Christof Spörk Eiertanz

Spaß und Ernst liegen ja bekanntlich nahe beieinander. Kabarettist Christof Spörk beherrscht beide Disziplinen: Er ist Profi-Humorist mit Tiefgang. Sein Programm „Eiertanz“ führt ihn ab Jänner durch Österreich, Italien, Deutschland und die Schweiz. Inhaltlich geht’s dieses Mal um uns, unser kompliziertes Wesen sowie das allgemeine „Herumeiern“, privat, beruflich, in der Gesellschaft und Politik. Im Interview mit funk tank erzählt der 51-Jährige von seiner Karriere und seinen Auszeiten, seinem Zugang zu Humor und Musik und verrät, warum es uns allen gut täte, nicht jeder Horrornachricht nachzujagen …

funk tank: Verehrter Herr Spörk, in Ihrem neuen Programm „Eiertanz“ geht es unter anderem um das menschliche Zweifeln, Zögern und „Herumeiern“. Woran könnte das liegen? Und wie schafft man es, einfach mal lässig und locker zu sein? Gibt es da schon eine Lösung und somit vielleicht die Rettung unser aller Leben?

Christof Spörk: Mein Programm gibt keine Antwort. Dafür bin ich zu lange auf der Welt, als dass ich mir so etwas zutrauen würde. In einem bin ich mir aber ziemlich sicher: Wir lassen uns zu sehr ablenken und laufen zunehmend den falschen Göttern nach. Und das, obwohl wir ja angeblich keine mehr haben.

Worauf darf sich das Publikum sonst noch freuen, wenn Sie Ihr aktuelles Programm präsentieren – zum Beispiel am 30. Jänner und 22. März im Wiener Stadtsaal?

Auf einen hoffentlich unerwartet neuen Spörk, der einen kurz in eine andere Welt entführt.

Der Begriff „Multitalent“ wird ja oft inflationär verwendet. Bei Ihnen ist er aber wirklich passend. Sie sind Politikwissenschaftler, Kuba-Experte, Journalist, Musiker, Kabarettist ... und 4-facher Vater. Habe ich etwas vergessen? Beschreiben Sie sich bitte kurz selbst ...

Also das mit der vierfachen Vaterschaft hat relativ wenig mit Talent zu tun. Eher mit Glück. Ansonsten endet vermutlich als „Multitalent“, wer sich nie ganz entscheiden konnte. Mich interessiert einfach vieles und ich liebe die Abwechslung. Weniger freundliche Menschen haben mich auch schon als „unstet“ beschrieben. Dann nehme ich lieber das „Multitalent“.

Humor hat viel mit Überraschung und ungewöhnlichen Kombinationen zu tun. Und noch mehr mit gemeinsamer Kultur.

Sie wurden u.a. mit dem „Österreichischen Kabarettpreis“ und dem „Salzburger Stier“ ausgezeichnet. Wie wichtig sind Ihnen Preise? Sind Sie eitel? Und wird man mit den Jahren und der Erfahrung bescheidener oder trifft das Gegenteil zu?

Es wäre schon gelogen, würde ich behaupten, diese Preise nicht gerne bekommen zu haben. Auf jeden Fall waren es Bestätigungen, die mir als spätberufenen Solokabarettisten einen guten Start ermöglicht haben.

Und ja, ich glaube, ich war schon einmal eitler. Wenn ich heute in der Wiener Innenstadt in eine Auslage schaue, dann wirklich fast nur mehr, um die ausgestellte Ware zu betrachten. Ehrenwort. Das war früher sicher anders.

Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Stücke? Wer oder was beeinflusst Sie?

Ich beobachte. Ich lese. Und es gibt für alle Sketches oder Lieder immer sowas wie einen für mich wichtigen Anlass. Zumeist etwas, was mich stört. Oder auch etwas, was mir besonders wichtig ist. Pointen dienen da eher als Appetizer für ansonsten schwer Verdauliches.

Betrachtet man das Weltgeschehen, so schaut es gesellschaftlich, politisch und auch umwelttechnisch nicht gerade rosig aus. Als Kabarettist haben Sie sich dem Humor verschrieben, das Publikum erwartet Ihre lustige Seite. Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen Tiefe und Witz, und was machen Sie, wenn Ihnen eigentlich nicht nach Lachen zu Mute ist?

„Wenn du zu lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, hat Nietzsche gesagt. Deswegen sollte man vielleicht einfach einmal woanders hinschauen. In die Luft zum Beispiel. In den Wald. Auf den Berg. Oder ins Kabarett.

Mir persönlich hilft frische Luft, Bewegung und Natur. Kostet nicht nur fast nix. Sondern gar nix. Vielleicht manchmal ein wenig Überwindung.

Ich denke, es hilft nichts, wenn wir uns den Weltuntergang sorgenvoll herbei tweeten. Wir sollten natürlich politisch wach sein. Aber permanent Breaking News updaten macht zweifellos krank. Irgendetwas ist immer. Sensationsgier hat noch nie etwas verbessert. Ich halte es auch nicht aus, wenn sich Menschen online für alles Mögliche engagieren, aber den Nachbarn nicht mehr grüßen.

Ist Humor eigentlich lernbar? Wen oder was finden Sie persönlich besonders lustig?

Humor kann man so wie alles analysieren, und somit wohl auch erlernen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das irgendwer braucht. Ich habe vor Jahren ein Buch über Witze gelesen. Sagen wir so, es lesen wollen. Es war das fadeste Buch ever … Humor hat viel mit Überraschung und ungewöhnlichen Kombinationen zu tun. Und noch mehr mit gemeinsamer Kultur. Deswegen ist die Schnittmenge zwischen österreichischem Humor und – sagen wir – norddeutschem Humor trotz gemeinsamer Sprache ziemlich klein. Wahrscheinlich könnten wir etwa mit den Slowenen und Tschechen mehr lachen, nur gibt es da leider ein kleines Verständnisproblem …

Finden Ihre Kinder Sie witzig?

Meine Kinder? Die lachen viel und gerne, aber selten wegen mir. Für die bin ich vermutlich ein Norddeutscher ... Nein, da hab ich wohl eine andere Funktion.

Kabarettist Christof Spörk mit neuem Programm "Eiertanz"
© Jeff Mangione
Mit den Global Kryner sind Sie 2005 beim Eurovision Song Contest angetreten. Wie war es, in diese spezielle Welt einzutauchen, und was wurde aus der Band?

Das war schon sehr geil. Ich bin heute froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Wir waren zehn Tage in Kiew. Es war ein europäisches Fest. Vor Ort war es großartig. Der Eurovision Song Contest ist bei aller möglichen Kritik in erster Linie leichtfüßige Lebensfreude. Also genau das Gegenteil jenes Abgrunds, den uns die Putins, Trumps und all die anderen bösen Männer unserer Zeit gerade als den letzten Schrei verkaufen wollen.

Global Kryner ist 2013, also acht Jahre nach dem Song Contest, in Pension gegangen. Wir haben ein Jahrzehnt lange halb Mitteleuropa bereist und viele großartige Erfahrungen gemacht. Man kann sagen, meine Rock’n’Roll-Zeit war diese Band.

Sie haben u.a. Jazzgesang, Klavier, Ziehharmonika und Klarinette gelernt. Auch Ihre Kabarett-Programme bestehen großteils aus Musik. Was wäre ein Leben ohne Musik? Und welchen Stellenwert hat Musik für Sie?

Leben ohne Musik ist ein Widerspruch in sich. Musik ohne Leben, das gibt es hingegen. Künstliche Intelligenz kann das zum Beispiel recht gut. Im Ernst: Es gibt für mich kein Leben ohne Musik. Obwohl ich wahrscheinlich zu den Wenighörern gehöre. Ich halte es nicht aus, bedudelt zu werden. Entweder ich höre zu oder nicht. Vielleicht ist da einfach ein Hebel falsch gestellt in meinem Gehirn.

Da Sie auch „der Philosoph unter den Kabarettist*innen“ genannt werden, eine philosophische Frage zum Schluss. Was wünschen Sie sich persönlich für das heurige Jahr und was für die gesamte Menschheit? Wie können wir bewusst, glücklich und zufrieden unseren Alltag meistern – trotz aller Umstände des Lebens?

Schön wäre es, wenn wir erkennen, dass wir selbst es sind, die über den Lauf der Weltgeschichte entscheiden. Über das Schlechte in der Welt sudern und gleichzeitig jede schwachsinnige Horrornachricht und jedes Schnäppchen am Smartphone anzuklicken, bedeutet nur, dass wir die Mechanismen unserer schönen, neuen Welt noch nicht durchschaut hat.

Ich singe in meinem Programm „Eiertanz“ einen Kanon mit dem Publikum. Und der Text ist: „Macht euch die Technik untertan!“ Das wäre doch ein guter Anfang.

Christof Spörk ist Politikwissenschaftler, Kuba-Experte, Journalist, Musiker, Kabarettist. Sein neues Kabarettprogramm führt ihn heuer durch viele Städte in Österreich, Italien, Deutschland und in der Schweiz. Er gastiert u.a. am 30. Jänner und 22. März 2024 im Wiener Stadtsaal.

Christof Spörk

Stadtsaal Wien

Papierfabrik Varieté Alarmstufe Elf

Ich halte den Atem an. Immer wieder. Mein Herz rast. Meines! Dabei sitze ich nur da und schaue zu, wie mehrere bis in die Zehenspitzen durchtrainierte junge Menschen bis fast an die sieben Meter hohe Saaldecke springen. „Mama, hab keine Angst“, flüstert mir meine 14-Jährige zu, aber ich merke, wie auch sie kaum ihren Augen traut. An so einem Ort war ich schon lange nicht mehr: an einem, wo Kindern und Erwachsenen der Mund offenbleibt, wo Kinder und Erwachsene herzhaft lachen. So mitreißend wie ihre Show ist auch die Geschichte des jungen Ehepaars Seraina und Marc Dorffner. Sie eröffneten erst vor wenigen Monaten ihr Varieté-Theater, und zwar in der Ende des 18. Jahrhunderts errichteten Papierfabrik in Klein-Neusiedl, unweit von Wien.

Ehe wir die beiden zu Wort kommen lassen, noch ein paar Häppchen aus der aktuellen Produktion, die bis Ende Dezember 2023 präsentiert wird. „Alarmstufe Elf. Weihnachten am Rande des Abgrunds“ erzählt eine zauberhafte Geschichte, in der die Herzenswünsche über die materiellen Wünsche siegen („Ich wünsche mir, dass jedes Kind einen Freund hat.“). Auf der Bühne, im Publikum und über den Köpfen der Gäste stehen, springen, schweben und tanzen das Ehepaar Seraina (32) und Marc Dorffner (30) selbst – diesmal gemeinsam mit Absolvent*innen der renommierten Artistenschule Berlin. Die Künstler*innen haben spektakuläre Nummern im Gepäck, garniert werden sie mit viel Witz. Selbst die Sketches, für die Gäste auf die Bühne geholt werden, sind – und zwar offensichtlich für alle Beteiligten – köstlich komisch.

Das Vergnügen bringt am besten auf den Punkt: Vom ersten Staunen an, als ich den Parkplatz verließ und inmitten des historischen Fabriksgeländes den roten Teppich zum Varieté-Theater fand, bis hin zum letzten Staunen, als ich das Paar direkt nach der Premiere bis spät nachts interviewen durfte, habe ich kein einziges Mal auf die Uhr gesehen …

Artist*innenpaar Dorffner vom Papierfabrik Varieté in Klein-Neusiedl
Seraina und Marc Dorffner © Papierfabrik Varieté
funk tank: Wie finden zwei weitgereiste Artist*innen nach Klein-Neusiedl – und wie habt ihr überhaupt zur Artistik gefunden?

Seraina Dorffner: Seit ich etwa sechs Jahre alt war, wollte ich immer in die Höhe. Ich bin überall hinaufgeklettert. Ich bin in der Schweiz aufgewachsen und habe dort eine Kunst- und Sportschule besucht, mit 14 kam ich an die Berliner Artistenschule.

Wow, und für deine Eltern war das okay, dass du mit 14 quasi ausziehst?

Ich habe mir damals nicht so viele Gedanken gemacht, ich wusste nur: Ich will das unbedingt machen (lacht) – und sie haben mich unterstützt. Als ich das erste Mal in Berlin war, wollte ich mir die Schule eigentlich nur anschauen, aber die Direktorin meinte: „Mach doch gleich die Aufnahmeprüfung.“ – und es klappte sofort. Ich habe dort Training und Schule parallel gemacht und dann die Berufsfachschule abgeschlossen. Mittlerweile kann man sogar Abitur machen. Hier ist das kaum bekannt, aber in Deutschland gibt es viele Varietés, und dort bin ich zunächst aufgetreten. Nach einem Jahr bin ich auf die erste Zirkussaison gefahren. Das hat mich fasziniert: Jedes Jahr ein anderer Zirkus.

Was mochtest du daran?

Das Reisen. Ich habe mir einen eigenen Wohnwagen gekauft. Darin hatte ich mein komplettes Leben – mit zwei Hunden (lacht).

Marc, du warst ebenso auf der Artistenschule. Wie kamst du dorthin?

Marc Dorffner: Ich bin in Wien in der Nähe von einem kleinen Zirkus aufgewachsen und irgendwann fast jeden Tag hingegangen. Bald musste ich nicht einmal mehr die Karte bezahlen (lacht). Ich habe dort das Jonglieren gelernt, wurde Jahr für Jahr besser, bis ich sogar eigene Clownnummern hatte. Meine Eltern haben irgendwann gesagt: „Entweder du machst die Matura oder eine Ausbildung zum Artisten.“ Sie wollten mich nicht einfach so mit dem Zirkus losschicken. So kam ich auch nach Berlin.

War auch dein Berufswunsch so früh klar?

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je etwas anderes wollte. Ich habe schon als Kind Zirkus-Geburtstagsfeiern mit eigenen kleinen Shows gemacht. Bis heute genieße ich es sehr auf der Bühne, wenn wir unsere eigene Show machen.

Wie habt ihr zueinander gefunden?

Seraina: In einem Zirkus in der Schweiz. Die Saison drauf haben wir uns schon einen großen Wohnwagen gekauft und waren nur noch gemeinsam unterwegs: in Dänemark, in der Schweiz – in Irland hatten wir unsere letzte Zirkussaison. Wir wollten sesshaft werden, auch die Familienplanung wurde ein Thema. Wir haben schon lange mit dem Gedanken gespielt, in Österreich ein Varieté zu eröffnen. Leider sind wir ausgerechnet am Anfang von Corona in Wien gestrandet, also haben wir einmal zu planen begonnen. Marcs Vater hat auf dem Gelände der Papierfabrik eine Schlosserei, so kamen wir hierher.

Das Gebäude ist mehr als 200 Jahre alt, es war ziemlich verfallen, und jetzt sitzen wir in diesem schönen Saal mit Samtstühlen und großer Bühne. Das wirkt fast surreal …

Marc: Das denken wir auch manchmal, wenn wir die alten Bilder sehen (lacht).

Seraina: Man brauchte wirklich seeehr viel Fantasie, als wir uns das das erste Mal angeschaut haben.

Artist*innenpaar Dorffner vom Papierfabrik Varieté in Klein-Neusiedl
Seraina und Marc Dorffner © Papierfabrik Varieté
Noch dazu sind eure Kinder ja erst drei und ein Jahr alt …

Seraina: Ja! Malu war erst ein halbes Jahr alt, als wir mit unserem großen Experiment begonnen haben, Nelio kam mitten im Umbau. Das war schon viel auf einmal (lacht).

Marc: Wir haben alles selber geplant und zwar sehr detailversessen. Mein Onkel hat ein Auge dafür, er hat noch seinen Senf dazugegeben, das meiste habe ich tatsächlich mit meinem Vater gebaut. Da sind wir einige Male aneinander geeckt, weil wir eben so perfektionistisch sind, aber das hat uns auch ordentlich zusammengeschweißt.

Wir wollen das machen, was uns Spaß macht und unser Varieté-Theater so gut etablieren, dass wir okay davon leben und vielleicht ab und an auf Urlaub fahren können.

Wie habt ihr das alles finanziell gestemmt?

Marc: Mit Eva Polsterer, der Eigentümervertreterin der Papierfabrik an unserer Seite, die an uns geglaubt hat. Als uns jede Bank abgelehnt hat, weil wir unser Varieté noch dazu während der Pandemie verwirklichen wollten, hat sie uns einen Privatkredit gegeben und uns sehr unterstützt. Ihr hat gefallen, dass wir in einem Gebäude, das fast dem Verfall preisgegeben war, ein Programm mit Qualität machen wollen – und sie hat uns vertraut.

Was ist das Besondere am Programm eures Varietés?

Seraina: Das gibt es in Österreich sonst kaum woanders – Wir bieten ein komplettes Jahresprogramm mit Varietéshows von uns oder Gästen.

Marc: Seit März, als wir eröffnet haben, sind bei uns zum Beispiel die Artistin und Akrobatin Shosha Lilienthal aufgetreten und Lars Hölscher aus der namhaften Zirkusfamilie. Er hat Magie gemacht und seine Frau Luftakrobatik. Neu für uns ist, dass wir auch Kabaretts und Konzerte präsentieren. Wir haben viel gelesen, uns viel informiert und Christoph Hauke vom Wiener Orpheum hat uns gute Tipps gegeben. Besonders schön war es, dass ich auch richtig bekannte Künstler, wie Maddin Schneider, der seit acht Jahren nicht mehr in Österreich war, oder Gernot Kulis angefragt habe – und sie sind nicht nur aufgetreten, sie wollen wiederkommen. Wir möchten aber genauso eine Bühne für Newcomer sein, im Januar haben wir einige im Programm (unbedingt durchklicken, man findet viel Erstaunliches, wie etwa die Comedy des nicht hörenden, homosexuellen Komikers Okan Seese: „Lieber taub als gar kein Vogel“, Anm.).

Artist*innen Papierfabrik
© Manfred Sebek
„Alarmstufe Elf“ ist eure dritte eigene Show – diesmal mit Absolvent*innen der Berliner Artistenschule. Wie kam es zu dieser Kooperation?

Marc: Ich habe die Schule angerufen und gefragt, ob jemand Lust hätte, bei uns mitzumachen. Daraufhin hat sich fast die ganze Klasse gemeldet, und wir haben sie alle genommen. Die Absolvent*innen kamen mit ihren Nummern, die wir teilweise genauso gelassen oder ein bisschen verändert haben, es war wie eine Wundertüte (lacht).

Es ist atemberaubend! Aber auch ihr seid dabei. Seraina, du schwebst quasi in sieben Metern Höhe inmitten vom Publikum. Was geht da in dir vor?

Seraina: Natürlich braucht es Konzentration und Kraft, die immer wieder aufgebaut werden muss, aber nach so vielen Jahren Training hat der Körper das quasi abgespeichert. Meine Nummer im Vertikaltuch ist für mich fast wie Fahrradfahren (lacht).

Haben dich die Schwangerschaften verändert?

Zu 100 Prozent! (lacht). Als ich nach der ersten Geburt wieder anfangen wollte, hat es sich angefühlt, als hätte ich nie zuvor Sport gemacht. Nach der Geburt von Nelio ging es aber erstaunlich gut. Ich habe sieben Monate später schon bei der Eröffnungsshow mitgemacht.

Wie managt ihr das alles als Familie?

Wir wohnen gegenüber, Malu geht vormittags in den Kindergarten, davon abgesehen sind die Kinder immer dabei. Ich habe Nelio manchmal in der Trage, wenn ich den Flammkuchen für den Abend mache, sonst ist das hier alles für sie Spielplatz. Natürlich ist es schon auch schwierig, alles unter einen Hut zu bringen, die Zeit rennt, die Tage sind zu kurz. Aber unser Team wächst, das hilft sehr.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Marc: Es war uns von Anfang an klar, dass wir nicht reich werden. Wir wollen das machen, was uns Spaß macht und unser Varieté-Theater so gut etablieren, dass wir okay davon leben und vielleicht ab und an auf Urlaub fahren können. Im Januar haben wir das erste Wochenende ohne Show, damit wir einmal durchschnaufen können, weil wir wirklich jeden Tag arbeiten. Wir freuen uns, dass wir bereits jetzt Stammkund*innen haben, dass Menschen kommen, bei denen wir schon wissen, wo sie gerne sitzen. Die Leute schätzen dieses familiäre Umfeld. Das handhaben wir mit unseren Gästen, aber auch mit unseren Angestellten so. Wir sind eine große Familie und hoffen, dass die Familie größer wird.

„Alarmstufe Elf. Weihnachten am Rande des Abgrunds“: Eine Eigenproduktion des Varieté-Theaters Papierfabrik. Bis 31. Dezember 2023,
immer am Freitag und Samstag, 20 Uhr / Sonntag 18 Uhr sowie am 24. Dezember um 14 Uhr.

Papierfabrik Varieté

Sigrid Horn Paradies Zwentendorf

Der kalte Wind pfeift um die Ohren, er peitscht die Regentropfen ins Gesicht, so muss sich ein Nadelkissen fühlen. Es geht vorbei an mächtigen Betonbauten, hinein durch eine orange Tür, kühl ist es noch immer, aber zumindest das Wetter bleibt draußen. Eine schwarze Katze beobachtet beim Kellerabgang geradezu gelassen die Ankommenden, als wüsste sie, dass die auf einer Kette baumelnde Tafel „Kein Zugang für Besucher“ sie schützt.

45 Jahre ist es her, dass der Knopf nicht gedrückt wurde, dass das Volk die Inbetriebnahme eines Werkes, das als zukunftsweisend galt und fix fertig war, verhinderte. Keine Atomenergie in Österreich. Dieses Dornröschen wurde nie geweckt.

Nach einer sehr langen Zeit des Stillstands kaufte die EVN 2005 das AKW Zwentendorf (siehe Info unten). Seither wird dort Sonnenenergie produziert, ein Trainingszentrum für AKW-Rückbauarbeiten ist entstanden und Führungen werden angeboten. Und – wer hätte das vor einem halben Jahrhundert zu vermuten gewagt? – das AKW wurde zu einer beliebten Location für Musikvideos, Werbedrehs und Filmprojekte.

Das AKW ist außerdem ein Symbol dafür, welches Gewicht die Stimme des Volkes haben kann und dafür, wie essenziell die ständige Reflexion unserer Handlungen ist, denn „wos heit sauwa ausschaut, is morgen scho dreckig“, singt Sigrid Horn.

Als das AKW Zwentendorf nicht in Betrieb genommen wurde, wurde das Kohlekraftwerk Dürnrohr errichtet und war bis 2019 in Betrieb. „Das AKW Zwentendorf hat zwar nie Atome gespalten, dafür aber von Anfang an Menschen und Meinungen“, beschreibt EVN Sprecher Stefan Zach. „Wir sehen es als schöne Aufgabe, einen Ort, der das Land gespalten hat, zu einem Ort der Begegnung zu machen.“ Diese Idee dachte er weiter und klopfte bei Bader Molden Recordings an, mit der Vision von einem Konzeptalbum.

Nun ist es da, das „Paradies“. Nomen est omen. Ich habe mich in diesem Album verloren, wie in einem Roman, der einen tief berührt, mal zum Lachen, mal zum Weinen bewegt. Manchmal höre ich es drei Mal hintereinander.

Den roten Faden trägt die herausragende Singer-Songwriterin Sigrid Horn durch das ”Paradies”. Sie machte sich viele Gedanken um den Inhalt, lud Künstlerkolleg*innen zum Zusammenarbeiten ein und setzte das Album mit Lebenspartner Felipe Scolfaro Crema um, der sich unter anderem für Sound, Aufnahmen und Klavier verantwortlich zeichnete.

Ein schönes Gespräch am Ort des Geschehens.

Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema vor dem AKW Zwentendorf
Sigrid Horn und Felipe Scolfaro Crema © Daniela Matejschek
funk tank: War es für dich gruselig, als du das erste Mal hierher gekommen bist?
Sigrid Horn: Das Wort „entrisch“ trifft es für mich besser. Man wird irgendwie von einem Geist, der da Jahrzehnte schläft, überrollt. Aber es gibt wirklich auch sehr gruselige Orte hier. Gleichzeitig ist es sehr spannend, durch die Räume gehen zu können, in denen nie ein Mensch hätte stehen dürfen, wenn das AKW eingeschalten worden wäre.
Du veröffentlichst die Alben „Nest“ und „Paradies“ nahezu gleichzeitig. Also zwei Babys auf einmal, dabei ist dein menschliches erst zwei Jahre alt. Ich schicke voraus, ich würde dir die Frage auch stellen, wenn du ein Mann wärst: Wie habt ihr das geschafft?
Dass die Alben fast zeitgleich rauskommen, war ein bisserl ein Zufall, aber wir hatten einen guten Zeitplan. Nicht einberechnet haben wir, dass ein Kleinkind, das frisch im Kindergarten angefangen hat, ständig krank ist. Trotzdem ist sich alles ausgegangen, dank der Großeltern und der wahnsinnig rücksichtsvollen Mitmusiker*innen, die sich – gefühlt – immer nach uns gerichtet haben.
Ehe wir ins „Paradies“ abtauchen: Was steckt hinter dem Album „Nest“?
Corona war eine Zeit des Rückzugs. Ich war dann schwanger und habe ein Kind gekriegt, das war ein zusätzlicher Rückzug. Das kann sehr schön, aber auch einsam sein, und damit haben viele junge Eltern, vor allem Mütter zu kämpfen. In dieser Zeit habe ich die Lieder geschrieben. „Nest“ steht für mich für beides: für die Isolation und für die Geborgenheit. Erst kürzlich wurde mir bewusst, dass ich in diesem Album sehr oft über das Fliegen singe (lacht).
„Paradies“ hast du mit Felipe Scolfaro Crema umgesetzt. Wie ging es euch mit der engen Zusammenarbeit?
Extrem gut. Ich glaube, jedes Paar hat ein gemeinsames Hobby. Andere gehen Tennis spielen, wir nehmen ein Album auf (lacht). Das erfüllt uns und macht uns Spaß. Die Arbeit an „Paradies“ hat außerdem besonders viel Freude gemacht, weil auch wieder Harfenistin Sarah Metzler und Bernhard Scheiblauer mit Concertina und Ukulele und mit viel Herz dabei waren. Die beiden singen ja auch und spielten schon bei meinen ersten beiden Alben eine sehr wichtige Rolle.
Wie hast du auf die Anfrage für das Konzeptalbum reagiert?
Ich habe lang überlegt. Ist mir das nicht zu groß? Dann wurde mir klar, dass ich ein A-Team dafür brauche. Ich habe mir möglichst viele Blickwinkel auf dieses Haus, seine Geschichte, auf die Themen, die dadurch angestoßen werden, gewünscht. Es gibt viele Umweltlieder auf der Platte, es ist auch eine Reflexion: Was haben wir die letzten 45 Jahre gemacht, wie werden wir die nächsten 45 Jahre weitermachen?
Welchen Blick hattest du davor auf das AKW, wie hat sich dieser möglicherweise verändert?
Österreicher*innen meiner Generation sind mit dem Selbstverständnis aufgewachsen, dass wir gegen Atomenergie sind. Ich hatte sogar als Kind Angst, über die Grenze zu fahren, weil es „woanders“ Atomenergie gab. Richtig bewusst war mir aber nicht, dass das AKW fix fertig war und nur aufs Einschalten gewartet hatte. Aus Singer-Songwriter-Perspektive finde ich das grandios, weil es so viele Geschichten aufmacht. All die Einzelschicksale, die dahinterstecken, faszinieren mich. Das ist ein riesengroßer Schaukasten und diesen zu vertonen, hat sehr viel Spaß gemacht.

Für den gemeinsamen Diskurs ist es so wichtig, sich in andere hineinzuversetzen.

Wie hast du das zusammengesetzt? Drei großartige Lieder kommen von dir, sieben weitere Songs sind Kollaborationen. Magst du über diese ein bisschen was verraten?

(Für die angenehmere Lesbarkeit listen wir hier auf)

Wossa – Ich wusste: Ich brauche ein Lied über die Donau. Sofort hatte ich einen Refrain und die Stimme von Ina Regen im Kopf. Genauso habe ich sie angeschrieben. „Hey, ich mache ein Album über Zwentendorf und schreibe ein Lied über die Donau. Magst du die Donau sein?“ (lacht) „Wossa“ ist fantastisch geworden, eine Hymne für das Wasser, ein moderner Donauwalzer quasi.

Hausmasda – Stefan (Zach, EVN-Pressesprecher, Anm.) hat uns einige Geschichten erzählt, auch die vom Hausmeister, der hier bis zum Schluss seine Runden gedreht hat. Als ich das gehört habe, war für mich klar: Das Lied muss Ernst (Molden, Anm.) schreiben.

Luft – Ein Song von Sarah Bernhardt. Ich habe mir Bernhards (Scheiblauer, Anm.) Songwritingperspektive auf das Ganze gewünscht, weil er immer hinter jede Ecke schaut. Genauso ein Lied hat er geschrieben – mit sehr vielen Fragen, wo aber auch der Charme des Ortes – oder wie er singt: „Zwentenhausen“ – sehr gut herauskommt.

Ohne mi – Dahinter steckt eine spannende Geschichte, die ich mit Yasmo umgesetzt habe. Wir haben die Fleischhauerin aus dem Ort, die beim AKW-Bau täglich 2.000 Wurstsemmeln gemacht hat, mit den Vorarlberger Müttern verknüpft, die gegen das Kraftwerk in Hungerstreik gegangen sind. Sie alle stehen stellvertretend für sehr viele Frauen, die sehr wichtig waren, aber letztendlich aus der Geschichte ausgeklammert wurden und werden.

Instandshaltung – Anna Mabo ließ sich von der „Konservierungsphase“ inspirieren, in der im AKW praktisch nichts passiert ist und die Menschen, die hier gearbeitet haben, sich sieben Jahre fadisiert haben.

Das ist übrigens einer meiner Lieblingssongs, weil Anna Mabo wieder mal ein Ohrwurm gelingt, den ich gleichzeitig melancholisch, aber auch herrlich komisch finde ... Es gibt ja noch zwei Songs ...

In deine Augen – Mwita Mataros Song handelt von der Spaltung der Gesellschaft. Zeitzeugen erzählen, dass man über das AKW nicht mehr mit dem Cousin am Tisch reden konnte. Die Situation damals hat uns sehr an die Corona-Zeit erinnert.

Morgen – Julia Lacherstorfer hat eine an Björk erinnernde, sphärische Ballade geschrieben, in der sie sich die Frage stellt: Ist es vielleicht schon zu spät, oder können wir noch was machen?

Ist es schon zu spät?

Für viele Sachen ist es zu spät, aber fürs Aufgeben ist es immer zu früh. Wir müssen weiterhin Menschen aufrütteln, aber: Das Tun auf individueller Ebene allein ist zu wenig. Es sind große politische Entscheidungen notwendig, um das Ruder herumzureißen. Gefragt ist auch das Engagement der Unternehmen. Gerade deswegen finde ich es super, dass die EVN uns gebeten hat: Macht dieses Konzeptalbum zu 45 Jahre Volksabstimmung AKW.
Ich befürchte, die nächste Generation wird den ärgsten Umschwung erleben. Meine Tochter wird wahrscheinlich in Österreich keinen Gletscher mehr sehen, und vieles, das ich erleben durfte, nicht mehr erleben. Wir möchten ihr möglichst viel zeigen, vor allem die Wertigkeit und Wichtigkeit der Natur und Umwelt.

Woher weiß man, was das Richtige ist?

Das ist die große philosophische Frage, jede*r versucht sich einen Kompass zurechtzulegen. Auch in Zwentendorf gibt es keine einfachen Antworten. Immerhin wurde als Ersatz für das AKW ein Kohlekraftwerk gebaut (nicht mehr aktiv, Anm.).
Wir müssen jeden Tag mutig sein und die eigenen Überzeugungen hinterfragen. Die Menschen hören dann auf, miteinander zu reden, wenn sie das nicht mehr tun. Dann werden Mauern hochgezogen und es gibt keine Empathie mehr.
Für den gemeinsamen Diskurs ist es so wichtig, sich in andere hineinzuversetzen. Ich glaube, es liegt auch am Mangel an Empathie, warum viele noch immer die Klimakatastrophe nicht ernst nehmen. Wir sind nicht die ersten, die darunter leiden, aber man kann schon auch dafür Empathie empfinden, dass die Natur leidet.

Furchterregend. Und trotzdem möchte ich das Gespräch ungern so traurig beenden …

Darum heißt es auch „Paradies“! Es geht darum, es zu erhalten. Aber der Titel ist vielschichtig. Der Begriff „Paradies“ geht immer mit Versprechungen einher. Sowohl die Gegner*innen des AKW als auch die Befürworter*innen haben als Ergebnis der Volksabstimmung das Paradies versprochen. Egal, wie es ausgegangen wäre, das Paradies wäre nicht gekommen.
Es gibt keine einfachen Antworten, denn die gibt es nie, und es gibt immer viele Aspekte zu bedenken. Genau das müssen wir auch an unsere Kinder weitergeben und selbst nie müde werden, uns auch selbst zu hinterfragen.

Sigrid Horn

  • 1990 Sigrid Horn kommt auf die Welt, wächst im Mostviertel auf
  • 2018 Debütalbum „Sog i bin weg“
  • 2019 Sieg FM4-Protestsongcontest mit „Baun“ gegen die Verbauung des ländlichen Raums
  • 2020 Album „I bleib do“
  • 2021 Geburt der gemeinsamen Tochter mit Felipe Scolfaro Crema &
    Hubert von Goisern Kulturpreis
  • 2023 Album „Nest“ & „Paradies“ (Kollaboration mit vielen Künstlerkolleg*innen)

AKW Zwentendorf 

  • 1972–1976 Bauphase AKW Zwentendorf
  • 1975–1978 Protestbewegung
  • 5. November 1978 Volksabstimmung über Inbetriebnahme
  • 1979 Vinyl „Künstler gegen Zwentendorf“ mit Georg Danzer, Erika Pluhar u.v.m.
  • 1978–1985 Konservierungsbetrieb
  • 1999 Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich
  • 2005 EVN kauft das AKW Zwentendorf
  • Seit 2010 Besichtigung nach Voranmeldung möglich

Event-Tipp: „Paradies – ein Jubiläumsalbum“ – Die große Präsentation im Wiener Konzerthaus am 22. April 2024 um 19.30 Uhr mit Sigrid Horn, Ernst Molden, Ina Regen, Anna Mabo, Yasmo u. a. 

Website Sigrid Horn

Marina Lacković Malarina Interview

Dass sie Menschen zum Lachen bringen konnte, wusste sie früh. „… aber ich hielt mich nie für ein Talent. Viele sind witzig“, sagt Marina Lacković, bekannt geworden als „Malarina“, während sie die Physalis bei ihrem Dessert auf den Tellerrand verbannt. Wir sitzen bei ihrem Lieblingsitaliener in der Nähe ihrer Wiener Wohnung, das Lokal ist quasi Teil ihres Zuhauses. Sie scherzt mit dem Kellner auf Italienisch, eine der vielen Sprachen, die sie beherrscht. Als vor geraumer Zeit ihre Beziehung in die Brüche ging, wuchsen ihr das Team dort und die Speisekarte – bis auf die gutgemeinte Physalis-Garnitur – ans Herz. „Sie ernähren mich hier“, lacht sie. „Als meine Freundin ausgezogen ist, war ich wie ein verlassener Balkan-Mann, Mitte 40. Ich wusste nicht einmal, wo die Gabeln sind.“

funk tank: Du sprichst Serbisch, Englisch, Italienisch, …
Malarina: … Russisch verstehe ich auch ganz gut und meine Muttersprache ist Rumänisch, weil ich Walachin bin (Volksgruppe unter anderem in Serbien, Anm.).
… und auf Deutsch machst du mehrfach preisgekröntes Kabarett. Gut, dass du nicht auch noch kochen kannst.
Ich kann ganz viele Sachen nicht, ich bin auch eine furchtbare Autofahrerin. Menschen winken aus Lokalen, um mich beim Einparken zu unterstützen (lacht).
Du warst sechs Jahre alt, als du nach Österreich gekommen bist, und hast blitzschnell Deutsch gelernt. Wie ging es weiter?
In der Hauptschule in Innsbruck war ich in der ersten sogar Klassenbeste, das war cool. Dann sind wir aufs Land gezogen und ich war ganz beschissen. Ich musste jeden verdammten Tag einen Berg rauf, um die Schulpflicht zu absolvieren, und dabei 20 Semmeln heimzahn. Jedes Tschuschenkind hat immer 20 Semmeln zum Heimzahn gehabt. Ich war so neidisch, wenn die Schwabomütter in die Schule gekommen sind: „Der Jonas hat seine Jausenbox vergessen.“ (lacht) Wir waren Schlüsselkinder und mussten immer selbstständig sein.
Du hast dann die HAK gemacht und Wirtschaftsrecht inskribiert. Wieso?
Es hat nicht jeder die Möglichkeit und den Selbstwert zu sagen: Ich mache eine Kunst Uni. Ich habe einen Abschnitt in Wirtschaftsrecht gemacht und bin dann nach Wien. Ich wollte immer gerne schreiben. Ein Deutschlehrer in der HAK meinte, ich hätte großes Talent. Sobald es aber eine Hochschule ist, wo man viel präsent sein muss, ist es quasi elitär. Nicht nebenher arbeiten zu können, können sich viele nicht leisten. Das Lustige ist: Es sind nie die Student*innen aus prekären Verhältnissen, die pleite sind, weil sie wissen, auf welchem Baum das Geld wächst.
Künstlerin Malarina in Pose
© Vanja Pandurevic
Du hast in Wien viel kellneriert, um Vergleichende Literaturwissenschaft studieren zu können …
… und viel Dreck von Männern gelesen, im Glauben, das sei Weltliteratur. Frauen können ja erst seit weniger als 100 Jahren schreiben. Ich weiß nicht, ob du das wusstest (lacht). Ich finde, dass auch die Schulzeit Menschen zu Nichtleser*innen macht, indem man Kinder- und Jugendliteratur konsequent abwertet. Dabei gibt es so viel gute Literatur für junge Menschen über Themen wie Armut oder Feminismus. Aber nein, es gilt weiterhin: Goethe ist ein wahrer Dichter.
Bist du aus Tirol ausgezogen, um Autorin zu werden?
Nein, bitte! So selbstbewusst war ich nie. In einem Verlagshaus Belege stempeln zu dürfen, wäre schon geil gewesen. Was ich an der Schriftstellerei tatsächlich immer gemocht habe, ist, dass du es tun kannst, egal wie arm du bist.
Was wolltest du als Kind werden?
Astronautin.
Wow!
Ich glaube, das ist das Zeugnis einer Depression, wenn ein kleines Kind die Erde verlassen will (lacht). Anwältin konnte ich mir auch gut vorstellen, weil ich immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte. Im Herzen bin ich kommunistisch. Darum werde ich auch nie reich sein, ich verteile immer alles.
Ich will auch nicht reich sein, aber auch nicht arm.
Ich schon. Ich will in Armut sterben und aussehen wie Cher.
Die schillernde Bühnenpräsenz deiner Figur Malarina kann da jetzt schon mithalten. Wie kamst du auf die Bühne?
Ich habe jung gemerkt, was Menschen zum Lachen bringt. Auch meinen Vater, der immer überarbeitet und darum oft sauer war. Ich liebe diese Stimmung, wenn man gemeinsam lacht, die Macht von Humor darf man nie unterschätzen. Ich dachte lange, dass ich der Welt etwas Tragisches hinterlassen werde, aber ich habe nie versucht, etwas zu veröffentlichen. Und dann sagten mir immer mehr Menschen: „Schreib was Lustiges!“ Dann begegnete ich beim Sister Clubbing im Wiener Fluc Denice Bourbon (Mitbegründerin des Politically Correct Comedy Clubs, Anm.) und bin ziemlich betrunken zu ihr hin: „Are you the stand-up-lady? – Well, look, I’m funny.“ Ich habe ihr später Texte geschickt.
Sie war begeistert und ermutigte dich, im Wiener WUK aufzutreten. Mit der Show konntest du dir dann sozusagen die Tür zum Kabarett Niedermair öffnen …
… nur leider musste die Premiere wegen der Pandemie abgesagt werden. Ich spielte sie dann Monate später, zwischen zwei Lockdowns, und wäre nicht Peter Blau gekommen und hätte eine Kritik für Ö1 gemacht, hätte wahrscheinlich niemand davon erfahren.
Dein „Serben sterben langsam“ ist bis heute ein voller Erfolg. Du wurdest im Frühjahr mit dem „Salzburger Stier“ ausgezeichnet, in der Jury-Begründung heißt es: „Eine perfekte austro-serbische Melange aus Zeitgeschichte und Klischees, aus klugem Witz und inspirierter Bühnenperformance, eine satirische Reise entlang der Balkanroute von Sarajewo nach Wien, auf den Brunnenmarkt“. Wieso dieses Programm?
Ich habe mich dafür geschämt, dass so viele Serben und Serbinnen HC Strache gewählt haben. Viele wollen von einem starken Mann, von einem Autokraten mit wenig Demokratieverständnis regiert werden. Nachdem Titos Jugoslawien zerfallen war, hat sich Faschismus leider irgendwie zum Synonym von Demokratie entwickelt. In mehreren ex-jugoslawischen Ländern war ja Nationalismus – und Religion auch – verboten. Als das dann sein durfte, hat es sich für viele liberal angefühlt, obwohl das genau das Gegenteil war.
Wie sind die Reaktionen?
Es kommen Menschen auch aus dem ganzen Balkanraum und aus allen Altersklassen. Das war mir wichtig. Ich möchte nicht zur Mehrheitsgesellschaft sprechen, aber auch nicht nur eine Nische bedienen. Die meisten finden es ganz toll, einige wenige, dass es sehr hart ist. Aber ich bin fair in meiner Recherche und gegenüber Österreich und Serbien gleich hart. Viele wissen gar nicht, dass ethnisch betrachtet Serben die zweitgrößte Opfergruppe im Zweiten Weltkrieg waren.
War es eine Überwindung, schlimmste Ereignisse der Geschichte in ein Kabarett zu packen?
Das war für mich logisch. Ich wollte demaskieren, wie dumm es als Migrant*in ist, rechts zu wählen. Als ich in der Nacht mit dem Rohentwurf meines Programms fertig war, habe ich zu meiner Freundin gesagt: Ich werde dafür entweder Preise bekommen oder entsetzlich einfahren und in Schande auswandern müssen. Ich habe mich immer für alle Menschen, alle Hintergründe interessiert, war immer neugierig und nie eine Patriotin. Ich habe nicht gefunden, dass ich irgendeinem Land etwas schulde. Ich hörte dann auch, dass ich „das Nest beschmutze“. – Aber welches Nest, bitte? Jedes Nest, das ich hatte, habe ich mir bauen müssen.

Im Herzen bin ich kommunistisch. Darum werde ich auch nie reich sein, ich verteile immer alles.

Kannst du deinen Erfolg genießen?
(Überlegt lange) Ja, schon. Das erste Mal, dass ich mich privilegiert gefühlt habe, war, als ich eine Vorstellung spenden konnte. Ich wollte immer helfen, wenn ich groß bin. Ein befreundeter Künstler, Elias Werner, rief „Highway 2 Help“ ins Leben: Kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine hat er schon Hilfsgüter an die Grenze gebracht. Dass ich so tolle Menschen unterstützen kann, rührt mich zu Tränen.
Wie geht es für dich weiter?
Ich weiß schon, an welchem Tag 2025 meine nächste Premiere sein wird. Bis dahin bin ich gut gebucht. Ich stehe mittlerweile auch für Filme vor der Kamera, aber ich liebe das Theater, einfach alles daran. Es gibt nur eine Klappe, eine Chance und jede Vorstellung ist anders. Ich habe Fans, die tatsächlich schon in fünf meiner Vorstellungen waren. Am liebsten würde ich jedem, der in die Vorstellung kommt, die Hand schütteln. Ich verstehe nicht, wie man das jemals in seiner Karriere vergessen kann, wie wunderschön dieser Beruf ist. Es ist ein Riesenprivileg, dass mir die Menschen ihre Zeit schenken. Ob nun 50 Leute kommen oder 500, sie haben immer die beste Show verdient.

Marina Lacković – ihre Bühnenfigur trägt den Namen „Malarina“ – war sechs Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Serbien nach Österreich kam. Sie absolvierte in Innsbruck die HAK Matura, inskribierte dort zunächst Wirtschaftsrecht und später in Wien Vergleichende Literaturwissenschaft. 2019 steht sie das erste Mal mit einer 15-minütigen Stand-up-Comedy im Wiener WUK auf der Bühne, im Oktober 2020 – zwischen den Lockdowns – folgt die Premiere von „Serben sterben langsam“. 2022 wird sie mit dem Förderpreis des Österreichischen Kabarettpreises ausgezeichnet, heuer mit dem „Salzburger Stier“. Sie steht zudem regelmäßig für die ORF III-Show „Die Tafelrunde“ vor der Kamera – und seit Kurzem auch fürs Kino. Am 30. November startet Eva Spreitzhofers Komödie „Wie kommen wir da wieder raus?“, in der sie an der Seite u. a. von Hilde Dalik, Caroline Peters und Simon Schwarz spielt.

Malarina

Highway 2 Help

Slow Food Interview Bachlers

Alles begann 1980 im Piemont und bei dem einen oder anderen Glaserl Wein, bei Barolo um genau zu sein. Der Italienische Publizist und Soziologe Carlo Petrini hat damals mit einer Gruppe Weinliebhaber*innen die Gesellschaft der „Freunde des Barolo“ gegründet, um dem Wein der dortigen Gegend mehr Wertschätzung zu zollen. Genau diese Runde sorgte sechs Jahre später für noch mehr Aufsehen. Und zwar mit einem öffentlichen Pasta-Essen an der Spanischen Treppe in Rom als Protest gegen die Eröffnung einer McDonald’s-Filiale in der historischen Innenstadt. Die Slow Food Bewegung war damit geboren, damals noch unter dem Vereinsnamen „Arcigola“, seit 1989 international anerkannt. „Mittlerweile engagieren sich über 1 Million Menschen in mehr als 160 Ländern für eine Esskultur, die Genuss und Verantwortungsbewusstsein vereint – mit dem Ziel, ein gerechteres, besseres und damit zukunftsfähiges Lebensmittelsystem zu schaffen. „Damals wie heute kämpfen wir als Slow Food Expert*innen für regionale Traditionen, gutes Essen, kulinarischen Genuss und ein moderates Lebenstempo“, so das Team von Slow Food Österreich.

Überlegte Gaumenfreuden

Das Kärntner Gastronomen-Paar Ingrid und Gottfried Bachler sind Slow Food Expert*innen erster Stunde. Seit 1989 setzen sich die beiden für gute und saubere Lebensmittel aus der Umgebung ein und prägen bis heute diese Bewegung. Ingrid Bachler ist Obfrau vom Marktplatz Mittelkärnten, ihr Ehemann Gottfried Bachler ist Obmann von Slow Food Kärnten. Ihr 3-Hauben-Restaurant in Althofen haben sie im vergangenen Jahr geschlossen, ihre Genussreisen gehen aber mit Catering, Events, Seminaren und Kochkursen weiter und bleiben somit für die Allgemeinheit erhalten.

Wer einmal zusammen mit Ingrid und Gottfried Bachler Käse gegessen und Wein getrunken hat, will das nie wieder ohne diese Wirtsleute tun. Die Art und Weise, wie sie über Lebensmittel und Produkte sprechen und das Wissen, das sie bei solch einem Tasting vermitteln, lässt jeden noch so ungeschulten Gaumen zu einem Feinspitz werden. Bei unserem Treffen erzählen die beiden private Anekdoten aus ihrem mehr als 40-jährigen Gastroleben und betonen die Notwendigkeit von nachhaltigen Lebensmitteln.

funk tank: Vor rund 37 Jahren haben Carlo Petrini und eine Gruppe von Aktivist*innen die Slow Food Bewegung gegründet, heute engagieren sich mehr als eine Million Menschen für den bewussten Genuss von Lebensmitteln. Was bedeutet Slow Food für Sie, und wie sind Sie zu der Organisation gekommen?
Ingrid & Gottfried Bachler: Über einen Kurgast, der in unserem Ort weilte. Es wollte während seines Kuraufenthaltes ein wenig in einer Profi-Küche „spielen“. Das haben wir mit ihm gemacht. Dann führte das Eine zum Anderen … Als Petrini Slow Food ausrief, wurde damals ein Team vom ORF in Wien nach Bra(tislava) geschickt. Auf der Rückreise war die Regisseurin Traudl Wolfschwenger auf der Suche nach einem heimischen Restaurant mit ähnlicher Philosophie. Ihr Kameramann Roland erzählte ihr von seinem Kuraufenthalt und der Zeit in unserer Küche. Aus Verona – damals gab es weder Handy noch Internet – rief er bei uns an, ob es möglich sei, von einem unserer Bauern etwas geliefert zu bekommen. Wir erklärten uns bereit und besorgten von einem Kleinbauern innerhalb von 5 Stunden eines seiner Milchferkel. Fast zeitgleich kamen dann sowohl das Fernsehteam als auch der Bauer bei uns an. So haben wir von der ganzen Bewegung erfahren und meldeten uns gleich bei Slow Food an. Keine 4 Wochen später kam Carlo Petrini überraschend zu uns, um zu sehen, wo und wie „diese Verrückten“ leben. Damit begann eine mittlerweile sehr lange Freundschaft und unsere ungebrochene Begeisterung für Slow Food.
In Österreich handelt man seit mehr als 20 Jahren nach dem Slow Food Credo „gut, sauber und fair“. Welche Kriterien konkret müssen die Lebensmittelproduzent*innen erfüllen, um als Slow Food Betrieb anerkannt zu werden?
Die Produzent*innen müssen bei Slow Food einfach nach den Richtlinien des guten Gewissens handeln. Respektvoll, nachvollziehbar und mit der ganzen Liebe zur Sache.

Das Essen muss mehr an Stellenwert in der Familie und im Haushalt bekommen.

Auch in der heimischen Gastronomie gibt es ausgezeichnete Slow Food-Betriebe. Wie viele Restaurants kann man mittlerweile bei uns finden, und wie wird der bewusste Zugang von Slow Food in der Branche angenommen?
Es werden immer mehr. Wir in Kärnten versuchen die Idee sehr breit aufzustellen. Dazu geben wir gemeinsam mit der Kärnten Werbung einen mittlerweile nicht mehr wegzudenkenden Slow Food Guide heraus. In diesem finden sich Restaurants, Wirtshäuser, Buschenschenken und Produzent*innen mit einer Reihung und Bewertung nach Schnecken.
Slow Food Bäcker Taupe Mehl
© Elias Jerusalem
Als Obmann von Slow Food Kärnten und Gründerin von Marktplatz Mittelkärnten kümmern Sie sich u.a. darum, erlesene regionale Schätze auf den Tisch der Österreicher*innen zu bringen und Genuss und Verantwortung zu vereinen. Gerade die Kärntner Bewegung hat viele nachhaltige Projekte ins Leben gerufen. Was hat es mit Slow Food Travel und den Slow Food Villages auf sich? Und worauf sind Sie sonst noch besonders stolz?
Slow Food Travel, also echte Reiseziele und Slow Food Village, Orte guten Lebens, sind beide bei uns in Kärnten entstanden. Nach einer gewissen Anlaufzeit sind beide Projekte von Slow Food International übernommen und ausgerollt worden. Besonders stolz aber sind wir, dass es zunehmend in die Mitte der Gesellschaft getragen wird, sich zu engagieren und sein Handeln und Tun den Zielen von Slow Food zu folgen. Denn: Slow Food ist keine Marketing-Idee, es ist eine Haltung.
Ein Fokus von Slow Food Kärnten liegt auch auf der Vermittlung der Philosophie in Kindergärten und Schulen. Wie bringt man wichtige Botschaften dem jungen Publikum näher?
Wir haben mittlerweile 17 Schulen, die bei uns dabei sind. Alle diese Schulen haben eigene Slow Food Verantwortliche. Sie „müssen“ jeweils 1-2 dokumentierte Projekte umsetzen. Die 16 Slow Food Chefs sind angehalten, mit der ihnen zugeordneten Schule ein gemeinsames Projekt umzusetzen.
Leider ist es nach wie vor auch ein finanzielles Problem, ob man sich „Gutes Essen“ leisten kann oder nicht. Wer muss Ihrer Meinung nach etwas tun, um dieses Dilemma zu lösen? Und was kann jede*r von uns tun?
Es ist kein finanzielles Problem, „Gutes Essen“ zu genießen. Es ist vielmehr ein Problem der Wertung. Das Essen muss mehr an Stellenwert in der Familie und im Haushalt bekommen. Das Besorgen von wertvollen Lebensmitteln sollte immer im Vordergrund stehen, abseits von anderen, unnötigen Anschaffungen. Wenn es gelingt, diese Muster zu verändern und bewusster zu machen, dass das, was wir in uns hineinessen wichtiger wäre, dann sollte es gehen. Der Konsument / die Konsumentin ist ein Co-Produzent / eine Co-Produzentin. Mit jedem Griff ins Regal, wo wir bereit sind, unser Geld auszugeben, akzeptieren wir auch die Art der Herstellung.
Ehepaar Bachler
© Elias Jerusalem
Angenommen wir setzen unser Gespräch in 10 Jahren fort. Wo steht die Slow Food Bewegung dann im Optimalfall, und wie gehen die Menschen mit Lebensmitteln in Ihrem Wunschszenario um?
In 10 Jahren werden wir über Slow Food als eine der erfolgreichsten NGOs reden. Es wird selbstverständlich sein, den Produzent*innen „auf die Finger zu schauen“, die Produzent*innen werden wieder stolz auf ihre Produkte sein, da sie zum Glücklichsein ihren Beitrag leisten. Wir werden nur mehr genau so viel einkaufen, wie wir auch wegessen können. Wir werden wieder mit den Nachbarn teilen und nicht über die erfolgreichsten Einkäufe von angesagten Produkten reden, sondern über die sagenhaft guten Dinge, die vor Ort hergestellt worden sind. All das wird die Erde uns allen danken.

Wenn es um nachhaltigen Genuss geht, ist man bei Weinakademikerin Ingrid Bachler und Haubenkoch Gottfried Bachler genau richtig. Die Gastro- und Slow Food Profis aus Kärnten bieten in ihrer Genussschule Tastings, Kochkurse und Seminare an. Außerdem gibt’s bei ihnen professionelles Catering und einen Online-Shop für Kärntner Spezialitäten.

Bachler’s Feinkost, Catering, Seminare

Seit mehr als 25 Jahren ist die Slow Food Bewegung in Österreich tätig. Sie setzt sich für gute und saubere Lebensmittel zu fairen Preisen ein. Beim Dachverband Slow Food Österreich und den 17 Konvivien sowie 9 Gemeinschaften im Land stehen bewusster Genuss und nachhaltige Lebensmittel im Zentrum. Mit Geschmacksschulungen, Verkostungen, Exkursionen zu den Produzent*innen, Kochkursen und anderen Aktionen bringt die Organisation ihre Philosophie der Allgemeinheit näher.

Slow Food Österreich

Queen of Green aus Wien Interview

Die Wiener Label-Betreiberin Julia Schauer entwickelte mit einer Mikrobiologin eine umweltbewusste Lippenpflege. Ihre drei unterschiedlichen Pflegestifte sind vegan, tierversuchsfrei und dank komplett abbaubaren, FSC-zertifizierten und mit Sojatinte bedruckten Kartonhüllen zu 100% plastikfrei. Die Idee vegane Pflegeprodukte herzustellen, kam über Umwege …

funk tank: Ihr Vater ist Apotheker, Sie selbst waren viele Jahre Beauty-Redakteurin – kein klassischer Weg zur Kosmetik-Produzentin, dennoch verfügen Sie über ein großes Know-how in diesem Bereich. Was hat Sie schlussendlich dazu bewegt, „Queen of Green“ zu gründen, und welche Meilensteine haben Sie in den vergangenen 2 Jahren gemeistert?
Julia Schauer: Als Beauty-Redakteurin gingen jahrelang alle Kosmetikneuheiten über meinen Schreibtisch. Natürlich konnte ich nicht alles testen, aber Lippenpflege habe ich immer ausprobiert – wegen meiner trockenen Lippen. Leider hat mich selten ein Produkt komplett überzeugt. Daher habe ich irgendwann beschlossen, es selbst zu machen. Und klar, ich habe mir die Messlatte schon recht hoch gelegt. An meinen Ansprüchen – intensiv pflegend, hochwertig, vegan, plastikfrei und natürlich – wäre ich mehrfach beinahe gescheitert. Angefangen bei der Formulierung mit veganen Wachsen über die perfekte Kartonverpackung bis hin zur idealen Sojatinte und den besten Rohstoffen. Die Reise war voller Hindernisse, aber ich habe auch wirklich viel gelernt.
Einiges würde ich vermutlich heute anders machen, aber dazu sind Erfahrungen ja da.
Portrait Queen of Green Julia Schauer
© Gerhard Merzeder
Die Bezeichnung „Nachhaltige Naturkosmetik“ wird mittlerweile oft inflationär verwendet. Was macht für Sie ein nachhaltiges Produkt aus?
Das perfekt nachhaltige Produkt gibt es nicht. Aber man kann versuchen, zumindest einige Aspekte zu optimieren. Daher habe ich mich gegen die klassische Plastikhülle und für eine Version aus FSC-zertifiziertem Karton entschieden, die sich am Kompost oder in der Erde nach ca. 6 Wochen zersetzt. Um einen Anreiz zu bieten, die leere Hülle auch wirklich einzugraben, habe ich Blumensamen in die Hülle integriert. Welche Blumen das sind, findet man nur heraus, wenn man die Hülle vergräbt. Zusätzlich achte ich bei meinen Rohstoffen auf einen hohen Bio-Anteil – das kommt der Umwelt zugute und uns natürlich ebenso. Wir essen nämlich unbewusst ca. 5 Lippenstifte pro Jahr. Da ist es schon gut, wenn das natürliche und plastikfreie Stifte sind, oder?!
Erzählen Sie uns bitte mehr über Ihre vegane Lippenpflege.
Für meine Pflegestifte verzichte ich bewusst auf tierische Produkte wie Lanolin oder Bienenwachs. Und natürlich auf Tierversuche. Tierleid ist nicht notwendig, um tolle Kosmetik zu machen. Zugegeben, die perfekte Kombination aus den unterschiedlichen veganen Wachsen zu finden, war schon eine ganz schöne Herausforderung.
Lippenpflege Serie von Queen of Green
© Oliver Topf
Das Packaging von Queen of Green fällt auf – verspielt, weiblich, sehr schön anzusehen. Wie wichtig ist die Optik der Verpackung im Zeitalter von Instagram & Co. Ihrer Meinung nach? Wer ist Ihre Zielgruppe?
Ich denke, dass eine ansprechende Verpackung extrem wichtig ist. Dadurch werden die Leute auf das Produkt aufmerksam. Überzeugen muss jedoch schon der Lipbalm selbst, aber Kunden „anlocken“ müssen zuerst mal äußere Werte. Meine Zielgruppe sind zumeist Frauen, die zwar gern nachhaltig kaufen möchten, aber dafür keine Kompromisse bezüglich Pflegewirkung und Design machen wollen.
Apropos Schönheit. Wie definieren Sie Schönheit?
Schön ist, wer glücklich ist und von innen strahlt. Ich sehe so viele faltenlose Gesichter, die nicht mit sich selbst zufrieden wirken und das auch ausstrahlen. Natürlich ist es toll, schöne Haut zu haben, aber man muss sich in dieser auch wohlfühlen.
Model Queen of Green
© Gerhard Merzeder
Spröde Lippen betreffen sowohl Frauen als auch Männer. Könnten Sie sich in Zukunft auch ein breiteres Angebot vorstellen, also auch Männerkosmetik? Wie sehen Ihre Pläne der kommenden Monate aus?
Einige Männer haben mich bereits gefragt, warum es keine „King of Green“ Linie oder zumindest einen Stift für Männer gibt. Darauf antworte ich immer recht rasch, dass dieses Produkt zwar gern von selbstsicheren Männern gekauft und genutzt werden kann, aber auf die weibliche Kundschaft zugeschnitten ist. So viel in unserem Leben ist für Männer designt, bei Queen of Green ist das mal umgekehrt. Aber keine Sorge, es wird trotzdem neue Produkte geben. Ich arbeite gerade auf Hochtouren an einem neuen, größeren Pflegestick. Der pflegt trockene Hautstellen wie Hände, Ellenbogen, Füße, ... besonders intensiv und wird im Winter ein Traum sein!

Wir essen unbewusst 5 Lippenstifte pro Jahr. Da ist es schon gut, wenn das natürliche und plastikfreie Stifte sind.

Was darf in Ihrem Beauty-Case auf Reisen nicht fehlen?
Die Liste wird jedes Jahr kleiner. Nicht weil ich jedes Jahr jünger werde, sondern weil ich immer mehr merke, was ich wirklich brauche. Ich habe immer ein Hyaluronserum und Sonnencreme dabei, ein leichtes Fluid, meinen neuen Ringelblumen-Stick „Helpful Helena“ und natürlich meine drei Lipbalms: die intensive „Caroline“ und die getönte „Rosalie“ für tagsüber und die glättende „Sophie“ für die Nacht.
Der Winter kommt bestimmt … und damit trockene Lippen, Haut und Haare. Wie können wir uns jetzt schon wappnen, um die kommenden Monate Beauty-technisch gut zu überstehen?
Jetzt schon mit reichhaltiger Pflege zu beginnen, ist auf jeden Fall eine gute Idee. Ist die Haut erst trocken und die Lippen spröde, ist es viel schwieriger, sie wieder glatt und weich zu pflegen. Meine Overnight-Pflege „Sleepy Sophie“ ist ideal dafür, weil sie kleine Schäden repariert und dank Hyaluronsäure und Kokosextrakt sogar kleine Fältchen aufpolstert.

Julia Schauer hat 124 Pflegestifte getestet, um ihr Ziel zu erreichen: Herausgekommen sind drei Lippenpflege-Produkte, die vegan, tierversuchsfrei und plastikfrei sind. Über ihre Produkte von Queen of Green sagt sie: „Nachhaltig, natürlich, vegan oder schön? Meine Vision ist es, das oder durch ein und zu ersetzen und Pflege anzubieten, die alles kann, was wir uns wünschen und erträumen.“

Queen of Green

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Wir verlosen 1 Lippenpflege-Set von Queen of Green! Hier mitmachen: Gewinnspiel 

Fairtrade 30 Jahre Interview

Dreißig Jahre „Fairtrade“ in Österreich. Was hat sich durch den Einsatz der Organisation für die Kaffeebäuerinnen und -bauern in den vergangenen Jahren geändert, was soll in den nächsten 30 Jahren geschehen? Wir haben jemanden gefragt, der es wissen muss: Die Kaffeesommelière Alexandra Urban hat sich als Beraterin für Röstereien und als Ausbilderin für Kaffeefachleute einen Namen gemacht. Seit dem Frühjahr 2023 ist sie Kaffeemanagerin bei Fairtrade International.

funk tank: Vor 30 Jahren war Kaffee das erste Fairtrade Produkt in den österreichischen Regalen. Heute werden hierzulande täglich rund 1,5 Millionen Tassen Fairtrade Kaffee konsumiert. Was hat sich dadurch verändert?
Alexandra Urban: Konsument*innen haben durch ihre Kaufentscheidung Macht. Eine Tasse fair gehandelten Kaffee zu trinken, mag nach wenig aussehen. Aber es ist eine bewusste Kaufentscheidung, die – vor allem in der Masse – einen Unterschied macht! 1,5 Millionen dieser Kaufentscheidungen täglich sind gigantisch und haben in den vergangenen 30 Jahren bei den Fairtrade Kaffeebauernfamilien viel bewegt. Die Produzent*innen profitieren am meisten vom fairen Handel, wenn ihre Kooperationspartner*innen ihren Kaffee zu Fairtrade Bedingungen verkaufen können. Deshalb ist es ermutigend zu sehen, wie viele Menschen Wert darauf legen, nachhaltige Entscheidungen zu treffen und dies zu einem Teil ihrer täglichen Routine machen.
Portrait Kaffeesommelière Alexandra Urban
© Anne Barth Photography
Was muss das Ziel von Fairtrade für die nächsten 30 Jahre sein?
Es gibt viele Entwicklungen, auf die wir auch kurzfristig reagieren müssen, wie bereits in der Vergangenheit getan. Die weltpolitische Lage, der Markt, die Anforderungen der Konsument*innen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen sind stets im Wandel. Wir beobachten, dass die Anforderungen an die Kaffeeproduzent*innen immer größer werden – in Bezug auf Transparenz und Rückverfolgbarkeit, Qualität und Weiterverarbeitungsprozesse, aber auch aufgrund der aktuellen Anforderungen an entwaldungsfreie Lieferketten und den ökologischen Landbau – und natürlich durch die Auswirkungen der Klimakrise. Studien haben vorausgesagt, dass etwa die Hälfte der derzeitigen Kaffeeanbauflächen bis 2050 aufgrund steigender Temperaturen für den Kaffeeanbau ungeeignet sein wird. In Anbetracht all dieser Entwicklungen ist es wichtig, dass die Produzent*innen die finanziellen Ressourcen haben, sich darauf einzustellen, nicht zuletzt durch einen fairen Preis für ihre Kaffeeernte. Aber auch Ertragssteigerungen, eine höhere Produktivität, ein leichterer Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und die Diversifizierung des Einkommens, um aus Abhängigkeiten herauszukommen, sind anzustrebende Ziele, um nur einige zu nennen. Wir wissen zwar nicht, was in den nächsten 30 Jahren alles passieren wird, aber wir wissen, wie wichtig es ist, dass die Produzent*innen mit am Tisch sitzen, um Entscheidungen zu treffen und um gemeinsam die Zukunft von Fairtrade zu gestalten. Kurz gesagt: Wir sollten mehr vom Gleichen tun, aber intelligenter, gezielter und ressourcenschonender als je zuvor!
Kaffeefarmer Fairtrade
© Christoph Koestlin / Fairtrade
Die Teuerung war und ist noch immer ein globales Problem. Studien haben gezeigt, dass Fairtrade Kleinbauernfamilien Kostenschwankungen besser als Landwirt*innen verkraften, die nicht dem fairen System angehören. Warum?
Die Teuerung hat viele Kaffeeanbauländer stark betroffen. Die Inflationsrate ist zum Teil viel höher als bei uns. Auch haben sich die Kosten für die Kaffeeproduktion durch gestiegene Preise für Düngemittel, Arbeitskräfte, Transport und so weiter enorm erhöht. Der Fairtrade Mindestpreis ist ein wirksames Mittel, um diesem Trend Rechnung zu tragen, denn er gewährleistet Planungssicherheit. Durch dieses Sicherheitsnetz sind Kleinbauernfamilien der Organisation resilienter, da sie mit dem Wissen, dass der Verkaufspreis unabhängig vom schwankenden Weltmarktpreis eine bestimmte Marke nicht unterschreiten wird, planen können. Das ist enorm wichtig!

Wir sollten mehr vom Gleichen tun, aber intelligenter, gezielter und ressourcenschonender als je zuvor.

Stichwort global: Auch die Klimakrise ist ein Problem, das vor niemandem haltmacht. Kaffee ist eine sehr klimasensible Pflanze. Wie begegnen Fairtrade Kaffeebauernfamilien dem Klimawandel?
Fairtrade Kaffeebauernfamilien stehen in punkto Klimawandel an der vordersten Front. Für sie sind die Auswirkungen der Klimakrise tägliche Realität. Einige leiden bereits unter dem Verlust von Land und Ernten und kämpfen um ihre finanzielle Lebensgrundlage. Denn extreme Wetterbedingungen, steigende Temperaturen und die damit verbundenen Veränderungen im Ökosystem beeinträchtigen ihren Ernteertrag und manchmal auch die Qualität des Kaffees. Die Fairtrade Prämie, die zusätzlich zum Fairtrade Mindestpreis gezahlt wird, kann für Projekte eingesetzt werden, die der Anpassung an den Klimawandel dienen. Dies können Baumpflanzungen zur Vermeidung von Bodenerosionen, Bewässerungsprojekte, die Diversifizierung von Anbauprodukten und die Verjüngung der Kaffeebäume sein, abhängig von den lokalen Gegebenheiten und Bedürfnissen.
Kaffeebauern Fairtrade bei der Arbeit
© Rosa Panggabean / Fairpicture Fairtrade
Fairtrade Kaffee wird mittlerweile international geschätzt und nachgefragt, und die Spezialitätenkaffees nehmen regelmäßig an Wettbewerben teil. Wie unterstützt die Organisation das Qualitätsbewusstsein der kooperativen Mitglieder?
Wir haben beispielsweise auf der SCA-Messe in Portland und der World-of-Coffee-Messe in Athen zwei öffentliche Verkostungen der Gewinner der nationalen Golden-Cup-Wettbewerbe organisiert. Das war eine schöne Möglichkeit, um die Vertreter*innen der Kooperationspartner*innen und potenzielle Käufer*innen zusammenzubringen und auch einfach „die Tasse sprechen zu lassen“. Die Besucher*innen der Messe konnten Kaffees verkosten und sich selbst ein Bild von der überragenden Qualität machen. Zu sehen, wie so hochwertige Qualitäten angenommen werden und dass man dafür auch eine zusätzliche Qualitätsprämie erhalten kann, ist natürlich für die Produzent*innen ein enormer Anreiz. Auch dadurch wird ihr Qualitätsbewusstsein gefördert.
Kaffeebohnen mit Hand
Milo Miloezger / Unsplash
Gibt es neue internationale Kaffeetrends, die auch für die Konsument*innen in Österreich spannend sind?
Vielleicht nicht das, was Sie unter einem Trend verstehen. Doch die Entwicklung, die wir derzeit beobachten, ist die weitere Verbreitung von vermeintlichen Nachhaltigkeitssiegeln, die keine wirksamen Standards mit sich bringen. Das ist für viele Konsument*innen ein Problem, da es oft schwer zu wissen ist, worauf sie vertrauen können. Umso wichtiger wird zukünftig das Fairtrade Siegel mit seinen hohen Bekanntheits- und Vertrauenswerten sein, gestützt durch umfangreiche Standards sowie regelmäßige und unabhängige Kontrollen. Aber auch neue gesetzliche Bestimmungen wie das geplante EU-Lieferkettengesetz werden hoffentlich dazu beitragen, die Wettbewerbsbedingungen anzugleichen. So kann sichergestellt werden, dass beim Kauf von fairen Produkten die Produzent*innen wirklich profitieren und die Konsument*innen nicht in die Irre geführt werden. Bei Qualitätswettbewerben wie bei der Taza Dorada („Goldene Tasse“) schicken Fairtrade zertifizierte Kooperationspartner*innen ihre besten Kaffees ins Rennen – ein großer Ansporn für die Produzent*innen, höchste Qualitäten anzubauen und eine tolle Wertschätzung ihrer Arbeit.

Alexandra Urban ist diplomierte Politologin und Wirtschaftsgeographin mit Schwerpunkt Lateinamerika und seit über zehn Jahren in unterschiedlichen Funktionen in der Fairtrade Kaffeewelt zu Hause. Sie hat Erfahrung in der Qualitätskontrolle, im Rohkaffeeeinkauf sowie in der Abwicklung von Direktimporten für verschiedene Röstereien und schult Kaffeefarmer*innen, -röster*innen und -händler*innen. Seit Anfang des Jahres arbeitet sie als Kaffeemanagerin im Team Global Products, Programs & Policy von Fairtrade International.

Fairtrade

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