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„Ich bin Jongleur und jongliere mit Gefallen“

Im April 2016 hat Michel Attia zum ersten Mal einen Musikstammtisch in Wien veranstaltet. Zur 50. Ausgabe des Netzwerkevents haben wir mit dem Tausendsassa über seinen Brotjob, seine Ideen und die heimische Musikszene gesprochen.
Portraitfoto Michel Attia
© Nikolaus Ostermann

Langsam, aber sicher will sich der 46-jährige Michel Attia zurückziehen. Nicht ganz, aber einfach ein bisschen leiser treten „und nur mehr für zwei arbeiten“. Was das genau bedeutet, woher der Musikexperte seine Inspiration nimmt und warum er es liebt, Musiker*innen zu vernetzen, hat uns Michel anlässlich seines Musikstammtisch-Jubiläums verraten …

funk tank: Lieber Michel, wer in Österreich was mit Musik zu tun hat, kommt an dir nicht vorbei, du kennst gefühlt jede*n in der Szene und bist Netzwerk-König. Was machst du eigentlich genau?

Michel Attia: Ich bin Jongleur und jongliere mit Gefallen. Mein Brotjob ist bei FM4 seit knapp 22 Jahren als Event-Chef, damit verdiene ich mein Geld und das macht mir noch immer Spaß. Ansonsten habe ich viele Ideen, die ich umsetze, aber damit wenig bis kein Geld verdiene. Ich veranstalte Michels Musikstammtisch alle zwei Monate in Wien, unregelmäßig in Hamburg, dann gibt es noch das Speak Ösi in Hamburg, ab und zu das Katerfrühstück und ich habe ein Postkarten-Label namens Bussi, Wien.

Der Musikstammtisch feiert am 26. September sein 50. Mal. Wie ist die Idee dazu entstanden und was macht diesen Treffpunkt in Wien aus? Für wen ist er?

Eigentlich war das eine spontane Idee, ich hätte damals zum Echo in Berlin fliegen sollen und konnte wegen eines Arzttermins nicht hinfliegen, das hat mich total geärgert. Dann habe ich in meiner Bubble auf Facebook ausgerufen, dass ich eine Konkurrenzveranstaltung dazu in Wien mache, was natürlich total absurd war. Da ich damals auch ein Lokal hatte, war das easy zu organisieren und ich habe mit 20 Leuten gerechnet, es kamen dann aber um die 100 Personen. So war mir klar, dass es den Bedarf gab und darum habe ich dann entschlossen, das regelmäßig alle zwei Monate als Afterworkevent zu machen.

Michels Musikstammtisch existiert bis heute und ist für die Musikbranche gedacht, also für Musiker*innen und Menschen aus der Branche. Ich habe keine strengen Kriterien, aber irgendwas muss man schon mit Musik zu tun haben, wenn man nur Blockflöte spielt, ist das auch okay.

Darf irgendwer nicht rein? Sagen wir z. B. Rammstein?

Wenn Rammstein tatsächlich kämen, dann würde ich zumindest dafür sorgen, dass sie nicht bedient werden an der Bar und dann würden sie das hoffentlich kapieren. Eigentlich sind aber alle herzlich willkommen, die Einladungen gehen ja über meine Facebook-Gruppe raus und da sehe ich sowieso, wer sie bekommt.

Musikstammtisch im Wiener WUK
Musikstammtisch im Wiener WUK © Nikolaus Ostermann
Du hast ja immer Partner*innen für Freigetränke für den Musikstammtisch, finanzierst du so diese Events? Und es gibt immer internationale Gäste aus der Branche, wie suchst du die aus?

Anfangs habe ich mein privates Geld reingesteckt, mittlerweile habe ich zum Glück ein Jahressponsoring der Wirtschaftsagentur Wien und es gibt fast jedes Mal einen Partner/eine Partnerin für Freigetränke, da freuen sich vor allem die Nachwuchsmusiker*innen.

Das mit den Gästen hat sich zufällig entwickelt. Die deutsche Agentur Goodlive war auf der Suche nach einem passenden Event in Wien, wo sie sich präsentieren kann. Mittlerweile melden sich immer wieder Agenturen, Plattenfirmen, Kulturvereine, Unternehmen usw. oder ich suche sie aus, was öfter vorkommt.

Gibt es dann auch Panels oder sowas in der Art?

Nein, bei mir ist das Ganze niederschwellig und ohne Talks, Panels usw., genau das genießen die Leute, glaube ich.

Wer aus der Branche kommt dann genau?

Im Großen und Ganzen kommen die Stammgäste aus dem Alternative Mainstream. Aber auch z. B. von Starmania, von Ö3, Energy oder aus dem Jazz. Was mir am meisten fehlt, ist, dass auch die Leute aus der Clubkultur kommen und Personen aus der Hochkultur würde ich mir ein bisschen mehr wünschen.

Du veranstaltest ja nicht nur in Wien deine Stammtische, sondern auch in Hamburg. Was machst du dort?

Ich liebe Hamburg und habe dort schnell bemerkt, dass es nichts Regelmäßiges für die Musikbranche gibt, außer halt einmal im Jahr am Reeperbahn Festival. Dort kenne ich auch viele Leute und habe denen von meinem Musikstammtisch erzählt und die haben es wieder weitererzählt und seitdem veranstalte ich das in Hamburg unregelmäßig.

Zusätzlich habe ich Speak Ösi dort gemacht. Ich liebe schlechte Wortspiele (lacht). Mir gefällt die Idee der Speakeasy-Bars und das habe ich dann in Hamburg als Speak Ösi umgesetzt. Für 12 Personen mit Kulinarik aus Österreich, also österreichische Produkte und Köch*innen. Das ist dann in einer Wohnung versteckt und die Leute werden abgeholt und dorthin gebracht. Z. B. mit Hubert Mauracher, der Musiker ist und für viele als der beste Thai-Koch des Landes gilt, was ja witzig ist, weil er eigentlich aus der Tiroler Wirtshausküche kommt. In der Zeit vom Reeperbahn Festival habe ich das dann veranstaltet, bisher 5 Mal, heuer lasse ich das mal aus, um das Festival genießen zu können.

Ich mache das alles ja nicht, um mir selbst einen Gefallen zu tun, sondern weil ich Menschen und Ideen gerne zusammenbringe.

Spannend bei dir ist ja auch, dass du wenig aktiv auf Social Media bist, aber dennoch immer überall mitmischt. Wie trittst du mit den Leuten in Kontakt?

Social Media interessiert mich eigentlich gar nicht. Ich versuche alles auf Telefonate, Textnachrichten und E-Mails zu beschränken. Aber ich habe Leute, die mir damit helfen. Beim Speak Ösi z. B. verschicke ich das an 100 Leute in Hamburg und dann spreadet sich das von selbst und dann melden sich auch Menschen, die ich vorher gar nicht kannte, das ist sehr lustig. Es wird aber ab demnächst für den Musikstammtisch eine einfache Website inkl. Newsletter und LinkedIn geben, weil die Branche dann doch den Termin via Facebook nicht immer mitbekommt. Algorithmus und so.

Katerfrühstück im Jaz in the City Wien
Katerfrühstück im Jaz in the City Wien © Marvin Strauss

Ich mache das alles ja nicht, um mir selbst einen Gefallen zu tun, sondern weil ich Menschen und Ideen gerne zusammenbringe.

Noch mal kurz zu Hamburg. Wenn du die Hamburger Musikszene mit der Wiener vergleichst – Welche Gemeinsamkeiten gibt es und worin besteht noch Nachholbedarf in Österreich?

Ich sehe es eher andersherum. Ich sehe Nachholbedarf in Hamburg. Ich finde, Wien ist viel gemeinschaftlicher in der Szene als Hamburg, in Hamburg kocht jede*r ihr/sein eigenes Süppchen, das erinnert mich an Wien vor 20 Jahren.

Dein Lieblingsfestival national und international?

National natürlich die Events von FM4, ich mag sehr gerne unser Geburtstagsfest und das nicht nur, weil ich das buche und kuratiere. Ansonsten gibt es ganz schön viele Festivals in Österreich, es wird immer mehr und nie weniger. Was auch nicht ganz unproblematisch ist. Mir gefällt das Lido Sounds, das finde ich sehr charmant. Oder das Acoustic Lakeside. International ist das Primavera ein Vorzeigefestival in Barcelona mit der Kombi aus Musik und Essen und Meer. Aber es gibt noch so viele andere, ich suche immer nach Gründen, um nach Hamburg zu reisen, also natürlich das Reeperbahn Festival. Genial finde ich auch das Roskilde Festival in Dänemark, vor allem für die Größenordnung. Das Flow Festival in Helsinki, das Oya Festival in Oslo, …

Obwohl du sehr viel unterwegs bist, bleibst du Wien treu. Warum?

Ich bin in Wien geboren, es ist ein bisschen eine Hassliebe. Ich liebe die Stadt, die Menschen, das Essen. Ich bin total froh, dass das meine Homebase ist. Aber nur Wien würde ich nicht aushalten. Durch das Reisen kann ich das ausgleichen. Weil hier alles länger dauert und Wien keine Trendstadt ist, ist alles ein bisschen langsamer, das finde ich super.

So kannst du bei deinen Ideen auch schneller als andere sein …

So sehe ich das auch. Ich war ja mit vielen Eventkonzepten für FM4 hier der Erste und alles war aus anderen Ländern geklaut. Die FM4 Überraschungskonzerte habe ich von den MySpace Secret Shows, die FM4 Radio Session ist nichts anderes als MTV Unplugged, die Eastpak Beatsteaks Wohnzimmertour in Deutschland habe ich übernommen und hier die FM4 Private Sessions daraus gemacht. Das ist natürlich ein Vorteil, man kann sich gut von anderen Ländern inspirieren lassen. Hamburg ist Wien da sehr ähnlich, es hat auch ein bisschen einen Dorfcharakter. Darum hat Speak Ösi dort funktioniert, in Berlin wäre das nicht gegangen, da gibt es sowieso schon viele Pop-up-Restaurants …

Eine Hommage an die Stadt hast du ja auch zusammen mit einer Kollegin geschaffen. Erzähl mal von deinen Postkarten …

Eigentlich wieder nur geklaut. Ich habe beim Mauerpark-Flohmarkt in Berlin Postkarten von den Straßen Berlins mit Streetart usw. gesehen und in Wien gab es das noch nicht. Dann habe ich das einfach gemeinsam mit Fotokünstlerin Claudia Stegmüller gemacht.

Postkarten-Label Bussi, Wien
Postkarten-Label Bussi, Wien © Bussi, Wien
Was steht als Nächstes bei dir an?

Ich versuche langsam weniger zu machen, den Musikstammtisch wird es weiter geben, aber Ziel ist es, weniger zu arbeiten und nicht mehr. Es gab immer noch eine Idee und auch ein bisschen der Gedanke der Welteroberung. Noch geht es mir gut, aber ich merke, dass ich aufpassen muss und nicht mehr über meine Grenzen gehen sollte. Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Du musst so viel arbeiten wie für drei Österreicher, weil du wirst es nicht leicht haben hier.‘ Das war noch eine andere Generation, ich habe mich aber daran gehalten. Jetzt versuche ich nur mehr für zwei zu arbeiten …

Michel Attia konzipiert und bucht beim Radiosender FM4 als „Head of Booking & Events“ diverse Eigenveranstaltungen wie die FM4 Radio Sessions, FM4 Überraschungskonzerte oder das FM4 Geburtstagsfest. Aus einer Laune heraus initiierte er 2016 den regelmäßigen Branchentreff Michels Musikstammtisch in Wien, den er mittlerweile auch unregelmäßig in Hamburg veranstaltet. Mit seinem Postkarten-Label Bussi, Wien huldigt er seine Homebase, die er liebt, aber immer wieder auch gerne verlässt, um sich für neue Ideen inspirieren zu lassen.

Bussi, Wien

funk-tank-magazin-alicia-weyrich-by-stefan-diesner-3
Alicia Weyrich
arbeitet als Journalistin und Werbetexterin in Wien. Neben dem geschriebenen Wort liebt sie die Musik, das Meer, gutes Essen sowie Zeit mit ihrer Familie, ihren Freund*innen und ihren Tieren.

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