Skip to content
Stil /

Austin: Howdy, Boomtown!

Jährlich pilgern Anfang März tausende Neugierige zum Tech-Festival South by Southwest (SXSW) in die texanische Hauptstadt Austin. Ein Blick auf die rasant wachsende Metropole, in der sich Gegensätze magisch anziehen.
Streetart Austin Texas
© Cosmic Timetraveler/Unsplash

Bei Gus‘s Fried Chicken in der 2nd Street, gleich um die Ecke vom Convention Center, brüllt guter Rock aus der Konserve, und die Flasche Dom Pérignon kostet wohlfeile 300 Dollar. Neben den 5 Dollar für ein Dosenbier ist das ein stolzer Preis. Die Champagner Bestellungen im Lokal, dessen Kellner*innen auch beim Klassentreffen von Dazed & Confused eine gute Form machen würden, dürften sich eher in Grenzen halten. Doch der augenzwinkernde Eintrag auf der Getränkekarte bringt den Wandel zum Ausdruck, den die texanische Hauptstadt Austin und ihr Aushängeschild, das South by Southwest Conference und Festival, durchgehen. 
Die Stadt boomt, die Skyline wächst, jedes Jahr kommen neue Wolkenkratzer dazu, die entlang des Ufers des Colorado Rivers in die Höhe schießen. Das Motto, das einem vom Flughafen bis in die neuen, schicken Hotel Lobbys entgegenwinkt, ist immer noch das Gleiche: “Keep Austin Weird”. Der Slogan einer Stadt, die im Wandel ist, und in der man etwas genauer suchen muss, um die Weirdness zu finden.

Die Wolkenkratzer schießen unentwegt in die Höhe
Die Wolkenkratzer schießen unentwegt in die Höhe © Fergus Sweeney

Magnet für Innovation

Spult man etwas zurück, ein paar Jahre nur, dann war diese Weirdness leicht zu finden. Die einzigartige Mischung aus Hippies, Cowboys und Tech im Herzen von Texas hatte schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Anziehungskraft für Menschen aus dem ganzen Land.
Willie Nelson, Richard Linklater, Dell Computers. Das sind Namen, die auch schon vor dem großen Boom der letzten Jahre mit der “blueberry in a bowl of tomato soup” assoziiert wurden. Die liberale Insel, umgeben vom konservativ geprägten, landwirtschaftlichen Texas.
Austin, die Stadt mit den meisten Live Musiklokalen pro Einwohner*in, das “Live Musical Capitol” mit Studierenden aus der ganzen Welt an der University of Texas als Mischung verschiedener Stilrichtungen und Geisteshaltungen war bereits damals ein Magnet. Angenehmes Wetter (bis auf die heißen Sommer), günstiger Wohnraum, ein kreatives Umfeld, entspannter und weniger oberflächlich als Kalifornien, gemütlicher und weniger hektisch als New York. Wunderschöne Wandmalereien an jeder Ecke, Breakfast Tacos (Fladen mit Ei, Bohnen und Speck) und Ranch Water (Tequila mit Soda). Auf dem gleichen Breitengrad wie Kairo ist man hier in einer der südlichsten Metropolen der USA. In den letzten 20 Jahren hat sich die Bevölkerung der Stadt mehr als verdoppelt.

Two-Step Tanzmusik im White Horse auf der East Side
Two-Step Tanzmusik im White Horse auf der East Side © Fergus Sweeney

Wurzeln in Musik und im Film

Die entspannte Note findet man immer noch, auch wenn man dafür etwas weiter vom Zentrum ausfliegen muss (Richtung Osten oder Süden), wo sich mittlerweile ein Wolkenkratzer an den anderen reiht. Der Wandel der Stadt, noch einmal beschleunigt durch einen massiven Influx von Geld und Menschen aus Kalifornien (Hollywood und Silicon Valley, Entertainment und Tech) im Rahmen der Pandemie, zeigt sich auch in Downtown und bei South by Southwest selbst.
Eigentlich als Musikfestival gestartet, dann durch ein Filmfestival ergänzt – beides gibt es nach wie vor – ist der Interactive Part der Konferenz/Messe/Happening mittlerweile zum wichtigsten Innovationstreffpunkt der Welt geworden. In der 2. Märzwoche kommen Menschen von nah und fern, um sich über die brennendsten Themen der Zukunft auszutauschen. Das passiert auf den unterschiedlichsten Ebenen. Im Konferenzzentrum und in den Hotels gibt es Vorträge und Workshops in Sälen und Räumen für 10 bis 5000 Menschen. Dann laden Firmen von Google bis Amazon in Lagerhallen und mit interaktiven Erlebnissen zu Partys und Austausch, vom Brunch mit Mimosas hin zum Cocktail mit Margaritas.

Genau der Faktor, dass man nicht weiß, wen man an der Bar, im Vortragssaal oder in der Schlange zum Kinosaal kennenlernt, lässt die Besucher*innen wiederkommen, und das auch nach 30 Jahren.

Interaktive Geisterbahn

Eine Mischung aus Prater, Reeperbahn und Disneyland – vor allem auf der 6th Street und der Rainy Street. Doch schon ein paar Gassen weiter geht es gemächlicher zu. Viele Veranstaltungen finden neben dem offiziellen Programm statt, von gratis bis zu ein paar tausend Dollar für die Eintrittskarte oder den Platz am Tisch. Der Wandel der Stadt durch den Boom der letzten Jahre zeigt sich auch in den Veranstaltungsorten. Wurde früher noch mehr in den Hinterhöfen von Bars und auf Baustellengruben gefeiert, gibt man sich heute eher das Stelldichein auf den Terrassen mondäner Hotels. Auch weil es diese bis vor ein paar Jahren noch nicht gab.

Im Hintergrund und Vordergrund läuft Musik, von Country bis Hip-Hop. Das Filmfestival hat sich mittlerweile neben Sundance zu einem der wichtigsten im Indie-Segment entwickelt, auch Hollywood und die Studios/Streamer nutzen es gerne für Premieren mit jeder Menge Starpower. Wer eine Pause vom Trubel will oder braucht, setzt sich in eines der zahlreichen Festivalkinos. Das ganze geht 9 Tage lang, wobei der Schwerpunkt der ersten Hälfte auf dem interaktiven Teil liegt.

Eine überdimensionierte Ski-Hütte von Paramount+
Eine überdimensionierte Ski-Hütte von Paramount+ © Fergus Sweeney

Hoffentlich verpasst man was!

Das Besondere dabei ist die schier unendliche Auswahl an Möglichkeiten. Und die Tatsache, dass es gar nicht möglich ist, alles abzudecken. Hugh Forrest, der langjährige Programmdirektor, bezeichnet das als JOMO, also “Joy of missing out”, statt FOMO.
Wenn man sich treiben lässt, dann passiert es einem, dass man großartige neue Eindrücke und Menschen kennenlernt, die man nicht auf der Agenda und dem Plan gehabt hat. Und nicht nur Business Kontakte, sondern Freundschaften, die über Kontinente und Branchen bestehen. Und das ist das wirkliche Geheimnis, warum die Menschen immer wieder im März nach Texas strömen, auch in Zeiten, in denen die Inhalte schon online verfügbar und erlernbar sind. Denn genau der Faktor, dass man nicht weiß, wen man an der Bar, im Vortragssaal oder in der Schlange zum Kinosaal kennenlernt, lässt die Besucher*innen wiederkommen, und das auch nach 30 Jahren. Das Mission Statement des Festivals lautet “Helping creative people to achieve their goals.” Und das funktioniert, auch wenn die Stadt und das Festival weniger rauh und etwas genormter sind als noch vor ein paar Jahren.

Der Chip in einem Quantencomputer von Google
Der Chip in einem Quantencomputer von Google © Fergus Sweeney

OK Computer: AI im Aufschwung

Heuer lag der Fokus dabei vor allem auf künstlicher Intelligenz und den Auswirkungen auf die Gesellschaft. Der Wettlauf um die Superlativen der Technologie war ein bestimmendes Thema. Inklusive Auswirkungen auf Wissenschaft und Demokratie, gerade ein paar Monate vor richtungsentscheidenden Wahlen, etwa in den USA, in Deutschland oder auch in Österreich. Viele Trends werden im Jahreszyklus der Konferenzen auf der ganzen Welt das erste Mal in Texas angesprochen und dann von Lissabon über Hamburg bis Hong Kong dekliniert.

Die Bedeutung der bereits einsetzenden und rapide stattfindenden Transformation von Arbeit und Wertschöpfung, gerade auch für die Kreativbranche, war dabei zentral in vielen der Gespräche. Wann, ob und in welcher Form die Maschinen die komplette Kontrolle übernehmen, darüber gehen die Meinungen auseinander. Klar dürfte dennoch sein, dass in den nächsten Jahren die (Arbeits)Welt wie wir sie kennen eine andere sein wird. Und genau diese zwischenmenschlichen Begegnungen inmitten der technischen Utopien und Dystopien der Gegenwart und Zukunft machen Austin dann auch im Kern wieder ein bisschen weird und eine Reise wert.

P.S: Das Fried Chicken bei Gus‘s ist übrigens ausgezeichnet, am besten mit Beans und Coleslaw.

Selbst im digitalen Zeitalter erfreuen sich analoge Litfass-Säulen großer Beliebtheit
Selbst im digitalen Zeitalter erfreuen sich analoge Litfass-Säulen großer Beliebtheit © Fergus Sweeney

Die SXSW findet immer in der 2. Märzwoche in Austin, Texas statt. Der nächste Termin findet vom 7. bis 15. März 2025
statt. Auf die Besucher*innen warten tausende Vorträge, Workshops, Ausstellungen, Messen, Konzerte und Filmvorführungen.

Die Tickets dafür kosten je nach Kategorie zwischen € 500 bis € 1200 Euro im Vorverkauf und werden zur Veranstaltung hin graduell teurer. Hotel & Airbnb Preise sind rund um die Konferenz auf Buchungsplattformen enorm hoch. SXSW reserviert ein Kontingent an Hotelbetten in unterschiedlichen Kategorien, die gemeinsam mit dem Ticketkauf reserviert werden können.

Von Wien aus kommt man mit einem Zwischenstopp in Europa (Frankfurt, Amsterdam, London) oder in den USA (NYC, Chicago) nach Austin.

SXSW (South by Southwest) Conference & Festival

Austin Tourism

News nach Redaktionsschluss: Im Zuge des heurigen Festivals haben einige Künstler*innen ihre Auftritte beim SXSW abgesagt, um gegen Sponsoring durch Militär und Verteidigungsindustrie zu protestieren. Infos dazu hier

Portraitfoto Fergus Sweeney
Fergus Sweeney
Fergus Sweeney springt herum in den Überlappungen von Medien, Werbung, Film und Technologie.

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Artikel teilen oder drucken
Artikel aus anderen Ressorts
20. Jun 2024
  / Reisen
Moodbild Tallinn Estland

Kurze Nächte im „neuen Norden“

18. Jun 2024
  / Technik
Moodbild Sonos Ace Kopfhörer

Frischer Ohrenschmaus

12. Jun 2024
  / Familie
Kabarettistin und Pflegemama Antonia Stabinger mit ihrer Tochter

„Wie gut, dass es das gibt!“

29. Mai 2024
  / Kabarett
Die Künstlerinnen Maria Muhar und Toxische Pommes

„Im Kabarett kann das Profane direkt neben dem Existenziellen stehen“

25. Mai 2024
  / Musik
Bandfoto Hamburger Musiker Kettcar

Musik zum Denken und Fühlen

18. Mai 2024
  / Kulinarik
Barkeeperin Polly Scholz bei der Arbeit hinter der Bar

Exzellenz am Tresen

6. Mai 2024
Portrait des Harmonikabauers Andreas Nöß in seiner Werkstatt

Der Ziachameister

1. Mai 2024
  / Technik
Still aus dem Online Game "ESO"

ESO: So muss Community!

19. Apr 2024
  / Leben
Moodbild Future Living

Die Zukunft und das Wohnen

11. Apr 2024
  / Leben
Junge Frau mit einer Cannabis-Rauchwolke vor ihrem Gesicht

#bubatzlegal oder doch nur egal?

4. Apr 2024
  / Leben
Portraitfoto Emilia Roig

Das Ende des Kapitalismus – und was danach kommt

18. Mrz 2024
  / Design
Portraitfoto Stefan Beham

Aus Liebe zum Punkrock

6. Mrz 2024
  / Film
Oscar Verleihung 2024 Preise

Oscar Predictions 2024: Späte Spannung

29. Feb 2024
  / Politik
Portrait Migrationsforscherin Judith Kohlenberger

Wer würde einen Brandmelder ignorieren?

22. Feb 2024
Moodbild Fotostudio Stefan Csáky Analogfotografie

Der Charme der Langsamkeit

9. Feb 2024
  / Film
Filmstill aus "Barbie" mit Margot Robbie als Barbie im Auto

Barbie, heul leise!

7. Feb 2024
  / Mode
Portrait Toni Woldrich Eigensinnig Wien

Alles, außer Farbe!

25. Jan 2024
  / Musik
Portraitfoto Sängerin Ina Regen 2024

„Ich will Menschen glücklich machen“

16. Jan 2024
  / Film
Schauspieler Portrait Jannis Niewöhner

Wie weit gehst du fürs Überleben?

11. Jan 2024
  / Kabarett
Kabarettist Christof Spörk mit neuem Programm "Eiertanz"

„Es hilft nichts, wenn wir uns den Weltuntergang sorgenvoll herbei tweeten“

19. Dez 2023
  / Design
Portraitfoto Jan Hosa von der "Do Something Great Society"

Mach doch etwas Großartiges!

13. Dez 2023
Artistin Seraina am Tuch in der Papierfabrik

So etwas hat die Papierfabrik in 200 Jahren nicht gesehen

2. Dez 2023
  / Sport
Portrait Sandra Lahnsteiner-Wagner von "Shades of Winter"

Das Gefühl absoluter Freiheit

1. Dez 2023
  / Musik
Sigrid Horn mit Ernst Molden im AKW Zwentendorf beim Musizieren für das neue Album "Paradies"

Fürs Aufgeben ist es immer zu früh

25. Okt 2023
  / Musik
Portrait The Kills

True Love Never Dies

25. Okt 2023

funk tank ist online

25. Okt 2023
  / Film
Schild Hollywood in den Bergen

Das Glühen im Dunkeln

25. Okt 2023
  / Leben
Thees Uhlmann umarmt seine Band

Über die Freundschaft

25. Okt 2023
Künstlerin Malarina mit Zigarette und Bier

Alle haben die beste Show verdient

25. Okt 2023
  / Fashion
Portrait vor dem Wiener Store Aponcho von Besitzerin Clarissa Fritzsche

Geschmeidig wie ein Lächeln

25. Okt 2023
Ehepaar Bachler beim bewussten Genießen von Essen und Trinken

„Slow Food ist keine Marketing-Idee, es ist eine Haltung“

25. Okt 2023
  / Reisen
Bunte Häuser in Warschau

Polnische Grandezza

25. Okt 2023
  / Beauty
Model Queen of Green

Naturkosmetik, die blüht: „Queen of Green“ aus Wien

25. Okt 2023
Illustration Jonathan Meese für das Volkstheater Wien

Die großen Fragen der Menschheit

25. Okt 2023
Kaffeeröster im Einsatz

Jede Kaffeetasse verändert die Welt

Der funk tank Newsletter​

Wir versorgen dich 1x im Monat mit einer exklusiven Vorschau auf unsere kommenden Stories und Gewinnspiele. Garantiert spannend und inspirierend. Also einfach eintragen und part of funk tank werden!