Manchmal finde ich es unfair, dass es im Kino dunkel ist. Mehrmals möchte ich den Block zücken und kluge Sätze aufschreiben (ich mache es dann doch, tastend, nach Gefühl, Handynotizen halte ich für ein No-go gegenüber den anderen). Die meisten dieser Sätze kommen von Farrah, der syrischen Haushälterin, die im Laufe des Films auf eine ganz besondere Art und Weise eine Familie rettet, „eine typische dysfunktionale Familie, wo jeder sein Süppchen kocht und sich nicht um den anderen schert“, wie es die rebellische klimaaktivistische Tochter Frieda formuliert.
Doch die Finsternis im Kino ist natürlich gut, gerade bei einem Film wie „Das Licht“ (u. a. mit Lars Eidinger, Nicolette Krebitz). Sie trägt zur Magie bei, die der deutsche Star-Filmemacher Tom Tykwer („Babylon Berlin“) auslösen will: mit einer Geschichte im und um das Leben einer Familie, die praktisch all unsere Baustellen seziert, um nach gut zweiundeinhalb Stunden zu einem aufwühlenden und letztlich auch ein bisschen tröstlichen Schluss zu kommen, den Schauspielerin Tala Al-Deen im Finale dieses Gesprächs beschreibt. Ohne zu spoilern.
Eine Anmerkung noch vorab: Dass sich bei all dem Drama auch Schmäh ausgeht, ist schon noch mal ein feiner Zug von Tom Tykwer.
Tala Al-Deen: Ganz klassisch, mit einem E-Casting. Ich habe mit einer ganz lieben Freundin vom Theater bei ihr daheim die Szene zwischen Farrah und Frieda aufgenommen. Ich hatte eine halbe Seite Screenshot vom Pitch (Projektvorstellung, Anm.) und die eine Szene, mehr wusste ich nicht.
Nein, nur dass eine mysteriöse syrische Haushälterin in das Leben einer Familie tritt. Trotzdem dachte ich mir sofort: Das ist ungefähr die vielschichtigste Figur, von der ich jemals gelesen habe. Ich habe das Handyvideo abgeschickt und bin dann wieder in meinen Probenalltag gegangen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde ich von Tom Tykwer in sein Büro in Berlin eingeladen. Das war ein sehr nettes Treffen und ich hab’ mir gedacht: total schön, ein ganz normaler Mensch. Ich glaube, er war auch aufgeregt.
Er hat etwas zu Papier gebracht, was ihm sehr wichtig ist – und er hat zu mir gesagt: Ich gebe dir das jetzt, lies es dir durch und du sagst mir nächste Woche, was du davon hältst.
Ich weiß noch, dass ich im 15. Wiener Gemeindebezirk auf dem Balkon stand und gesagt hab’: Du hast da schon etwas Irres geschrieben, aber ich finde es richtig gut, es hat mich sehr berührt und ich wäre sehr gerne dabei. Das haben wir dann gleich besiegelt – quasi mit einem telefonischen Handschlag.
Farrah transformiert ihren Schmerz auf so eine meisterhafte Art. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, zu wie viel Empathie Menschen in der Lage sind, obwohl ich verstehen könnte, wenn sie das nicht wären – gemessen an dem, was sie erlitten haben oder was ihnen passiert ist. Solche Menschen gibt es in der Realität, das habe ich in der Recherche und auf der Suche nach dieser Figur erfahren.
Serpil Temiz Unvar ist so ein Mensch. Sie ist die Mutter von Ferhat Unvar, der in Hanau beim rassistischen Mordanschlag gestorben ist. Diese Frau hat im Namen ihres Sohnes eine Bildungsinitiative gegründet und spricht auf Demos für Demokratie. Das inspiriert mich sehr.
„Das Licht“ hat mich außerdem an einem Punkt getroffen, an dem ich schon für die Dinge, die diese Figur mitbringt, empfänglich war. Der Film hat das noch vertieft. Weder ich noch mein Umfeld sind klassisch religiös, trotzdem hat man Rituale, um Achtsamkeit zu zelebrieren. Ich habe immer schon meditiert und – das ist jetzt sehr persönlich – seit Farrah mache ich das regelmäßiger und schreibe danach meine Gedanken auf.
Ich finde mich in „Das Licht“ in fast allen Figuren wieder. Ich bin irgendwo dazwischen. Ich bin keine Bobo-Mittelstandsgöre, die Klimaaktivismus macht, aber es ist etwas davon in mir. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber meine Eltern sind irakisch. Auch dieser Hintergrund beschäftigt und beeinflusst mich.
Der Film macht den Wahnsinnsversuch, eine Klammer um alles zu machen, alles zu fassen, was diese Welt bedeutet, und dabei das Liebevolle und das Menschliche hochzuhalten. Das versuche ich auch. Das wird in letzter Zeit viel zu wenig gemacht und das zu tun, fühlt sich fast schon wahnwitzig an, aber umso mehr lohnt es sich, es trotzdem zu versuchen.
Ich habe eine klare antirassistische Haltung und finde es völlig absurd, welche und wie Migrationsdebatten geführt werden. Wenn man gestern oder heute nach Syrien schaut, in das Land, wo meine Figur verortet ist, denkt man sich: Was gibt es da überhaupt zu überlegen? Ich könnte Zahlen und Statistiken auspacken, was bei uns passieren würde, wenn die migrantischen Leute verschwinden würden, aber für mich ist die europäische Wirtschaft gar nicht die zentrale Frage, sondern: Da sind Leute, die können nicht leben, wo sie sind, und zwar nur, weil sie beispielsweise Alawiten sind.
Deswegen war es mir auch so wichtig, aus Farrah eine greifbare Figur zu machen. Sie ist fast ein engelsgleiches, magisches Wesen, aber trotzdem ein Mensch und sie hat einiges erlebt.
Ich habe viel Arbeit in die Figur gesteckt, ein großer Schlüssel war die Sprache. Würde ich mit dem Dialekt sprechen, mit dem ich großgeworden bin, würde ich klar als Irakerin identifiziert werden. Es war mir sehr wichtig, so gut ich kann, den syrischen Dialekt zu lernen. Ich hatte einen tollen Dialektcoach an meiner Seite und wir haben sehr intensiv daran gearbeitet.
Mudar, mein lieber Mann im Film, und Mido, mein Sohn, sind beide Syrer und ich habe ihnen immer wieder gesagt, sie müssen streng mit mir sein (die beiden Schauspieler sind Mudar Ramadan und Mido Koitani, Anm.). Ich habe wirklich mein Bestes getan und hoffe, dass das auf eine schöne Art auch etwas für ein arabisch sprachiges Publikum hergibt.
Das Spannende ist, dass es hier ja nicht um eine oberflächliche, reiche Familie geht. Aber es ist nun einmal so, dass es selbst für Leute mit schönen Idealen eine Herausforderung wurde, in dem turbokapitalistischen System, in dem wir uns global befinden, noch als Mensch oder als Familie stattzufinden.
Ich hab’ das in den letzten Jahren selbst gemerkt, dass ich Momente hatte, in denen ich krass überarbeitet war und mir alles auf die Füße gefallen ist. Da wird mir immer bewusst, wie dankbar ich für meine leibliche und meine gewählte Familie bin, die mich auffangen und die ich auffange, weil es jeden Tag viel zu verkraften gibt. Ich hoffe, dass das Publikum genau das aus dem Film zieht: wie wichtig „Familie“ – in welcher Form auch immer – und Community sind. Wir müssen gemeinsam sein, mir fällt nichts anderes für diese Zeit ein.

Der Film macht den Wahnsinnsversuch, eine Klammer um alles zu machen, alles zu fassen, was diese Welt bedeutet, und dabei das Liebevolle und das Menschliche hochzuhalten. Das versuche ich auch. Das wird in letzter Zeit viel zu wenig gemacht und das zu tun, fühlt sich fast schon wahnwitzig an, aber umso mehr lohnt es sich, es trotzdem zu versuchen.
Retrospektiv würde ich sagen: Ich wollte eigentlich etwas Künstlerisches machen, aber es hat sich zuerst nicht so angefühlt, als würde mir da etwas zur Verfügung stehen. Ich hatte ein sehr gutes Abitur, aber auch das Gefühl, dass meine Eltern sich ein „anständiges“ Studium gewünscht haben. Man muss hier dazu sagen, dass mein Bruder Musiker (Laith Al-Deen, Anm.) wurde – ziemlich erfolgreich sogar (lacht).
Mein Englischlehrer hat mich einmal gefragt, ob ich zur Theater AG kommen möchte. Ich mochte ihn und war auch gut in Englisch, ich wollte ihn nicht enttäuschen und bin da donnerstags nach der Schule hin. Ich bin dabei geblieben bis ich irgendwann gemerkt habe: Das rettet mich, dort einen Ausdruck zu finden, und vor allem dieses Miteinander. Das bewegt und interessiert mich bis heute an meinem Beruf, dass wir immer als Gruppe etwas erschaffen. Da ist von jedem etwas drinnen, das finde ich besonders.
Jedenfalls bin ich zum Studieren nach Leipzig gezogen und als ich 23 wurde, wusste ich: Das ist der letzte Moment, um sich für Schauspiel zu bewerben; es gab da Altersfristen. Also habe ich die Runde gemacht und an etwa zwölf Schulen vorgesprochen. Und dann wurde es Graz.
Wir beginnen jetzt die Romanadaption von „Content“ von Elias Hirschl zu proben. Das ist ein geniales Buch, eine Art Dystopie über eine Agentur namens „Smile Smile Inc.“, die Content produziert, während um sie herum alles schon unter Wasser steht. Ich freue mich richtig darauf, mit der Regisseurin Aslı Kışlal daran zu arbeiten.
Tala Al-Deen ist 1989 in Heidelberg geboren und aufgewachsen. Sie spielt seit der Schulzeit Theater, studierte aber zunächst Arabistik und amerikanische Literatur. Ihr Schauspielstudium absolvierte sie an der Kunstuniversität Graz. Zwischen 2014 und 2017 erarbeitete sie mit Regisseurin Sophia Barthelmes Performances und Theaterstücke. Sie ist seit 2016 Sängerin und Stylophonistin der Grazer Band Frau Sammer und Mitglied des queerfeministischen Theaterkollektivs Deine Mudda. Zudem war sie in der Gruppe NSU Komplex auflösen aktiv, die sich gegen strukturellen Rassismus engagiert. Aktuell ist sie Teil des Ensembles am Schauspielhaus Wien. Vor der Kamera stand sie unter anderem in der Tatort-Folge „Wer zögert, ist tot“ (2021) sowie in der Serie „A Thin Line“ (2023).
„Das Licht“ war der heurige Eröffnungsfilm der Berlinale, der 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Kinostart vom neuen Film von Tom Tykwer ist am 20. März 2025.
Tala Al-Deen am Schauspielhaus Wien: „Content“, nach dem Roman von Elias Hirschl, Regie: Aslı Kışlal, Premiere: 7. Mai 2025.
Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!