Die Sonne scheint immer noch.“ Diese letzten Worte von Sophie Scholl sind in die Geschichte eingegangen. Am 22. Februar 1943 wurde die 21-Jährige gemeinsam mit ihrem Bruder Hans Scholl und ihrem Mitstreiter Christoph Probst in München hingerichtet. Ihr Verbrechen: Ihre Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ hatte Flugblätter verteilt, in denen zu lesen war, was für ein verbrecherisches Regime der Nationalsozialismus darstellte.
82 Jahre später bringt Intendant Norberto Bertassi nun mit seinem Bühnenprojekt teatro ein Musical über Sophie Scholl auf die Bühne, das für ihn ein Herzensprojekt ist. Denn die Widerstandskämpferin begegnet dem Theatergründer täglich mehrmals – auf einem Straßenschild. „Als ich vor zwölf Jahren in die Sophie-Scholl-Gasse übersiedelt bin, war für mich klar: Irgendwann möchte ich dieser beeindruckenden jungen Frau ein Musical widmen“, erzählt Norberto im Gespräch mit funk tank.
Bis zu 3.000 Kinder auf der Musical-Bühne
Und jetzt ist es endlich so weit: Nachdem im Jänner 2023 das Musical „Anne Frank“ Premiere hatte, folgt nun eine weitere teatro-Inszenierung mit NS-Bezug: „Sophie Scholl – Die weiße Rose“. Beide Stücke werden von einem jungen Ensemble für ein junges Publikum gespielt, so wie es bei teatro üblich ist. Denn seit der Gründung im Jahr 1999 verfolgen Norberto und sein Team das Ziel, Kinder und Jugendliche nicht nur für das Theater zu begeistern, indem sie ihnen etwas zu sehen und hören geben, sondern indem sie auch selbst auf der Bühne stehen dürfen.
Und das waren in den vergangenen 26 Jahren geschätzte 2.000 bis 3.000 Kinder. Denn neben der Erarbeitung der beiden Saisonstücke am Hauptstandort Mödling gibt es auch mehrere Workshops und Musical-Academies im Rahmen der Wiener Volkshochschulen: In der Brigittenau, in Meidling und in der Seestadt Aspern studieren je drei Klassen zu je 10 bis 15 Kindern ein Jahr lang einmal pro Woche ein Musical ein, das am Schluss vor Freund*innen und Familie aufgeführt wird.
Von teatro zur Ronacher-Hauptrolle
Was einst als kleine Kulturinitiative auf einem Bauernhof im südlichen Niederösterreich begonnen hat, ist heute eine echte Institution. Und eine Talenteschmiede, denn manche kleinen teatro-Knirpse von früher sind mittlerweile gefragte Schauspieler*innen. Eines der bekanntesten Aushängeschilder ist derzeit wohl Moritz Mausser, der ab seinem elften Lebensjahr in Mödling unter anderem als Pinocchio, Hutmacher („Alice im Wunderland“), Huckleberry Finn oder Fuchs („Der kleine Prinz“) Bühnenluft schnupperte – und jetzt die Hauptrolle im Falco-Musical „Rock me Amadeus“ im Ronacher spielt.
Norberto verweist auf die Pionierarbeit, die teatro in Sachen Kinder- und Jugendtheater geleistet hat: „Als wir vor rund 25 Jahren angefangen haben, gab es zwar einige Sprechtheater von Jungen für Junge, aber wir waren damals die Einzigen, die Musiktheater gemacht haben. Und das alles im Eigenbau.“ Die Texte stammen aus der Feder von Norbert Holoubek, für die Musik zeichnet Walter Lochmann verantwortlich, und die Choreografien entwickelt Kathleen Bauer. „Wir machen alles selbst und nehmen keine fremden Stücke“, erzählt der Intendant, der insgeheim hofft, umgekehrt einmal einem großen Theater eine seiner Produktionen verkaufen zu können.
Apropos Geld: Wie sieht es denn finanziell aus? Norbertos kurze Antwort: In Niederösterreich ist alles fein, da ist teatro Teil des Theatersommers und wird entsprechend gefördert. „In Wien hingegen bekommen wir gar nichts, weil die Stadt nur Profis unterstützt und keine Theaterprojekte mit Kindern.“ Dabei leisten die drei Musical-Academies einen wichtigen Beitrag zur Kulturbildung, der von den Eltern der kleinen Darsteller*innen gestemmt werden muss. Das führt unter anderem dazu, dass in Aspern die Kulturgarage für die Abschlussaufführung zu teuer ist und man nach Groß-Enzersdorf ausweichen muss. Der Impresario Michael Niavarani hingegen schätzt die teatro-Produktionen offensichtlich, wie die geplanten Aufführungen von „Cinderella“ diesen Sommer in seinem Theater im Park und „Die Weihnachtsgeschichte“ im Dezember in seinem Globe beweisen.

Als ich vor zwölf Jahren in die Sophie-Scholl-Gasse übersiedelt bin, war für mich klar: Irgendwann möchte ich dieser beeindruckenden jungen Frau ein Musical widmen.
Ensemble von 9 bis 71 Jahre
Bei diesen Wiederaufnahmen mit dabei ist der älteste teatro-Darsteller: Peter Faerber – unter anderem bekannt als die Stimme von Thomas Brezinas sprechendem Fahrrad Tom Turbo – könnte mit seinen 71 Jahren der Urgroßvater des aktuell jüngsten teatro-Mitglieds (9) sein, das bei der zweiten großen Saisonproduktion in Mödling mitwirkt: Für die Jüngsten wird das locker-leichte Musical „Mogli“ gegeben, und zwar in einer aufgepimpten Version der Produktion aus dem Jahr 2012: „Es gibt neue Musik, und das Ganze wird viel größer und viel aufwendiger“, schwärmt Norberto.
Der jüngste Darsteller in „Sophie Scholl“ ist hingegen schon 17 Jahre alt, und das aus gutem Grund. Denn locker-leicht ist hier gar nichts. Es beginnt 1938 in Forchtenberg, wo Vater Scholl Bürgermeister ist und seine Kinder zunächst Feuer und Flamme sind und freudig mitmachen bei der Hitlerjugend. „Aber dann steigert sich das alles immer mehr, und die Kinder verlassen eines nach dem anderen diese fürchterliche Ideologie und geben dem Vater Recht, der von Anfang an dagegen war“, schildert Norberto den Plot. Es ist also eine Entwicklungsgeschichte in Bezug auf den Nationalsozialismus, der ja anfangs von vielen als das Heil in der Wirtschaftskrise begrüßt wurde, ehe er seine hässliche Fratze ganz offen zeigte. „Und wir sehen jetzt gewisse Parallelen. Manche Menschen scheinen vergessen zu haben, was hier in Europa früher los war“, meint der Intendant. Rechtspopulistische Tendenzen, die immer wieder aufflammende Migrationsdebatte, der Krieg in der Ukraine – all das macht Norberto Sorgen und ist mit ein Grund für ihn, die Geschichten von Anne Frank und Sophie Scholl zu erzählen „und uns an der Erinnerungskultur zu beteiligen“.
80 Jahre Weltkriegsende, und die Sonne scheint immer noch
Und dann ist da ja noch der besondere Termin heuer, jährt sich doch das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Genau am 8. Mai, dem Datum des offiziellen Kriegsendes, wird „Anne Frank“ in Mödling als konzertante Version aufgeführt. „Mödling feiert da auch 150 Jahre Stadterhebung, da hat sich das ganz gut ergeben“, erklärt Norberto. Die Premiere von „Sophie Scholl – Die weiße Rose“ ist dann am 10. Juli im Stadttheater Mödling, die Inszenierung wird aber später auch im Wiener Vindobona zu sehen sein.
Und Norberto denkt bereits über weitere Produktionen mit historischen Bezügen nach. Wichtig ist ihm dabei Faktentreue, weshalb er zur „Weißen Rose“ etliche Sachbücher verschlungen hat. Und er überlegt sich gut, was und wie viel davon er dem jungen Publikum zumuten kann. So endet das Musical „Anne Frank“ bereits mit der Entdeckung und Gefangennahme im Amsterdamer Hinterhaus, „und wir haben dann bloß szenisch berichtet, was aus jeder einzelnen Person geworden ist – das ist traurig genug.“ Bekanntlich starb Anne ein halbes Jahr nach ihrer Verhaftung im KZ Bergen-Belsen. Die Hinrichtung von Sophie Scholl kommt zwar im Stück vor, „aber nicht so plakativ“, sagt Norberto. Und: „Es endet mit einer Überraschung.“ Worin die besteht, verrät er natürlich nicht. Nur so viel: „Wir wollen das Publikum nicht traurig nach Hause schicken.“ Vielleicht hat er ja bei der Entwicklung des Stücks herausgearbeitet, wie viel Trost und Hoffnung trotz allem in Sophies letzten Worten liegen: „Die Sonne scheint immer noch.“

Das 1999 gegründete Musiktheater teatro – unter der Leitung von Norberto Bertassi – widmet eine seiner beiden heurigen Saisonproduktionen der Geschichte der „Weißen Rose“ um Sophie und Hans Scholl. Nach anfänglicher Begeisterung für den Nationalsozialismus nahmen die beiden Geschwister in den frühen 1940er-Jahren zunehmend dessen Unmenschlichkeit wahr und gründeten in München eine Widerstandsgruppe, die insbesondere Flugblätter verteilte, in denen sie zum Sturz des Regimes aufriefen. Im Laufe des Jahres 1943 wuchs dieser Protest auf weitere deutsche Städte, und selbst in Wien tauchten die Flugschriften der „Weißen Rose“ auf. Am 18. Februar 1943 wurden Sophie und Hans verhaftet, als sie an der Universität München rund 1.700 Flugzettel verteilten, und vier Tage später zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Diese Geschichte zeichnet das 14-köpfige Ensemble von teatro im Musical „Sophie Scholl“ nach. Premiere ist am 10. Juli 2025 um 19:30 Uhr im Stadttheater Mödling, weitere Vorstellungen dort sind am 19. Juli, 26. Juli und 2. August. Das Musical gastiert außerdem am 8. November im Wiener Vindobona – das Datum ist kein Zufall, liegt es doch mitten in der Gedenkwoche an die Pogrome vom 9./10. November 1938, bei denen im gesamten Deutschen Reich (also auch in Österreich) in einer konzertierten Aktion jüdische Einrichtungen zerstört und zahlreiche Menschen misshandelt wurden.
Den Auftakt zur teatro-Saison 2025 in Mödling macht das Musiktheater „Anne Frank“ am 8. Mai, an diesem Tag jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal. Infos und Tickets zum Musiktheater für junges Publikum:
Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!