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„Im Kabarett kann das Profane direkt neben dem Existenziellen stehen“

Bei beiden Frauen liegt das Lustige und das Tragische nahe beieinander, beide Frauen haben viel zu sagen und zählen zu den spannendsten Nachwuchskünstlerinnen der österreichischen Kabarettszene. Einen Abend lang teilen sie sich die Bühne: Maria Muhar und Toxische Pommes treten am 14. Juni im Wiener Stadtsaal auf. Wir haben vorab mit ihnen gesprochen.
Die Künstlerinnen Maria Muhar und Toxische Pommes
Die Künstlerinnen Maria Muhar und Toxische Pommes © Apollonia Theresa Bitzan/Muhassad Al Ani

TikTok-Star und Autorin Toxische Pommes (mit bürgerlichem Namen Irina, Nachname unbekannt) wird am 14. Juni mit ihrem Bühnenprogramm „Ketchup, Mayo und Ajvar“ die österreichische Gesellschaft und Seele demaskieren, denn als „schönes Ausländerkind“ weiß sie ganz genau, wie Rassismus, Sexismus und Klassismus den Alltag prägen können. Autorin und Kabarettistin Maria Muhar widmet sich am selben Abend in ihrem Programm „Storno“ alltäglichen und substanziellen Themen rund um ihre Freundin, deren Nachwuchs und die wenige Zeit, die bleibt zwischen Timelines, Deadlines, Tiervideos und Terminen beim AMS. Ein Gespräch mit den Künstlerinnen über Inspiration, Migration und Identität.

funk tank: Liebe Irina, liebe Maria, am 14. Juni werden Sie sich die Bühne vom Wiener Stadtsaal teilen, nicht gemeinsam, sondern nacheinander. Wie kommt es dazu, kennen Sie sich?

Maria Muhar: Ich wurde vom Stadtsaal angefragt, ob ich Lust hätte, einen Abend mit Irina zu teilen, und nachdem ich großer Fan von Toxische Pommes bin und Irina auch persönlich sehr schätze, habe ich zugesagt – und Irina scheinbar auch (lacht). Ich freue mich jedenfalls schon sehr drauf!

Irina habe ich in unterschiedlichen Kontexten kennengelernt: Einerseits natürlich über ihre super Videos auf Social Media, dann aber auch bei gemeinsamen Treffen des Netzwerks „Komische Frauen“ – ein Zusammenschluss von unterschiedlichen Künstler*innen, die alle vereint, dass ihre Arbeit von einem humoristischen Zugang geprägt ist. Im Rahmen der Kabarettreihe „Comish“, die ich 2022 für die Wiener Festwochen kuratieren durfte, hatte ich dann auch das Glück, Toxische Pommes mit einem künstlerischen Beitrag einladen zu können.

Künstlerin Maria Muhar
Künstlerin Maria Muhar © Apollonia Theresa Bitzan

Wenn es trotzdem mal ganz arg ist, stell ich mir vor, dass ja nicht ich auf die Bühne gehen muss, sondern meine Bühnenfigur, die generell ein bissl eine härtere Sau ist als ich selbst.

Frau Muhar, für Ihr Solo-Programm „Storno“ wurden Sie bereits mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet. Neben Texten für die Bühne haben Sie den Roman „Lento Violento“ verfasst. Wovon und von wem lassen Sie sich für Ihre Arbeiten inspirieren?

Die Inspiration kommt von vielen Seiten – mal ist es das persönliche Umfeld, mal die Kunst- und Kulturszene oder politische und gesellschaftliche Dynamiken, die mich (zwangsläufig …) beschäftigen.

Gesellschaftspolitische Themen finden in Ihren Werken genauso Platz wie private Gedanken und Struggles. Die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor zu finden, stelle ich mir schwierig vor. Immerhin erwarten Besucher*innen eines Kabaretts ja auch einige Lacher. Wie gelingt Ihnen diese Balance und was tun Sie, wenn Ihnen persönlich einmal nicht mehr zum Lachen ist?

Natürlich habe ich den Anspruch, dass mein Soloprogramm auch zum Lachen ist – sonst hätte ich es nicht als Kabarett bezeichnet, sondern vielleicht eher als Theatermonolog oder Sprechperformance. Trotzdem gibt es darin auch Stellen, die eher tragisch oder vielleicht sogar traurig sind. Aber genau das macht den speziellen Reiz für mich aus: Im Kabarett kann das Profane direkt neben dem Existenziellen stehen, und das mit einer fast anarchischen Selbstverständlichkeit! Damit kann man als Künstlerin einfach steile Bühnenmomente erzeugen.

Texte zu schreiben ist das Eine, live aufzutreten und die Reaktion der Zuseher*innen mitzubekommen, das Andere. Kennen Sie Lampenfieber und wie gehen Sie damit um?

Ja, das Lampenfieber ist fix noch ein Thema bei mir, aber es wird (klopft auf Holz) immer weniger schlimm. Und wenn es trotzdem mal ganz arg ist, stell ich mir vor, dass ja nicht ich auf die Bühne gehen muss, sondern meine Bühnenfigur, die generell ein bissl eine härtere Sau ist als ich selbst. Das ist vielleicht ein Vorteil, wenn man ein Programm hat, bei dem die Bühnenfigur – zumindest was die Attitude betrifft – von der Privatperson abweicht: Man kann sich die Arbeit also, je nach persönlichen Stärken und Schwächen, manchmal aufteilen (lacht).

Ihr Satire-Stück „Wirecard: Last Exit Bad Vöslau“ im Theater am Werk im April beleuchtete den Wirecard-Skandal. Eine realistische Abrechnung mit den skrupellosen Akteuren oder eine Utopie mit Hoffnungsschimmer – was wurde es und was hat Sie an der Thematik gereizt?

Also eine Utopie mit Hoffnungsschimmer habe ich leider nicht in das Stück reingeschrieben – dafür lässt nicht nur die Realvorlage des Stoffs wenig Raum, sondern auch die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die solche Skandale ja noch immer befeuern. Was ich aber schon versucht habe umzusetzen, ist – zumindest für einen Theater-Abend lang – gemeinsam darüber lachen zu können. Auch die Möglichkeit, diese machtgeilen Protagonisten in Situationen zu schreiben, die sie sich ausnahmsweise mal nicht ausgesucht haben, hat mir eine diebische Freude bereitet. Idealerweise ist es ein Abend, an dem man bitter-süß über toxische und phasenweise komplett traurige Männlichkeit gemeinsam lachen kann.

Künstlerin Toxische Pommes
Künstlerin Toxische Pommes © Muhassad Al Ani

Ich glaube ganz allgemein, dass wir Ambivalenzen und Gleichzeitigkeiten in unserer Identität viel besser aushalten, als wir denken – wir alle sind Menschen mit einzigartigen Geschichten und Schicksalen, in den seltensten Fällen lassen wir uns in vorgefertigte Stereotype und Schablonen pressen.

Liebe Irina, bekannt wurden Sie durch humoristische, gesellschaftskritische Videos auf TikTok und Instagram unter dem Pseudonym Toxische Pommes. Mittlerweile haben Sie ein Kabarett-Programm und ein Buch geschrieben. Eine geplante Karriere oder reiner Zufall?

Irina/Toxische Pommes: Anfangs ein glücklicher Zufall, mittlerweile ein zweiter Beruf.

Ihr Roman „Ein schönes Ausländerkind“ ist diesen April erschienen. Wie viel in diesem Buch ist Fiktion und wie viel erzählt von Ihrem Leben?

Die Antwort auf diese Frage überlasse ich gerne der Fantasie der Leser*innen. Ich arbeite oft ausgehend von persönlichem Material, das ich dann im Weiteren verändere und modelliere, um die Geschichte zu erzählen, die ich möchte.

Gleich zu Beginn des Buches beschreiben Sie ein „perfektes Leben“ als „perfekte Migrantin“ in Österreich – mit sicherem Job als Juristin im 1. Bezirk in Wien – das jedoch unzufrieden und unglücklich macht. Sie selbst wollten auch immer perfekt sein, Ihr Lebenslauf scheint lückenlos und vorbildlich. Woher kommt der Drang hin zur Perfektion?

In dem Buch geht es um zwei Geschichten: Eine der „perfekten Integration“ – was auch immer das heißen mag – und um eine gescheiterte Integration, auf der auch der Fokus des Romans liegt. Wie hängen die beiden Geschichten zusammen? War die „perfekte Integration“ der Tochter nur möglich, indem sie ihren Vater aufgibt, dass sich ihr Vater letztlich sogar selbst aufgibt? Was kostet es, nach Österreich einzuwandern und nicht aufgrund der Geburtslotterie hier zu landen und die Staatsbürgerschaft zur Geburt geschenkt zu bekommen? Wie geht es Menschen, die in Österreich nie ankommen (können), niemals Anschluss an die Gesellschaft finden und sozial vereinsamen?

Wie vereinbaren Sie den „strengen“ Beruf als Juristin mit Ihrem medialen Leben als Social-Media-Star, Kabarettistin und Autorin?

Ich bin mir zwar nicht sicher, was „streng“ in diesem Kontext bedeutet, aber ich finde, dass sich Künstler*innen oft viel wichtiger nehmen als Jurist*innen. Und am Ende des Tages sitze ich bei allen drei Tätigkeiten zu einem großen Teil vor einem Bildschirm und überlege, wie ich eine Geschichte erzählen und sie argumentieren kann.

Im Buch wird u. a. das Klischee der „faulen Ausländer*innen“ thematisiert. Und gleichzeitig jedes Klischee auf den Kopf gestellt. Ein Vater, der Hausmann ist, eine Mutter, die arbeitet, eine Tochter mit Bestnoten. Das klingt alles sehr positiv und modern – viele Österreicher*innen leben weitaus konservativer, gerade was die Rollenverteilung angeht. Sind Sie und Ihre Familie die „idealen Vorzeigemigrant*innen“ oder trügt der Schein?

Ich finde Klischees recht langweilig. Ich wollte in erster Linie eine Geschichte erzählen, die ich im breit-medialen Diskurs vermisse: ein ehrliches Porträt eines nicht integrierten Menschen, der genauso viel Empathie und Verständnis verdient wie jeder andere Mensch auch.

Sie sprechen von einem Leben, in dem Sie „die Ausländerin in sich wegintegriert“ haben. Wollten Sie um jeden Preis Ihre Wurzeln loswerden, um hier anerkannt zu werden? Sehen Sie sich heute mehr als Österreicherin oder Kroatin?

Diese Frage war für mich ehrlich gesagt nie relevant, bis sie mir von autochthonen Österreicher*innen gestellt wurde. Ich glaube ganz allgemein, dass wir Ambivalenzen und Gleichzeitigkeiten in unserer Identität viel besser aushalten, als wir denken – wir alle sind Menschen mit einzigartigen Geschichten und Schicksalen, in den seltensten Fällen lassen wir uns in vorgefertigte Stereotype und Schablonen pressen.

Die Migrationspolitik in Österreich ist teilweise fragwürdig und asozial. Was gehört Ihrer Meinung nach auf politischer Ebene verändert, um ein faires und friedliches Miteinander zu fördern? Und was wünschen Sie sich diesbezüglich von den österr. Bürger*innen?

Zu viel für diesen Rahmen. Was ich mir jedoch generell wünsche und schon lange vermisse, sind politische Parteien mit innovativen Ideen und Inhalten, die nicht nur reaktiv sind, der Machterhaltung dienen oder ausschließlich daraus bestehen, eine andere Partei in der Regierung zu verhindern.

Was erwarten Sie sich von dem Abend im Stadtsaal und mit welchem Gefühl/mit welchen Gedanken wollen Sie die Besucher*innen nach Hause verabschieden?

Irina/Toxische Pommes: Dass die Leute nicht das Gefühl haben, ihr Geld weggeschmissen zu haben.

Maria Muhar: Ich glaube, es könnte ein cooler Abend werden – vor allem für die Leute, die vielleicht schon vorhatten, sich diese zwei sehr unterschiedlichen Programme anzuschauen und das jetzt an einem Abend kombinieren können (lacht). Ich freu mich jedenfalls schon extrem drauf, zumal es ja auch meine Stadtsaal-Premiere ist!

Maria Muhar schreibt Prosa, Lyrik und Bühnentexte. 2022 erschien ihr Debütroman „Lento Violento“; im selben Jahr feierte ihr erstes Kabarettprogramm „Storno“ Premiere, das 2023 mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet wurde.

Maria Muhar

Toxische Pommes heißt eigentlich Irina. Bekannt wurde die Künstlerin vor allem durch ihre Satirevideos auf TikTok und Instagram. Ihr Debütroman „Ein schönes Ausländerkind“ ist diesen April erschienen und behandelt u. a. Irinas Leben und Beobachtungen der österreichischen Gesellschaft und Seele, geprägt von Rassismus, Sexismus und Klassismus.

Toxische Pommes

Exklusiv für die funk tank Fangemeinde: Wir verlosen 2 x 2 Tickets für den Kabarett-Abend mit Toxische Pommes und Maria Muhar am 14. Juni 2024 ab 19.30 Uhr im Wiener Stadtsaal. Zum Gewinnspiel!

funk-tank-magazin-alicia-weyrich-by-stefan-diesner-3
Alicia Weyrich
arbeitet als Journalistin und Werbetexterin in Wien. Neben dem geschriebenen Wort liebt sie die Musik, das Meer, gutes Essen sowie Zeit mit ihrer Familie, ihren Freund*innen und ihren Tieren.

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