künstlerin kann und macht viel im Musik-Business, neben ihrem Soloprojekt spielt sie z. B. bei My Ugly Clementine und Sad Songs To Cry To. Außerdem ist sie momentan bei der Linzer Theaterproduktion „The Broken Circle“ im Einsatz. Warum die Gleichberechtigungsdebatte Mira manchmal langweilt, haben wir u. a. mit ihr im Interview besprochen …
Mira Lu Kovacs: Das Wort „angekommen“ macht mir Angst. Ich will nicht ankommen, nur immer weiter gehen. Aber es stimmt, ich fühle mich zumindest auf einem ziemlich sicheren Plateau. Von dort aus lässt es sich wirklich gut sein, arbeiten, kommunizieren. „Geerdet“ nehm ich mir gern als Beschreibung (lacht).
Meinem jüngeren Ich, das sich kaum was zugetraut hat, sich selbst ständig under-rated hat und vor allem und jedem Angst hatte, würde ich raten, nicht zu bescheiden zu denken. Aber vor allem würde ich sie gern in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles, was sie fühlt, okay und gut ist. Auch würd ich ihr sagen, dass sie sich entspannen darf. Aber all das hätte wahrscheinlich nichts genutzt, denn alle Ängste und Unsicherheiten waren notwendig, um sich jetzt davon frei(er) zu fühlen und zu verstehen: Es gab sehr verdammt gute Gründe für diese Zustände, ich hatte „recht“ damit und jetzt stehe ich noch viel aufrechter da und weiß, warum ich mache, was ich mache.
Wenn ich so überlege, weiß ich nicht recht, was ich groß anders machen würde. Ich würde lauter sein, bei zachen Situationen ruhiger und dadurch stabiler dagegenhalten. Solche Dinge … but it’s all good now.
Mich inspiriert, was um mich herum passiert. Was mir meine Freund*innen rückmelden, wie auf mich und mein Handeln reagiert wird. Ich gehe beruflich quasi ständig in Selbstreflexion. Das klingt extrem einseitig, aber ich kann ja nur aus meiner Perspektive berichten, will keine Geschichten von anderen klauen. Ich denke, je persönlicher die Geschichtenerzählung, desto politischer.
Ich liebe den Satz „Ohne Dunkelheit, kein Licht“. Ich denke, das sagt alles. Das Klischee der leidenden Künstler*in mag ich nicht, aber natürlich ist Kunst und Ausdruck ein unfassbar heilsames Mittel, um mit Trauma und Leid umzugehen. Daher gibt es halt auch viele traumatisierte und leidende Künstler*innen. Und aus genau dem Grund sollte auch jeder Mensch die Möglichkeit zu kreativem Schaffen bekommen.

Das Klischee der leidenden Künstler*in mag ich nicht, aber natürlich ist Kunst und Ausdruck ein unfassbar heilsames Mittel, um mit Trauma und Leid umzugehen.
Mit Sara Ostertag, der Regisseurin von „The Broken Circle“, arbeite ich nun das zweite Mal zusammen. Sie hat mich 2023 das erste Mal gefragt, ob ich bei einem Stück von ihr Musik komponieren und performen möchte, das war damals auch das erste Mal Theater für mich.
In dem Stück geht es um Eltern und deren Kind, um Krebs und ums Sterben. Viele meiner Angehörigen wollen und können sich das Stück nicht ansehen, weil allein der Stoff zu hart ist. Ich verstehe das und gleichzeitig empfinde ich es als unheimlich tröstend, so ein Stück zu erarbeiten. Ich mag die Konfrontation. Ich brauche sie, um zu begreifen, was geschieht. Das „nicht drumherum reden“ ist auch zentral in dem Stück, das Ensemble und die Crew sind fantastisch.
Intime Clubkonzerte! Schöne, alte Theaterräume oder alte Kinos, alles, was viel Holz hat und gut klingt.
Ich begleite in meinem Coaching Menschen, die sich mit ihrer Stimme auseinandersetzen wollen, mit oder ohne Erfahrung. Ich selbst habe Jazz-Gesang studiert, damit hat mein Unterricht aber nichts mehr zu tun, denke ich.
Ich mag es, mit Leuten zu arbeiten, die ihren Körper spüren lernen wollen, interessiert sind an dieser Form des Fokus und des Atmens. Aber natürlich singt man dann auch irgendwann Lieder und hat einfach Spaß an diesem Ausdruck.
Adrienne Lenker steht seit einigen Jahren ganz, ganz oben auf meiner Liste, aktuell höre ich gerade wieder mehr Paula Cole und Kate Bush. Ich liebe auch sehr Beth Gibbons, Brandi Carlile und so ein paar Ausschnitte von Musicalgrößen à la Aaron Tveit …
Ganz knapp, zu Beginn: einfach JA.
Mir knallt vor Langeweile bei dem Thema regelmäßig der Kopf auf den Tisch. Leider müssen wir immer noch drüber reden.
Wir erleben trotz aller Errungenschaften und guten Entwicklungen wieder eine extreme Rückentwicklung von Dingen, die schon fast selbstverständlich geworden sind für mich. Und jetzt, wo immer mehr rechtsextreme Parteien und Faschist*innen auf der Welt regieren, wird sich das ganz sicher noch drastisch verschlechtern. Überall soll die Frau wieder in die Tradition zurückgedrängt werden und es darf nicht mehr als zwei Gender geben. Darauf bewegen wir uns gerade wieder zu. Daher können wir uns kein Müde- oder Faulwerden erlauben.
Statistiken wie die Zahl der Femizide in allein diesem Land geben auch Einblick in den Ist-Zustand. Die Kunst und Kultur lebt ja nicht komplett außerhalb dieser Verhältnisse. Mir geht es außerdem auch um das allgemeine (Arbeits-)Klima und die weiterhin großen Chancenungleichheiten durch unter anderem Unterforderung und -förderung. Hohe bzw. die höchsten Positionen in z. B. großen Häusern sind nach wie vor vornehmlich männlich besetzt. Und wenn es mal anders ist, ist das eher eine Ausnahme und in der nächsten Periode braucht es wieder ausgleichend eine traditionellere Besetzung.
Ganz persönlich muss ich sagen, habe ich mir vor längerer Zeit ein wenig die Scheuklappen aufgesetzt, weil mich gewisse Dinge einfach so zurückhalten und aggressiv machen. Don’t get me wrong, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, eine Grenze übertreten wird, handle ich. Aber ich bewege mich in einer relativ gesunden Bubble und in der fühle ich mich einigermaßen safe. Aktuell ist mein Fokus, mich eher schützend und unterstützend vor und hinter andere, die nachkommende Generation zu stellen. Deren Selbstwert zu supporten und sie darin zu bestärken, alles zu hinterfragen und bei sich zu bleiben.
Heuer spiele ich mal das neue Album, das ich letztes Jahr herausgebracht habe, ein bisschen live. Also es stehen einige Konzerte an. Ich spiele wieder mit einer ganz neu zusammengesetzten Band. Ich freu mich schon sehr darauf!
Ich habe im Zuge der Theaterproduktion in Linz einiges komponiert, was dann aber für das Stück nicht gepasst hat. Vor ein paar Tagen erst ist mir aufgefallen, dass das bereits die nächste Welle sein könnte (lacht).
In 12 Jahren? 2037? Ist da was Spezielles? Gute Zahl jedenfalls. Ich hoffe einfach, immer weitermachen zu können, herausgefordert zu werden. In der Branche als Frau altern zu können und dürfen und mich weiterzuentwickeln. Ich will noch so viel lernen und ausprobieren. Das Einzige, was nicht eintreten darf, ist Langeweile.
Mira Lu Kovacs ist eine österreichische Musikerin, Komponistin und Performerin. Bekannt wurde die 37-Jährige mit dem Band-Projekt Schmieds Puls (2013–2019), seit 2019 ist sie mit ihrem Soloprojekt unterwegs und zudem bei weiteren Bands aktiv, z. B. bei My Ugly Clementine und Sad Songs To Cry To. Außerdem ist sie momentan bei der Linzer Theaterproduktion „The Broken Circle“ im Einsatz.
Wer Mira live erleben möchte, kann das heuer u. a. am 26.2. im Dom im Berg in Graz, am 27.2. in den Kammerlichtspielen in Klagenfurt, am 28.2. im Treibhaus in Innsbruck, am 23. und 24. Juni im Wiener Stadtsaal, bei diversen Festivals im Sommer, z. B. am Linzer Lido Sounds und am Poolbar Festival in Feldkirch. Weitere Live-Dates:
Das Interview ist mit freundlicher Zusammenarbeit mit Headliner entstanden.
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