Christina Roth Handwerk auf höchstem Niveau

Der alte, naturbelassene Holzboden knarzt bei jedem Schritt. Es riecht nach Leder und Leim. Es riecht nach Bodenständigkeit. Die Zeit scheint vor langer, langer Zeit stehen geblieben zu sein, hier, in der 50 Quadratmeter großen Werkstatt von Christina Roth in der Salzburger Getreidegasse. So, wie die 36-jährige Handwerkerin in ihrer Lederwerkstatt näht, schleift und hämmert, so haben ihre Vorgänger*innen vor hundert Jahren auch schon gearbeitet: „Wir verwenden heute vielleicht bessere Werkzeuge als früher. Aber eigentlich bräuchten wir noch immer keinen Strom, um per Hand wunderschöne Einzelstücke zu fertigen.“

Die Lust am Neuen

Die gebürtige Steirerin war auf dem besten Weg, eine steile Businesskarriere zu machen – ehe sie sich bei einem privaten Besuch in einer Lederwerkstatt unsterblich in dieses traditionsreiche Handwerk verliebte. Anders als vielleicht manch andere Aus- und Umsteiger*innen war Christina Roth von ihrem vorherigen Beruf aber weder gefrustet, noch unter- oder überfordert.

Im Gegenteil. Aber nach fünf Jahren als Projektmanagerin bei einem großen Salzburger Energy-Drink-Hersteller und zwei weiteren Jahren in der aufstrebenden Welt der Kryptowährungen (inklusive Vorbereitung eines Börsengangs), wollte sie mit Ende 20 einfach wissen, was das Berufsleben sonst noch zu bieten hat: „Tatsächlich hatte ich nie das Gefühl, dass mir etwas fehlt oder ich etwas grundlegend in meinem Leben ändern müsste. Mir hat meine Arbeit Spaß gemacht – aber ich war neugierig und wollte neue Erfahrungen sammeln.“

Dennoch war das Handwerk anfangs in erster Linie als Ausgleich zum doch recht digitalen Alltag gedacht: „Ich habe meine Ausbildung nebenbei begonnen und mir zum Beispiel drei Wochen Urlaub genommen, um bei Tsuyoshi Yamashita, dem bekanntesten Ledermeister in Japan, einen Kurs zu absolvieren.“ Deshalb erscheint ihr der Schritt in die Selbstständigkeit selbst als gar nicht so mutig, wie er auf Außenstehende vielleicht wirken mag: „Ich bin ja nicht eines schönen Morgens aufgewacht und habe mir gedacht, dass ich jetzt mein Leben komplett umkremple. Es war eine langsame Entwicklung.“

Lederware vom Feinsten – Christina Roth bei der Arbeit
© Chris Perkles

Wir müssen Nischen finden und Dinge tun, die Maschinen nicht können. Wir dürfen nicht schnell und billig produzieren, sondern müssen mit den aufwendigsten Techniken und den allerbesten Materialien arbeiten. Und wir müssen unsere ganze Liebe und Energie in unsere Produkte stecken.

Unter Druck lernt es sich besser

Mit der bewussten Entscheidung für das Handwerk ist Christina Roth sehr zufrieden: „Ich finde die Art, wie ich heute arbeite, viel schöner. Es ist so ruhig in der Werkstatt, wir hören nicht einmal Radio. Ich konzentriere mich ganz auf die Aufgabe, die vor mir liegt.“ Ein wesentlicher Unterschied zu früher ist die haptische Komponente ihrer Tätigkeit – und das konkrete, im wahrsten Sinn des Wortes greifbare Ergebnis ihrer Bemühungen: „In der Früh suche ich mir ein Stück Leder heraus und am Ende des Tages liegt ein fertiges Produkt vor mir, das ich allein mit meinen Händen und ein paar Werkzeugen geschaffen habe.“

Bei aller Handwerksromantik kann und will Christina Roth (die zwei Masterstudien zum Thema Management in Barcelona und Graz absolviert hat) ihren Ehrgeiz gar nicht zügeln: „Ich hätte ja zu Red Bull zurückkehren und dort weiter Karriere machen können. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt nicht genauso große Ziele habe. Ich bin grundsätzlich sehr ehrgeizig. Und deshalb will ich handwerklich die Beste der Welt werden.“

Und dafür ist sie in den ersten fünf Jahren seit der Gründung ihrer CR Ledermanufaktur einen ungewöhnlichen und manchmal beschwerlichen Weg gegangen, wie sie im Gespräch mit funk tank erzählt: „Ich musste – und muss immer noch – sehr viel lernen. Deshalb habe ich zu jedem Auftrag ‚Ja‘ gesagt. Auch und gerade, wenn ich nicht wusste, wie das eigentlich funktioniert. So war ich stets gezwungen, mir selbst neue Techniken beizubringen. Ich hätte es mir leicht machen und mich von Anfang an auf Geldbörsen und Reisepass-Hüllen spezialisieren können. Aber so war ich unter Druck gezwungen, mich und meine handwerklichen Fähigkeiten stetig zu verbessern.“

Muskulöse Hände

Die Bandbreite von Produkten, die Christina Roth in ihrer Ledermanufaktur herstellen kann, ist groß; sie reicht von jeder Art von (maßgefertigten) Taschen und Gürteln über Geldbörsen und Uhrbänder hin zu Gerätehüllen und edlen Buch- und Speisekarten-Einbänden. Was sie – anders als in ihren früheren Jobs – dafür nicht braucht, ist ein Computer: „Den verwende ich nur für die Buchhaltung und um Anfragen von Kundinnen und Kunden zu beantworten. Ansonsten arbeite ich so, wie schon vor hundert Jahren gearbeitet wurde und zeichne Schnittmuster nicht digital, sondern traditionell am Karton.“

Die Beschäftigung mit dem robusten Werkstoff Leder verlangt sehr viel Geduld – und körperliche Kraft; je nach Größe einer Tasche oder eines Gürtels sind zum Beispiel Dutzende, ja Hunderte Nadelstiche notwendig: „Es gibt Fotos aus meinen Anfangstagen, da waren meine Finger viel zarter als heute. Durch die Arbeit mit Leder sind meine Hände wesentlich muskulöser geworden.

Lederware und Arbeitsmaterial vom Feinsten – Christina Roth bei der Arbeit
© Chris Perkles

Ich bin grundsätzlich sehr ehrgeizig. Und deshalb will ich handwerklich die Beste der Welt werden.

Maurerin statt Architektin

Gleichzeitig – und auch das fasziniert Christina Roth – verlangen edle Lederwaren sehr viel Gefühl und ein sehr gutes Auge: „Eine Geldbörse besteht aus rund 20 Teilen und alle sind unterschiedlich dick. Wenn wir Leder spalten, bewegen wir uns im Bereich von Zehntelmillimetern. Damit das Produkt am Ende schön in der Hand liegt, muss ich sehr präzise arbeiten.“

Ein Großteil ihrer Werke sind Auftragsarbeiten: „Ich muss gestehen, dass ich selbst keinen großen kreativen Anspruch habe und nicht zwingend jeden Tag irgendetwas Neues designen muss. Kreativ bin ich vor allem in der Wahl meiner Techniken: Wie kann ich Wünsche meiner Kundinnen und Kunden am besten umsetzen? Wenn man so will, dann bin ich eher eine Maurerin, die das Haus aufzieht, und weniger die Architektin, die dieses Haus plant …“

Ein Ort atmet Geschichte

Christina Roth hat ihren Betrieb 2019 an einer prominenten Adresse eröffnet: in der Getreidegasse, mitten in der Salzburger Altstadt, in einem mehr als 500 Jahre alten Gebäude; das elegante Stiegenhaus ist mit edlem Marmor verkleidet. Im Erdgeschoss ist jener Schmiedebetrieb beheimatet, der seit Generationen die berühmten schmiedeeisernen Zunftzeichen in Salzburgs exklusivster Fußgängerzone herstellt.

Natürlich war die Location gerade am Anfang eine zusätzliche finanzielle Bürde, sagt Christina Roth: „Aber man muss dem Handwerk und seiner großen Tradition Respekt zollen. Außerdem ist es für mich selbst ein viel schöneres Gefühl, jeden Morgen durch dieses geschichtsträchtige Gassengewirr zur Arbeit zu gehen, als irgendwo in einem gesichtslosen 70er-Jahre-Bau neben irgendeiner dreispurigen Straße zu sitzen.“

Einfach nur stolz

Für ihren Traum war – und ist – Christina Roth bereit, große Mühen und Strapazen auf sich zu nehmen. Um ihr Gewerbe überhaupt anmelden und ausüben zu dürfen, absolvierte sie im niederösterreichischen Lilienfeld die Berufsschule: „Ich musste mir die Ausbildung selbst finanzieren, konnte aber nebenbei nicht viel arbeiten.“

Auch der Aufbau der Werkstatt war von entbehrungsreichen Versuchen und Irrtümern begleitet: „Natürlich braucht man Werkzeug und gewisse Maschinen. Wenn du dir einen Hammer kaufst und dann draufkommst, dass es doch nicht der richtige ist, hast du halt 35 Euro in den Sand gesetzt. Aber wenn du dir eine Spaltmaschine um 7.000 Euro kaufst, fünf Monate darauf wartest, die Stromleitungen umbauen musst – und dann draufkommst, dass dieses 250 Kilo schwere Trumm doch nicht so funktioniert, wie du es dir erwartet hast, ist das sehr frustrierend.“

Dazu kam speziell in den ersten Jahren die Unzufriedenheit mit den eigenen Fähigkeiten, sagt Christina Roth: „Du hast ein Bild im Kopf und weißt theoretisch genau, was du machen müsstest. Aber deine Hände schaffen es einfach nicht, diese Ideen umzusetzen.“ Umso schöner ist das Gefühl, wenn ein Projekt schlussendlich doch perfekt gelingt – wie zuletzt der eigenhändige Nachbau einer legendären Birkin Bag aus dem Hause Hermès: „Sie ist nicht für den Verkauf gedacht. Ich wollte nur wissen, ob ich es technisch kann. In solchen Momenten vergisst man all die Opfer, die man bringen musste, und ist einfach nur stolz.“

Das Handwerk darf nicht aussterben

Christina Roth gibt ihre Begeisterung für traditionelles – und traditionsreiches – Handwerk mit großer Leidenschaft weiter. Und das nicht nur, weil es ihr Freude macht, ihr Wissen weiterzuvermitteln, sondern auch aus einem ideellen Ansatz: „Wir müssen alle in die Gesamtentwicklung dieses Kulturguts einzahlen. Wenn jeder nur auf sich schaut, wird das Handwerk nämlich irgendwann aussterben.“

Ihr Lehrling Carolina ist aktuell tatsächlich eine von nur zwei angehenden Ledergalanteriewarenerzeuger*innen in ganz Österreich: „Ich war damals sogar die einzige in meinem Jahrgang. Das hat mir schon damals zu denken gegeben: Wenn nur ein oder zwei Menschen von acht Millionen im Land diesen Beruf erlernen wollen, dann muss irgendjemand zeigen, wie schön dieser Beruf ist.“

Diese Rolle übernimmt sie nicht nur, indem sie ihren Arbeitsalltag immer wieder auf ihren Social-Media-Kanälen dokumentiert, sondern auch mit Online-Kursen oder Workshops direkt in ihrer Werkstatt: „Und zuletzt war ich deshalb wieder einmal für eine Woche in den Niederlanden. Ich liebe es ganz einfach, mein Wissen und meine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen, die sich fürs Handwerk begeistern.“

Lederware und Arbeitsmaterial vom Feinsten – Christina Roth bei der Arbeit
© Chris Perkles

Wir alle tragen Verantwortung

Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema in Christina Roths Philosophie – bei der Herkunft des Leders aus dem EU-Raum ebenso wie bei den Gerbmethoden: „Ich achte darauf, dass das Leder möglichst chromfrei und im Optimalfall rein pflanzlich gegerbt wurde. Du spürst einfach den Unterschied, ob Leder chemisch in zwei Stunden in einer riesigen Trommel gegerbt wurde oder langsam und schonend, so wie früher.“

Es sind diese Details, die ihre Arbeit von Massenware unterscheiden, sagt Christina Roth, die sich große Gedanken über die Zukunft des Handwerks ganz allgemein macht: „Wir müssen Nischen finden und Dinge tun, die Maschinen nicht können. Wir dürfen nicht schnell und billig produzieren, sondern müssen mit den aufwendigsten Techniken und den allerbesten Materialien arbeiten. Und wir müssen unsere ganze Liebe und Energie in unsere Produkte stecken.“

Lederwaren können zudem repariert und restauriert werden (ein wichtiger Teil von Christina Roths Geschäftsmodell): „Mir ist bewusst, dass Lederverarbeitung per se nicht das Allerbeste fürs Tierwohl ist. Aber wenn ich hundert Jahre alte Taschen zum Restaurieren bekomme und sehe, in welch gutem Zustand das Material immer noch ist, dann ist das doch ein Beweis für nachhaltige Qualität.“ Und natürlich liegt es in unser aller Verantwortung, beim Shopping bewusste Entscheidungen zu treffen: „Ich kann mir 25 billige Plastikgürtel kaufen, die zwar vegan sind, aber nach kurzer Zeit kaputt gehen. Ich kann aber auch in ein, zwei schöne Ledergürtel investieren, mit denen ich viele Jahre meine Freude hab’ …“

Es geht voran

Christina Roth blickt der Zukunft motiviert und voller Ideen entgegen. Ihr Betrieb soll weiter wachsen und das Angebot erweitert werden. Ein Webshop ist gerade in Planung, außerdem wälzt die Steirerin den Gedanken, mit ihrer Werkstatt in die alte Heimat zurückzukehren und in Salzburg ein Showatelier mit Verkaufsfläche zu eröffnen. Die Rückkehr in die Steiermark wäre aber kein Schritt zurück. Im Gegenteil: „Ich mache einfach Dinge, die ich mag und die mir guttun.“

Christina Roth, 36, ist Ledergalanteriewarenherstellerin und führt in der Salzburger Altstadt ihre CR Lederwerkstatt, wo sie nicht nur exklusive Einzelstücke herstellt, sondern auch alte Lederprodukte restauriert und repariert. Ihr Wissen gibt die gebürtige Steirerin gern an andere handwerksbegeisterte Menschen weiter.

Christina Roth

Kurze Nächte im „neuen Norden“ Tallinn

Am „Raekoja plats“, dem Rathausplatz von Tallinn, reihen sich die Cafés mit Gastgärten rund um das mittelalterliche Ensemble. Die Pflastersteine der Stadt zeugen von einer alten Geschichte. Schon im Mittelalter war Tallinn als Hansestadt wichtiger Handels- und Knotenpunkt. Heute ist die estnische Hauptstadt einmal mehr im Fokus internationaler Beziehungen.

Am Nebentisch spricht ein älterer britischer Soldat, schon ein paar Guinness intus, über Kampferfahrungen aus früheren Zeiten. Über der Stadt fliegen NATO-Helikopter Richtung russischer Grenze. Der nördlichste der drei baltischen Staaten mit nur knapp 1,5 Millionen Einwohner*innen ist auch Schauplatz der neuen Konfliktlinie zwischen Russland und dem Westen. Obwohl diese Gegebenheiten präsent sind, könnte man sie im Herzen der Altstadt fast vergessen. Denn die „am besten erhaltene mittelalterliche Altstadt“ mit UNESCO-Gütesiegel wirkt an manchen Ecken tatsächlich wie die Kulisse aus einem Märchen- oder Fantasyfilm. Von den Aussichtsplattformen hoch über der Stadt sieht man in der Architektur gut die verschiedenen Einflüsse auf Land und Stadt. Die Handelshäuser der vergangenen Hansestadt, die realsozialistischen Betonmonumente der Sowjetzeit und viele skandinavisch anmutende Bauten mit Ziegelsteinen und Holzdächern. Doch eines der zentralen Kernelemente des jüngeren Estlands drückt sich nicht unbedingt durch die Architektur und Analoges aus (von ein paar verstreuten Glashochhäusern abgesehen).

Der mittelalterliche Rathausplatz mit Cafes und Schanigaerten in Tallinn
Der mittelalterliche Rathausplatz mit Cafés und Schanigärten © Fergus Sweeney

Digitale Pionierarbeit

In den letzten Jahren hat sich Estland zum digitalen Pionier entwickelt. Als kleines Land setzte man schon früh voll auf die Digitalisierung in sämtlichen Gesellschaftsbereichen. Bei Amtswegen von der Hochzeit bis zur Firmengründung. Aber auch im öffentlichen Nahverkehr, den Restaurants und beim Einchecken im Hotel wird alles digital und sehr unkompliziert gehandhabt. Und viele der Möglichkeiten sind auch für Tourist*innen verfügbar. Mit der sogenannten e-residency kann man auf der ganzen Welt um ein paar hundert Euro einen virtuellen Wohnsitz in Estland beantragen, die Bestätigung zum Abholen gibt es dann bei der estnischen Botschaft/dem Konsulat ein paar Tage später. Besonders gerne genutzt wird die e-residency natürlich zur Firmengründung, nicht nur für globale Unternehmen, die eine virtuelle Niederlassung in der EU wollen, sondern auch von vielen europäischen, etwa aus Deutschland, die den vergleichsweise schnellen und unbürokratischen Ablauf schätzen.

Über 105.000 e-residents aus 176 Ländern gibt es, diese haben in den letzten Jahren über 27.000 Firmen gegründet.
Durch das Programm und andere verschiedene digitale Initiativen der letzten Jahre wurde ein Ökosystem geschaffen, das Firmen wie den Uber-Konkurrenten Bolt, mittlerweile ein globales Milliardenunternehmen, hervorgebracht hat. Menschen aus der ganzen Welt gründen hier nicht nur ihre Firma, sondern sind auch immer öfter physisch vor Ort. Gleichzeitig gibt es rege internationale Austauschprogramme für Student*innen, die der Stadt (460.000 Einwohner*innen) ein kosmopolitisches Flair geben.

Am Rand der Altstadt findet sich moderne Street Art in Tallinn
Am Rand der Altstadt findet sich moderne Street Art © Fergus Sweeney

Saunas und Startups

Ein Fixpunkt der neuen digitalen Szene ist das Latitude 59 Festival, das Ende Mai zum 12. Mal auf einem ehemaligen Fabrikgelände in der Nähe des Tallinner Hafens stattfindet. Zusätzlich werden, verteilt auf die Stadt, mehrere Side-Events geboten. Investor*innen, Startups und Expert*innen aus der ganzen Welt kommen hier für drei Tage zusammen, um sich auszutauschen und die Zukunft auszuloten. Das passiert nicht nur in klassischen Event-Räumen, sondern auch in Örtlichkeiten wie dem Sauna-Treffpunkt Iglupark, wo man direkt von der Schwitzhütte den Sprung ins Baltische Meer zur Abkühlung nehmen kann.

„Wir haben hier im Baltikum eine besondere Situation. Die Grenzen, die wir aus der jüngeren Geschichte gewohnt waren, gelten nicht mehr. Das Baltikum hat, auch historisch, so viele Gemeinsamkeiten mit den skandinavischen Ländern“, erzählt Vincent Weir im Rahmen des Festivals. Der junge Amerikaner ist über mehrere Umwege aus Texas in Stockholm gelandet. Dort hat er mehrere Funktionen bei Fonds und Netzwerken und ist im ständigen Austausch mit baltischen Startups und Entscheidungsträger*innen. „Ich spreche daher gerne von den New Nordics, die sich vor allem durch Kooperation und Innovation auszeichnen. Dazu kommt eine Prise gesundes Wettbewerbsdenken und der Wunsch, die Herausforderungen der Gesellschaft bezüglich Lebensqualität, sozialen Standards und Nachhaltigkeit zu meistern“, so Weir. Diesen Zugang teilen viele der Festival-Gäste, die estnischen ebenso wie die angereisten.

Abkühlen und Sonnen im Baltischen Meer nach dem Saunagang im Iglupark in Tallinn
Abkühlen und Sonnen im Baltischen Meer nach dem Saunagang im Iglupark © Fergus Sweeney

In den letzten Jahren hat sich Estland zum digitalen Pionier entwickelt. Als kleines Land setzte man schon früh voll auf die Digitalisierung in sämtlichen Gesellschaftsbereichen.

Bunte Farben und AI-Visuals bei einer Afterparty des Latitude 59 Festival in Tallinn
Bunte Farben und AI-Visuals bei einer Afterparty des Latitude 59 Festival © Fergus Sweeney

Die Stadt im Kreislauf

Diesen Mindset findet man nicht nur im Rahmen des Festivals, wo es keine Wegwerfbecher und Verpackungen gibt, sondern auch an anderen Orten in der Stadt. So gibt es beispielsweise an jedem Mülleimer eigene Recycling-Fächer, generell wird die Kreislaufwirtschaft hier großgeschrieben. Zahlreiche Pilotprojekte testen, etwa im Bereich der Logistik, emissionsfreie Alternativen zum Status quo. Auch in der lokalen Wirtschaft ist der Nachhaltigkeitsgedanke stark verankert. Etwa im Restaurant Rataskaevu 16, wo von einem jungen Team frische regionale Zutaten aus dem Meer und dem waldreichen Umland mit frischem Brot serviert werden. Qualität, Preis-Leistungs-Verhältnis und die kulinarische Vielfalt der Stadt überzeugen.

Aufgrund der verhältnismäßig hohen Lage kommt in den Sommermonaten hinzu, dass die Sonne gefühlt kaum untergeht, auch nach 22 Uhr scheint sie noch und ist bereits um 4 Uhr in der Früh wieder da – kurze Nächte sind also vorprogrammiert. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf das Gemüt der Menschen und sorgt für jede Menge Energie. Im Gespräch mit der lokalen Bevölkerung hört man allerdings durchaus durch, dass es in den Wintermonaten genau umgekehrt ist. Daher werden die Sommermonate besonders genossen.

Von Wien aus fliegt Ryanair 2x wöchentlich direkt nach Tallinn, ansonsten gibt es Flüge über Riga oder Helsinki (mit der Fähre nur 2 Stunden entfernt, mehrere Verbindungen täglich).

Zahlungsmittel ist seit 2011 der Euro. Zahlreiche Hotels befinden sich in der mittelalterlichen Altstadt oder rund um den Hafen.

Der öffentliche Verkehr ist bestens ausgebaut (auch zum Flughafen), die meisten Sehenswürdigkeiten sind fußläufig erreichbar, zusätzlich gibt es den Fahrtendienst Bolt (mit dem auch Räder und Roller ausgeliehen werden können) und klassische Taxis.

Visit Tallinn

Frischer Ohrenschmaus von Sonos

Sonos Ace nennt sich der erste Kopfhörer von Sonos, und das ist schon mal eine Ansage. In einem Segment, wo globale Player wie Sennheiser, Sony oder Bose mit jahrzehntelanger Erfahrung Consumern und Audiophilen gleichermaßen die Ohren umschmeicheln, hat man es als Newcomer schwer. Selbst Kopfhörer wie Beats by Dre werden mehr als Accessoire statt ernstzunehmendes Hi-Fi-Produkt wahrgenommen, und sogar Gigant Apple wägt seine Schritte in dem Segment vorsichtig ab. Kein Wunder, sind doch die Kund*innen in den letzten Jahren mit zig Features verwöhnt: Noise Cancelling, perfekte Soundqualität via Bluetooth oder Kabel, höchster Tragekomfort, natürlich eine App dazu und last but not least ein Design, mit dem man sich sehen lassen kann. Knifflige Vorgabe!

Ass beim ersten Aufschlag

Wenn man also den Sonos Ace auspackt, fällt einem gleich das elegante Aufbewahrungsetui auf. Hergestellt aus 75 % recyceltem Filz aus Plastikflaschen, enthält es den flach zusammengelegten Kopfhörer – erhältlich in Weiß oder Schwarz – sowie zwei Kabel. Eines mit USB-C-Anschlüssen an beiden Enden zum Laden des Ace, eines fungiert als USB-C zu 3,5 mm Klinke, für den Fall, dass man kabelgebunden hören möchte. Der Kopfhörer selbst ist robust und schlicht designt, besteht ebenfalls aus recycelbaren Materialien bzw. veganem Lederimitat und sitzt auf Anhieb gut auf dem Kopf und über den Ohren. Das Pairing und die Tonübertragung via Bluetooth 5.4 funktionieren einwandfrei, auch die App ist intuitiv und verrät einige Funktionen, auf die ich später noch zurückkomme.

Die Bedienung erfolgt über haptisch gut ertastbare Schalter, auf ein Touchpanel hat man bewusst verzichtet. Unter anderem aus dem Grund, damit zwischen den 40 mm Treibern und der Außenschale der Kopfhörer keine störende Elektronik befindet. Apropos Elektronik: Diese ist kompakt verbaut, abgesehen von den Treibern befinden sich insgesamt acht Mikrofone am Gerät, um Umgebungsgeräusche für das Active Noise Cancelling (ANC) oder Sprache in der Funktion als Headset aufzunehmen. Und noch mehr, aber auch dazu später!

Beim Noise Cancelling gibt es fast die Höchstnote, denn das Ausblenden der Umwelt ist hier auf einem Level mit den eingangs erwähnten Mitbewerber*innen erste Sahne. Allerdings mit einem kleinen Manko: ANC lässt sich nur ein- oder ausschalten, es gibt keine Möglichkeit, einen eigenen Mix via App zu erstellen. Die Soundqualität ist sehr gut, der recht lineare Frequenzgang (ohne den bei Consumer-Produkten unnötigen Bass-Boost) sorgt für ermüdungsfreies Hören. Getestet auf einem Flug nach London: 2,5 Stunden Netflix-Mäusekino am Smartphone ohne Dauergequatsche, Babygeschrei und Turbinenbrummen, dafür mit einwandfreiem Kinosound. Bravo! Den Akku scheint das sowieso kaum zu kümmern, der blieb fast voll. Kein Wunder, laut Herstellerangabe hält er auch mit ANC bis zu 30 Stunden. Falls er doch mal leer wird: Eine Quickcharge-Funktion pumpt in nur drei Minuten Saft für drei Stunden in den Kopfhörer!

Moodbild Sonos Ace Kopfhörer
© Sonos

Getestet auf einem Flug nach London: 2,5 Stunden Netflix-Mäusekino am Smartphone ohne Dauergequatsche, Babygeschrei und Turbinenbrummen, dafür mit einwandfreiem Kinosound. Bravo!

Auch daheim ein Winner

Kommen wir zu den angeteaserten Zusatzfunktionen. Sonos war so nett, mir zum Testgerät auch den High-End-Soundbar Sonos Arc bereitzustellen, denn in den eigenen vier Wänden spielt der Kopfhörer dann noch einige zusätzliche technische Gustostückerl. Verbunden mit der Soundbar und gesteuert über die App, können die Headphones mit der sogenannten True Cinema-Funktion die Raumakustik vermessen und durch Room Modeling den Charakter der Raumakustik via Soundbar auch im Kopfhörer exakt abbilden. Wenn man also im Beisein von Partner*in oder Familie den TV-Ton nur im Kopfhörer haben möchte, hört man genau so wie mit der Soundbar.

Doch der wahre Clou ist das dynamische Head Tracking. Der Sonos Ace erkennt via Bewegungssensoren die Standardposition des Trägers/der Trägerin und in weiterer Folge, wo beim Ton „vorne“ ist. Bewegt man nun den Kopf, bleibt dieses „vorne“ auch relativ zur Kopfposition dort – das räumliche Klangbild bleibt in 3D-Audio mit Dolby Atmos erhalten. Witzigerweise funktioniert das auch mit dem Handy, im Flugzeug blieb der Dialog vom Film auch bei einem Blick aus dem Fenster da, wo er gefühlt herkommt, nämlich beim Bildschirm.

Gibt es irgendwas zu bemängeln? Ja, aber nur wenig. Wie schon erwähnt, wäre es fein, wenn man den Grad des ANC steuern könnte, auch ein wenig mehr Möglichkeiten beim Equalizer wären wünschenswert. Punkto Komfort ist er bei der typischen „Um-den-Hals-geschlungen“-Trageweise nicht sehr bequem, man kann die Ohrhörer auch nur in eine Richtung umklappen – genau so nämlich, dass man beim Aufsetzen nicht gleich die richtige Seite links bzw. rechts hat. Dies ist aber am Kopfhörer selbst dank einiger deutlich erkennbarer Markierungen problemlos ersichtlich.

Fazit

Für Erstlinge ist der Ace ein grundsolides, technisch und optisch einwandfreies Produkt, das mit dem alteingesessenen Mitbewerb locker mithalten kann. Teilweise sogar mehr als das: Die tauschbaren Ohrpolster sind mittels Magneten befestigt und nicht mit umständlichen Bajonettverschlüssen, die Einbindung ins Home-Entertainment via Sonos Arc sucht ihresgleichen. Für diese freilich heißt es, ziemlich in die Tasche greifen. Muss aber nicht sein, der Ace ist auch singulär ein tadelloses Gerät für unterwegs und daheim, mit einem UVP von 499 Euro bewegt er sich preislich durchaus im selben Feld wie ähnliche Produkte.

Der kalifornische Hersteller Sonos ist für seine innovativen Lautsprecher und Hi-Fi-Produkte bekannt. Mit dem Sonos Ace hat das Unternehmen jetzt erstmals einen Kopfhörer auf den Markt gebracht.

Sonos

Exzellenz am Tresen

Geboren in Washington, D.C., Volksschule in Penzing und Peking, dann Nigeria und wieder Penzing. Man ahnt es schon: Paulines Eltern sind entweder handwerklich viel auf Montage, Reporter*innen, Armeeangehörige – oder im diplomatischen Korps. Nun, Letzteres ist zutreffend. Und obwohl es naheliegend gewesen wäre, mit elterlichem Rückenwind eine ähnliche Laufbahn einzuschlagen, entschied sich die junge Polly dann doch ganz anders. Nämlich für die Gastronomie. So viel zu den Klischees über Diplomat*innenkinder. Das polyglotte Mädel entwickelte schon früh ein Faible für Drinks und das Mixen dieser. Und damit sind nicht die Teenager-typischen Kreationen wie Cola Rot und Vodka Bull gemeint, sondern ausgeklügelte Cocktails. Es folgte eine Lehre zur Restaurant- und Hotelfachfrau und im fliegenden Wechsel ging es gleich weiter in die heiligen Hallen der Academy of Modern Bartending in München.

Spirituosen-Expertin Polly Scholz mit Gin-Flasche
© Kurt Keinrath

My Bar is my Castle

Freilich lernt man einen anspruchsvollen Job wie Bartender nicht nur in Berufsschule und Akademie, sondern in erster Linie im knochenharten Alltag (oder Allnacht?). Also hieß es Vollgas geben am Christkindlmarkt und bei diversen Events wie Harley-Treffen oder Gin-Markt – da kommt man mit Kreativität und Wissen allein nicht weiter. Ausdauer, Belastbarkeit und Charme sind das zusätzliche, unentbehrliche Rüstzeug, das Polly so schon früh in die Arbeit am Bartresen mitbrachte. Und so ist es wenig verwunderlich, dass die junge Dame mit nicht mal 25 Lenzen den begehrten Titel „Chef de Bar“, noch dazu im renommierten Wiener Hotel Sans Souci, führen durfte. Mit wöchentlichen Cocktailkursen und Champagner-Tastings schärfte sie dort nicht nur ihre Getränke-Expertise, sondern Storytelling und ein gewisses pädagogisches Element. Fähigkeiten, die ihr wenig später völlig neue Möglichkeiten eröffneten.

Die Oberliga ruft

Ein schöner Job und guter Ruf allein nützen natürlich auf Dauer wenig, wenn man hungrig bzw. durstig nach mehr ist. Ein Wechsel in die seit Jahren schwer angesagte Wiener Josef Cocktail Bar katapultierte Polly schließlich mitten ins Interesse von Presse und Industrie. Mit einem zweiten Platz bei der Worldclass 2022, der Auszeichnung zur „Rookie Bartenderin des Jahres“ durch Falstaff sowie Siegen bei der Worldclass Speed Challenge in der DACH-Region und der prestigeträchtigen Laphroaig-Challenge waren alle Augen der Branche auf Polly gerichtet. So auch meine, vor allem aufgrund der letzteren Auszeichnung, denn als Whisky-Fetischist (ganz besonders Islay) war ich beim ersten Schluck eines ihrer Signature-Cocktails überzeugt.

Spirituosen-Expertin Polly Scholz bei der Arbeit
© Aaron Jiang Photography

Nicht wenige Männer meines Alters stellen sich beim schottischen Destillat oft ein wenig weinerlich an. Nicht so Polly.

Internationales Parkett

Immer wieder konnte ich bei diversen Events Pollys erstaunlich tiefes Wissen um Produkte, Gefühl für Mixkunst und vor allem kreativ (jedoch nicht unnötig fancy) gemixte Ideen bestaunen. Davon angetan war auch der japanische Spirituosen-Riese Suntory, der mit Topmarken wie Jim Beam, Maker’s Mark, Hibiki, Roku, Bowmore oder Laphroaig zu den wichtigsten internationalen Playern im Spirituosen-Business zählt. Noch während Polly an der angesehenen IHK-Akademie in München ihre Barmixer-Gesellin absolvierte – die Barmeisterin ist gerade in Arbeit – angelten sich die Japaner Polly als Brand Ambassador. Und so schließt sich der Kreis: die Eltern Botschafter*innen, die Tochter auch. Anders halt. Eine ehrenvolle, aber auch verantwortungsvolle Aufgabe, denn es gilt nicht nur, die Produkte und Philosophie des Konzerns zu repräsentieren, sondern auch reichlich Wissen anzusammeln.

Jet, Set, Go!

Dazu gehört vor allem das Kennenlernen der Ursprünge von Produkten wie Whisky oder Gin. Bei einer gemeinsamen, von Suntory gesponsorten Reise mit einer fröhlichen Truppe an Expert*innen und Journalist*innen zu den Islay-Brennereien Bowmore und Laphroaig lernte ich Polly näher kennen. Immer professionell, freundlich und konzentriert bei der Arbeit, aber auch ausgesprochen ausdauernd und trinkfest in der Freizeit. Work hard, party hard – wichtige Eigenschaften, die ich bei Erwachsenen leider oft vermisse. Erst recht bei einer so schwierigen Materie wie dem extrem rauchigen, getorften Whisky der Insel. Nicht wenige Männer meines Alters stellen sich beim schottischen Destillat oft ein wenig weinerlich an. Nicht so Polly. Sehr ungewöhnlich und sehr sympathisch, wenn eine junge Dame aus gutem Haus Whisky bechern kann wie ein schottischer Matrose, jedoch dabei ganz klar unterscheiden kann, ob Sherryfass oder Virgin Oak hier eine Rolle spielt, welcher weiße Portwein dazu einen guten Cocktail-Partner abgäbe und welches Glas wohl passen würde. You get the idea. Drink-Nerds, unite!

Aktuell ist Polly gerade von einer umfangreichen Tour durch japanische Destillerien zurück. Die Chancen stehen gut, sie dort und da und überall in bekannten Bars bei einem Gastauftritt anzutreffen. Ein Tipp von mir: Fragt sie dann nach einem „Islay Chipmunk“ und der Geschichte dazu …

Pauline „Polly“ Scholz, Jahrgang 1997, ist als Brand Ambassador mit dem Abhalten von Tastings, Masterclasses und Guestshifts beschäftigt. Zuständig für das gesamte japanische Portfolio von House of Suntory, stärkt sie als Markenbotschafterin die Marktposition in der Gastronomie. Die persönliche Betreuung der Barszene ist nicht nur ihre professionelle Verantwortung, sondern auch persönliche Leidenschaft.

Polly Scholz – Instagram

Der Ziachameister

Die Liebe zur Musik, erzählt Andreas Nöß, ist ihm praktisch in die Wiege gelegt worden. „Zu meinen frühesten Erinnerungen zählt, dass meine Eltern Mitglieder einer Dreig’sang-Gruppe waren und zu Hause geprobt haben. Seit ich reden konnte, bin ich daneben gesessen und habe mit meiner Mama die erste Stimme mitgesungen.“ Seine eigentliche Bestimmung ist aber die Ziehharmonika, umgangssprachlich die „Ziach“. „Mich hat von Anfang an fasziniert, dass du gleichzeitig Melodie und Bass spielen kannst. Du brauchst niemanden sonst für eine g’scheite Musi‘.“

Dabei hat der 28-jährige Oberbayer durchaus ein großes Herz für harmonievolles Gruppengefüge – sei es früher mit dem punkig wilden Wamba Brass Club oder heute nebenbei mit seinen zünftigen Schreinerbuam. „Tatsächlich habe ich kurz mit dem Gedanken an eine Karriere als Profi-Musiker gespielt. Aber um mit den großen Kalibern mithalten zu können, hätte ich schon viel früher wesentlich intensiver üben müssen.“ Lieber wurde er Harmonikabauer – oder, wie es so schön im Amtsdeutsch heißt: Handzuginstrumentenmacher. „So kombiniere ich meine Begeisterung für die Musik mit der Leidenschaft fürs Handwerk und der Faszination für die Ziach.“

Portrait des Harmonikabauers Andreas Nöß auf dem Berg
© erlebe.bayern/Bernhard Huber

Instrumente statt Möbel

Andi stammt aus Steingaden, einem bayerischen Erholungsort mit rund 3.000 Einwohner*innen, in der Nähe von Schloss Neuschwanstein und unweit der Grenze zu Österreich. Einige Gipfel der Tannheimer Berge in Tirol sind bei klarem Wetter schön zu sehen. Volksmusik gehört hier – unbeschadet von jeglicher (österreichischer) Leitkultur-Debatte – zum guten Ton, zum Alltag. „Steingaden ist ein ruhiger Ort – aber es hat gut zehn Kneipen und Lokale, in denen immer was los ist. Außerdem hat es ein unglaublich aktives Vereinsleben. Egal, ob Musikverein, Trachtenverein, Fischereiverein oder Schützenverein, alle versuchen, die Jugend mit einzubinden.“

Gelernt hat Andi sein Handwerk beim traditionsreichen Harmonikabauer Öllerer in Freilassing, die Meisterprüfung hat er 2018 als Jahresbester abgelegt. Ehe er die Ausbildung beginnen durfte, absolvierte er auf Empfehlung seines Lehrherren noch eine Schreinerlehre (das bayrische Äquivalent zum österreichischen Tischler). „Das ist auch ein schöner Beruf. Aber ich baue lieber Musikinstrumente als Möbel.“ Seine Entscheidung, die Werkstatt dem Rampenlicht vorzuziehen, bereut er keinen Moment. „Ich bin so zufrieden mit meinem Leben, dass ich mit niemandem auf der Welt tauschen möchte, nicht einmal für einen Tag.“

Forscher Geist

Andi, der im Herbst zum zweiten Mal Vater wird, hat sich seine Werkstatt im Untergeschoß des Wohnhauses eingerichtet. Hier, in seinem knapp 20 Quadratmeter großen Reich, verbindet der Ziachameister volkstümliche Tradition mit moderner Technik, wobei er die Tradition des beliebten Volksmusikinstruments mit einem spitzbübischen Augenzwinkern betrachtet. „Schau, im Vergleich zur Geige oder zu diversen Blasinstrumenten steckt die Harmonika mit ihren knapp 200 Jahren ja quasi noch in den Kinderschuhen.“

Dementsprechend groß sind aus seiner Sicht die Verbesserungsmöglichkeiten, an denen er gemeinsam mit Hardi Schmid, dem Schreiner seines Vertrauens, tüftelt. „Wir schauen ganz genau, welche Wehwehchen dieses Instrument hat und wie wir sie in den Griff bekommen.“ Besonders intensiv haben sie sich zuletzt mit der komplexen Anordnung der einzelnen Tastenhebel im Inneren des Instruments befasst. „Wir haben eine neue Diskantmechanik entwickelt und zum Patent angemeldet.“ Wie die Verbesserung im Detail zustande kommt, kann und will Andi („Betriebsgeheimnis!“) nicht erklären. Nur so viel: „Von außen kannst du keinen Unterschied erkennen. Aber der Spieler/die Spielerin merkt, dass das Spielgefühl wesentlich geschmeidiger ist.“

Detailaufnahme einer steirischen Harmonika, die von Andreas Nöß gebaut wurde
© erlebe.bayern/Bernhard Huber

Klang nach Maß

2019 hat sich Andi, der neben der Ziach auch Gitarre und Posaune spielt, mit seinem Meisterbetrieb „Nöß Harmonikabau“ selbständig gemacht. Mit einem speziellen Angebot an maßgefertigten, sechs bis siebeneinhalb Kilo schweren „Ziacha“ (wie die Mehrzahl korrekterweise heißt). Wobei die Wahl des Holzes tatsächlich in erster Linie optischen Vorlieben folgt, weil die Tonerzeugung über die metallenen Stimmplatten im Inneren entsteht und nicht – wie etwa bei Geigen oder akustischen Gitarren – über den Korpus.

„Im Endeffekt“, verspricht der Instrumentenbauer, „können wir alles individualisieren, von den Tonarten über das Material der Knöpfe hin zur Balgfarbe und dem Muster der Tragegurten.“ Wobei das, wie er sagt, andere Ziach-Hersteller*innen natürlich ebenfalls anbieten. „Auf Wunsch kann ich aber auch die Mechanik des Instruments und damit den Tastendruck ganz individuell den Ansprüchen der Spieler anpassen. Und das Tremolo, also die Schwebung und damit das Klangbild von ganz flach bis richtig krachig, kannst du dir bei uns ebenfalls maßfertigen lassen.“

Was Andi, der sich auch mit dem Reparieren von Harmonikas regional einen guten Namen gemacht hat, hingegen nicht anbietet, sind Instrumente für Linkshänder*innen, wie er lachend hinzufügen möchte. „Wenn ich alles seitenverkehrt aufbauen müsste, wären die Fehlerquellen unüberschaubar. Da ist es wirklich g’scheiter, du lernst, wie ein Rechtshänder/eine Rechtshänderin zu spielen …“

Die erste Ziach für Stofferl Well

Die allererste Ziach aus dem Hause „Nöß Harmonikabau“ spielt übrigens eine (Volks-)Musiklegende, die weit über die bayerischen Grenzen hinaus bekannt ist. Christoph „Stofferl“ Well, jüngster der drei Well-Brüder, die schon unter dem Namen Biermösl Blosn Volksmusik mit satirischen Texten verbunden haben und immer noch gemeinsam mit Gerhard Polt (und manchmal mit dem Toten Hosen-Frontmann Campino) für urige und gleichzeitig ironische Stimmung sorgen. „Der Stofferl hat vor ein paar Jahren eine Sendung für den Bayerischen Rundfunk bei uns gedreht. Da ging es eigentlich um meine damalige Band, aber danach hat er sich sehr für meine Ziach interessiert und gesagt: „Wenn du dich dann einmal selbständig machst, dann baust du dein erstes Instrument für mich!“

Und das hat Andi gemacht. „Als es so weit war, habe ich ihn angerufen und ihn gefragt, ob sein Angebot noch steht, und er hat gesagt: „Logisch!“ Der Arbeit für Stofferl Well gingen – wie immer bei Maßanfertigungen – wichtige Gespräche voraus. „Er hat sich für eine kleine Ziach, eine Dreireiher entschieden, weil große Instrumente für ihn unhandlich sind. Gestimmt haben wir sie auf ein mittleres Tremolo, genauso wie er es haben wollte. Ich glaube, er dürfte recht zufrieden sein, zumindest habe ich bis heute keine Beschwerden von ihm gehört …“

Portrait des Harmonikabauers Andreas Nöß
© erlebe.bayern/Bernhard Huber

Ich bin so zufrieden mit meinem Leben, dass ich mit niemandem auf der Welt tauschen möchte, nicht einmal für einen Tag.

Qualität braucht Zeit

„Der Bau einer Ziach – pardon, eines Handzuginstruments – verlangt Geduld – ich baue jede Taste aus neun Einzelteilen zusammen –, eine ruhige Hand und ein ausgezeichnetes Gehör. Außerdem ein Verständnis, wie man so unterschiedliche Materialien wie Holz, Leder, Filz, Papier, Pappe und Metall optimal miteinander verbindet.“ Bis zu 150 Arbeitsstunden stecken in einer Nöß-Ziach. Pro Monat kann Andi im Schnitt ein Instrument fertigen. Dass diese handwerkliche Qualität ihren Preis hat, ist seinen Kund*innen bewusst und auch, dass sie mittlerweile gewisse Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. „Die nächsten eineinhalb Jahre bin ich jedenfalls schon gut ausgelastet.“

Grundlage seiner Unternehmensphilosophie ist, das Holz und dutzende weitere Einzelteile möglichst von lokalen oder regionalen Anbieter*innen zu beziehen. „Ich will nichts aus dem Internet bestellen, nur weil es irgendwo billiger produziert worden ist. Ich brauche persönliche Ansprechpartner*innen, die – genau wie ich – größten Wert auf Qualität legen.“

Zudem sorgt der Kontakt zu Metaller*innen, Holztandler*innen und Trachtenschneider*innen im engsten Umfeld ja auch wieder für gute Unterhaltung für die ganze Familie. „Die Balgschoner kann ich mit dem Rad abholen. Speziell für mich gefertigte Metallteile bringt meine Frau mit, wenn sie mit dem Buam spazieren geht, und die Riemen holt die Mama ab, wenn sie den Opa besuchen fährt.“ Und so klingt Andis Ziach so richtig nach dem echten Leben.

Andreas Nöß, Jahrgang 1995, baut zu Hause im bayerischen Steingaden Steirische Harmonikas, die allerdings ursprünglich in Wien erfunden wurden und ohne einen auch heute noch nachvollziehbaren Grund „Steirische“ genannt werden. Bei Andi heißen diese diatonischen, wechseltönigen Handzuginstrumente mit Knopf-Tastatur ohnehin „Ziach“.

Andreas Nöß Website / Facebook / Instagram

ESO: So muss Community!

Die Zahlen sind beeindruckend: Seit der Erstveröffentlichung im April 2014 hat ESO eine beeindruckende globale Community von über 24 Millionen Spieler*innen aufgebaut. Kurze Erklärung dazu: ESO ist ein MMORPG (Massively Multiplayer Online Role-Playing Game), also ein Online Abenteuer in einer offenen Spielewelt. In der fiktiven Welt von Tamriel angesiedelt, spielt es etwa ein Jahrtausend vor den Ereignissen von „The Elder Scrolls V: Skyrim“, einem der bekanntesten und besten Spiele seiner Art. Das Besondere an ESO ist die Konsequenz, mit der der Entwickler ZeniMax Online regelmäßig Erweiterungen veröffentlicht. Darunter große jährliche Ergänzungen der Spielewelt wie „Morrowind“, „Summerset“, „Elsweyr“, „Greymoor“ und „Blackwood“, die jeweils neue Gebiete, Geschichten und Systeme oder die Einführung neuer Spieler*innenklassen bieten. Das jüngste Kapitel „Gold Road“ wurde dabei ebenfalls im Rahmen des Community Events in Amsterdam vorgestellt.

Attraktionen überall

Tausende Besucher*innen und mehr als 200 Medienmenschen (darunter nur zwei aus Österreich!) strömten zu dem zweitägigen Event. In der Eventlocation Sugar Factory zogen die Veranstalter*innen alle Register, um das typisch mittelalterliche fantastische Flair des Games wiederzugeben. Zusätzlich zu einer großen Bühne, auf der nebst Keynote von Game Director Matt Firor auch Paneldiskussionen, Showacts, ein Cosplay Wettbewerb und sogar ein Solo-Auftritt eines bekannten Band-Frontmanns (dazu später mehr) stattfanden, gab es jede Menge zu bestaunen. Ein unfassbar detailreiches Diorama zum Beispiel, Concept Art im Großformat, Foto Spots, eine mit zahlreichen Rechnern bestückte Anspielstation zum Testen von „Gold Road“ und vieles mehr. Gastro-Stationen reichten Zünftiges wie Chili oder Chicken und Getränke sowieso. In diversen kleinen Workshops konnten Interessierte die Kalligrafie des Games, Lederhandwerk oder das Mixen eines Tranks lernen. In einer Kampfarena gaben sich wackere Recken in voller, echter Rüstung ordentlich auf die Glocke, in der eigens eingerichteten chilligen Taverne gönnte man sich Ruhe vom Rummel.

Verkleidete Nerds am ESO Event 2024 in Amsterdam
© Markus Höller/funk tank

Halli Galli für die Community

„Rummel“ trifft es eigentlich ganz gut. Das ganze Event muss man sich wie einen Indoor-Themen-Kirtag vorstellen. Teilweise über den ganzen Globus verteilte Zocker*innen kamen hier mitunter erstmals im echten Leben zusammen. Es wurden Erfahrungen ausgetauscht und die teils aufwändigen, originalgetreu gefertigten Cosplay-Kostüme bewundert. Bewerbe vom Axtwurf bis zur Claw-Machine sorgten für Kurzweil, wertvolle Preise warteten außerdem. Nebenbei gab es immer wieder die Möglichkeit, an Round Tables mit den Entwickler*innen teilzunehmen oder Vorträgen zu spezifischen Eigenschaften und Perspektiven des Games zu lauschen. Und am ersten Abend der Veranstaltung bot zum Abschluss kein Geringerer als Matt Heafy, Chef der Band Trivium, ein Solo-Akustikset, denn die Band kollaborierte in der Vergangenheit mit dem Game. Dementsprechend begeistert war das Publikum. Eine launige Auswahl an Coversongs, u.a. von Elvis und Leonard Cohen, wechselte sich mit Trivium-Material ab. Eine Darbietung des „Peaches“ Songs aus Super Mario Bros wurde klarerweise von Game-Nerds ausgiebig gefeiert. Heafy stand am nächsten Tag trotz Jetlag und Verkühlung dann noch geduldig für ein Meet & Greet bereit, die Fans trugen teils beachtliche Mengen an Material zum Signieren heran.

Matt Heafy live am ESO Event 2024 in Amsterdam
Matt Heafy live am ESO Event 2024 in Amsterdam © Markus Höller/funk tank

Wohlfühl-Community

Man könnte jetzt denken, dass es bei einem derartigen Aufwand und entsprechend viel Programm hektisch, laut oder gedrängt zur Sache geht, aber weit gefehlt. Das heterogene, wenn auch typischerweise deutlich männerlastige Publikum deckt nicht nur praktisch alle Regionen der Welt, sondern auch alle Altersklassen ab. Vom grauhaarigen Altvorderen – wie mir – über die Berliner Influencerin und den Cosplayer aus den USA bis zum Jungzocker aus Linz vereint alle die Begeisterung für das Spiel. Dessen Stärke ist nämlich die Vielfalt der möglichen wählbaren Charaktere und Spielstile. Wie mich Game Director Matt Firor höchstselbst in einer Unterhaltung wissen ließ: „Wir haben Spieler*innen, die jedes Jahr im Juni das neue Kapitel installieren und zwei Wochen lang spielen und ein weiteres Jahr lang nicht zurückkommen. Und dann spielen sie das neue Kapitel. OK! Das ist eine vollkommen akzeptable Art, ESO zu spielen. Wir haben Spieler*innen, die seit zehn Jahren spielen und keine neuen Kapitel haben. Sie spielen einfach das Basisspiel und PvP und Housing. Wissen Sie, ich habe das schon hundert Mal gesagt: Wenn Sie fünf ESO-Spieler*innen bitten, ESO zu beschreiben, werden Sie fünf verschiedene Spiele hören, weil die Leute es einfach unterschiedlich erleben.“ Alles kann, nichts muss sowohl in der virtuellen Spielewelt als auch beim Live-Event der Community sein.

Das Publikum beim ESO Event in Amsterdam im April 2024
© Markus Höller/funk tank

Alles kann, nichts muss sowohl in der virtuellen Spielewelt als auch beim Live-Event der Community sein.

Grand Tour

Die äußerst sympathische und unterhaltsame Veranstaltung in Amsterdam war erst der Auftakt zu einer 15-monatigen Reihe. Diese Feierlichkeiten finden nicht nur in realweltlichen Veranstaltungen statt, sondern auch in der Online Welt von Tamriel. Es wird in-game Aktivitäten und Herausforderungen geben, die es den Spieler*innen ermöglichen, spezielle Jubiläumsbelohnungen zu verdienen. Diese Events sind so gestaltet, dass sie sowohl neue Spieler*innen als auch Veteran*innen ansprechen. Ein besonderes Highlight der Feierlichkeiten ist eine Sonderausgabe des traditionellen „ESO Tavern“ Events, das am 13. und 14. Juli 2024 in Deutschland stattfinden wird. Wer Amsterdam verpasst hat oder wem Schweden, USA, Japan oder Australien zu weit weg sind, hat die Möglichkeit, hier ähnlich aufregend in die Welt von ESO einzutauchen. Es lohnt sich!

„Gold Road“ ist die neueste Erweiterung zum populären Online-Rollenspiel „The Elder Scrolls Online“ (ESO) von Entwickler ZeniMax Online Studios. Publisher Bethesda Softworks veröffentlicht diesen neuen Teil als Standalone-Version oder Add-On am 3. Juni 2024 für PC/Mac sowie später am 18. Juni 2024 für Xbox and PlayStation Konsolen.

10 Jahre „The Elder Scrolls Online“

Die Zukunft und das Wohnen

Alles, was erfunden werden kann, wurde bereits erfunden.“
„Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“
Die beiden charmanten Zitate waren kürzlich Teil einer fesselnden Keynote Speech der Zukunftsforscherin Christiane Varga, der Bund Österreichischer Innenarchitektur (BÖIA) hatte sie eingeladen.
Von wem sie stammen? Der Herr, der meinte, alle Innovation gebe es bereits auf Erden, war Charles Duell, Chef des amerikanischen Patentamts. Die offensichtlich falsche Einschätzung traf er vor mehr als 120 Jahren. Thomas Watson, seines Zeichens IBM-Geschäftsführer, war der Schöpfer der heute geradezu absurd klingenden Prognose, fünf Computer würden reichen.
Wir schmunzeln. Doch die beiden Herren tappten in die Falle, in die war allesamt stolpern, wenn wir nicht bewusst unseren Horizont laufend erweitern. Christiane Varga führt weiter aus: „Wir neigen dazu, in der Gegenwart Dinge aus der Vergangenheit in die Zukunft zu projizieren. Wenn wir zu linear denken, machen wir Fehlprognosen.“ Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir zwar einen Bereich im Kopf haben, in dem der Fokus auf Kreativität und Potenzialentfaltung liegt und wie eine Zukunftsmaschine fungiert, aber eben auch einen anderen, in dem das Hirn, sprich der Kopf, lieber Energie sparen und sich nicht mit Dingen auseinandersetzen möchte, die es noch nicht kennt. Der „Zukunftsvermeider“ verführt uns sozusagen zum Tunnelblick, „und das ist in Zeiten, in denen die Dinge so komplex sind, fatal“, sagt Christiane Varga.

Neugierig bleiben

Straußengleich den Kopf in den Sand zu stecken, vertreibt unsere Vorbehalte gegenüber der künstlichen Intelligenz (KI) logischerweise nicht. Die KI generell zu verteufeln, sie nehme uns unsere Jobs weg, wäre quasi linear gedacht. „Es stimmt, es werden schon jetzt bestimmte Tätigkeitsbereiche ersetzt. Ich glaube aber vielmehr: Menschen werden nicht durch die KI ersetzt, sondern durch Menschen, die sich damit auskennen.“
Die gute Nachricht ist: Um vorfreudig in die Zukunft zu blicken, braucht es etwas Urmenschliches – und zwar das sogenannte divergente Denken. „Es bedeutet, unser Gehirn vernetzt zu nutzen und abseits ausgetretener Pfade zu denken. Das divergente Denken ist kein Synonym für Kreativität, sondern die Voraussetzung dafür“, erklärt die Zukunftsforscherin. Das Erstaunliche dabei ist, dass vor allem Kindergartenkinder als divergente Genies gelten. Ein Experiment veranschaulicht das schön. Die Frage war: Wozu kann man eine Büroklammer benutzen? – Mehr als 100 Antworten galten dabei als herausragend. „Dies erreichen 98 Prozent der Kindergartenkinder, immerhin 32 Prozent bei den Zehnjährigen, nur mehr 12 Prozent bei den 15-Jährigen und ganze 2 Prozent bei den Erwachsenen“, zitiert sie aus „Breaking Point and Beyond. Mastering the Future Today“ von George Land und Beth Jarman.
„Unser Blick verengt sich also mit zunehmendem Alter. Wir können aber dagegen steuern, indem wir neugierig bleiben, neue Perspektiven wählen und bewusst den Austausch außerhalb unserer Bubbles forcieren“, zählt Christiane Varga auf.

Speakerin, Soziologin und Zukunftsforscherin Christiane Varga
Speakerin, Soziologin und Zukunftsforscherin Christiane Varga © Sophie Menegaldo

Die KI „übersetzt“ Bild aus dem Kopf

Vieles davon hat sich der dynamische Vorstand des Bundes Österreichischer Architektur (BÖIA) zum Ziel gesetzt. Der Verein blickt auf mehr als sechs Jahrzehnte Geschichte zurück. Seit dem Rebranding 2022 wird seine Mission – Netzwerken, Interessensvertretung und Weiterbildung – sukzessive mit neuem Leben erfüllt. „Future Interior: KI & Visionen in der Gestaltung“ war der erfolgreiche Auftakt einer neuen Eventreihe. Visionäre Vortragende waren dabei – neben Christiane Varga – Franz Riebenbauer, Gründer und Creative Director des gleichnamigen Studios, sowie die Architekten und Designer Georg Popp und Simon Hirtz, die unter anderem an der New Design University unterrichten.
Franz Riebenbauer, der sowohl an der „Angewandten“ in Wien als auch an der University of California in Los Angeles einen Lehrauftrag hat, nahm das Publikum auf einen rasanten Ritt durch die Welt jener Artificial Intelligence (AI)-Tools mit, die er und sein Team bereits in ihren Alltag integrieren. Dabei berichtete er unter anderem von einem schönen Aha-Erlebnis, als er kürzlich an einem Konzept für eine aufwändige Leuchteninstallation arbeitete. „Auf Basis unserer Beschreibung gab die KI genau das Bild wieder, das ich in meinem Kopf hatte.“
Das bedeute aber nicht automatisch eine Zeitersparnis, es käme vielmehr zu Verschiebungen im Arbeitsprozess, führte er aus. Der Gedanke wurde beim Event vielfach aufgegriffen. In einem Punkt schienen sich die meisten einig: Der Einsatz entsprechender KI-Tools schafft für Innenarchitekt*innen neue Möglichkeiten, um noch präziser auf die Wünsche der Kund*innen einzugehen. Menschliche Qualitäten wie Beziehungsfähigkeit und Empathie sind hierbei also ebenso gefragt, wie bei der Realisierung von Projekten, bei der Budget, Umsetzungsmöglichkeiten und ausführende Unternehmen auf einen Nenner gebracht werden sollen.

Unser Blick verengt sich also mit zunehmendem Alter. Wir können aber dagegen steuern, indem wir neugierig bleiben, neue Perspektiven wählen und bewusst den Austausch außerhalb unserer Bubbles forcieren.

Homecoming

Was wollen wir eigentlich umgesetzt haben bzw. wie wollen wir heute und morgen leben? „Ob Wohnhaus oder Firma, die Tendenz geht zu langfristigen Nutzungskonzepten“, sagt BÖIA-Geschäftsführerin Martina Fürnkranz. Räume können dementsprechend weitsichtig multifunktional geplant werden, „damit zum Beispiel der Kinderbereich in einem Haus später in eine Einliegerwohnung umgewandelt werden kann, um sie zu vermieten und die Pension aufzubessern.“ Was einst als „öko“ belächelt wurde, ist heute zeitgemäß. Gesundes und nachhaltiges Wohnen beinhaltet etwa Möbel aus geöltem Massivholz statt kurzlebigen Plastikteilen. Gefragt sind Modelle mit modernem und zeitlosem Design, die in Österreich oder in der EU produziert wurden. Parallel dazu wächst das Bewusstsein für individuelle Schätze. „Omas Erbstück oder ein aus dem Urlaub mitgebrachtes Teil sollen ebenso schön zur Einrichtung passen“, beschreibt Martina Fürnkranz. Der Trend zu Reduktion hält auch beim Wohnen Einzug. Das betrifft sowohl die Fläche, auf der man lebt – „zwei Personen, die auf 200 Quadratmeter wohnen, wird es in Zukunft immer seltener geben“ – als auch die Möbel, die man sich anschafft. „Gute Teile sind multifunktional, wie zum Beispiel ein ausziehbarer Schreibtisch fürs Homeoffice oder ein Beistelltisch, der zum Hocker wird, wenn Gäste kommen“, sagt Martina Fürnkranz.
Nachdem das Wohnen sukzessive teurer wurde, liegt es für sie auf der Hand, dass sich die Menschen auch langfristige Lösungen für die Einrichtung wünschen. Ganz oben stehen dabei weiterhin gut durchdachte Konzepte für Bad und Küche – die zumeist größten Investitionen. Ein Upgrade erlebt aktuell der Stellenwert des Eingangsbereichs. „Man kommt nach Hause und will Post, Jacke, Handy und Schlüssel ablegen. Wohin mit all dem, ohne das sofort ein Chaos entsteht?“, fragt Martina Fürnkranz. „Wenn es für all das einen eigenen Platz gibt, hat der Vorraum eine ganz andere Wirkung, und es ist ein viel schöneres Heimkommen.“

Der Vorstand vom BÖIA – Bund Österreichischer Innenarchitektur
Der Vorstand vom BÖIA – Bund Österreichischer Innenarchitektur © Sophie Menegaldo

Der BÖIA – Bund Österreichischer Innenarchitektur ist ein österreichweiter Interessensverband von Innenarchitektinnen und Innenarchitekten sowie im Bereich Innenarchitektur, Raum- und Objektgestaltung Tätigen. 

Bund Österreichischer Innenarchitektur

#bubatzlegal oder doch nur egal?

Na klar komme ich lieber hierher! Es will doch niemand in Gütersloh stoned sein.“ Im Coffeeshop Old Church II, unweit vom bekannten Amsterdamer Blumenmarkt, spricht ein deutscher Tourist gelassen aus, was sich in der Woche der Cannabis-Freigabe in Deutschland wahrscheinlich die meisten denken. Ich habe mich gerade vorher mit den Leuten hinterm Tresen unterhalten und mich gefragt, ob sie durch die Legalisierung beim Nachbarn einen Rückgang im (Kiffer)Tourismus fürchten. Die Reaktion fällt ausgesprochen gelassen, gleichzeitig aber scharf analytisch aus. „Schau, obwohl wir hier ja keine echte Legalisierung wie in Teilen der USA, in Uruguay oder eben jetzt in Deutschland haben, funktioniert die Regelung mit der Duldung hier sehr gut. Die Vorgaben sind sehr genau, eben auch die Maßgaben zu Verkauf und Konsum, und sogar das begleitende Tabakrauchverbot funktioniert“, wird mir routiniert erklärt. „Wir erwarten keinen, maximal einen sehr geringen Rückgang an deutschen Tourist*innen wegen der Freigabe dort. Die Leute kommen ja nicht wegen des Konsums an sich, den gibt es ohnehin schon immer überall. Sie kommen hierher wegen dieser speziellen Amsterdam-Experience. Die haben wir hier seit Jahrzehnten perfektioniert. Nicht nur bei der Entwicklung der Cannabis-Sorten, sondern auch in Präsentation, Beratung und Gastronomie. Wo sonst kannst du dir was kaufen und dann in Ruhe, sicherer Atmosphäre und sogar indoor einen Joint genehmigen?“

Mann hält brennenden Cannabis Joint in seiner Hand
© Elsa Olofsson/Unsplash

Die Altmeister

In der Tat ist man in Amsterdam, Klischee hin oder her, immer noch im absoluten Mekka der fröhlichen Stoner. Obwohl sich in der Zeit seit meinem ersten Besuch vor 25 Jahren einiges geändert hat – und das zum Vorteil. Das Flair blieb erhalten. Coffeeshops, aus denen Reggae oder auch 90er Trip-Hop tönt, Backpacker neben Aktenkoffer-Typen, die sich entspannt einen anbauen. Daneben unzählige Shops, die Shishas, Papers, Feuerzeuge und unfassbar hässliche Marihuana-Nippes verkaufen. Nur eben weit sauberer, freundlicher und deutlich weniger abgefuckt als noch im letzten Jahrtausend. Und ohne unangenehme Rausch-Tourist*innen auf der Straße. Denn seit mit letztem Jahr auch der öffentliche Konsum, zumindest im touristischen Teil der Altstadt, stark eingeschränkt wurde, hat man hier anscheinend die perfekte Balance aus bekannter Kiffer-Folklore und professionellem Business gefunden: makellos bei Produkt- und Beratungsqualität, aber dennoch lässig und nicht so hochgeschlossen wie in entsprechenden Teilen der USA. Denn auch wenn dort die Produktion und der Vertrieb perfekt funktionieren, gestaltet sich der Konsum dann doch weniger einladend. Im Schanigarten zu einem frisch gepressten Fruchtsaft einen quarzen, geschweige denn indoor: Fehlanzeige aufgrund der fast schon hysterischen Nichtrauchergesetze von Uncle Sam. Zwar nicht so schlimm wie Gütersloh, aber dennoch eher unlocker.

Luxus Coffee Shop in Amsterdam
Coffeeshop Sloterdijk in Amsterdam © Markus Höller/funk tank

Na klar komme ich lieber hierher. Es will doch niemand in Gütersloh stoned sein!

Neue Zeiten

Die Holländer*innen selbst wiederum scheinen genau die fast schon klinische Art der Präsentation wie in den USA zusehends zu schätzen, zumal ja auch die Verlagerung sozialer Aktivitäten in die eigenen vier Wände als Spätfolge der Pandemiejahre immer noch spürbar ist. Die Folge: High-End-Coffeeshops, die mit den abgenutzten Holzbänken und Bob-Marley-Postern rund ums Rotlichtviertel wenig zu tun haben. Ganz im Gegenteil: Der Coffeeshop Sloterdijk beispielsweise verfolgt ein völlig anderes Geschäftsmodell: Hier wird nicht gekifft, sondern nur verkauft, jedoch in einem völlig anderen Stil. In einer architektonisch-funktionellen Mischung aus Apotheke, Insta-Hotspot, Butlers-Schauraum und Nobelbäcker (Joseph, Öfferl et al.) wird hier Hochwertiges vom Pre-Rolled Joint über Hasch bis zu erstklassigen Brownies verkauft. Auf Nachfrage zum Thema Geschäftsrückgang wegen der Freigabe beim Nachbarn hat man hier ebenfalls nur ein müdes Lächeln übrig. „Selbst wenn die Deutschen ihr ziemlich praxisfernes Gesetz irgendwann auf kommerziell brauchbare Beine stellen, holen die unseren Vorsprung – zumindest im Einzelhandel und in der Gastronomie – nie auf. Und sieh dich mal um! Glaubst du, für unser Geschäftsmodell sind die paar deutschen Tourist*innen relevant?“ Tatsächlich. Die ganze Zeit über kommen vorwiegend junge Holländer*innen, meist mit dem Auto zum eigenen Kundenparkplatz, stellen sich drinnen brav bei der Theke an und verschwinden ebenso schnell wieder aus dem schicken Designer Coffeeshop. Das Interieur und die Verkaufsberater*innen im weißen Laborkittel könnte man sich in einer stylischen John Wick-Sequenz ebenso vorstellen wie in einer Münchner Schnösel-Kaffeerösterei.

Selbst wenn die Deutschen ihr ziemlich praxisfernes Gesetz irgendwann auf kommerziell brauchbare Beine stellen, holen die unseren Vorsprung, zumindest im Einzelhandel und Gastronomie, nie auf.

Business as usual

Zurück nach Deutschland. Während in Holland in Sachen Weed ‚business as usual‘ stattfindet, ist es in Deutschland in gewisser Weise genauso. Beim Rundgang in Berlin am Ostermontag, dem Tag der Freigabe, bemerke ich nichts. Niemand ist am Kiffen im Tiergarten, außer die üblichen Versprengten einer langen Nacht, die noch schnell einen zum Runterkommen durchziehen. Aber die gab es immer schon. Ebenso ist vor dem Brandenburger Tor am Pariser Platz kein Ofen weit und breit zu sehen, nicht mal zu riechen. Und das, obwohl das sogar einer der wenigen Flecken in der Hauptstadt ist, wo man unbehelligt kiffen dürfte – außerhalb der 100 Meter-Schutzzonen rund um Schulen, Krankenhäuser, Sportplätze usw. Diese lassen sich übrigens auf der Homepage des ebenso einfachen wie nützlichen OpenMap-Projekts www.bubatzkarte.de einsehen. 

Menschen vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Brandenburger Tor in Berlin © Markus Höller/funk tank

Und selbst am riesigen Tempelhofer Feld ist niemand zu sehen, der Mary Jane frönt. Selbst im Wiener Burggarten knotzen an einem schönen Tag mehr kiffende Jugendliche herum als hier. Auf die Frage nach dem Warum, ernte ich von den Hauptstädter*innen nur Schulterzucken. Auch Polizist*innen in der Nähe der belebten Fußgängerzone ‚Unter den Linden‘ scheinen vom Thema gelangweilt. Sind die Berliner*innen ‚too cool to care‘? Der Tenor der befragten Passant*innen und eben auch Exekutivbeamt*innen, zusammengefasst von einem befreundeten Berliner Journalistenpaar: „Hier wurde immer schon mehr oder weniger ungeniert gekifft, angebaut und weitergegeben. Am Verhalten der Betroffenen ändert sich daher wenig. Diejenigen, die immer schon dem Cannabis zugeneigt waren, machen genau so weiter wie bisher. Und die anderen haben entweder ohnehin kein Interesse oder warten ab.“ Abwarten also, bis die per Gesetz definierten Cannabis Clubs zum Tausch und gemeinschaftlichen Anbau ab 1. Juli 2024 aktiv werden? Mal sehen. Zumindest in diesen drei Monaten wird sich aber weder in Deutschland noch in den Niederlanden irgendetwas gravierend ändern, es heißt bis dahin dort wie da: #bubatzegal statt #bubatzlegal

Berlin Tempelhof
Berlin Tempelhof © Markus Höller/funk tank

Buchtipp:

„Der große Rausch“ von Helena Barop

Auf rund 300 Seiten behandelt die promovierte Historikerin und Philosophin Helena Barop die Historie wie es dazu kam, dass Medikamente zu Rauschmitteln, Rauschmittel zu Rauschgift und aus Rauschgift illegale Drogen wurden. Vor allem den Weg der US-amerikanischen Drogenpolitik nach Deutschland und in den Rest der Welt, der Drogen vielerorts zu einem gesellschaftlichen Problem macht, erklärt Helena Barop. Fesselnd schildert Barop, wie die Angst vor Drogen sich zuverlässig in politisches Kapital umwandeln ließ und lässt. Dabei räumt sie mit Vorurteilen und Halbwahrheiten auf und erörtert Wege, wie man diese Ambivalenzen neu sortieren kann.

Buchcover "Der grosse Rausch" von Helena Barop
"Der grosse Rausch" von Helena Barop

In Deutschland ist seit 1. April 2024 der Besitz und Konsum von Cannabis für über 18-Jährige legal – als erstes europäisches Land. Jedoch in einem sehr strengen rechtlichen Korsett, das bis auf weiteres nur den Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen und die Weitergabe in ab Juli erlaubten Cannabis-Clubs erlaubt. Kommerzielle oder gastronomische Regelungen sind vorläufig keine geplant.

In den Niederlanden ist THC-haltiges Cannabis per se nicht legal, wird aber seit den 1970er Jahren so weit toleriert, dass in sogenannten Coffeeshops Cannabis verkauft und konsumiert werden darf. Dies hat zu einer besonders populären Form von Tourismus geführt, die im Laufe der Jahre schrittweise eingedämmt wurde.

In den USA ist Cannabis in 38 Bundesstaaten für medizinische Indikationen und in 24 Bundesstaaten, darunter Kalifornien und New York, auch für den Freizeitgebrauch legal. Die Regelungen sind im Detail pro Bundesstaat sehr unterschiedlich, der Verkauf in so genannten Dispensaries genau festgelegt, beschert aber mittlerweile Steuereinnahmen in Milliardenhöhe.

Global setzen Länder wie Uruguay, Südafrika und auch Nordkorea(!) auf völlige Freigabe. Thailand schränkt eine ähnliche Regelung mit Jahresende wieder deutlich ein.

Austin: Howdy, Boomtown!

Bei Gus‘s Fried Chicken in der 2nd Street, gleich um die Ecke vom Convention Center, brüllt guter Rock aus der Konserve, und die Flasche Dom Pérignon kostet wohlfeile 300 Dollar. Neben den 5 Dollar für ein Dosenbier ist das ein stolzer Preis. Die Champagner Bestellungen im Lokal, dessen Kellner*innen auch beim Klassentreffen von Dazed & Confused eine gute Form machen würden, dürften sich eher in Grenzen halten. Doch der augenzwinkernde Eintrag auf der Getränkekarte bringt den Wandel zum Ausdruck, den die texanische Hauptstadt Austin und ihr Aushängeschild, das South by Southwest Conference und Festival, durchgehen. 
Die Stadt boomt, die Skyline wächst, jedes Jahr kommen neue Wolkenkratzer dazu, die entlang des Ufers des Colorado Rivers in die Höhe schießen. Das Motto, das einem vom Flughafen bis in die neuen, schicken Hotel Lobbys entgegenwinkt, ist immer noch das Gleiche: “Keep Austin Weird”. Der Slogan einer Stadt, die im Wandel ist, und in der man etwas genauer suchen muss, um die Weirdness zu finden.

Die Wolkenkratzer schießen unentwegt in die Höhe
Die Wolkenkratzer schießen unentwegt in die Höhe © Fergus Sweeney

Magnet für Innovation

Spult man etwas zurück, ein paar Jahre nur, dann war diese Weirdness leicht zu finden. Die einzigartige Mischung aus Hippies, Cowboys und Tech im Herzen von Texas hatte schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Anziehungskraft für Menschen aus dem ganzen Land.
Willie Nelson, Richard Linklater, Dell Computers. Das sind Namen, die auch schon vor dem großen Boom der letzten Jahre mit der “blueberry in a bowl of tomato soup” assoziiert wurden. Die liberale Insel, umgeben vom konservativ geprägten, landwirtschaftlichen Texas.
Austin, die Stadt mit den meisten Live Musiklokalen pro Einwohner*in, das “Live Musical Capitol” mit Studierenden aus der ganzen Welt an der University of Texas als Mischung verschiedener Stilrichtungen und Geisteshaltungen war bereits damals ein Magnet. Angenehmes Wetter (bis auf die heißen Sommer), günstiger Wohnraum, ein kreatives Umfeld, entspannter und weniger oberflächlich als Kalifornien, gemütlicher und weniger hektisch als New York. Wunderschöne Wandmalereien an jeder Ecke, Breakfast Tacos (Fladen mit Ei, Bohnen und Speck) und Ranch Water (Tequila mit Soda). Auf dem gleichen Breitengrad wie Kairo ist man hier in einer der südlichsten Metropolen der USA. In den letzten 20 Jahren hat sich die Bevölkerung der Stadt mehr als verdoppelt.

Two-Step Tanzmusik im White Horse auf der East Side
Two-Step Tanzmusik im White Horse auf der East Side © Fergus Sweeney

Wurzeln in Musik und im Film

Die entspannte Note findet man immer noch, auch wenn man dafür etwas weiter vom Zentrum ausfliegen muss (Richtung Osten oder Süden), wo sich mittlerweile ein Wolkenkratzer an den anderen reiht. Der Wandel der Stadt, noch einmal beschleunigt durch einen massiven Influx von Geld und Menschen aus Kalifornien (Hollywood und Silicon Valley, Entertainment und Tech) im Rahmen der Pandemie, zeigt sich auch in Downtown und bei South by Southwest selbst.
Eigentlich als Musikfestival gestartet, dann durch ein Filmfestival ergänzt – beides gibt es nach wie vor – ist der Interactive Part der Konferenz/Messe/Happening mittlerweile zum wichtigsten Innovationstreffpunkt der Welt geworden. In der 2. Märzwoche kommen Menschen von nah und fern, um sich über die brennendsten Themen der Zukunft auszutauschen. Das passiert auf den unterschiedlichsten Ebenen. Im Konferenzzentrum und in den Hotels gibt es Vorträge und Workshops in Sälen und Räumen für 10 bis 5000 Menschen. Dann laden Firmen von Google bis Amazon in Lagerhallen und mit interaktiven Erlebnissen zu Partys und Austausch, vom Brunch mit Mimosas hin zum Cocktail mit Margaritas.

Genau der Faktor, dass man nicht weiß, wen man an der Bar, im Vortragssaal oder in der Schlange zum Kinosaal kennenlernt, lässt die Besucher*innen wiederkommen, und das auch nach 30 Jahren.

Interaktive Geisterbahn

Eine Mischung aus Prater, Reeperbahn und Disneyland – vor allem auf der 6th Street und der Rainy Street. Doch schon ein paar Gassen weiter geht es gemächlicher zu. Viele Veranstaltungen finden neben dem offiziellen Programm statt, von gratis bis zu ein paar tausend Dollar für die Eintrittskarte oder den Platz am Tisch. Der Wandel der Stadt durch den Boom der letzten Jahre zeigt sich auch in den Veranstaltungsorten. Wurde früher noch mehr in den Hinterhöfen von Bars und auf Baustellengruben gefeiert, gibt man sich heute eher das Stelldichein auf den Terrassen mondäner Hotels. Auch weil es diese bis vor ein paar Jahren noch nicht gab.

Im Hintergrund und Vordergrund läuft Musik, von Country bis Hip-Hop. Das Filmfestival hat sich mittlerweile neben Sundance zu einem der wichtigsten im Indie-Segment entwickelt, auch Hollywood und die Studios/Streamer nutzen es gerne für Premieren mit jeder Menge Starpower. Wer eine Pause vom Trubel will oder braucht, setzt sich in eines der zahlreichen Festivalkinos. Das ganze geht 9 Tage lang, wobei der Schwerpunkt der ersten Hälfte auf dem interaktiven Teil liegt.

Eine überdimensionierte Ski-Hütte von Paramount+
Eine überdimensionierte Ski-Hütte von Paramount+ © Fergus Sweeney

Hoffentlich verpasst man was!

Das Besondere dabei ist die schier unendliche Auswahl an Möglichkeiten. Und die Tatsache, dass es gar nicht möglich ist, alles abzudecken. Hugh Forrest, der langjährige Programmdirektor, bezeichnet das als JOMO, also “Joy of missing out”, statt FOMO.
Wenn man sich treiben lässt, dann passiert es einem, dass man großartige neue Eindrücke und Menschen kennenlernt, die man nicht auf der Agenda und dem Plan gehabt hat. Und nicht nur Business Kontakte, sondern Freundschaften, die über Kontinente und Branchen bestehen. Und das ist das wirkliche Geheimnis, warum die Menschen immer wieder im März nach Texas strömen, auch in Zeiten, in denen die Inhalte schon online verfügbar und erlernbar sind. Denn genau der Faktor, dass man nicht weiß, wen man an der Bar, im Vortragssaal oder in der Schlange zum Kinosaal kennenlernt, lässt die Besucher*innen wiederkommen, und das auch nach 30 Jahren. Das Mission Statement des Festivals lautet “Helping creative people to achieve their goals.” Und das funktioniert, auch wenn die Stadt und das Festival weniger rauh und etwas genormter sind als noch vor ein paar Jahren.

Der Chip in einem Quantencomputer von Google
Der Chip in einem Quantencomputer von Google © Fergus Sweeney

OK Computer: AI im Aufschwung

Heuer lag der Fokus dabei vor allem auf künstlicher Intelligenz und den Auswirkungen auf die Gesellschaft. Der Wettlauf um die Superlativen der Technologie war ein bestimmendes Thema. Inklusive Auswirkungen auf Wissenschaft und Demokratie, gerade ein paar Monate vor richtungsentscheidenden Wahlen, etwa in den USA, in Deutschland oder auch in Österreich. Viele Trends werden im Jahreszyklus der Konferenzen auf der ganzen Welt das erste Mal in Texas angesprochen und dann von Lissabon über Hamburg bis Hong Kong dekliniert.

Die Bedeutung der bereits einsetzenden und rapide stattfindenden Transformation von Arbeit und Wertschöpfung, gerade auch für die Kreativbranche, war dabei zentral in vielen der Gespräche. Wann, ob und in welcher Form die Maschinen die komplette Kontrolle übernehmen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Klar dürfte dennoch sein, dass in den nächsten Jahren die (Arbeits)Welt wie wir sie kennen eine andere sein wird. Und genau diese zwischenmenschlichen Begegnungen inmitten der technischen Utopien und Dystopien der Gegenwart und Zukunft machen Austin dann auch im Kern wieder ein bisschen weird und eine Reise wert.

P.S: Das Fried Chicken bei Gus‘s ist übrigens ausgezeichnet, am besten mit Beans und Coleslaw.

Selbst im digitalen Zeitalter erfreuen sich analoge Litfass-Säulen großer Beliebtheit
Selbst im digitalen Zeitalter erfreuen sich analoge Litfass-Säulen großer Beliebtheit © Fergus Sweeney

Die SXSW findet immer in der 2. Märzwoche in Austin, Texas statt. Der nächste Termin findet vom 7. bis 15. März 2025
statt. Auf die Besucher*innen warten tausende Vorträge, Workshops, Ausstellungen, Messen, Konzerte und Filmvorführungen.

Die Tickets dafür kosten je nach Kategorie zwischen € 500 bis € 1200 Euro im Vorverkauf und werden zur Veranstaltung hin graduell teurer. Hotel & Airbnb Preise sind rund um die Konferenz auf Buchungsplattformen enorm hoch. SXSW reserviert ein Kontingent an Hotelbetten in unterschiedlichen Kategorien, die gemeinsam mit dem Ticketkauf reserviert werden können.

Von Wien aus kommt man mit einem Zwischenstopp in Europa (Frankfurt, Amsterdam, London) oder in den USA (NYC, Chicago) nach Austin.

SXSW (South by Southwest) Conference & Festival

Austin Tourism

News nach Redaktionsschluss: Im Zuge des heurigen Festivals haben einige Künstler*innen ihre Auftritte beim SXSW abgesagt, um gegen Sponsoring durch Militär und Verteidigungsindustrie zu protestieren. Infos dazu hier

Sbäm Aus Liebe zum Punkrock

Punk zu sein“, sagt Stefan Beham, „heißt nicht, dass ich einen Iro und eine Lederjacke tragen muss. Punk ist für mich eine Lebenseinstellung, die Freiheit, das zu tun, was ich mag.“ Und so erfüllt sich der international gefeierte Grafiker mit seinem Plattenlabel Sbäm-Records und dem jährlichen Sbäm-Fest seinen Lebenstraum. „Ich stehe vielleicht nicht mehr bei jedem Konzert in der ersten Reihe, aber ich trage immer noch jeden Tag irgendein Band-Shirt und höre beim Arbeiten lauten Punkrock. Und ja, das macht immer noch riesigen Spaß!“

Karriere über Umwege

Der 42-jährige Oberösterreicher hat seine Begeisterung für kreatives Design früh erkannt. Sein Vater hatte in Engelhartszell eine Druckerei inklusive Grafikbüro betrieben – „und ich habe mir als 12-, 13-Jähriger seine Auftragsmappen durchgesehen und für lokale Feste oder Konzerte, die mich interessiert haben, Entwürfe gezeichnet. Mein Vater hat diese Entwürfe an seine Kunden geschickt und oft sind die tatsächlich angenommen worden.“

Bis er seine Leidenschaft durch eine formale Ausbildung ergänzt hatte, sollte allerdings einige Zeit vergehen. Die HTL („Keine Ahnung, wie ich überhaupt auf Maschinenbau gekommen bin.“) hat er ebenso abgebrochen wie eine Lehre zum Druckvorstufentechniker. Nach dem Zivildienst blieb er der Volkshilfe treu und gestaltete für die Hilfsorganisation Magazine und Werbekampagnen. „Das hat mich so fasziniert, dass ich schließlich an der NDU in St. Pölten ein Grafikstudium absolviert habe.“

Aus Pop-Art wird Punk-Art

Von Kindheit an war Stefan Beham von der Pop-Art Roy Lichtensteins fasziniert (dem bis 14. Juli in der Wiener Albertina eine Ausstellung zum 100. Geburtstag gewidmet ist). Lebhaften Einfluss auf seinen farbenfrohen Stil hatten auch die Spiderman- und Batman-Comics der 1950er- und 1960er-Jahre. Ehe er sich als Grafiker selbständig gemacht hatte, wollte der Punk aber noch eine ganz andere Welt kennenlernen als die laute, ausgelassene Subkultur. „Mit Anfang 30 bin ich nach Hamburg übersiedelt, um bei Jung von Matt, einer der größten Werbeagenturen Deutschlands, zu arbeiten.“

Die Erfahrungen, die er mit Weltmarken wie Mercedes und Vodafon gemacht hat, will Stefan Beham nicht missen. „Ich habe von Anfang an Verantwortung für große Kampagnen getragen. Seither schreckt mich beruflich nicht mehr viel.“ Allerdings hatte er wegen der branchenüblichen 70-Stunden-Wochen wenig vom Leben im lässigen Stadtteil St. Pauli mitbekommen und kehrte ins beschaulichere Linz zurück. „Hier war ich noch ein paar Jahre lang Art Director und Creative Director für verschiedene Agenturen. Doch mit der Zeit hat es mich nicht mehr erfüllt, für irgendwelche Firmen irgendwelche Werbungen zu gestalten.“

Hartnäckig und kreativ

Spaßhalber hat Stefan Beham begonnen, auf seinem Tablet Plakate für Punkrock Bands zu gestalten und sie ihnen unaufgefordert zu schicken. „Mein Traum war immer, all diese Musikerinnen und Musiker kennenzulernen und vielleicht einmal mit ihnen privat quatschen zu können.“ Und diesen Traum hat er sich mit großer Hartnäckigkeit erfüllt. „Sagen wir, wie es ist: Ich habe diese Bands genervt und mit meinen Artworks bombardiert. Zwei, drei Jahre lang habe ich jeden Tag meine Arbeiten verschickt und gehofft, dass sie irgendwer als Poster oder für T-Shirts verwendet. Aber von tausend Mails sind vielleicht zwei beantwortet worden …“

„Nach und nach“, erinnert sich Stefan Beham, „sind dann doch erste Rückmeldungen aus den USA gekommen.“ 2014 gewann einer seiner Plakat-Entwürfe einen Design-Wettbewerb der Band Lagwagon, 2015 durfte er für Zebrahead sein erstes Albumcover, „Walk The Plank“, gestalten. Dem Startschuss seiner internationalen Karriere folgten immer größere Aufträge, unter anderem von Bands wie NOFX, Blink 182, Sum 41, No Fun At All und The Offspring. „Am Anfang habe ich sogar umsonst gearbeitet. Alles, damit sich mein Name herumspricht.“

In dieser Zeit entstand der Künstlername „Sbäm“, eine Abwandlung seines bürgerlichen Namens, „weil ich eine Grafik cooler als sonst signieren wollte.“ Der anfänglichen Begeisterung über die lautmalerische Wortschöpfung folgte bald ein gewisses Unbehagen. „Ich hatte nicht daran gedacht, dass ‚Sbäm‘-Mails natürlich oft im Spam-Ordner landen. Mittlerweile hat sich der Name jedoch etabliert, und damit finde ich es wieder lustig. Viele Musiker*innen wissen gar nicht, dass ich eigentlich Stefan heiße.“

Sbäm mit Campino von den Toten Hosen
Sbäm mit Campino von den Toten Hosen © Sbäm Records

Im Punk zu Hause

Stefan Beham sieht sich selbst nicht als Künstler – aber nicht, weil eine geplante Ausstellungsserie in den USA 2020 dem Corona-Lockdown zum Opfer gefallen ist. „Ich bin Grafiker und Designer. Und ich bin generell ein visueller Mensch. Als ich begonnen habe, mich für Musik zu interessieren, habe ich die Platten im Geschäft in erster Linie nach dem Cover ausgewählt.“ Und das hat ihn auf einen Lebensweg geführt, den er bis heute nicht mehr verlassen hat. „Ich war 12, 13, als ich Green Days ‚Dookie‘-Album und damit eine völlig neue Welt für mich entdeckt haben. Im Punkrock, in dieser Musik, in dieser Szene, habe ich mich sofort daheim gefühlt.“

Aus dem „Fanboy“, der jedes irgendwie erreichbare Konzert besucht hat, wurde längst ein integraler Part der Punkszene, und Linz ein weltweiter Fixpunkt einer Musikrichtung, die eigentlich in Südkalifornien zu Hause ist. Mit seinem Label Sbäm-Records entwickelt sich Stefan Beham zur gefragten Anlaufstelle internationaler Szene-Größen wie No Fun At All, Pulley, Bracket, Mad Caddies, Bowling for Soup oder Guttermouth. „Viel passiert bei uns über Mundpropaganda. Die Bands bekommen mit, dass wir wirklich für die Musik leben und unsere Liebe zum Punkrock nicht endet, wenn wir am Abend das Büro verlassen.“

Back to the Roots

Am 31. Mai und 1. Juni 2024 veranstaltet Stefan Beham zum sechsten Mal sein jährliches Sbäm-Fest mit dem legendären Goldfinger und Sick Of It All als Headlinern sowie wichtigen Neuerungen. „Die vergangenen beiden Veranstaltungen waren schon zu groß und für mich persönlich zu stressig. Ich hatte keine Zeit, mir Bands anzuschauen und so wie früher mit Leuten zu quatschen. Deshalb gehen wir wieder zurück in den Alten Schlachthof nach Wels, wo wir uns immer schon sehr wohl gefühlt haben.“

2022 hatten etwa die Dropkick Murphys, Pennywise und Millencolin in der Linzer Tabakfabrik gastiert. 2023 folgten NOFX, Flogging Molly und Rancid der Einladung ins Naherholungsgebiet am Pichlinger See. „Open Air Festivals an Seen oder auf einer Wiese sind eh cool“, sagt Stefan Beham, „aber davon gibt es mittlerweile Tausende. Richtig urbane Festivals in echten Punkrock Locations gibt es seltener. Doch gerade das soll unser Markenzeichen werden.“

Punk is dead?

Der (vermeintliche) Schritt zurück ist für Stefan Beham gleichzeitig ein Neubeginn. „Wir wollten bewusst vermeiden, uns zu sehr dem musikalischen Mainstream anzubiedern. Was ich mir allerdings gut vorstellen kann, ist eine kleine, feine Festivaltour. Heuer gibt es als Test ein Sbäm-Fest in Stuttgart, wo am Freitag jene Bands spielen, die am Samstag in Wels gastieren und am Samstag jene, die tags zuvor im Schlachthof waren. Aber die Idee dahinter ist, dass wir das Sbäm-Fest auf Tournee schicken, damit auch Leute in anderen Städten und Ländern lässige Bands in familiärem Rahmen abfeiern können.“

„Natürlich ist Punkrock keine Cashcow“, sagt Stefan Beham, dessen Ehefrau Birgit die mittlerweile fünfköpfige Firma führt. „Es gab eine Zeit, in der Bands wie Green Day und The Offspring richtig gut verdient haben. Davon sind wir weit entfernt.“ Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass Punk tot sei, wie weit verbreitete „Punk is dead“-Graffitis behaupten. „Die Popularität dieser Musik verläuft in Wellen. Ich bin sicher, dass wir Sbäm-Records zur richtigen Zeit gegründet haben. Ich glaube ganz fest an ein Revival des Punkrocks – und dann sind wir mittendrin …“

Frank Turner Poster von Sbäm
Frank Turner "Love" Poster © Sbäm

Ich bin Grafiker und Designer. Und ich bin generell ein visueller Mensch. Als ich begonnen habe, mich für Musik zu interessieren, habe ich die Platten im Geschäft in erster Linie nach dem Cover ausgewählt.

Pennywise Poster von Sbäm
Pennywise Poster © Sbäm

Zuerst ins Kino, dann Streaming

Das Herzstück des Punks (neben der lautstarken Auflehnung gegen Autoritäten) ist seit jeher die Idee, Dinge einfach selbst in die Hand zu nehmen – selbst (und gerade), wenn man eigentlich keine Ahnung hatte, wie es funktioniert. Und so wird dieser Do-It-Yourself-Gedanke, nun zum Leitmotiv einer Filmproduktion mit dem Arbeitstitel „DIY – The Rise And Fall And Rise of Punk Rock“. „Ursprünglich war der Plan, eine Doku-Serie zu produzieren. Nach intensiven Gesprächen mit Produktionspartner*innen wollen wir damit aber Ende des Jahres zuerst in Spielfilmlänge ins Kino gehen und danach erst ins internationale Streaming.“

Seit zwei Jahren treibt Stefan Beham dieses Herzensprojekt voran. Campino, Sänger der Toten Hosen, wird ebenso zu sehen sein wie Schauspieler Wotan Wilke Möhring und Superstar Moby, die in jungen Jahren Sänger in Punkbands waren. Ein weiteres, unvollständiges Namedropping liest sich wie ein Who-is-Who der Punkwelt: Joey Cape (Lagwagon), Greg Hatson (Bad Religion, Circle Jerks), Kevin Lyman (Gründer der Vans Warped Tour), Erin Burkett (Chefin von Fat Wreck Chords), Brett Gurewitz (Bad Religion, Gründer von Epitaph Records) und Schauspiel-Legende Fred Armisen, der in einem legendären SNL-Sketch – neben Dave Grohl und Ashton Kutcher – den Sänger einer wiedervereinten College-Punkband spielt. „Im Punk hat es immer Ups und Downs gegeben, auch bei Sbäm ist nicht immer alles nur rosig. Aber gerade dieses Scheitern und wie man danach wieder zurückkommt, ist eine Story, die man super erzählen kann.“

Hotspot Linz

Stefan Beham blickt jedenfalls optimistisch und motiviert in die Zukunft. „Wir wollen in den USA noch präsenter werden. Birgit und ich überlegen schon, unseren Lebensmittelpunkt jedes Jahr für ein paar Monate hinüber zu verlegen.“ Doch auch die Gegenwart ist hochgradig spannend. Sbäm übersiedelte im März ins last, einen neuen Linzer Hotspot, der offiziell Anfang April eröffnet wird.

Diese ehemalige Konzernzentrale ist als Open Space konzipiert und beinhaltet einen fetten Skatepark im Keller sowie modernste Infrastruktur für die Linzer E-Gaming-Community. „Und im Erdgeschoß gibt es ein kleines Restaurant, eine Bar – und eine Bühne, auf der wir unsere Bands spielen lassen können. Das Setting ist perfekt für uns, weil unsere Musik der perfekte Soundtrack für diese Location ist.“

Und, wer weiß, vielleicht findet sich in dieser Szene der oder die nächste hartnäckige Kreative, der/die eines Tages selbst der Punkwelt seinen/ihren Stempel so aufdrückt, wie es Stefan Beham heute mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht tut. „Ich hoffe sehr, dass wir viele junge Menschen für den Punkrock begeistern können.“

Sbäm-Fest in OÖ
© Sbäm Records

Stefan Beham (Sbäm), 42, hat an der New Design University in St. Pölten Grafik studiert. Über Umwege in der Werbung – unter anderem bei Jung von Matt – erfüllte sich der Oberösterreicher seinen Traum, vom Punkrock leben zu können. Heute designt er nicht nur CD-Cover, Poster und Merchandise für Bands wie Blink 182, Sum 41 oder The Offspring, sondern betreibt auch das international renommierte Plattenlabel Sbäm Records und veranstaltet jährlich ein zweitägiges Punkrock Festival, das Sbäm-Fest. Sbäm lebt mit Ehefrau Bigi, der Geschäftsführerin von Sbäm Records, in Linz.

Sbäm

Wir verlosen zwei Festival-Pässe für das Sbäm-Fest am 31. Mai/1. Juni 2024. Hier mitmachen!