Na klar komme ich lieber hierher! Es will doch niemand in Gütersloh stoned sein.“ Im Coffeeshop Old Church II, unweit vom bekannten Amsterdamer Blumenmarkt, spricht ein deutscher Tourist gelassen aus, was sich in der Woche der Cannabis-Freigabe in Deutschland wahrscheinlich die meisten denken. Ich habe mich gerade vorher mit den Leuten hinterm Tresen unterhalten und mich gefragt, ob sie durch die Legalisierung beim Nachbarn einen Rückgang im (Kiffer)Tourismus fürchten. Die Reaktion fällt ausgesprochen gelassen, gleichzeitig aber scharf analytisch aus. „Schau, obwohl wir hier ja keine echte Legalisierung wie in Teilen der USA, in Uruguay oder eben jetzt in Deutschland haben, funktioniert die Regelung mit der Duldung hier sehr gut. Die Vorgaben sind sehr genau, eben auch die Maßgaben zu Verkauf und Konsum, und sogar das begleitende Tabakrauchverbot funktioniert“, wird mir routiniert erklärt. „Wir erwarten keinen, maximal einen sehr geringen Rückgang an deutschen Tourist*innen wegen der Freigabe dort. Die Leute kommen ja nicht wegen des Konsums an sich, den gibt es ohnehin schon immer überall. Sie kommen hierher wegen dieser speziellen Amsterdam-Experience. Die haben wir hier seit Jahrzehnten perfektioniert. Nicht nur bei der Entwicklung der Cannabis-Sorten, sondern auch in Präsentation, Beratung und Gastronomie. Wo sonst kannst du dir was kaufen und dann in Ruhe, sicherer Atmosphäre und sogar indoor einen Joint genehmigen?“
Die Altmeister
In der Tat ist man in Amsterdam, Klischee hin oder her, immer noch im absoluten Mekka der fröhlichen Stoner. Obwohl sich in der Zeit seit meinem ersten Besuch vor 25 Jahren einiges geändert hat – und das zum Vorteil. Das Flair blieb erhalten. Coffeeshops, aus denen Reggae oder auch 90er Trip-Hop tönt, Backpacker neben Aktenkoffer-Typen, die sich entspannt einen anbauen. Daneben unzählige Shops, die Shishas, Papers, Feuerzeuge und unfassbar hässliche Marihuana-Nippes verkaufen. Nur eben weit sauberer, freundlicher und deutlich weniger abgefuckt als noch im letzten Jahrtausend. Und ohne unangenehme Rausch-Tourist*innen auf der Straße. Denn seit mit letztem Jahr auch der öffentliche Konsum, zumindest im touristischen Teil der Altstadt, stark eingeschränkt wurde, hat man hier anscheinend die perfekte Balance aus bekannter Kiffer-Folklore und professionellem Business gefunden: makellos bei Produkt- und Beratungsqualität, aber dennoch lässig und nicht so hochgeschlossen wie in entsprechenden Teilen der USA. Denn auch wenn dort die Produktion und der Vertrieb perfekt funktionieren, gestaltet sich der Konsum dann doch weniger einladend. Im Schanigarten zu einem frisch gepressten Fruchtsaft einen quarzen, geschweige denn indoor: Fehlanzeige aufgrund der fast schon hysterischen Nichtrauchergesetze von Uncle Sam. Zwar nicht so schlimm wie Gütersloh, aber dennoch eher unlocker.
Na klar komme ich lieber hierher. Es will doch niemand in Gütersloh stoned sein!
Neue Zeiten
Die Holländer*innen selbst wiederum scheinen genau die fast schon klinische Art der Präsentation wie in den USA zusehends zu schätzen, zumal ja auch die Verlagerung sozialer Aktivitäten in die eigenen vier Wände als Spätfolge der Pandemiejahre immer noch spürbar ist. Die Folge: High-End-Coffeeshops, die mit den abgenutzten Holzbänken und Bob-Marley-Postern rund ums Rotlichtviertel wenig zu tun haben. Ganz im Gegenteil: Der Coffeeshop Sloterdijk beispielsweise verfolgt ein völlig anderes Geschäftsmodell: Hier wird nicht gekifft, sondern nur verkauft, jedoch in einem völlig anderen Stil. In einer architektonisch-funktionellen Mischung aus Apotheke, Insta-Hotspot, Butlers-Schauraum und Nobelbäcker (Joseph, Öfferl et al.) wird hier Hochwertiges vom Pre-Rolled Joint über Hasch bis zu erstklassigen Brownies verkauft. Auf Nachfrage zum Thema Geschäftsrückgang wegen der Freigabe beim Nachbarn hat man hier ebenfalls nur ein müdes Lächeln übrig. „Selbst wenn die Deutschen ihr ziemlich praxisfernes Gesetz irgendwann auf kommerziell brauchbare Beine stellen, holen die unseren Vorsprung – zumindest im Einzelhandel und in der Gastronomie – nie auf. Und sieh dich mal um! Glaubst du, für unser Geschäftsmodell sind die paar deutschen Tourist*innen relevant?“ Tatsächlich. Die ganze Zeit über kommen vorwiegend junge Holländer*innen, meist mit dem Auto zum eigenen Kundenparkplatz, stellen sich drinnen brav bei der Theke an und verschwinden ebenso schnell wieder aus dem schicken Designer Coffeeshop. Das Interieur und die Verkaufsberater*innen im weißen Laborkittel könnte man sich in einer stylischen John Wick-Sequenz ebenso vorstellen wie in einer Münchner Schnösel-Kaffeerösterei.
Selbst wenn die Deutschen ihr ziemlich praxisfernes Gesetz irgendwann auf kommerziell brauchbare Beine stellen, holen die unseren Vorsprung, zumindest im Einzelhandel und Gastronomie, nie auf.
Business as usual
Zurück nach Deutschland. Während in Holland in Sachen Weed ‚business as usual‘ stattfindet, ist es in Deutschland in gewisser Weise genauso. Beim Rundgang in Berlin am Ostermontag, dem Tag der Freigabe, bemerke ich nichts. Niemand ist am Kiffen im Tiergarten, außer die üblichen Versprengten einer langen Nacht, die noch schnell einen zum Runterkommen durchziehen. Aber die gab es immer schon. Ebenso ist vor dem Brandenburger Tor am Pariser Platz kein Ofen weit und breit zu sehen, nicht mal zu riechen. Und das, obwohl das sogar einer der wenigen Flecken in der Hauptstadt ist, wo man unbehelligt kiffen dürfte – außerhalb der 100 Meter-Schutzzonen rund um Schulen, Krankenhäuser, Sportplätze usw. Diese lassen sich übrigens auf der Homepage des ebenso einfachen wie nützlichen OpenMap-Projekts www.bubatzkarte.de einsehen.
Und selbst am riesigen Tempelhofer Feld ist niemand zu sehen, der Mary Jane frönt. Selbst im Wiener Burggarten knotzen an einem schönen Tag mehr kiffende Jugendliche herum als hier. Auf die Frage nach dem Warum, ernte ich von den Hauptstädter*innen nur Schulterzucken. Auch Polizist*innen in der Nähe der belebten Fußgängerzone ‚Unter den Linden‘ scheinen vom Thema gelangweilt. Sind die Berliner*innen ‚too cool to care‘? Der Tenor der befragten Passant*innen und eben auch Exekutivbeamt*innen, zusammengefasst von einem befreundeten Berliner Journalistenpaar: „Hier wurde immer schon mehr oder weniger ungeniert gekifft, angebaut und weitergegeben. Am Verhalten der Betroffenen ändert sich daher wenig. Diejenigen, die immer schon dem Cannabis zugeneigt waren, machen genau so weiter wie bisher. Und die anderen haben entweder ohnehin kein Interesse oder warten ab.“ Abwarten also, bis die per Gesetz definierten Cannabis Clubs zum Tausch und gemeinschaftlichen Anbau ab 1. Juli 2024 aktiv werden? Mal sehen. Zumindest in diesen drei Monaten wird sich aber weder in Deutschland noch in den Niederlanden irgendetwas gravierend ändern, es heißt bis dahin dort wie da: #bubatzegal statt #bubatzlegal
Buchtipp:
„Der große Rausch“ von Helena Barop
Auf rund 300 Seiten behandelt die promovierte Historikerin und Philosophin Helena Barop die Historie wie es dazu kam, dass Medikamente zu Rauschmitteln, Rauschmittel zu Rauschgift und aus Rauschgift illegale Drogen wurden. Vor allem den Weg der US-amerikanischen Drogenpolitik nach Deutschland und in den Rest der Welt, der Drogen vielerorts zu einem gesellschaftlichen Problem macht, erklärt Helena Barop. Fesselnd schildert Barop, wie die Angst vor Drogen sich zuverlässig in politisches Kapital umwandeln ließ und lässt. Dabei räumt sie mit Vorurteilen und Halbwahrheiten auf und erörtert Wege, wie man diese Ambivalenzen neu sortieren kann.
In Deutschland ist seit 1. April 2024 der Besitz und Konsum von Cannabis für über 18-Jährige legal – als erstes europäisches Land. Jedoch in einem sehr strengen rechtlichen Korsett, das bis auf weiteres nur den Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen und die Weitergabe in ab Juli erlaubten Cannabis-Clubs erlaubt. Kommerzielle oder gastronomische Regelungen sind vorläufig keine geplant.
In den Niederlanden ist THC-haltiges Cannabis per se nicht legal, wird aber seit den 1970er Jahren so weit toleriert, dass in sogenannten Coffeeshops Cannabis verkauft und konsumiert werden darf. Dies hat zu einer besonders populären Form von Tourismus geführt, die im Laufe der Jahre schrittweise eingedämmt wurde.
In den USA ist Cannabis in 38 Bundesstaaten für medizinische Indikationen und in 24 Bundesstaaten, darunter Kalifornien und New York, auch für den Freizeitgebrauch legal. Die Regelungen sind im Detail pro Bundesstaat sehr unterschiedlich, der Verkauf in so genannten Dispensaries genau festgelegt, beschert aber mittlerweile Steuereinnahmen in Milliardenhöhe.
Global setzen Länder wie Uruguay, Südafrika und auch Nordkorea(!) auf völlige Freigabe. Thailand schränkt eine ähnliche Regelung mit Jahresende wieder deutlich ein.
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