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Alle haben die beste Show verdient

Ihre Bühnenpräsenz und ihr Schmäh sind wie Glitzerstreusel aus Zucker. Im Kern erforscht sie furchtlos und mitreißend die serbische und österreichische Seele. Ein Gespräch mit der preisgekrönten Komikerin, die man als „Malarina“ kennt.
Künstlerin Malarina mit Zigarette und Bier
© Vanja Pandurevic

Dass sie Menschen zum Lachen bringen konnte, wusste sie früh. „… aber ich hielt mich nie für ein Talent. Viele sind witzig“, sagt Marina Lacković, bekannt geworden als „Malarina“, während sie die Physalis bei ihrem Dessert auf den Tellerrand verbannt. Wir sitzen bei ihrem Lieblingsitaliener in der Nähe ihrer Wiener Wohnung, das Lokal ist quasi Teil ihres Zuhauses. Sie scherzt mit dem Kellner auf Italienisch, eine der vielen Sprachen, die sie beherrscht. Als vor geraumer Zeit ihre Beziehung in die Brüche ging, wuchsen ihr das Team dort und die Speisekarte – bis auf die gutgemeinte Physalis-Garnitur – ans Herz. „Sie ernähren mich hier“, lacht sie. „Als meine Freundin ausgezogen ist, war ich wie ein verlassener Balkan-Mann, Mitte 40. Ich wusste nicht einmal, wo die Gabeln sind.“

funk tank: Du sprichst Serbisch, Englisch, Italienisch, …
Malarina: … Russisch verstehe ich auch ganz gut und meine Muttersprache ist Rumänisch, weil ich Walachin bin (Volksgruppe unter anderem in Serbien, Anm.).
… und auf Deutsch machst du mehrfach preisgekröntes Kabarett. Gut, dass du nicht auch noch kochen kannst.
Ich kann ganz viele Sachen nicht, ich bin auch eine furchtbare Autofahrerin. Menschen winken aus Lokalen, um mich beim Einparken zu unterstützen (lacht).
Du warst sechs Jahre alt, als du nach Österreich gekommen bist, und hast blitzschnell Deutsch gelernt. Wie ging es weiter?
In der Hauptschule in Innsbruck war ich in der ersten sogar Klassenbeste, das war cool. Dann sind wir aufs Land gezogen und ich war ganz beschissen. Ich musste jeden verdammten Tag einen Berg rauf, um die Schulpflicht zu absolvieren, und dabei 20 Semmeln heimzahn. Jedes Tschuschenkind hat immer 20 Semmeln zum Heimzahn gehabt. Ich war so neidisch, wenn die Schwabomütter in die Schule gekommen sind: „Der Jonas hat seine Jausenbox vergessen.“ (lacht) Wir waren Schlüsselkinder und mussten immer selbstständig sein.
Du hast dann die HAK gemacht und Wirtschaftsrecht inskribiert. Wieso?
Es hat nicht jeder die Möglichkeit und den Selbstwert zu sagen: Ich mache eine Kunst Uni. Ich habe einen Abschnitt in Wirtschaftsrecht gemacht und bin dann nach Wien. Ich wollte immer gerne schreiben. Ein Deutschlehrer in der HAK meinte, ich hätte großes Talent. Sobald es aber eine Hochschule ist, wo man viel präsent sein muss, ist es quasi elitär. Nicht nebenher arbeiten zu können, können sich viele nicht leisten. Das Lustige ist: Es sind nie die Student*innen aus prekären Verhältnissen, die pleite sind, weil sie wissen, auf welchem Baum das Geld wächst.
Künstlerin Malarina in Pose
© Vanja Pandurevic
Du hast in Wien viel kellneriert, um Vergleichende Literaturwissenschaft studieren zu können …
… und viel Dreck von Männern gelesen, im Glauben, das sei Weltliteratur. Frauen können ja erst seit weniger als 100 Jahren schreiben. Ich weiß nicht, ob du das wusstest (lacht). Ich finde, dass auch die Schulzeit Menschen zu Nichtleser*innen macht, indem man Kinder- und Jugendliteratur konsequent abwertet. Dabei gibt es so viel gute Literatur für junge Menschen über Themen wie Armut oder Feminismus. Aber nein, es gilt weiterhin: Goethe ist ein wahrer Dichter.
Bist du aus Tirol ausgezogen, um Autorin zu werden?
Nein, bitte! So selbstbewusst war ich nie. In einem Verlagshaus Belege stempeln zu dürfen, wäre schon geil gewesen. Was ich an der Schriftstellerei tatsächlich immer gemocht habe, ist, dass du es tun kannst, egal wie arm du bist.
Was wolltest du als Kind werden?
Astronautin.
Wow!
Ich glaube, das ist das Zeugnis einer Depression, wenn ein kleines Kind die Erde verlassen will (lacht). Anwältin konnte ich mir auch gut vorstellen, weil ich immer einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte. Im Herzen bin ich kommunistisch. Darum werde ich auch nie reich sein, ich verteile immer alles.
Ich will auch nicht reich sein, aber auch nicht arm.
Ich schon. Ich will in Armut sterben und aussehen wie Cher.
Die schillernde Bühnenpräsenz deiner Figur Malarina kann da jetzt schon mithalten. Wie kamst du auf die Bühne?
Ich habe jung gemerkt, was Menschen zum Lachen bringt. Auch meinen Vater, der immer überarbeitet und darum oft sauer war. Ich liebe diese Stimmung, wenn man gemeinsam lacht, die Macht von Humor darf man nie unterschätzen. Ich dachte lange, dass ich der Welt etwas Tragisches hinterlassen werde, aber ich habe nie versucht, etwas zu veröffentlichen. Und dann sagten mir immer mehr Menschen: „Schreib was Lustiges!“ Dann begegnete ich beim Sister Clubbing im Wiener Fluc Denice Bourbon (Mitbegründerin des Politically Correct Comedy Clubs, Anm.) und bin ziemlich betrunken zu ihr hin: „Are you the stand-up-lady? – Well, look, I’m funny.“ Ich habe ihr später Texte geschickt.
Sie war begeistert und ermutigte dich, im Wiener WUK aufzutreten. Mit der Show konntest du dir dann sozusagen die Tür zum Kabarett Niedermair öffnen …
… nur leider musste die Premiere wegen der Pandemie abgesagt werden. Ich spielte sie dann Monate später, zwischen zwei Lockdowns, und wäre nicht Peter Blau gekommen und hätte eine Kritik für Ö1 gemacht, hätte wahrscheinlich niemand davon erfahren.
Dein „Serben sterben langsam“ ist bis heute ein voller Erfolg. Du wurdest im Frühjahr mit dem „Salzburger Stier“ ausgezeichnet, in der Jury-Begründung heißt es: „Eine perfekte austro-serbische Melange aus Zeitgeschichte und Klischees, aus klugem Witz und inspirierter Bühnenperformance, eine satirische Reise entlang der Balkanroute von Sarajewo nach Wien, auf den Brunnenmarkt“. Wieso dieses Programm?
Ich habe mich dafür geschämt, dass so viele Serben und Serbinnen HC Strache gewählt haben. Viele wollen von einem starken Mann, von einem Autokraten mit wenig Demokratieverständnis regiert werden. Nachdem Titos Jugoslawien zerfallen war, hat sich Faschismus leider irgendwie zum Synonym von Demokratie entwickelt. In mehreren ex-jugoslawischen Ländern war ja Nationalismus – und Religion auch – verboten. Als das dann sein durfte, hat es sich für viele liberal angefühlt, obwohl das genau das Gegenteil war.
Wie sind die Reaktionen?
Es kommen Menschen auch aus dem ganzen Balkanraum und aus allen Altersklassen. Das war mir wichtig. Ich möchte nicht zur Mehrheitsgesellschaft sprechen, aber auch nicht nur eine Nische bedienen. Die meisten finden es ganz toll, einige wenige, dass es sehr hart ist. Aber ich bin fair in meiner Recherche und gegenüber Österreich und Serbien gleich hart. Viele wissen gar nicht, dass ethnisch betrachtet Serben die zweitgrößte Opfergruppe im Zweiten Weltkrieg waren.
War es eine Überwindung, schlimmste Ereignisse der Geschichte in ein Kabarett zu packen?
Das war für mich logisch. Ich wollte demaskieren, wie dumm es als Migrant*in ist, rechts zu wählen. Als ich in der Nacht mit dem Rohentwurf meines Programms fertig war, habe ich zu meiner Freundin gesagt: Ich werde dafür entweder Preise bekommen oder entsetzlich einfahren und in Schande auswandern müssen. Ich habe mich immer für alle Menschen, alle Hintergründe interessiert, war immer neugierig und nie eine Patriotin. Ich habe nicht gefunden, dass ich irgendeinem Land etwas schulde. Ich hörte dann auch, dass ich „das Nest beschmutze“. – Aber welches Nest, bitte? Jedes Nest, das ich hatte, habe ich mir bauen müssen.

Im Herzen bin ich kommunistisch. Darum werde ich auch nie reich sein, ich verteile immer alles.

Kannst du deinen Erfolg genießen?
(Überlegt lange) Ja, schon. Das erste Mal, dass ich mich privilegiert gefühlt habe, war, als ich eine Vorstellung spenden konnte. Ich wollte immer helfen, wenn ich groß bin. Ein befreundeter Künstler, Elias Werner, rief „Highway 2 Help“ ins Leben: Kurz nach Kriegsbeginn in der Ukraine hat er schon Hilfsgüter an die Grenze gebracht. Dass ich so tolle Menschen unterstützen kann, rührt mich zu Tränen.
Wie geht es für dich weiter?
Ich weiß schon, an welchem Tag 2025 meine nächste Premiere sein wird. Bis dahin bin ich gut gebucht. Ich stehe mittlerweile auch für Filme vor der Kamera, aber ich liebe das Theater, einfach alles daran. Es gibt nur eine Klappe, eine Chance und jede Vorstellung ist anders. Ich habe Fans, die tatsächlich schon in fünf meiner Vorstellungen waren. Am liebsten würde ich jedem, der in die Vorstellung kommt, die Hand schütteln. Ich verstehe nicht, wie man das jemals in seiner Karriere vergessen kann, wie wunderschön dieser Beruf ist. Es ist ein Riesenprivileg, dass mir die Menschen ihre Zeit schenken. Ob nun 50 Leute kommen oder 500, sie haben immer die beste Show verdient.

Marina Lacković – ihre Bühnenfigur trägt den Namen „Malarina“ – war sechs Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Serbien nach Österreich kam. Sie absolvierte in Innsbruck die HAK Matura, inskribierte dort zunächst Wirtschaftsrecht und später in Wien Vergleichende Literaturwissenschaft. 2019 steht sie das erste Mal mit einer 15-minütigen Stand-up-Comedy im Wiener WUK auf der Bühne, im Oktober 2020 – zwischen den Lockdowns – folgt die Premiere von „Serben sterben langsam“. 2022 wird sie mit dem Förderpreis des Österreichischen Kabarettpreises ausgezeichnet, heuer mit dem „Salzburger Stier“. Sie steht zudem regelmäßig für die ORF III-Show „Die Tafelrunde“ vor der Kamera – und seit Kurzem auch fürs Kino. Am 30. November startet Eva Spreitzhofers Komödie „Wie kommen wir da wieder raus?“, in der sie an der Seite u. a. von Hilde Dalik, Caroline Peters und Simon Schwarz spielt.

Malarina

Highway 2 Help

Portrait Viktória Kery-Erdélyi
Viktória Kery-Erdélyi
studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und ist freiberufliche Journalistin in der Magazinbranche.

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