Anna Friedberg „Ich bin da irgendwie reingepurzelt“

Ein Mittwochvormittag Mitte Oktober: Anna F. schaltet sich für unseren Zoom-Call von einem relativ schmucklosen Balkon zu – viel Beton, wenig Grün, noch weniger Ausblick. Man könnte diesen Balkon überall vermuten, vom Wiener Stadtrand bis zum Berliner Plattenbau, aber für das ärmellose T-Shirt und die schwarze Sonnenbrille, mit der Anna F. vor der Kamera sitzt, ist es im Oktober zu kalt und zu grau, egal ob in Wien oder Berlin. „Ich bin gerade in Athen“, sagt sie dann auch gleich, „hier ist es noch angenehm warm.“ Nach einem intensiven Jahr gönnt sich Anna F. noch ein paar Tage Urlaub, bevor es mit Promotion und Konzerttour losgeht. Nach ihren beiden Solo-Alben ist „Hardcore Workout Queen“ nun das erste, das sie gemeinsam mit ihrer Band Friedberg veröffentlicht (Release: 8.11.). Es sei eine Art „musikalischer Road-Trip“, sagt Anna F. Nicht nur, weil die Künstlerin „einfach gerne drauflos“ macht, ohne bestimmtes Ziel. Sondern auch, weil selbst in der Musik Abwechslung brauche. „Ich finde Alben, auf denen Lieder zu ähnlich klingen, sehr schnell langweilig. Da höre ich dann einfach nicht mehr zu.“ Das ist wohl der Hauptgrund, dass sich auf „Hardcore Workout Queen“ Indie-Rock mit Elektro-Sounds, Dance und ein bisschen Pop-Beats abwechseln. Von Langeweile jedenfalls keine Spur.

funk tank: Anna, du hast dein letztes Album vor zehn Jahren veröffentlicht, sechs Jahre lang hast du an „Hardcore Workout Queen“ gearbeitet. Was hat so lange gedauert?

Anna F.: Als ich von Berlin nach London gezogen bin, musste ich mich erst einmal zurechtfinden und ankommen. Und dann kam noch Corona. Aber grundsätzlich liegt es wahrscheinlich eher daran, dass ich sehr lange an Dingen arbeite, bis ich etwas wirklich gut finde. Ich mache wirklich sehr viele Versionen von meinen Songs, probiere aus, feile daran herum. Das ist nicht schlau, weil es viel zu lange dauert, das weiß ich. Vor allem, weil ich dann meistens eh zur Ausgangsidee zurückkehre.

Das ist spannend – in der Werbebranche heißt es immer: Nimm nie die erste Idee. Alles, was danach kommt, ist besser.

(Lacht) Ja? Vielleicht ist das in der Musik anders. Ich finde, man kann diesen besonderen Vibe, den eine erste Aufnahme hat, nur ganz schlecht wiederherstellen. Selbst, wenn sie mit schlechtem Equipment an irgendeinem x-beliebigen Ort aufgenommen wurde. Zumindest bei den Vocals funktioniert das für mich nicht – wenn man Drums oder Gitarre dann nochmal einspielt, ja, okay. Aber bei der Stimme? Nein, ich finde, das ist eine ganz bestimmte Stimmung, die du nicht rekreieren kannst.

Wann weißt du denn, wann der Moment ist, einen Song „loszulassen“?

Das ist ein Gefühl, das ich ganz schwer erklären kann. Ich bin sehr kritisch mit dem, was ich mir selbst von anderen Musiker*innen anhöre und dem, was ich selbst produziere. Wenn ich mir denke: „Das würde ich mir selbst gerne anhören!“, bin ich bereit zu sagen: Gut, der Song ist fertig.


Als Anna F. hast du dich zu Beginn deiner Karriere als Solo-Künstlerin etabliert. Wie ist es jetzt, mit Band zu arbeiten?

Noch bevor es „Friedberg“ in dieser Konstellation gab, hatte ich schon sehr viele Songs geschrieben. Nicht nur den Text, sondern auch die Parts für die Instrumente. Wir sind ja eigentlich eine Live-Band – das klingt teilweise beim Konzert auch komplett anders als die Studioaufnahmen. Aber der Großteil des kreativen Prozesses liegt eigentlich bei mir.

Macht man es sich damit schwerer oder leichter?

Gute Frage. Ich weiß es nicht genau, das ist wahrscheinlich Ansichtssache. Es ist meine Art zu arbeiten, ich mache das gerne so.

Also ist es eigentlich Anna F. mit Band?

Es ist mein Projekt, ja. Aber die Live-Shows sind ja wirklich unser Herzstück und die sind uns allen superwichtig. Da heben wir die Songs und die Musik einfach nochmal auf eine komplett andere Ebene. Die Live-Versionen sind ja teilweise doppelt so lang, wir haben ganz lange Jam-Parts und haben da auf der Bühne auch eine richtige Energy. Das ist super. Unseren ersten Live-Gig haben wir übrigens ganz spontan in einem Pub in London an einem Sonntag gespielt, ohne Soundcheck oder Probe vorher. Vor einem Haufen Fremder, die mit ihren Familien gerade „Sunday Roast“ (klassischer Sonntagsbraten, Anm.) gegessen haben. Wir wollten es einfach probieren. Zwei Wochen später hatten wir nochmal einen Gig in einem anderen kleinen Laden – zufälligerweise war dort gerade ein Booking-Agent. So kam dann eines zum anderen.

Du bist von Wien erst nach Berlin und dann nach London. Hier bist du musikalisch jetzt angekommen?

Irgendwie schon. Ich wollte ja eigentlich erst nur für ein halbes Jahr her, aber irgendwann hat es sich richtig angefühlt, hier zu bleiben. In Berlin habe ich mich oft treiben lassen, in London habe ich richtigen Antrieb bekommen, die Stadt ist total inspirierend. Ich lebe im Nordosten von London, in Hackney Wick. Hier leben und arbeiten viele Kreative – Regisseur*innen, Fotograf*innen, Grafikdesigner*innen, Musiker*innen, Filmproduzent*innen. Da ergeben sich oft tolle Dinge, selbst, wenn man nur in der Früh seinen Coffee-to-go holt.

Wie ist dein Blick von London aus auf die österreichische Musikszene?

Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass man aus Österreich weggehen muss, um irgendwie Wertschätzung zu bekommen – ich glaube, dass sich da nicht viel verändert hat. Und sonst glaube ich, dass sich österreichische Künstlerinnen und Künstler schon sehr gut behaupten, vor allem aus Deutschland schaut man interessierter nach Österreich und was sich hier tut.

Bandfoto Friedberg
© Lewis Vorn

Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass man aus Österreich weggehen muss, um irgendwie Wertschätzung zu bekommen.

In Österreich bist du als „Popwunder“ (Zitat: Die Presse) groß geworden. Wie schaust du auf die Anna F. von damals? Willst du dieses „Label“ noch mit dir in Verbindung bringen?

Boah, manchmal denke ich mir schon, dass ich da einfach so reingepurzelt bin. Ich bin ja direkt von Friedberg nach Wien gekommen und ich hatte ja auch kein richtiges Management oder so und habe überall mitgemacht. Im Nachhinein denke ich mir, da hätte ich manchmal auch ‚Nein‘ sagen können – oder jemand hätte das für mich machen können. Aber das ist nie passiert, ich hatte das Ruder nicht wirklich in der Hand, sondern habe irgendwie immer Menschen getroffen, die mir gesagt haben, was ich jetzt als Nächstes am besten machen sollte. Das ist jetzt definitiv anders, ich habe da viel dazugelernt, sage öfter auch mal ‚Nein‘, weil ich gelernt habe, auf mich und mein Bauchgefühl zu vertrauen. Ich war auch nie wirklich Teil einer „Szene“, was schade ist. Wobei ich nicht mal genau weiß, ob es so eine große Musikszene damals so richtig gab, oder ob sich das erst mit der Zeit etabliert hat. Ach ja, und ich glaube übrigens, dass ich mit all dieser Erfahrung eine ganz gute Managerin und Beraterin wäre (lacht).

Kann man das Projekt „Friedberg“ auch als Abschied an Anna F. sehen?

Für mich ist es eine Art von Abschied, ja. Aber keine Sorge: Es ist nicht schlimm für mich, wenn andere Menschen mich als Anna F. in der Band Friedberg sehen.

Ich habe in einem Artikel gelesen, dass du früher sehr zurückhaltend und schüchtern warst, deine Ideen mit anderen zu teilen.

Das kann man wahrscheinlich auch als Zuschreibung an die Anna F. von früher sehen. Früher war das ganz schlimm, da habe ich Songs monatelang mit mir rumgetragen. Ich hatte wirklich Angst davor, sie jemandem zu zeigen, weil ich Angst vor einer Bewertung hatte – vor allem von Menschen, die man kennt und schätzt. Das hat mich richtig fertig gemacht. Aber da spielt mittlerweile auch rein, dass ich mehr Selbstsicherheit habe und auf meinen Bauch hören kann. Und mir ist es ja auch wichtig, Feedback zu bekommen und damit zu arbeiten. Aber grundsätzlich will man ja, dass das, was da aus dem Innersten von einem selbst hinauskommt, von anderen gemocht wird, oder? Damit bin ich wahrscheinlich auch nicht alleine.

Die Steirerin Anna Wappel alias Anna F. ist seit 20 Jahren Teil der heimischen Musikbranche. Der Durchbruch gelang der heute 38-Jährigen im Jahr 2009 mit ihrem Hit „Time Stands Still“, im selben Jahr veröffentlichte sie mit „For Real“ ihr erstes von drei Alben und sie erhielt den Amadeus Austrian Music Award. Seit 2018 lebt Anna F. in London, mit ihrer Band „Friedberg“ war sie kürzlich Vorband von Placebo, ihre Songs werden auf dem renommierten Sender BBC Radio 6 gespielt, jetzt hat die Band mit „Hardcore Workout Queen“ ihr erstes Album veröffentlicht.

Friedberg touren im Dezember durch Deutschland, Frankreich, Österreich und Portugal: Friedberg Live

Friedberg – Website

Alfred Dorfer: Meisterlicher Blödler, scharfsinniger Satiriker

Er zählt zu den beliebtesten Kabarettisten des Landes und ist neben Josef Hader der einzige Komiker in Österreich, der auch im gesamten deutschsprachigen Raum humoristisch verstanden und verehrt wird. Alfred Dorfer steht seit den 80ern erfolgreich auf der Bühne und hat spätestens mit den Produktionen „Indien“ (1993) und „Muttertag“ (1993) sowie mit der TV-Serie „MA 2412“ (1998–2003) auch im Film- und Fernsehbusiness für Aufsehen gesorgt. Mit der Late-Night-Show „Dorfers Donnerstalk“ (2004–2010) hat Dorfer sein satirisches Talent bewiesen. Es folgten zahlreiche Produktionen und Programme. Bis heute schafft Alfred Dorfer die perfekte Balance zwischen befreiender Unterhaltung und scharfsinnigem Humor, der auch einmal wehtut, weil er so treffend unsere Zeit und Gesellschaft behandelt.

Anlässlich des neuen Programms „GLEICH“, das ab 18. Oktober im Wiener Stadtsaal zu sehen ist, hat Alfred Dorfer mit uns im Wiener Café Prückel über Berufliches wie Privates gesprochen …

funk tank: Wir sitzen heute im Café; Kaffeehäuser haben ja in Wien eine lange Tradition, auch unter den Kunstschaffenden als Ort der Inspiration. Ist das Kaffeehaus auch ein Arbeitsplatz für Sie und entstehen hier kreative Texte?

Alfred Dorfer: Ja, manchmal entstehen in Kaffeehäusern auch meine Texte. Weil ich Gott sei Dank die Eigenschaft habe, dass ich Umgebungen akustisch ausblenden kann. Das haben sehr viele ja nicht, ich kenne Leute, die hören, was die ganz hinten im Raum reden.

Und wollen es auch wissen …

Genau. Ich will es nicht wissen und ich höre es auch nicht.

Wo und wie trinken Sie Ihren Kaffee am liebsten?

Früher war das Drechsler mein Stammcafé, das hat aber jetzt ein neues Konzept. Das Prückel mag ich sehr, liegt für mich jedoch aus der Hand, weil ich im 4. Bezirk wohne. Ansonsten im Sperl. Im ehrwürdigen Café Jelinek war ich gerne mit meinem Sohn, als er klein war. Dem habe ich versucht anzutrainieren, dass Kaffeehäuser großartig sind.

Generell ist es so, dass ein Tag ohne Kaffee-Beginn nicht geht. Kennen Sie diese Dreher? Das ist meine Art des Kaffees. Ich habe keine Maschine. Jeden Tag schraube ich mir den Kaffee zusammen und trinke ihn. In Kaffeehäusern bevorzuge ich dann Espresso.

Ich möchte, bevor wir zu Ihrem neuen Programm kommen, noch kurz bei Wien bleiben, konkret bei Ihrem Studium der Thewi (Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Anm.). Ich habe 2005 begonnen, Thewi zu studieren und kann mich noch genau daran erinnern, dass ich Sie in den ersten Tagen in der Uni gesehen habe und sofort wusste: „Hier bin ich richtig, hier werde ich was lernen.“

Was für ein Fehlschluss (lacht).

Ja, das stimmt, es war dann doch eher ein brotloses Studium, aber wunderschön (lacht). Sie haben ja lange Pause gemacht mit dem Studium, warum haben Sie sich dann dazu entschlossen, es wirklich fertig zu machen? Ist das was typisch Österreichisches, wo Titel ja noch wichtig sind?

Nein, es war so, dass ich in den 80er-Jahren das Studium fertig gemacht habe, damals war es ein Doktoratsstudium. Ich bin mit dem Diss-Thema in der Hand rausgegangen und habe mir gedacht, dass ich das nicht packe. Ich war 23 Jahre alt. Dann ist es auch geruht, 20 Jahre lang. Irgendwann wurde ich auf Tournee gefragt, warum ich aufgehört habe, obwohl ich doch schon so weit war und nur mehr die Arbeit gefehlt hat. Und ich wusste keine Antwort darauf. Da mich das universitäre Umfeld immer interessiert hat, habe ich dann meine damalige Doktormutter Hilde Haider angerufen und gesagt: „Hier spricht Alfred Dorfer, ich würde jetzt gerne die Diss machen.“ Und sie meinte: „Ich warte schon 20 Jahre auf Sie.“ Zu der Zeit wurde ja das System umgestellt, also musste ich zuerst das Magisterium abschließen und habe danach die Diss geschrieben.

Was ist bis heute Positives hängen geblieben aus dieser Studienzeit? Damals war das ja noch im historischen Institut in der Hofburg …

Ja, wunderschön. Da ich damals parallel Schauspiel gemacht habe, war ich der Meinung, dass du auch die Theorie kennen solltest, wenn du einen künstlerischen Beruf ausübst. Du solltest über Theatergeschichte Bescheid wissen und Stilfragen beurteilen können. Für mich ist Theaterwissenschaften ja ein Bildungsstudium, das war z. B. auch der Stil in der DDR, dass sie ihre Künstler*innen theoretisch ausgebildet haben.

Da mein Sohn dann schon groß war, hatte ich wieder die Zeit dafür und habe das Studium dann nach vier Jahren abgeschlossen. Mir ging es eher darum, eine Lücke zu füllen und eine ungelöste Frage in meiner Biografie zu beantworten. Bei der Promotionsfeier war ich z. B. nicht, ich unterschreibe auch nicht mit Dr. Alfred Dorfer …

Das Studium hat mir zudem noch etwas gebracht, denn aufgrund dieser Tätigkeit habe ich dann einen Lehrauftrag in Graz und Klagenfurt auf der Uni bekommen und rund acht Semester lang gelesen, was toll war.

Ich denke, dass die Tendenz, die Leute gegeneinander aufzubringen, aufspaltend ist. Damit meine ich nicht nur die FPÖ, sondern auch die andere Seite. Eine schlechte Migrationspolitik und eine schlechte Bildungspolitik spaltet alle.

Bildung hat ja auch was mit Politik zu tun bzw. vice versa. Politisch schaut es bitter aus, wenn wir an die Wahlergebnisse bei uns denken. Ihre persönliche Einschätzung: Wie geht es weiter in der Politik? Tritt Van der Bellen zurück? Wird Kickl Kanzler?

Das Problem ist, dass ich mich sehr damit beschäftige, aber es nicht weiß. In dieser Geschichte bin ich ratlos. Wir haben ja praktisch nur zwei Optionen. Und beide stehen für mich nicht dafür, dass wir die großen Probleme, die wir haben und in Zukunft noch mehr haben werden, lösen können. Daher fürchte ich, dass bei uns bald italienischer Wind wehen wird mit Wahlen alle zwei Jahre. Zumindest war das dort früher üblich. Ich denke, dass die Tendenz, die Leute gegeneinander aufzubringen, aufspaltend ist. Damit meine ich nicht nur die FPÖ, sondern auch die andere Seite. Eine schlechte Migrationspolitik und eine schlechte Bildungspolitik spaltet alle. Hätten wir funktionierende andere Parteien, wäre das nicht so ausgegangen. Die personelle Ausdünnung sollte man auch einmal besprechen, das ist zwar kein österreichisches Problem, aber bei uns ist es schlagend. Wo sind die Persönlichkeiten und die Programme? Es fehlt auch, dass die Politiker*innen sagen: „Wir haben einen Fehler gemacht und uns geirrt. Gehen wir es an und ändern das.“

Was wäre Ihre erste Amtshandlung als Politiker?

Ich bin kein Politiker und würde es auch nie machen. Ich könnte es gar nicht, alleine von meiner Psychostruktur her. Du stellst als Politiker*in nur mehr dar, durch die ständige Beobachtung kann alles gegen dich verwendet werden, du verlierst dein Leben.

Krisen haben und hatten wir weltweit. Corona, Kriege, Wirtschaft. Das alles hat natürlich auch die Psyche der Menschen verändert. Was tun Sie persönlich, um zuversichtlich zu bleiben und sich nicht runterziehen zu lassen?

Ich bin grundsätzlich jemand, der immer versucht, konstruktiv zu sein. Das ist noch lange nicht optimistisch (lacht).

Es hat aktuell tatsächlich was gegeben, wo mir das Herz übergegangen ist vor Freude. Die Reaktionen der Menschen auf das Hochwasser waren so positiv. Unter Einsatz der eigenen Gesundheit, ganz egal ob Rot, Blau oder Grün, haben Menschen gratis und in großer Zahl geholfen. Das ist das wirkliche Gesicht des Landes, noch, das finde ich großartig und das gilt es auch zu betonen und daraus Ressourcen zu ziehen. Ich werde Benefiz-Veranstaltungen für die Leute machen, die geholfen haben, die Bergrettung, die Feuerwehr, die Freiwilligen, … Das kann ich dazu beitragen.

Am 18. Oktober feiert Ihr Programm „GLEICH“ Premiere im Wiener Stadtsaal. Mir stellt sich die Frage, warum Kabarett-Programme meist sehr neutrale Titel haben. Bei Ihnen ist es „GLEICH“, bei Thomas Maurer ist es „Trotzdem“. Das kann ja alles und nichts bedeuten …

Um aus der Schule zu plaudern: Du brauchst einen Titel, bevor du weißt, was du machst. Weil die Programmhefte viel früher gedruckt werden und der Vorlauf der Theater lange ist. Du brauchst auch einen Pressetext, bevor du genau weißt, was du machst. Daher ist es super, wenn du einen Titel hast, wo du danach was dazu sagen kannst (lacht). Da kann quasi nix falsch sein an „GLEICH“, „Trotzdem“, … Bei „GLEICH“ kann man immer noch sagen: „Es hat drei Bedeutungen. 1. Damit ist gleichartig gemeint; 2. Es passiert gleich; 3. Alles ist mir gleich.“ Die Wahrheit ist: Der Titel hat mir gefallen, bevor ich wusste, wohin die Reise geht. Und ein kurzer Titel ist immer gut, weil man da relativ wenig falsch schreiben kann und es sich jede*r merkt.

Worum geht es im neuen Programm?

Mittlerweile weiß ich, worum es geht. Es geht um einen sehr losen Rahmen, wie immer bei meinen Programmen. Beim Programm „und …“ war es die Situation Umzug; jetzt geht es um eine Parabel und zwar darum, dass die zu teuren, alten Menschen im Weg sind und sie daher ausgesiedelt werden sollen. Da sie die kaufkräftigste Generation sind und wichtig für die Gesellschaft, weil sie zu den Reichsten gehören, die Wahlen entscheiden usw., kann man sie nicht einfach wegräumen oder sie umbringen. Aber sie stören. Sie wohnen in viel zu großen Wohnungen und werden daher alle zusammengelegt und gemeinsam betreut. Ich werde engagiert, um in diesem Ghetto im Theater aufzutreten und dort der Bezirkskasperl zu sein. Es geht darin überhaupt nicht um die Diskriminierung der Alten, sondern eher um den Umgang mit dem Alten, in dem wir noch stecken. Das bietet wunderbare Gelegenheiten, um u. a. über Migration, Bildung, Generationskonflikte zu sprechen. Aber eben auf meine Art, ohne gegen jemanden oder etwas zu wettern.

Portraitfoto Kabarettist Alfred Dorfer im Zuge vom neuen Programm "Gleich"
© Stefan Csáky, www.grainyday.photo

Ich bin grundsätzlich jemand, der immer versucht, konstruktiv zu sein. Das ist noch lange nicht optimistisch.

Sie nehmen also keine Position ein …

Das mache ich selten. Manchmal tue ich das, damit es nicht zu Missverständnissen führt. Ironie kann man ja immer so oder so deuten, die einen fühlen sich bestätigt, die anderen angegriffen. Aber im Prinzip ist es keine Predigt.

Sie treten ja auch viel in Deutschland auf. Adaptieren Sie Ihr Programm dafür? Hat man dort einen anderen Schmäh?

Ich wollte deswegen nach Deutschland gehen, um herauszufinden, ob das, was ich mir ausdenke, nicht nur ein Lokalkolorit ist. Und es hat in Deutschland und der Schweiz funktioniert und tut es noch. Im Laufe der 20 Jahre habe ich aber begonnen, die Orte so auszusuchen, wo ich das Gefühl hatte, dass man es humoristisch gut versteht und die wegzulassen, wo man sowieso anrennt. Z. B. Köln. Ich bin viel zu alt und es ist viel zu weit weg, um meine Abende damit zu verbringen, dort Humorbotschafter zu sein. Die Karnevalshochburg hat einfach einen anderen Zugang zu Humor.

Im Zuge des neuen Programms habe ich gesehen, dass Sie auf Instagram sehr aktiv sind, sogar Reels gepostet werden. Sind Sie Fan der neuen Medien oder muss man da einfach mitmachen? Reichweite haben Sie ja sowieso …

Mich interessiert an Social Media etwas: Mich interessiert, wie man in diesem ganzen Müll und Sumpf mit Bild oder Text etwas herstellen kann. Etwas, das was aussagt, auch in der Kürze der Aufnahmefähigkeit. Ich bin noch in der Versuchsphase. Ich glaube, dass das eine Möglichkeit ist, eine Kolumne zu haben. Wie ich sie damals in der Zeit hatte, wo ich 14 Jahre lang jede Woche versucht habe, politische Themen aus satirischer Sicht darzustellen. Die noch offene Frage, ob das auf Social Media auch geht, möchte ich klären. Und ich will herausfinden, ob ich so jüngeres Publikum ansprechen kann.

Sie sind Meister im Blödeln und beherrschen tiefsinnige Komik – was ist leichter zu schreiben/spielen?

Diese von Ihnen angesprochene Spanne bildet sehr gut ab, was ich bin. Weil ich finde, dass Unterhaltung, wo es rein um das Entladende geht, eine große Kunst ist. Ich kenne nicht viele Leute, die das können. Also Unterhaltung, die nicht unter der Gürtellinie ist, aber auch nicht belastet mit Themen wie Krieg usw. Ich blödle privat unheimlich gern. Ich gehöre nicht zu der Kategorie, die besagt, dass der klassische Komiker privat mieselsüchtig oder depressiv ist.

Oder zu intellektuell und verkopft …

Genau. Diese Verkrampfung im Gesäß habe ich nicht.

Ich gehöre nicht zu der Kategorie, die besagt, dass der klassische Komiker privat mieselsüchtig oder depressiv ist.

Gibt’s beruflich irgendetwas, das Sie unbedingt verwirklichen wollen, aber bisher nie möglich war?

Mit 60 Jahren dämmert dir schon was, was mit 58 Jahren noch kein Thema ist. Plötzlich kriegst du fast einen Aktivitätsstress: Das wollte ich noch. Und das wollte ich noch. Und das wollte ich noch.

Ich wollte z. B. ein Lokal eröffnen. Ich fand die Idee einer Mischung aus Buch und Kaffee oder Buch und Wein eine lange Zeit sehr faszinierend. Das habe ich mittlerweile verworfen. Jetzt sind es kleinere Geschichten, die ich vorhabe. Also nicht so was Großes wie das Studium.

Ich war sehr viel in Südamerika und in Mittelamerika unterwegs. Dort kommst du mit Englisch nicht durch. Da ich gut Latein kann, habe ich dann bei meinen Trips vor Ort Spanisch gelernt. Und dort die Leute wie ein kleines Kind gefragt, was was heißt. Die Menschen waren sehr freundlich, ich hatte also über 100 Lehrer*innen. Irgendwann habe ich diese Leidenschaft nicht mehr ausgeübt, daher kann ich Spanisch bis heute nicht gut genug. Solche Pläne habe ich. Also kleine Geschichten, keine großen Konzepte, wie das Erlernen eines neuen Berufs.

Wobei, in der Corona-Zeit habe ich einen neuen Beruf gelernt. Ich habe zwei Jahre lang als Gemüseverkäufer am Naschmarkt gearbeitet, weil ich die damaligen Betreiber einer der Geschäfte dort gut kannte. Ich kenne mich jetzt sehr gut aus mit Gemüse und der Zubereitung von beispielsweise Schwarzkohl, das ist übrigens der absolute Trend momentan.

Klingt blähend?!

Natürlich, wie jeder Kohl. Jedenfalls habe ich so mit 60 noch einen neuen Beruf gelernt. Ich könnte jetzt überall anfangen als Gemüseverkäufer. Das Leben am Markt war für mich eine schöne Zeit. Ein Teil dieser Erfahrungen kommt auch im neuen Programm vor.

Bis Mitte 2025 sind Sie mit „GLEICH“ auf Tour. Was kommt danach?

Ich bin länger damit unterwegs. Rein geografisch gesehen dauert die Runde mit Österreich, Deutschland und der Schweiz sicher zweieinhalb Jahre. Rechnen wir den Ausfall der Pandemie dazu und wenn ich dann noch zwei Mal mein Programm spiele pro Stadt, sind wir schon bei sieben Jahren. Also werde ich das jetzt mindestens drei bis vier Jahre machen …

Portraitfoto Kabarettist Alfred Dorfer im Zuge vom neuen Programm "Gleich"
© Stefan Csáky, www.grainyday.photo

Alfred Dorfer zählt zu den beliebtesten Kabarettisten im deutschsprachigen Raum. Der Wiener steht seit den 80ern erfolgreich auf der Bühne und hat spätestens mit den Produktionen Indien (1993) und Muttertag (1993) sowie mit der TV-Serie MA 2412 (1998–2003) auch im Film- und Fernsehbusiness für Aufsehen gesorgt. Sein neues Kabarett-Programm „GLEICH“ feiert am 18. Oktober 2024 im Wiener Stadtsaal Premiere. Einige Abende sind schon ausverkauft, für die Termine ab Dezember sind noch Karten erhältlich.

Fotos Interview: Stefan Csáky

Thomas Maurer Interview – Soloprogramm „Trotzdem“

In seinem Soloprogramm „Trotzdem“, das im Wiener Stadtsaal Premiere feiert, entführt Thomas Maurer das Publikum in eine „Mischung aus Wellnesshotel und Social-Media-Entzugsklinik“. Es geht unter anderem darum, was Social Media und Artificial Intelligence mit uns machen. Wie das Komische die Rettung sein kann, erklärt der 57-jährige Wiener im funk tank-Interview:

funk tank: Sehr verehrter Herr Maurer, „Obwohl“ oder „Trotzdem“ … ?

Thomas Maurer: Trotzdem klingt heroischer. Obwohl obwohl schon auch was hat. Aber ich nehm trotzdem trotzdem.

Für wen ist Ihr neues Programm genau das Richtige und wer sollte lieber zu Hause bleiben?

Wenn man gern einen pointenreichen Abend hat und es nicht als Nachteil empfindet, wenn diese Pointen auch unangenehmen Dingen und Sachverhalten abgerungen werden, wird man das Programm, denke ich, mögen. Wenn nicht, dann nicht.

Sowohl aus politischer Sicht als auch das Klima betreffend und vom globalen Gemeinschaftsgedanken sowieso, sieht es bitter aus – Wie schaffen Sie es, trotzdem Humoriges auf die Bühnen zu bringen und was tun Sie, wenn Ihnen einmal nicht mehr zum Lachen ist?

Alles, was schiefgeht, kann man ins Komische drehen. Und ich finde, man soll auch. Die Brechung, die Pointe erzeugt einen – oft sehr nötigen – Abstand zur unmittelbaren Empfindung. Auch und gerade, wenn’s einen selbst betrifft. Ich hatte zum Beispiel unlängst inmitten einer extrem stressvollen Arbeitsphase derart lang und derart intensiv Zahnweh, dass ich die Absurdität der Situation selber komisch fand.

Sie haben schon unzählige Soloprogramme geschrieben, jedes einzelne davon war ein Erfolg. Wovon oder von wem lassen Sie sich dafür inspirieren? Kennen Sie dennoch sowas wie Lampenfieber oder Blackout-Momente, wo gar nichts mehr geht?

Zu Lampenfieber habe ich nie geneigt, zu Blackouts Gott sei Dank auch nur alle heiligen Zeiten. Inspiration kann aus allen möglichen unerwarteten Richtungen kommen. Ich habe auch schon einmal mit großer Freude den Beleg für die „Rambo III“-DVD in die Buchhaltung getan, weil ich im gerade entstehenden Programm daraus zitiert habe und im Fall einer Steuerprüfung beweisen könnte, dass das eine berufliche Ausgabe war. Großartige Kollegen und Kolleginnen versuche ich eher zu genießen, als zu versuchen, mir was abzuschauen.

Ist Humor angeboren oder erlernbar?

Vermutlich beides. Man sollte eine entsprechende Disposition mitbringen, aber es gibt natürlich auch so was wie einen Trainingseffekt. Damit meine ich nicht, dass man routiniert alte Scherze neu verpackt, sondern dass es eine spezielle Art des Denkens ist, in möglichst allem das potentiell Komische entdecken und dann auch artikulieren zu können. Und die wird einem mit den Jahren immer selbstverständlicher.

Zusammen mit Florian Scheuba und Robert Palfrader sind Sie ab Oktober mit neuem Programm der „Wir Staatskünstler“ unterwegs; fast zeitgleich startet Ihr Soloprogramm. Quasi ein Leben auf Tour. Wie geht sich das eigentlich aus? Schlafen Sie auch irgendwann? Werden die Wahlergebnisse spontan in Ihr Staatskünstler-Programm einfließen oder gibt es schon einen fixen Inhalt?

Ich bin eigentlich ein fauler Hund, der tragischerweise im Körper eines Workaholics gefangen ist. Freiberufler*innen tun sich generell schwer damit, etwas abzusagen, weil man ja nie weiß, wann die nächste Gelegenheit kommt. Die Wahlergebnisse werden bei den Staatskünstlern und in meinem Podcast mit Thomas Cik ein Thema sein, im Solo werden sie eher eine Art Hintergrundrauschen bilden.

"Wir Staatskünstler": Thomas Maurer, Florian Scheuba, Robert Palfrader.
"Wir Staatskünstler": Thomas Maurer, Florian Scheuba, Robert Palfrader © Ingo Pertramer

Ich bin eigentlich ein fauler Hund, der tragischerweise im Körper eines Workaholics gefangen ist.

Was geht leichter von der „Feder“ – politisches Kabarett oder Comedy? Gibt es Themen, wo Sie klare Grenzen ziehen und über die Sie nicht sprechen bzw. Witze machen?

Ich seh da nicht so einen großen handwerklichen Unterschied. In beiden Fällen geht’s darum, eine möglichst komische Idee zu haben. Im Kabarettfall soll die halt einen Gedanken oder Inhalt vermitteln, bei Comedy ist die Pointe selbst der Inhalt. Und natürlich ist es besonders reizvoll, einen guten Witz an einer Stelle zu reißen, die man allgemein für unpassend halten würde. John Oliver etwa hat großartige aufklärerische, aber auch saukomische Sendungen über Themen wie die Todesstrafe oder die US-Opioid-Krise gemacht. Aber natürlich ist ein schlechter Witz über ein heikles Thema etwas furchtbar Unerfreuliches.

Wäre die Welt eine bessere, hätten wir Kabarettist*innen in der Politik? Können Sie sich vorstellen, als Politiker zu arbeiten?

Ich glaube, ich hätte für die Ochsentour durch die Partei nie die Mentalität und Konstitution gehabt. Und Quereinsteiger gehen in der Regel mangels Netzwerk und Hausmacht kläglich unter. Noch dazu bin ich auf keinem Gebiet wirklich Experte. Ich weiß zwar, dass ich diese Eigenschaft mit viel politischem Personal vom Bundeskanzler abwärts teile, aber besser wär’s, wenn’s anders wär.

Worüber haben Sie zuletzt gelacht? Und was hat Sie zuletzt zum Weinen gebracht?

Ich habe unlängst wieder in Helmut Qualtingers furiose „Schwejk“-Lesung hineingehört, das ist ein All-time-Favorite. Weinen tu ich selten und strikt privat.

Ihr Satire-Podcast „Maurer & Cik“ ist für den Österreichischen Kabarettpreis nominiert. Es gibt sie also doch, die intelligenten Content-Creator*innen. Wie wichtig sind Ihnen Auszeichnungen? Und inwiefern unterscheidet sich die Arbeit mit Podcasts zu Ihren Programmen auf der Bühne? Passiert da viel spontan?

Eine Auszeichnung ist schon einmal deshalb angenehm, weil sie der Eitelkeit schmeichelt und obendrein dazu beiträgt, dass mehr Leute von der Existenz des ausgezeichneten Produkts erfahren.

In meinen Programmen stecken normalerweise doch viele Arbeitswochen; beim Podcast wird vorab nur grob eine Themenliste erstellt – okay, Thomas Cik bereitet sich richtig vor, aber der ist ja auch Journalist – und der Rest passiert dann eigentlich spontan, ohne Vorformulierung und in der Regel unkorrigiert.

Bis Anfang 2025 sind Sie mit den diversen Programmen auf Tour. Was kommt danach?

2026. Hoffentlich.

Der Wiener Thomas Maurer, 57, arbeitet als Kabarettist, Autor und Schauspieler. Zusammen mit Florian Scheuba und Robert Palfrader widmet Maurer sich mit „Wir Staatskünstler“ der politischen Satire. Sein neues Soloprogramm „Trotzdem“ feiert am 8. Oktober 2024 im Wiener Stadtsaal Premiere und geht bis Dezember 2024 in mehreren Bundesländern über die Bühnen.

Thomas Maurer

Wir verlosen 1 x 2 Tickets für den Kabarett-Abend mit Thomas Maurer und „Trotzdem“ am 17. Oktober 2024 ab 19.30 Uhr im Wiener Stadtsaal: Zum Gewinnspiel!

Claudia Kottal Kennst du Ruth Maier?

Sie haben uns geschlagen. Gestern war der schrecklichste Tag, den ich je erlebt habe. Ich weiß jetzt, was Pogrome sind, was Menschen tun können, die Ebenbilder Gottes. In der Schule sagte der Direktor, sie zünden Tempel an, verhaften, schlagen. Vor der Tür steht ein Lastauto, drei Professoren haben sie verhaftet. Dann werden wir nach der Reihe zum Telefon gerufen. Wie in einem Schlachthaus …“
Das ist ein kurzer Auszug aus Ruth Maiers Text, den sie am Freitag, den 11. November 1938, in ihr Tagebuch schrieb. Einen Tag zuvor hatte die Wienerin ihren 18. Geburtstag. Wenige Monate später gelingt es ihr, nach Norwegen zu emigrieren. Doch auch dieses Land wird von den Nazis besetzt, sie wird deportiert.

Ihre Texte gelten heute als bemerkenswert reflektiert, der norwegische Autor Jan Erik Vold hob 2007 ihren literarischen Schatz. 2020 wurde Es wartet doch so viel auf mich … auf Deutsch im Mandelbaum Verlag herausgegeben; das Werk beinhaltet Texte aus ihren Tagebüchern und Briefen.

„Es berührt ganz tief, den Bericht einer Augenzeugin zu lesen“, sagt Schauspielerin Claudia Kottal, die wir am Wiener Naschmarkt zum Interview treffen. „Sie beschreibt Plätze in Wien, die wir kennen, über die wir heute gehen.“ Sie wollte für eine bessere Welt kämpfen und sie wollte Kinder gebären, auch das schrieb Ruth Maier einmal. Die Chance, Mutter werden zu können, wurde ihr mit 22 Jahren genommen: Sie wurde im KZ Auschwitz ermordet.

„Ich bin irgendwann in der Früh aufgewacht und hatte diesen Titel im Kopf: ‚Ich bin Ruth‘. Er erzählt, dass es uns allen hätte passieren können oder uns auch heute passieren könnte“, beschreibt die Schauspielerin. Die durchaus inspirierende Scheiß-mir-nix-Attitüde der Sandra Tichy, die Claudia Kottal in der ORF-Serie Biester spielt, weicht im Interview einer feinfühligen Künstlerin, die sich im Wortsinn politisch engagieren will. Gegen Gewalt an Frauen, gegen Mobbing und Diskriminierung – und mit der Theaterproduktion „Ich bin Ruth“, die sie mit ihrer Frau Anna Kramer und der gemeinsamen Freundin Suse Lichtenberger auf die Beine stellt.

Die ausverkaufte Premiere ging am 17. September über die Bühne, bis 3. Oktober ist das Stück noch in der Wiener Semmelweisklinik zu sehen. Wir haben mit Claudia Kottal vor der Premiere gesprochen …

funk tank: Es ist mir unangenehm, aber ich kannte Ruth Maier zuvor nicht …

Claudia Kottal: Uns ging es genauso! Meine Frau und ich haben im DÖW, im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, zum Thema Homosexualität im Nationalsozialismus recherchiert; eine ganz tolle Mitarbeiterin dort hat uns auf sie aufmerksam gemacht. Das DÖW hatte sogar eine Wanderausstellung über sie gemacht, es gibt auch eine ORF-Dokumentation, aber die wenigsten kennen Ruth Maier. Das liegt auch daran, dass ihre Texte erst 2007 zunächst auf Norwegisch und noch später auf Deutsch veröffentlicht wurden. Wir haben ihr Buch zu lesen begonnen – und sofort beschlossen, daraus etwas zu machen. Man fühlt sich in die Zeit zurückversetzt, ihre Tagebucheinträge berühren sehr; auch die Briefe, die sie an ihre jüngere Schwester geschrieben hat. Sie hat es noch mit dem ersten Kindertransport nach England geschafft und überlebte.

Wie setzt ihr das auf der Bühne um?

Wir drei Schauspielerinnen erarbeiten das im Kollektiv, ohne Regie „von außen“. Wir haben uns zunächst in einem sehr langwierigen Prozess herausgefiltert, welche Passagen wir verwenden; auf der Bühne sind wir dann alle drei Ruth. Wir sprechen und spielen ausschließlich ihre Texte und sagen bewusst nichts, was nicht sie geschrieben hat. Infotexte, Bilder – Fotos und Zeichnungen von ihr – werden auf die Wand projiziert, dafür haben wir zwei ganz tolle junge Bühnenbildnerinnen gefunden: Hannah Berki und Monika Kovačević.

Außergewöhnlich ist zudem die Location …

Wir wollten das unbedingt an einem nicht klassischen Theaterort umsetzen. Dann sind wir auf die Semmelweisklinik gestoßen, die heute Künstler*innen für Ateliers und Performances nutzen. Ein Theaterstück wurde dort noch nicht aufgeführt. Wir müssen also Podeste bauen, die Sesseln reinbringen …

Wow, klingt nach sehr viel Arbeit …

Ja, aber es wird magisch! Wir spielen in der ehemaligen Waschküche, das ist ein riesengroßer, denkmalgeschützter Raum. Und: Wir sind draufgekommen, dass Ruth Maier in derselben Straße gelebt hat. Wenn man eine Station früher aus der Straßenbahn steigt, geht man an ihrem Haus vorbei (Hockegasse 2).

Theaterstück "Ich bin Ruth" in der Wiener Semmelweisklinik
"Ich bin Ruth" in der Wiener Semmelweisklinik © Apollonia Theresa Bitzan

Ich bin irgendwann in der Früh aufgewacht und hatte diesen Titel im Kopf „Ich bin Ruth“. Er erzählt, dass es uns allen hätte passieren können oder uns auch heute passieren könnte.

Die Musik dazu machen Clara Luzia und Cathi Priemer-Humpel – seit Kurzem spielt ihr sogar gemeinsam in einer Formation: The Quiet Version. Da ist neu in deinem Tun …

Wir haben kürzlich das erste Mal einen Song für Pratersterne gespielt, das erste Konzert haben wir erst am 11. Jänner 2025 im Wiener Stadtsaal. Als sie mich gefragt haben, habe ich gesagt: Ich kann das nicht, ich bin keine Musikerin. Ich habe zwar lange Klavier gespielt, aber ich bin tausend Mal mehr nervös, wenn ich Klavier spielen muss, als reden auf der Bühne (lacht).

Aber zusammen gearbeitet habt ihr schon?

Ja, mehrfach, und wir sind auch sehr gut befreundet. Wir haben zum Beispiel 2019 für das Kosmos Theater „Jetzt müssen wir auf morgen warten“ (Regie: Amina Gusner) und 2020, während der Pandemie die Webcomedy „Die Massnahme“ gemeinsam gemacht.

Ruth Maiers Texte sind sehr aktuell. Wie erlebst du die aktuelle politische Situation?

Heute dieses Stück zu machen, während es Kriege gibt und die Bedrohung für uns höher ist als jemals zuvor, seit ich auf der Welt bin, ist doppelt so arg. Wir fragen uns ständig: Wie konnte das alles passieren? Wie konnte der Antisemitismus so stark werden?

Ruth Maier war ein sehr politischer Mensch, sie hat die Situation klug analysiert – und wir finden Parallelen zu heute. Sie schreibt beispielsweise darüber, dass die Regierung die Verantwortung nicht übernimmt und versucht, den Leuten die Schuld an der Wirtschaftskrise unterzujubeln.

Du hast kürzlich in einem Interview gesagt, dass du dich verstärkt gegen Gewalt an Frauen und gegen Mobbing engagieren möchtest. Wieso diese beiden Themen?

Ich denke gerade an die kürzlich ermordete Olympia-Marathonläuferin Rebecca Cheptegei, ein Femizid. Es erschreckt mich, in welchem Ausmaß Gewalt an Frauen vor allem von ihren Partnern verübt wird. Ob wir es jemals schaffen, etwas dagegen zu unternehmen? – Dafür muss sich gesellschaftlich einiges verändern.

Mobbing ist für mich ein wichtiges Thema, weil ich das als Kind erlebt habe. War ich zu lieb oder habe ich zu sehr aus der Reihe getanzt? Einmal wurde ich in einem Sommercamp gefesselt und in eine Pferdebox gesperrt. Das Auslachen hat sich irgendwie durch die Schuljahre durchgezogen. Ich glaube, heute gibt es ein höheres Bewusstsein dafür. Natürlich hat die junge Generation auch ihre Schwierigkeiten, aber ich bin begeistert, wie sie sich vielen Dingen offen oder gegen Dinge stellt. Ich war eher ängstlich, zurückhaltend, ich bin beeindruckt, wie selbstbewusst heute junge Frauen sind.

Wieso wurdest du Schauspielerin?

Ich bin mit 16 beim Schultheater auf der Bühne gestanden, obwohl ich sonst sehr schüchtern war – und mit 18 dachte ich mir: Ich probiere es einfach. Aber selbst auf der Schauspielschule blieb das Schüchternsein zunächst und die Selbstzweifel kommen immer wieder. Das könnte mit dem früheren Mobbing, mit der Angst, ausgelacht zu werden, zusammenhängen. Ich glaube, ich wollte mich überwinden, das war wohl ein Grund. Aber nicht der einzige! (lacht) Es war schon auch immer der Wunsch da, sich auszudrücken.

Deine Sandra Tichy pfeift sich nix! Mittlerweile habt ihr auch schon die zweite Staffel der ORF-Serie „Biester“ abgedreht – wir warten gespannt auf den Sendetermin …

Ich liebe die Rolle wirklich sehr! Ich habe die ersten Zeilen vom Text gelesen und wollte sie unbedingt spielen. Es macht mir Spaß, dass sie sich so viel Raum nimmt, dass sie so ganz anders ist, als ich.

ORF-Serie „Biester“ mit Anja Pichler und Claudia Kottal
„Biester“ mit Anja Pichler und Claudia Kottal © ORF/MRFILM/Petro Domenigg
Dürfen wir etwas spoilern? Gibt es weitere spannende Projekte?

Es passieren viele unerwartete Wendungen, die Dynamik zwischen den jungen Girls verändert sich, und auch die Situation von Sandra und ihrem Mann … Es gibt für mich auch ein neues Fernsehprojekt, aber da darf ich noch nichts verraten. Jetzt bin ich zunächst einmal Ruth Maier.

Suse Lichtenberger, Anna Kramer und Claudia Kottal in "Ich bin Ruth"
Suse Lichtenberger, Anna Kramer und Claudia Kottal in "Ich bin Ruth" © Hannah Berki

Claudia Kottal wurde 1981 als Tochter einer Polin und eines Österreichers geboren und wuchs in Fischamend, Niederösterreich, auf. Ihre Schauspielausbildung machte sie am Konservatorium Wien. Sie spielte u. a. am Theater in der Josefstadt, Kosmos Theater, Theater der Jugend, im Dschungel Wien, bei den Wiener Festwochen und den Salzburger Festspielen. Claudia Kottal schrieb für das Wiener Theater Bronski & Grünberg „Vor dem Fliegen“ nach dem Roadmovie „Thelma & Louise“ und inszenierte es auch selbst. Vor der Kamera stand sie etwa für die ORF-Satire „Wir Staatskünstler“, den Kinofilm „Love Machine“ – und kürzlich für die zweite Staffel der TV-Serie „Biester“. Claudia Kottal ist mit Schauspielerin Anna Kramer verheiratet.

„Ich bin Ruth. Das kurze Leben der Ruth Maier“: Uraufführung. Premiere: 17. September 2024, 19.30 Uhr. Semmelweisklinik, Hockegasse 37, Haus 4, 1180 Wien. Weitere Vorstellungen: 18., 25.–29. September, 1.–3. Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Dernière: 6. Oktober, Matinée um 11 Uhr (im Rahmen von Kunstfest Währing, inklusive Publikumsgespräch).

Ich bin Ruth – Infos & Tickets

Interview mit Michel Attia zum 50. Musikstammtisch

Langsam, aber sicher will sich der 46-jährige Michel Attia zurückziehen. Nicht ganz, aber einfach ein bisschen leiser treten „und nur mehr für zwei arbeiten“. Was das genau bedeutet, woher der Musikexperte seine Inspiration nimmt und warum er es liebt, Musiker*innen zu vernetzen, hat uns Michel anlässlich seines Musikstammtisch-Jubiläums verraten …

funk tank: Lieber Michel, wer in Österreich was mit Musik zu tun hat, kommt an dir nicht vorbei, du kennst gefühlt jede*n in der Szene und bist Netzwerk-König. Was machst du eigentlich genau?

Michel Attia: Ich bin Jongleur und jongliere mit Gefallen. Mein Brotjob ist bei FM4 seit knapp 22 Jahren als Event-Chef, damit verdiene ich mein Geld und das macht mir noch immer Spaß. Ansonsten habe ich viele Ideen, die ich umsetze, aber damit wenig bis kein Geld verdiene. Ich veranstalte Michels Musikstammtisch alle zwei Monate in Wien, unregelmäßig in Hamburg, dann gibt es noch das Speak Ösi in Hamburg, ab und zu das Katerfrühstück und ich habe ein Postkarten-Label namens Bussi, Wien.

Der Musikstammtisch feiert am 26. September sein 50. Mal. Wie ist die Idee dazu entstanden und was macht diesen Treffpunkt in Wien aus? Für wen ist er?

Eigentlich war das eine spontane Idee, ich hätte damals zum Echo in Berlin fliegen sollen und konnte wegen eines Arzttermins nicht hinfliegen, das hat mich total geärgert. Dann habe ich in meiner Bubble auf Facebook ausgerufen, dass ich eine Konkurrenzveranstaltung dazu in Wien mache, was natürlich total absurd war. Da ich damals auch ein Lokal hatte, war das easy zu organisieren und ich habe mit 20 Leuten gerechnet, es kamen dann aber um die 100 Personen. So war mir klar, dass es den Bedarf gab und darum habe ich dann entschlossen, das regelmäßig alle zwei Monate als Afterworkevent zu machen.

Michels Musikstammtisch existiert bis heute und ist für die Musikbranche gedacht, also für Musiker*innen und Menschen aus der Branche. Ich habe keine strengen Kriterien, aber irgendwas muss man schon mit Musik zu tun haben, wenn man nur Blockflöte spielt, ist das auch okay.

Darf irgendwer nicht rein? Sagen wir z. B. Rammstein?

Wenn Rammstein tatsächlich kämen, dann würde ich zumindest dafür sorgen, dass sie nicht bedient werden an der Bar und dann würden sie das hoffentlich kapieren. Eigentlich sind aber alle herzlich willkommen, die Einladungen gehen ja über meine Facebook-Gruppe raus und da sehe ich sowieso, wer sie bekommt.

Musikstammtisch im Wiener WUK
Musikstammtisch im Wiener WUK © Nikolaus Ostermann
Du hast ja immer Partner*innen für Freigetränke für den Musikstammtisch, finanzierst du so diese Events? Und es gibt immer internationale Gäste aus der Branche, wie suchst du die aus?

Anfangs habe ich mein privates Geld reingesteckt, mittlerweile habe ich zum Glück ein Jahressponsoring der Wirtschaftsagentur Wien und es gibt fast jedes Mal einen Partner/eine Partnerin für Freigetränke, da freuen sich vor allem die Nachwuchsmusiker*innen.

Das mit den Gästen hat sich zufällig entwickelt. Die deutsche Agentur Goodlive war auf der Suche nach einem passenden Event in Wien, wo sie sich präsentieren kann. Mittlerweile melden sich immer wieder Agenturen, Plattenfirmen, Kulturvereine, Unternehmen usw. oder ich suche sie aus, was öfter vorkommt.

Gibt es dann auch Panels oder sowas in der Art?

Nein, bei mir ist das Ganze niederschwellig und ohne Talks, Panels usw., genau das genießen die Leute, glaube ich.

Wer aus der Branche kommt dann genau?

Im Großen und Ganzen kommen die Stammgäste aus dem Alternative Mainstream. Aber auch z. B. von Starmania, von Ö3, Energy oder aus dem Jazz. Was mir am meisten fehlt, ist, dass auch die Leute aus der Clubkultur kommen und Personen aus der Hochkultur würde ich mir ein bisschen mehr wünschen.

Du veranstaltest ja nicht nur in Wien deine Stammtische, sondern auch in Hamburg. Was machst du dort?

Ich liebe Hamburg und habe dort schnell bemerkt, dass es nichts Regelmäßiges für die Musikbranche gibt, außer halt einmal im Jahr am Reeperbahn Festival. Dort kenne ich auch viele Leute und habe denen von meinem Musikstammtisch erzählt und die haben es wieder weitererzählt und seitdem veranstalte ich das in Hamburg unregelmäßig.

Zusätzlich habe ich Speak Ösi dort gemacht. Ich liebe schlechte Wortspiele (lacht). Mir gefällt die Idee der Speakeasy-Bars und das habe ich dann in Hamburg als Speak Ösi umgesetzt. Für 12 Personen mit Kulinarik aus Österreich, also österreichische Produkte und Köch*innen. Das ist dann in einer Wohnung versteckt und die Leute werden abgeholt und dorthin gebracht. Z. B. mit Hubert Mauracher, der Musiker ist und für viele als der beste Thai-Koch des Landes gilt, was ja witzig ist, weil er eigentlich aus der Tiroler Wirtshausküche kommt. In der Zeit vom Reeperbahn Festival habe ich das dann veranstaltet, bisher 5 Mal, heuer lasse ich das mal aus, um das Festival genießen zu können.

Ich mache das alles ja nicht, um mir selbst einen Gefallen zu tun, sondern weil ich Menschen und Ideen gerne zusammenbringe.

Spannend bei dir ist ja auch, dass du wenig aktiv auf Social Media bist, aber dennoch immer überall mitmischt. Wie trittst du mit den Leuten in Kontakt?

Social Media interessiert mich eigentlich gar nicht. Ich versuche alles auf Telefonate, Textnachrichten und E-Mails zu beschränken. Aber ich habe Leute, die mir damit helfen. Beim Speak Ösi z. B. verschicke ich das an 100 Leute in Hamburg und dann spreadet sich das von selbst und dann melden sich auch Menschen, die ich vorher gar nicht kannte, das ist sehr lustig. Es wird aber ab demnächst für den Musikstammtisch eine einfache Website inkl. Newsletter und LinkedIn geben, weil die Branche dann doch den Termin via Facebook nicht immer mitbekommt. Algorithmus und so.

Katerfrühstück im Jaz in the City Wien
Katerfrühstück im Jaz in the City Wien © Marvin Strauss

Ich mache das alles ja nicht, um mir selbst einen Gefallen zu tun, sondern weil ich Menschen und Ideen gerne zusammenbringe.

Noch mal kurz zu Hamburg. Wenn du die Hamburger Musikszene mit der Wiener vergleichst – Welche Gemeinsamkeiten gibt es und worin besteht noch Nachholbedarf in Österreich?

Ich sehe es eher andersherum. Ich sehe Nachholbedarf in Hamburg. Ich finde, Wien ist viel gemeinschaftlicher in der Szene als Hamburg, in Hamburg kocht jede*r ihr/sein eigenes Süppchen, das erinnert mich an Wien vor 20 Jahren.

Dein Lieblingsfestival national und international?

National natürlich die Events von FM4, ich mag sehr gerne unser Geburtstagsfest und das nicht nur, weil ich das buche und kuratiere. Ansonsten gibt es ganz schön viele Festivals in Österreich, es wird immer mehr und nie weniger. Was auch nicht ganz unproblematisch ist. Mir gefällt das Lido Sounds, das finde ich sehr charmant. Oder das Acoustic Lakeside. International ist das Primavera ein Vorzeigefestival in Barcelona mit der Kombi aus Musik und Essen und Meer. Aber es gibt noch so viele andere, ich suche immer nach Gründen, um nach Hamburg zu reisen, also natürlich das Reeperbahn Festival. Genial finde ich auch das Roskilde Festival in Dänemark, vor allem für die Größenordnung. Das Flow Festival in Helsinki, das Oya Festival in Oslo, …

Obwohl du sehr viel unterwegs bist, bleibst du Wien treu. Warum?

Ich bin in Wien geboren, es ist ein bisschen eine Hassliebe. Ich liebe die Stadt, die Menschen, das Essen. Ich bin total froh, dass das meine Homebase ist. Aber nur Wien würde ich nicht aushalten. Durch das Reisen kann ich das ausgleichen. Weil hier alles länger dauert und Wien keine Trendstadt ist, ist alles ein bisschen langsamer, das finde ich super.

So kannst du bei deinen Ideen auch schneller als andere sein …

So sehe ich das auch. Ich war ja mit vielen Eventkonzepten für FM4 hier der Erste und alles war aus anderen Ländern geklaut. Die FM4 Überraschungskonzerte habe ich von den MySpace Secret Shows, die FM4 Radio Session ist nichts anderes als MTV Unplugged, die Eastpak Beatsteaks Wohnzimmertour in Deutschland habe ich übernommen und hier die FM4 Private Sessions daraus gemacht. Das ist natürlich ein Vorteil, man kann sich gut von anderen Ländern inspirieren lassen. Hamburg ist Wien da sehr ähnlich, es hat auch ein bisschen einen Dorfcharakter. Darum hat Speak Ösi dort funktioniert, in Berlin wäre das nicht gegangen, da gibt es sowieso schon viele Pop-up-Restaurants …

Eine Hommage an die Stadt hast du ja auch zusammen mit einer Kollegin geschaffen. Erzähl mal von deinen Postkarten …

Eigentlich wieder nur geklaut. Ich habe beim Mauerpark-Flohmarkt in Berlin Postkarten von den Straßen Berlins mit Streetart usw. gesehen und in Wien gab es das noch nicht. Dann habe ich das einfach gemeinsam mit Fotokünstlerin Claudia Stegmüller gemacht.

Postkarten-Label Bussi, Wien
Postkarten-Label Bussi, Wien © Bussi, Wien
Was steht als Nächstes bei dir an?

Ich versuche langsam weniger zu machen, den Musikstammtisch wird es weiter geben, aber Ziel ist es, weniger zu arbeiten und nicht mehr. Es gab immer noch eine Idee und auch ein bisschen der Gedanke der Welteroberung. Noch geht es mir gut, aber ich merke, dass ich aufpassen muss und nicht mehr über meine Grenzen gehen sollte. Meine Mutter hat immer gesagt: ‚Du musst so viel arbeiten wie für drei Österreicher, weil du wirst es nicht leicht haben hier.‘ Das war noch eine andere Generation, ich habe mich aber daran gehalten. Jetzt versuche ich nur mehr für zwei zu arbeiten …

Michel Attia konzipiert und bucht beim Radiosender FM4 als „Head of Booking & Events“ diverse Eigenveranstaltungen wie die FM4 Radio Sessions, FM4 Überraschungskonzerte oder das FM4 Geburtstagsfest. Aus einer Laune heraus initiierte er 2016 den regelmäßigen Branchentreff Michels Musikstammtisch in Wien, den er mittlerweile auch unregelmäßig in Hamburg veranstaltet. Mit seinem Postkarten-Label Bussi, Wien huldigt er seine Homebase, die er liebt, aber immer wieder auch gerne verlässt, um sich für neue Ideen inspirieren zu lassen.

Bussi, Wien

Matthias Bartolomey – Progressiver Spirit am Cello

Der 39-jährige Matthias Bartolomey möchte mit seinem progressiven Spirit die sonst recht schnöde und strenge Musikwelt des Cellos aufrütteln und die Brücke zwischen Klassik und Popularmusik schlagen. Seit 2012 ist er mit dem Geiger und Mandolaspieler Klemens Bittmann als BartolomeyBittmann – progressive.strings musikalisch unterwegs. Jetzt hat er sein erstes Solo-Album mit dem Titel „Solo“ herausgebracht. Wir haben mit dem vielseitigen Cellisten gesprochen …

funk tank: Lieber Herr Bartolomey, Ihr Vater war Solocellist der Wiener Philharmoniker, Sie selbst haben bereits mit sechs Jahren Cellounterricht von ihm erhalten. Die Musik liegt Ihnen also im Blut. Wann war klar, dass Sie sich professionell für den Beruf als Musiker entscheiden, und wie kam es dann schlussendlich dazu?

Matthias Bartolomey: Mein Vater war nicht nur Solocellist, sondern auch die bereits dritte Generation von Bartolomeys bei den Wiener Philharmonikern. Ich bin für das Aufwachsen in dieser, über mehr als ein Jahrhundert gelebten musikalischen Kultur sehr dankbar und hatte bereits in frühen Jahren mein Ziel, eine professionelle Laufbahn als Musiker anzustreben, definiert. Wie genau diese aussehen würde, stellte sich jedoch erst deutlich später heraus.

Was kann das Cello, das andere Musikinstrumente nicht können?

Darüber könnte ich Stunden sprechen, aber ein sehr wichtiger und deutlich spürbarer Aspekt ist der große Tonumfang und die Nähe zur menschlichen Stimme. Das Cello kann aber auch ein Rock-Instrument sein, dem man schwere Riffs und verzerrte Klänge entlocken kann. Es steckt voller spannender Kontraste.

Cellist Matthias Bartolomey
© Stephan Doleschal

Im übergeordneten Sinn geht es mir darum, aufzuzeigen, dass gute Musik etwas Zeitloses hat. Etwas, das unabhängig davon, wann und in welcher Zeit es geschrieben wurde, berühren oder erschüttern kann.

Sie sind aktiver Musiker und unterrichten auch an der Universität Mozarteum Salzburg. Welche Eigenschaften braucht es, um erfolgreich im Musik-Business bestehen zu können? Ist es das Talent oder harte Arbeit und Fleiß, die eine*n zur guten Musikerin/zum guten Musiker machen?

Aus meiner persönlichen Erfahrung braucht es vor allem zwei Eigenschaften, um ein erfolgreicher Musiker/eine erfolgreiche Musikerin zu sein: Talent und harte Arbeit gehen Hand in Hand. Ein Talent ohne Disziplin, Ehrgeiz und Konsistenz wird ungeformt bleiben. Somit bildet beides einen essenziellen Aspekt des Musiker*innen-Daseins.

Die zweite Eigenschaft hat mit Musik nicht viel zu tun — es ist die unternehmerische Tätigkeit. Die Selbstvermarktung, der Kontakt zu Veranstaltern, Honorarverhandlungen, Netzwerke aufbauen etc.

Wichtig ist aber auch, sich in Geduld zu üben und das Scheitern als unumgänglichen und lehrreichen Faktor zu akzeptieren.

Österreich hat eine lange Tradition, was klassische Musik betrifft. In anderen Musik-Genres ist es hier jedoch etwas zu klein(kariert), um mit Kunst groß rauszukommen. Wieso sind Sie in Österreich geblieben bzw. gibt es Momente, wo Sie lieber in einem anderen Land leben würden? Welches Land wäre das und warum?

Gustav Mahler hat gesagt: „Wenn die Welt untergeht, möchte ich in Wien sein, da passiert alles 50 Jahre später.“ Das hat wohl heute immer noch gewisse Gültigkeit. Ich bin aber seit jeher mit Österreich sehr verwurzelt und hatte trotz meiner vielen Konzertreisen nie die dringende Sehnsucht, wegzugehen.

Es ist vielleicht gerade auch die traditionelle Ausprägung in Österreich, die mich motiviert hat, hier zu bleiben, um einen neuen und progressiven Spirit beizutragen.

Mit dem Geiger und Mandolaspieler Klemens Bittmann sind Sie als BartolomeyBittmann –progressive.strings unterwegs. U. a. auch in der Berliner Philharmonie, der Elbphilharmonie Hamburg und rund um den Globus. Musik ist ja eine universelle Sprache. Wie gehen Sie konkret beim Komponieren vor, wie entstehen Ihre Stücke? Und an welche Zielgruppe richten sich die Werke?

Wir haben mit BartolomeyBittmann von Beginn an den Fokus auf den Aufbau eines eigenen Repertoires gelegt und immer gemeinsam auf intuitiv-schöpferische Art Musik komponiert. Das machen wir nun seit mehr als zwölf Jahren so und haben hier ein spezielles Ökosystem für uns entwickelt. Momentan spielen wir unser Best of BB Programm, haben aber bereits Ideen für neue Stücke. Nächstes Jahr wird es auch eine Kooperation mit dem Niederösterreichischen Konzertchor im Festspielhaus St. Pölten geben. Unsere Musik um einen Chor zu erweitern, finden wir sehr spannend und wir freuen uns bereits darauf, die Arrangements dafür zu schreiben.

Wir haben per se keine direkte Zielgruppe. In erster Linie schreiben wir die Musik, die auch wir gerne hören würden. Aber unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen mit einer gewissen klassischen Grundbildung (bzw. einer Sensibilisierung für Streichinstrumente) unsere Musik interessant finden. Man könnte auch sagen: Ö1-Hörer*innen mögen uns. Es ist aber immer ein schönes Erlebnis, wenn Menschen, die aus einer gänzlich anderen musikalischen Sozialisierung kommen, unsere Musik für sich entdecken.

In der Musik abstrahieren wir unser Leben und die Welt, wie wir sie wahrnehmen. Das können banale, aber auch tiefgründige und bedeutungsvolle Dinge sein. Musik zu schreiben hat auch viel damit zu tun, sich selbst besser kennenzulernen.

Was inspiriert Sie für Ihr künstlerisches Schaffen?

Wenn man mit einem offenen Herzen und offenen Augen durch unsere Welt geht, kann alles, was man darin findet und erlebt, inspirierend sein.

In der Musik abstrahieren wir unser Leben und die Welt, wie wir sie wahrnehmen. Das können banale, aber auch tiefgründige und bedeutungsvolle Dinge sein. Musik zu schreiben hat auch viel damit zu tun, sich selbst besser kennenzulernen.

Die Cellisten Matthias Bartolomey und sein Vater Franz Bartolomey
Die Cellisten Sohn Matthias Bartolomey und Vater Franz Bartolomey © privat
Ende Mai haben Sie Ihr erstes Solo-Album herausgebracht. Hier trifft Tradition mit J. S. Bach auf progressive Eigenkomposition. Wunderbar dynamisch und mitreißend, wie ich finde. Ihnen gelingt die Verbindung von Klassik mit modernen, rockigen und energiegeladenen Stücken. Inwiefern braucht es das „Klassische“ für das „Neuartige“ und was bevorzugen Sie? Wie verbinden Sie „Alt“ und „Neu“?

Im übergeordneten Sinn geht es mir darum, aufzuzeigen, dass gute Musik etwas Zeitloses hat. Etwas, das unabhängig davon, wann und in welcher Zeit es geschrieben wurde, berühren oder erschüttern kann. Bach ist hier ein gutes Beispiel.

Was meine eigene Musik betrifft, kommt meine Motivation in erster Linie daher, dass mir ein Großteil der zeitgenössischen klassischen Musik fremd und zu intellektualisiert ist. Im Verlauf des 20. Jhdts. hat sich enorm viel Kreativität in der Popularmusik entwickelt. Mit der Brücke zur Popularmusik sehe ich die Zukunft der klassischen Musikwelt und möchte hier auch aktiv schöpferisch (vom Instrument für das Instrument komponierend) meinen Beitrag leisten.

Eine weitere Verbindung zwischen Alt und Neu manifestiert sich auf diesem Album nicht zuletzt dadurch, dass ich auf zwei Celli spiele. Das erste Instrument ist ein Violoncello von David Tecchler und wurde 1727 in Rom erbaut – es repräsentiert die Musik Bachs. Das zweite Violoncello ist dessen detailgetreue Kopie, welche von Philip Bonhoeffer im Jahre 2021 erbaut wurde und meine Musik repräsentiert. Es entsteht also nicht nur musikalisch, sondern auch instrumental ein Bogen über 300 Jahre.

Welche Herausforderungen hat die Arbeit zum ersten Album mit sich gebracht?

Ich hatte einen ganz speziellen Klang im Kopf. Einerseits ging es mir um sehr viel Nähe zum Instrument, um mit Direktheit die Musik unmittelbar spürbar zu machen. Andererseits sollte das Instrument und der Klang frei atmen und sich groß entfalten können. Mit dem Tonmeister David Furrer hatte ich hier genau den richtigen Mann mit an Bord, der mich mit viel Geduld und Gespür unterstützt hat.

Sie sind heuer live noch viel unterwegs. Auf welche Auftritte freuen Sie sich besonders? Und was steht in den kommenden Monaten sonst noch an?

Es kommen viele spannende Konzerte auf mich zu, denen ich allen mit viel Freude entgegensehe. Besonders freue ich mich auf die Cello Biennale in Amsterdam im November 2024.

Unter anderem habe ich für den Festivalwettbewerb der Biennale das zeitgenössische Auftragswerk komponiert, das alle Kandidat*innen der ersten Runde spielen werden. Eine große Ehre.

Matthias Bartolomey, 39, ist österreichischer Cellist, Komponist und Professor an der Universität Mozarteum Salzburg. Die Verbindung von Klassik mit modernen, rockigen und energiegeladenen Stücken ist seine Spezialität, denn für ihn hat gute Musik etwas Zeitloses. Bartolomey tourt dieses Jahr durch Österreich, u. a. hat er Auftritte mit Karl Markovics & Helmut Deutsch, Rudolf Buchbinder & Volkhard Steude sowie Ursula Strauss & Ariane Haering.

Matthias Bartolomey

BartolomeyBittmann

Pflegefamilie Podcast Antonia Stabinger Ludwig Krausneker

Sie trinkt aus einem Gurkenglas, hinter ihr drängt sich charmant eine Leiter ins Rampenlicht: Die Kabarettistin Antonia Stabinger hat alle Hände voll zu tun, um ihr neues Zuhause in Wien einzurichten – mit einem extra Zimmer für ihre Tochter. Ohne Babybauch und ohne viel Trara ist sie Mama geworden und nimmt sich trotz Baustellenstress Zeit, um uns davon zu erzählen. Das ist mehrfach bemerkenswert, sonst kann sie Interviewfragen zum Privatleben gar nicht leiden.

An ihrer Seite treffen wir Ludwig Krausneker, er ist Klinischer Psychologe und Pflegefamilienberater bei affido, einer gemeinsamen Einrichtung des Pflegeelternvereins Steiermark und der Gesellschaft für steirische Kinderdörfer. Gemeinsam moderieren sie seit Kurzem den Podcast „Kreisrund mit Ecken“, der so fesselnd und bewegend ist, dass ich zuletzt mitten in der Nacht trotz Ankunft daheim nicht aus dem Auto steigen wollte, ehe die Folge zu Ende war.

funk tank: Antonia, kaum jemand wusste davon – und dann wurdest du plötzlich Mama, nämlich Pflegemama. Wie fing das an?

Antonia Stabinger: Meine Tochter ist am 25. Juni vor einem Jahr bei mir eingezogen. Dazu gibt es eine schöne Anekdote: Am Abend davor war ich beim „Zusperrfest“ im Kabarett Niedermair. Da treffen sich viele Kolleg*innen, danach ist Sommerpause. Davor habe ich sehr wenigen Leuten erzählt, dass ich eine Pflegetochter bekomme – so wie man meist nur wenigen erzählt, wenn man frisch schwanger ist. Dann stand ich dort aufgeregt mit einem weißen Spritzer in der einen Hand und einer Zigarette in der anderen – ich rauche ab und zu – und habe gesagt: „Morgen bekomme ich ein Kind!“ Daraufhin gab es irritierte Blicke, abwechselnd auf mein Glas, meine Zigarette und meinen Bauch – das war sehr unterhaltsam.

Und am nächsten Tag ist dann tatsächlich meine Tochter eingezogen und ich war auf einen extrem herausfordernden Sommer eingestellt. In der Ausbildung wurde ich darauf vorbereitet, dass man meist die Wut des Kindes abbekommt, die eigentlich den bisherigen, „verschwundenen“ Bezugspersonen gilt. Der Sommer war dann aber tatsächlich halb so wild. Ich habe mich zurückgezogen, war ein paar Wochen ausschließlich für das Kind da, so wie uns das in der Ausbildung empfohlen wurde. Anfangs habe beispielsweise nur ich sie gehalten, damit sie versteht: Ich bin ihr neues Zuhause, ihr Anker. Es war ein schöner Sommer: Wir waren viel draußen, haben alle aus dem Familien- und Freundeskreis getroffen, die sie kennenlernen wollten, und ganz viel Zeit zu zweit verbracht.

Wieso dieser mutige Schritt?

Ich hatte das Bedürfnis, etwas Soziales zu machen. So, dass ich wirklich das Gefühl habe, ich verändere tatsächlich etwas. Als ich dann im Grundkurs der Wiener MA11 (Kinder- und Jugendhilfe, Referat für Adoptiv- und Pflegekinder, Anm.) gesessen bin, mit lauter netten Menschen, habe ich öfter laut sagen müssen: „Wie gut, dass es das gibt!“ – Stellen wir uns vor, das gäbe es nicht, es käme kein Jugendamt, um Kinder aus Gefahrensituationen zu holen, und sie würden keine zweite Chance bekommen.

Die Schlagzeilen werden immer verrückter, es herrschen Kriege, Menschen ertrinken im Mittelmeer – all das ist schwer auszuhalten und zu integrieren. Ich glaube, es gibt mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen: Entweder man verdrängt es, man leidet – oder tut eben etwas, bei dem man das Gefühl hat, es hilft. Egoistisch gesagt: Es funktioniert. Ich habe heute das Gefühl, dass ich zumindest das Leben einer Person signifikant besser mache.

Ich wünsche mir für mein Kind, dass ich es schaffe, dass sie alles bekommt, was sie braucht, um sich zu entfalten, um so zu werden, wie sie ist.

Ludwig, wann kommen Kinder von ihren Familien weg?

Ludwig Krausneker: Es muss wirklich „viel“ passieren, ehe Kinder aus ihrem Familiensystem herausgenommen werden. Wir wissen: Das Beste ist, wenn Kinder bei ihren Herkunftsfamilien aufwachsen. Es sind triftige Gründe, wenn das nicht mehr geht, beispielsweise wegen Gewalt oder grober Vernachlässigung.

… das hinterlässt bestimmt auch seelische Wunden und Narben bei Kindern, wie können Pflegefamilien damit umgehen?

Dieser Theorie folgend, müssten alle Kinder- und Jugendpsychiatrien nur mit Pflegekindern voll sein – und das ist nicht der Fall. Aus der Herkunftsfamilie herausgenommen werden zu müssen, ist natürlich kein idealer Start; einige Kinder stecken das gut weg, andere brauchen vielleicht etwas mehr Unterstützung. Auch deswegen gibt es Einrichtungen wie affido: Durch unsere enge Begleitung kann man sehr viel kompensieren, das gelingt ganz vielen Familien und in vielen Bereichen.

Manchmal bekommt ein Kind im Krankenhaus eine Pflegemama bzw. einen Pflegepapa, weil es schon klar ist, dass nur so ein sicheres Umfeld garantiert werden kann – und um dem Neugeborenen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.

Moodbild Familie
© Juliane Liebermann/Unsplash
Antonia, deine Tochter war neun Monate alt, als sie zu dir kam. Wieso keine Adoption?

Für Adoption gibt es meist lange Wartezeiten und man ist schnell zu alt dafür. Für mich macht das Pflegesystem mehr Sinn. Außerdem ist es durchaus angenehm, wenn man Unterstützung bekommt – ich habe das gerne, wenn mich mein MA11-Sozialarbeiter regelmäßig fragt: „Frau Stabinger, wie geht es Ihnen und Ihrem Kind?“ Natürlich ist er auch da, um zu kontrollieren, dass mein Kind bei mir sicher und gut aufgehoben ist.

Was waren deine größten Sorgen?

Dass meine Tochter wieder zu ihrer leiblichen Mutter zurückkommt. Ich habe erst vor Kurzem wieder über den Terminus Pflegemutter nachgedacht; er klingt nach einer temporären Betreuung, nicht nach echten Eltern. Aber das stimmt nicht. Ich bin ein vollwertiger Elternteil (auf dem Papier bis zum 18. Lebensjahr, Anm.). Ich habe im Zuge der Ausbildung erfahren, dass nur 1 bis 3 Prozent in ihre Herkunftsfamilien zurückgehen. Das war für mich ein Risiko, das ich bereit war, einzugehen. Aber wenn das Kind dann eingezogen ist, sind auch 1 bis 3 Prozent nicht ohne. Ich persönlich habe es für mich jetzt eingeordnet als etwas, das manchmal im Leben passieren kann und das man nicht kontrollieren kann – einen schlimmen Unfall zum Beispiel. Das gehört eben dazu. Es wurde uns ausdrücklich gesagt: Wenn das unvorstellbar ist, dass das Kind in die Herkunftsfamilie zurückgeht, darf man es nicht machen. Man hat uns durchaus schockierende Fallbeispiele erzählt; aber es wurde weder schwarz gemalt, noch schöngeredet.

Das Interessante nach einem Jahr ist, dass der soziale Aspekt, also meine eigentliche Motivation, komplett in den Hintergrund gerückt ist. Es ist jetzt einfach mein Kind – und sie ist ein so cooles Kind (sehr strahlend)! Es ist natürlich auch anstrengend und spannend, welche Seiten es in einem herausholt. Ich habe neue Aspekte über mich gelernt (lacht)!

Welche?

Wie wütend ich werden kann. Dass ich so gechallenged sein kann, dass ich aus dem Raum gehen muss, um kurz zu schreien (lacht)! Aber um meine Vorbereitung und die Ausbildung beneiden mich oft Eltern mit leiblichen Kindern. Ein „klassisches“ Heteropaar macht sich vorher oft nicht allzu viele Gedanken. Wer setzt sich zehn Monate in einen Kurs, um zu reflektieren: Will ich das wirklich? Geht es sich finanziell, organisatorisch und logistisch aus? Ob für gleichgeschlechtliche Paare oder Alleinerziehende, für alle, die vom Modell Vater-Mutter-Kind abweichen, ist diese Entscheidung langwierig und aufwändig. Das hat aber vielleicht auch Vorteile bei einem so großen, existenziellen Thema, bei der man ja immerhin die Verantwortung für einen Menschen übernimmt. Das ist ja keine Anschaffung von einem Gerät, einem neuen Handy. Es gibt da Unterschiede! Achtung, ein Kind kann man zum Beispiel weder muten noch abschalten!

Psychologe Ludwig Krausneker und Kabarettistin Antonia Stabinger
Psychologe Ludwig Krausneker und Kabarettistin Antonia Stabinger © affido

Wir wünschen uns, dass es mehr Bewusstsein dafür gibt und eine Pflegefamilie als normale Familienform in den Köpfen Einzug hält.

Ihr habt im Mai mit dem Podcast „Kreisrund mit Ecken“ gestartet. Mit welchen Zielen?

Ludwig: Vor allem um Werbung für dieses Modell zu machen, weil es viel zu wenig bekannt ist. Wir wollen Pflegefamilien auch eine gewisse Bühne geben, Pflegemamas und -papas erfüllen rund um die Uhr eine sehr wichtige Aufgabe. Wir können ganz klar sagen: Es gibt mehr Pflegekinder, als es Plätze gibt. Wir haben uns vorgenommen, jene Gründe zu ändern, die wir ändern können. Dazu gehört es, Ängste und Vorbehalte zu nehmen. Wir wünschen uns, dass es mehr Bewusstsein dafür gibt und eine Pflegefamilie als normale Familienform in den Köpfen Einzug hält.

Antonia, wie hat sich dein Leben verändert?

Ich habe zuvor viel gearbeitet, weil mein Beruf auch mein Hobby ist. Aber in den letzten Jahren habe ich Lust bekommen, auch eine andere Art von Arbeit zu machen – Care-Arbeit. Und mit meinem Kind Zeit zu verbringen, gefällt mir wirklich sehr gut! Was nervig ist, ist der Haushalt: Die ganze Zeit kochen, putzen, Wäsche waschen, wegräumen, … – das ist verzichtbar. Ich verstehe jetzt noch mehr, warum jahrhundertelang der Hälfte der Gesellschaft eingeredet wurde: Ihr seid dazu geboren, diese Arbeit gratis zu machen. Überhaupt nicht fair, aber ich verstehe, dass das echt praktisch war.

Wer sind eure Gesprächspartner*innen beim Podcast?

Ludwig: Uns ist eine Mischung aus Pflegemamas, -papas und -familien wichtig – und ebenso aus Professionist*innen, um möglichst viel Einblick in das Modell Pflegefamilie zu geben. Wir haben bereits sehr unterschiedliche Gäst*innen getroffen und obwohl es mein Beruf ist, berühren auch mich ihre Geschichten sehr. Jede ist individuell, so wie jedes Kind und jede Familie unterschiedlich ist; wir hören – mit all ihren Höhen und Tiefen – viele Erfolgsgeschichten voller schöner Momente. Schon unsere erste Gästin, eine Ärztin mit zwei Pflegekindern, hat eine so ansteckende Art.

Mood Podcast "Kreisrund mit Ecken"
© affido
Was brauchen Kinder?

Ludwig: Das ist ein sehr hoher Anspruch an Eltern, aber vor allem Verständnis für die Kinder – für ihr Erleben und ihre Herkunft. Sie brauchen Beziehungskonstanz, Wertschätzung und bedingungslose Liebe. Die bräuchten auch Eltern …

Antonia: Wer gibt ihnen die? Das Kind sicher nicht, das Kind stellt viele Bedingungen (lacht). Ich bin neu in dem Business, aber vom Gefühl her würde ich auch sagen: Kinder brauchen Liebe, die nicht an Bedingungen geknüpft ist, etwas tun zu müssen – sie brauchen eine Begleitung beim Aufwachsen.
Ich wünsche mir für mein Kind, dass ich es schaffe, dass sie alles bekommt, was sie braucht, um sich zu entfalten, um so zu werden, wie sie ist. Ich wünsche mir höchstens, dass sie später in keinem menschenverachtenden Beruf arbeitet, aber davon abgesehen soll sie bitte werden, was sie will.

Der Podcast „Kreisrund mit Ecken“ ist ein kleines A bis Z für alle, die in die vielfältige Welt von Pflegefamilien eintauchen wollen. Die vom Verein affido initiierte Gesprächsreihe wurde im Mai 2024 gestartet, jeden Mittwoch erscheint eine neue Folge. Dabei wechseln einander kurze, informative „Nachgefragt“-Sendungen und Gespräche mit den beiden Hosts Ludwig Krausneker und Antonia Stabinger ab. Der Psychologe und die Kabarettistin und Pflegemama plaudern dabei mit Pflegefamilien, Berater*innen und Expert*innen über das Schöne und die Herausforderungen der besonderen Familienform – jeweils mit ganz viel Gänsehaut- und Lerngarantie.

Antonia Stabinger ist Kabarettistin und seit 2009 erfolgreich mit dem mehrfach ausgezeichneten Kabarett-Duo „Flüsterzweieck“ in Österreich, Deutschland und der Schweiz unterwegs. Sie gastiert regelmäßig in ORF-Shows wie „Was gibt es Neues?“ oder „Pratersterne“, für FM4 schreibt und spricht sie die Politsatire-Kolumne „Die Zudeckerin“ und produziert Hörspiele mit dem Kollektiv „Das magische Auge“. Im Herbst 2024 präsentiert sie ihr erstes Solo-Programm „Angenehm“. Seit einem Jahr ist sie Pflegemama einer heute knapp zwei Jahre alten Tochter.

Ludwig Krausneker studierte Psychologie mit Schwerpunkt Klinische Psychologie und absolvierte parallel das Psychotherapeutische Propädeutikum. Die klinische Ausbildung machte er an einer Kinder- und Jugend-Psychosomatik-Abteilung in Oberösterreich. Seit 2023 ist Krausneker bei affido in der Steiermark als Pflegefamilienberater und Psychologe tätig.

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Antonia Stabinger

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Toxische Pommes Maria Muhar Stadtsaal

TikTok-Star und Autorin Toxische Pommes (mit bürgerlichem Namen Irina, Nachname unbekannt) wird am 14. Juni mit ihrem Bühnenprogramm „Ketchup, Mayo und Ajvar“ die österreichische Gesellschaft und Seele demaskieren, denn als „schönes Ausländerkind“ weiß sie ganz genau, wie Rassismus, Sexismus und Klassismus den Alltag prägen können. Autorin und Kabarettistin Maria Muhar widmet sich am selben Abend in ihrem Programm „Storno“ alltäglichen und substanziellen Themen rund um ihre Freundin, deren Nachwuchs und die wenige Zeit, die bleibt zwischen Timelines, Deadlines, Tiervideos und Terminen beim AMS. Ein Gespräch mit den Künstlerinnen über Inspiration, Migration und Identität.

funk tank: Liebe Irina, liebe Maria, am 14. Juni werden Sie sich die Bühne vom Wiener Stadtsaal teilen, nicht gemeinsam, sondern nacheinander. Wie kommt es dazu, kennen Sie sich?

Maria Muhar: Ich wurde vom Stadtsaal angefragt, ob ich Lust hätte, einen Abend mit Irina zu teilen, und nachdem ich großer Fan von Toxische Pommes bin und Irina auch persönlich sehr schätze, habe ich zugesagt – und Irina scheinbar auch (lacht). Ich freue mich jedenfalls schon sehr drauf!

Irina habe ich in unterschiedlichen Kontexten kennengelernt: Einerseits natürlich über ihre super Videos auf Social Media, dann aber auch bei gemeinsamen Treffen des Netzwerks „Komische Frauen“ – ein Zusammenschluss von unterschiedlichen Künstler*innen, die alle vereint, dass ihre Arbeit von einem humoristischen Zugang geprägt ist. Im Rahmen der Kabarettreihe „Comish“, die ich 2022 für die Wiener Festwochen kuratieren durfte, hatte ich dann auch das Glück, Toxische Pommes mit einem künstlerischen Beitrag einladen zu können.

Künstlerin Maria Muhar
Künstlerin Maria Muhar © Apollonia Theresa Bitzan

Wenn es trotzdem mal ganz arg ist, stell ich mir vor, dass ja nicht ich auf die Bühne gehen muss, sondern meine Bühnenfigur, die generell ein bissl eine härtere Sau ist als ich selbst.

Frau Muhar, für Ihr Solo-Programm „Storno“ wurden Sie bereits mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet. Neben Texten für die Bühne haben Sie den Roman „Lento Violento“ verfasst. Wovon und von wem lassen Sie sich für Ihre Arbeiten inspirieren?

Die Inspiration kommt von vielen Seiten – mal ist es das persönliche Umfeld, mal die Kunst- und Kulturszene oder politische und gesellschaftliche Dynamiken, die mich (zwangsläufig …) beschäftigen.

Gesellschaftspolitische Themen finden in Ihren Werken genauso Platz wie private Gedanken und Struggles. Die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor zu finden, stelle ich mir schwierig vor. Immerhin erwarten Besucher*innen eines Kabaretts ja auch einige Lacher. Wie gelingt Ihnen diese Balance und was tun Sie, wenn Ihnen persönlich einmal nicht mehr zum Lachen ist?

Natürlich habe ich den Anspruch, dass mein Soloprogramm auch zum Lachen ist – sonst hätte ich es nicht als Kabarett bezeichnet, sondern vielleicht eher als Theatermonolog oder Sprechperformance. Trotzdem gibt es darin auch Stellen, die eher tragisch oder vielleicht sogar traurig sind. Aber genau das macht den speziellen Reiz für mich aus: Im Kabarett kann das Profane direkt neben dem Existenziellen stehen, und das mit einer fast anarchischen Selbstverständlichkeit! Damit kann man als Künstlerin einfach steile Bühnenmomente erzeugen.

Texte zu schreiben ist das Eine, live aufzutreten und die Reaktion der Zuseher*innen mitzubekommen, das Andere. Kennen Sie Lampenfieber und wie gehen Sie damit um?

Ja, das Lampenfieber ist fix noch ein Thema bei mir, aber es wird (klopft auf Holz) immer weniger schlimm. Und wenn es trotzdem mal ganz arg ist, stell ich mir vor, dass ja nicht ich auf die Bühne gehen muss, sondern meine Bühnenfigur, die generell ein bissl eine härtere Sau ist als ich selbst. Das ist vielleicht ein Vorteil, wenn man ein Programm hat, bei dem die Bühnenfigur – zumindest was die Attitude betrifft – von der Privatperson abweicht: Man kann sich die Arbeit also, je nach persönlichen Stärken und Schwächen, manchmal aufteilen (lacht).

Ihr Satire-Stück „Wirecard: Last Exit Bad Vöslau“ im Theater am Werk im April beleuchtete den Wirecard-Skandal. Eine realistische Abrechnung mit den skrupellosen Akteuren oder eine Utopie mit Hoffnungsschimmer – was wurde es und was hat Sie an der Thematik gereizt?

Also eine Utopie mit Hoffnungsschimmer habe ich leider nicht in das Stück reingeschrieben – dafür lässt nicht nur die Realvorlage des Stoffs wenig Raum, sondern auch die gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die solche Skandale ja noch immer befeuern. Was ich aber schon versucht habe umzusetzen, ist – zumindest für einen Theater-Abend lang – gemeinsam darüber lachen zu können. Auch die Möglichkeit, diese machtgeilen Protagonisten in Situationen zu schreiben, die sie sich ausnahmsweise mal nicht ausgesucht haben, hat mir eine diebische Freude bereitet. Idealerweise ist es ein Abend, an dem man bitter-süß über toxische und phasenweise komplett traurige Männlichkeit gemeinsam lachen kann.

Künstlerin Toxische Pommes
Künstlerin Toxische Pommes © Muhassad Al Ani

Ich glaube ganz allgemein, dass wir Ambivalenzen und Gleichzeitigkeiten in unserer Identität viel besser aushalten, als wir denken – wir alle sind Menschen mit einzigartigen Geschichten und Schicksalen, in den seltensten Fällen lassen wir uns in vorgefertigte Stereotype und Schablonen pressen.

Liebe Irina, bekannt wurden Sie durch humoristische, gesellschaftskritische Videos auf TikTok und Instagram unter dem Pseudonym Toxische Pommes. Mittlerweile haben Sie ein Kabarett-Programm und ein Buch geschrieben. Eine geplante Karriere oder reiner Zufall?

Irina/Toxische Pommes: Anfangs ein glücklicher Zufall, mittlerweile ein zweiter Beruf.

Ihr Roman „Ein schönes Ausländerkind“ ist diesen April erschienen. Wie viel in diesem Buch ist Fiktion und wie viel erzählt von Ihrem Leben?

Die Antwort auf diese Frage überlasse ich gerne der Fantasie der Leser*innen. Ich arbeite oft ausgehend von persönlichem Material, das ich dann im Weiteren verändere und modelliere, um die Geschichte zu erzählen, die ich möchte.

Gleich zu Beginn des Buches beschreiben Sie ein „perfektes Leben“ als „perfekte Migrantin“ in Österreich – mit sicherem Job als Juristin im 1. Bezirk in Wien – das jedoch unzufrieden und unglücklich macht. Sie selbst wollten auch immer perfekt sein, Ihr Lebenslauf scheint lückenlos und vorbildlich. Woher kommt der Drang hin zur Perfektion?

In dem Buch geht es um zwei Geschichten: Eine der „perfekten Integration“ – was auch immer das heißen mag – und um eine gescheiterte Integration, auf der auch der Fokus des Romans liegt. Wie hängen die beiden Geschichten zusammen? War die „perfekte Integration“ der Tochter nur möglich, indem sie ihren Vater aufgibt, dass sich ihr Vater letztlich sogar selbst aufgibt? Was kostet es, nach Österreich einzuwandern und nicht aufgrund der Geburtslotterie hier zu landen und die Staatsbürgerschaft zur Geburt geschenkt zu bekommen? Wie geht es Menschen, die in Österreich nie ankommen (können), niemals Anschluss an die Gesellschaft finden und sozial vereinsamen?

Wie vereinbaren Sie den „strengen“ Beruf als Juristin mit Ihrem medialen Leben als Social-Media-Star, Kabarettistin und Autorin?

Ich bin mir zwar nicht sicher, was „streng“ in diesem Kontext bedeutet, aber ich finde, dass sich Künstler*innen oft viel wichtiger nehmen als Jurist*innen. Und am Ende des Tages sitze ich bei allen drei Tätigkeiten zu einem großen Teil vor einem Bildschirm und überlege, wie ich eine Geschichte erzählen und sie argumentieren kann.

Im Buch wird u. a. das Klischee der „faulen Ausländer*innen“ thematisiert. Und gleichzeitig jedes Klischee auf den Kopf gestellt. Ein Vater, der Hausmann ist, eine Mutter, die arbeitet, eine Tochter mit Bestnoten. Das klingt alles sehr positiv und modern – viele Österreicher*innen leben weitaus konservativer, gerade was die Rollenverteilung angeht. Sind Sie und Ihre Familie die „idealen Vorzeigemigrant*innen“ oder trügt der Schein?

Ich finde Klischees recht langweilig. Ich wollte in erster Linie eine Geschichte erzählen, die ich im breit-medialen Diskurs vermisse: ein ehrliches Porträt eines nicht integrierten Menschen, der genauso viel Empathie und Verständnis verdient wie jeder andere Mensch auch.

Sie sprechen von einem Leben, in dem Sie „die Ausländerin in sich wegintegriert“ haben. Wollten Sie um jeden Preis Ihre Wurzeln loswerden, um hier anerkannt zu werden? Sehen Sie sich heute mehr als Österreicherin oder Kroatin?

Diese Frage war für mich ehrlich gesagt nie relevant, bis sie mir von autochthonen Österreicher*innen gestellt wurde. Ich glaube ganz allgemein, dass wir Ambivalenzen und Gleichzeitigkeiten in unserer Identität viel besser aushalten, als wir denken – wir alle sind Menschen mit einzigartigen Geschichten und Schicksalen, in den seltensten Fällen lassen wir uns in vorgefertigte Stereotype und Schablonen pressen.

Die Migrationspolitik in Österreich ist teilweise fragwürdig und asozial. Was gehört Ihrer Meinung nach auf politischer Ebene verändert, um ein faires und friedliches Miteinander zu fördern? Und was wünschen Sie sich diesbezüglich von den österr. Bürger*innen?

Zu viel für diesen Rahmen. Was ich mir jedoch generell wünsche und schon lange vermisse, sind politische Parteien mit innovativen Ideen und Inhalten, die nicht nur reaktiv sind, der Machterhaltung dienen oder ausschließlich daraus bestehen, eine andere Partei in der Regierung zu verhindern.

Was erwarten Sie sich von dem Abend im Stadtsaal und mit welchem Gefühl/mit welchen Gedanken wollen Sie die Besucher*innen nach Hause verabschieden?

Irina/Toxische Pommes: Dass die Leute nicht das Gefühl haben, ihr Geld weggeschmissen zu haben.

Maria Muhar: Ich glaube, es könnte ein cooler Abend werden – vor allem für die Leute, die vielleicht schon vorhatten, sich diese zwei sehr unterschiedlichen Programme anzuschauen und das jetzt an einem Abend kombinieren können (lacht). Ich freu mich jedenfalls schon extrem drauf, zumal es ja auch meine Stadtsaal-Premiere ist!

Maria Muhar schreibt Prosa, Lyrik und Bühnentexte. 2022 erschien ihr Debütroman „Lento Violento“; im selben Jahr feierte ihr erstes Kabarettprogramm „Storno“ Premiere, das 2023 mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet wurde.

Maria Muhar

Toxische Pommes heißt eigentlich Irina. Bekannt wurde die Künstlerin vor allem durch ihre Satirevideos auf TikTok und Instagram. Ihr Debütroman „Ein schönes Ausländerkind“ ist diesen April erschienen und behandelt u. a. Irinas Leben und Beobachtungen der österreichischen Gesellschaft und Seele, geprägt von Rassismus, Sexismus und Klassismus.

Toxische Pommes

Exklusiv für die funk tank Fangemeinde: Wir verlosen 2 x 2 Tickets für den Kabarett-Abend mit Toxische Pommes und Maria Muhar am 14. Juni 2024 ab 19.30 Uhr im Wiener Stadtsaal. Zum Gewinnspiel!

Kettcar Musik zum Denken und Fühlen

Mit dem sechsten Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ meldete sich Kettcar nach sieben Jahren Albumpause im April zurück. Das aktuelle Album nennt die Band selbst einen „Gemischtwarenladen“, denn hier findet sich sowohl harter Post-Punk als auch ruhige Romantik. Was nie fehlt: Texte zum Nachdenken mit viel Tiefgang …

funk tank: Wer Kettcar kennt und schätzt, liebt vor allem auch die Kombination aus Leichtigkeit und Tiefe eurer Texte und Musik – inwiefern hat sich euer Zugang zum Musikmachen und Texten im Laufe der Jahre verändert? Auch hinsichtlich Gesellschaftskritik und Politik?

Reimer Bustorff: Das hängt einfach mit der jeweiligen Lebenssituation zusammen. Wir haben mit der Band angefangen, als wir Anfang der 30er waren. Marcus war mit seinem Studium fertig, ich habe mein Studium abgebrochen, weil wir dann das Label gegründet haben (Anm. d. Red.: Grand Hotel van Cleef). Beziehungen gingen auseinander. Da war ganz viel privat im Umbruch und es hat sich viel um einen selbst gekreist und das spiegelte sich dann auch in den Texten wider. Jetzt befinden wir uns in einer anderen Lebenssituation, jetzt hat man irgendwie seinen Weg gefunden.

Das aktuelle Album ist ja sehr politisch und gesellschaftskritisch. Ist es euch wichtig geworden, auch Aufklärungsarbeit zu betreiben?

Wir waren schon immer politisch denkende Menschen, wir haben uns mit Kettcar von Anfang an positioniert und das war uns seit jeher wichtig, aber der Blick auf die Gesellschaft hat sich verändert und erweitert und daher ist das jetzt auch Thema in unseren Texten. Die Aufklärungsarbeit passiert, niemand von uns ist missionarisch unterwegs, die Dinge kommen aus uns raus und wir schreiben nieder, was wir fühlen. Das ist ja diese ewige Diskussion, was und ob man was mit der Musik erreichen möchte. Uns ist schon klar, dass wir die Welt nicht verändern oder Frieden stiften können. Durch meine Sozialisation kann ich aber sagen: Hätte es Bands wie Fugazi oder Bad Religion nicht gegeben, wäre ich jetzt nicht hier. Insofern kann Musik schon Denkanstöße geben und so manch verlorene Seele retten bzw. ranholen.

Euer neues Album ist seit 5. April draußen! Gratulation dazu! Nach sieben Jahren Pause haut ihr so ein großartiges Ding raus. Mit Lyrics, aus denen man ein Buch machen könnte. Da tun die Texte manchmal weh, weil sie so treffend sind und man spürt so viel Emotion. Wie lange habt ihr am Album gearbeitet und wie leicht ist es euch gefallen?

Vielen Dank! Sieben Jahre Pause ist immer so ein großes Wort, stimmt natürlich nicht ganz, denn wir waren auch umtriebig nach dem letzten Album. Wir waren dann noch auf Tour, haben eine EP rausgebracht, haben Musik fürs Theater gemacht – „Kabale und Liebe“ von Schiller in Kiel. Dann kam die Pandemie und wir waren ein bisschen bequem. Natürlich hatten wir auch Druck, denn je länger du wartest mit dem neuen Album, umso größer wird die Erwartungshaltung von allen. Das Schöne ist, dass wir den Druck auf fünf Schultern verteilen können als Band. Wir haben vor ca. vier Jahren mit dem Album begonnen und dann gemeinsam daran gearbeitet.

Die Hamburger Band Kettcar
Kettcar sind: Christian Hake, Erik Langer, Marcus Wiebusch, Reimer Bustorff und Lars Wiebusch © Andreas Hornoff
Die Texte stammen von dir und Marcus?

Marcus ist eigentlich federführend und wir beide stecken dann die Köpfe zusammen. Wir machen viel zusammen, wir gehen zum Fußball, auf Konzerte, reden viel und versuchen dann, Themen zu finden, um uns einzunorden, wo die Reise hingehen soll. Jetzt ist es thematisch ein ganz schöner Gemischtwarenladen geworden (lacht).

Gibt es auch Streit und Unstimmigkeiten in so einem Prozess?

Streit will ich das nicht nennen, aber es gibt schon immer wieder Reibungspunkte, wo wir nicht klar beieinander sind. Es kann über Diskussionen hinausgehen, aber wir besprechen das dann in der ganzen Band. Ich schmeiße z. B. einen Text in die Runde und die anderen geben Feedback und so entsteht das Ganze dann, Stück für Stück. Und befruchtet sich. Man muss da natürlich manchmal Eitelkeiten über Bord werfen und das Ego zurückschrauben. Das ist nicht immer einfach, aber dessen sind wir uns bewusst.

Ihr seid einfach schon erfahren und lange zusammen.

Genau. Und erwachsen und vernunftbegabt. Es ist Wahnsinn (lacht).

Wie nehmt ihr die ersten Reaktionen aufs Album und die Tour wahr, seitens Publikum und Presse?

Eigentlich gibt es nur positives Feedback bisher. Das ist sehr schön.

Viele Musiker*innen in Deutschland haben gedacht, sie müssen nach Berlin gehen, um erfolgreich zu werden, da gab es ja einen Hype um die Stadt eine Zeit lang. Ihr seid in Hamburg geblieben. Was kann Hamburg, was Berlin nicht kann und umgekehrt? Welches Umfeld braucht es, um kreativ sein zu können?

Das ist eine schwierige Frage. Es braucht definitiv Raum und diesen Ort muss man suchen und finden. Diesen Raum gab es Anfang der 00er-Jahre in Berlin viel mehr, weil da viel Leerstand war, wo dann viele Partys und auch Musik gemacht wurden. Aber das ändert sich gerade, weil Berlin so wahnsinnig gentrifiziert wird. Das haben wir in Hamburg schon hinter uns. Ich fühle mich in Hamburg immer noch wohl, das ist immer noch unsere Stadt. Da haben wir die Plattenfirma, da haben wir unseren Proberaum, wir haben da eine perfekte Infrastruktur.

Reimer Bustorff im Interview in der Arena Wien
Reimer Bustorff im (unbewohnten) Schlafsaal der Wiener Arena im Interview mit funk tank © Alicia Weyrich

Hätte es Bands wie Fugazi oder Bad Religion nicht gegeben, wäre ich jetzt nicht hier. Insofern kann Musik schon Denkanstöße geben und so manch verlorene Seele retten bzw. ranholen.

Euer heutiges Konzert in Wien war sofort ausverkauft, daher gibt es am 25. Juli ein Zusatzkonzert in der Arena. Ich bin ja der größte Hamburgfan ever und finde, dass gerade, was den morbiden Humor und die Herzlichkeit betrifft, die ja da ist, aber die man sich ein bisschen erarbeiten muss, Wien und Hamburg verbindet. Welchen Bezug habt ihr zu Wien und den Wiener*innen?

Also für uns als deutschsprachige Band, die wenig rumkommt, ist es immer was Besonderes ins Ausland zu kommen. Wir spielen ja quasi immer in denselben Städten. Österreich und Schweiz sind da die Exoten für uns. Bei Wien lieben wir dieses Flair, es ist alles so gelassen und eine andere Lebensart. Wir waren vorher Fußball gucken im Lokal Jetzt und der Wirt war so herzlich, das ist schon sehr schön.

Zusammen mit Thees (Anm. d. Red.: Sänger und Autor Thees Uhlmann) und Marcus betreibst du das Hamburger Indie-Label Grand Hotel van Cleef. Was muss ein Künstler/eine Künstlerin haben, damit er/sie bei euch gesigned wird?

Wir entscheiden das meistens vom Herzen aus und gemeinsam, wir sind ja neben Thees und Marcus und mir noch ein größeres Team. Wir haben schon unterschiedliche Geschmäcker und Ansichten, wie was funktionieren kann. Es muss vor allem auch menschlich stimmen und wir gut miteinander klarkommen. Und ganz wichtig ist, dass die Idee, wohin man will, im Einklang ist. Als Künstler*in will man sofort mal eine Platte rausbringen. Und dann müssen wir vom Gas runter und sagen: Vielleicht zuerst mal auf Tour gehen und Konzerte spielen. Und überlegen: Wie finanzieren wir das? Rechnet sich das? Fast jede/r will ja davon leben können, das ist ein weiter Weg. Da gehört auch viel Glück dazu, nicht nur Talent. Wir haben das selber mit Kettcar auch erfahren, wir hatten auch Glück, dass wir zur richtigen Zeit den richtigen Sound gefunden haben und dann passte das auch fürs Gefühl für viele Leute. Das passiert halt nicht immer. Ich habe im Laufe der Label-Arbeit schon tolle Künstler*innen gesehen, wo dann nach dem 2. Album nichts mehr gelaufen ist und zu wenige Leute zu den Konzerten gekommen sind.

Welche Musiker*innen hörst du gerade am liebsten? In welche Platte müssen wir unbedingt hineinhören?

Shitney Beers, die hatten wir jetzt mit auf Tour. Die ist umwerfend, wahnsinnig charmant und charismatisch, die liegt mir sehr am Herzen. Und Christin Nichols ist bei uns auch mit auf Tour, wirklich toll, ein bisschen poppiger als Shitney, die mehr in die Indie-Richtung geht.

Endlich mehr Frauen auf Bühnen! Und überhaupt: Mehr Frauen im Musik-Biz!

Ja unbedingt, auch bei der Label-Arbeit haben wir früher immer nur mit Typen zu tun gehabt. Wir schauen jetzt im Büro, dass wir auch Frauen im Team haben, wir bilden ja auch aus als Veranstaltungskauffrau/Veranstaltungskaufmann. Wir teilen uns das Büro auch mit zwei Grafikerinnen, das ist wichtig für die Balance und Diversität.

Kettcar ist eine Indie-Rock-Band aus Hamburg. Ihr sechstes Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ ist im April erschienen. 12 Songs, die unter anderem Geschichten von, auf und über Bayreuth, Krankenhauszimmern, Rügen, dem Supermarkt, der Enterprise und der Blauen Lagune erzählen. Mal die Faust in der Tasche, mal das Herz im Hals – schroffe Post-Punk-Gewitter, Akustisches und Sprechgesang. Mit dem sechsten Studioalbum gastiert die Band diesen Sommer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Am 25.7. spielen Kettcar in der Wiener Arena (Open Air), am 29.7. in Graz (Kasematten) und am 31.8. in Linz (Posthof) zusammen mit Thees Uhlmann.

Kettcar

Emilia Roig – Das Ende des Kapitalismus

Mehr Liebe – das wünscht sich Emilia Roig für unsere Welt. Die französische Politologin und Aktivistin gründete 2017 in Berlin das Center for Intersectional Justice, einen gemeinnützigen Verein mit dem Ziel, Diskriminierung zu bekämpfen. Sie hat außerdem bereits mehrere Bücher geschrieben und initiiert, wie etwa Unlearn Patriarchy 2. Den feministischen Sammelband hat sie zusammen mit Silvie Horch und Alexandra Zykunov herausgegeben. Die Autorinnen der Essays blicken hinter männliche Machtstrukturen, entlarven patriarchale Prägungen und zeigen Möglichkeiten auf, wie wir aus dem kapitalistischen System endlich ausbrechen können. Und genau darum ging’s auch in unserem Interview. Ein Gespräch, das Mut macht.

funk tank: Wie definieren Sie Feminismus für sich, angesichts der unterschiedlichen Interpretationen?

Emilia Roig: Es ist für mich eine Befreiungsbewegung, ein kollektives, aber auch individuelles Projekt mit dem Ziel, uns vom bedrückenden Patriarchat zu befreien.

Wann denken Sie, werden wir das geschafft haben?

Unser kapitalistisches System beruht auf Ungleichheit. Viele betrachten das als Fehler des Systems. Doch die Wahrheit ist, dass es genauso entworfen wurde und einwandfrei funktioniert. Die Beseitigung von Diskriminierung gestaltet sich schwierig, da sie für das Überleben des Systems essenziell ist. Ein tiefgreifender Paradigmenwechsel, der nicht auf Trennung, Kontrolle und Herrschaft basiert, ist daher dringend erforderlich. Der erste Schritt besteht darin, diese toxischen Dynamiken zu entlarven, um daraufhin eine neue Welt aufbauen und etablieren zu können. Dies ist das Ziel unserer Bücher – Menschen dazu zu bewegen, die Realität anzuerkennen. Wir müssen den Mut haben, Institutionen grundlegend und immer wieder in Frage zu stellen.

Sie sprechen von einer neuen Welt. Ist das eine Utopie oder kann sie tatsächlich Realität werden?

Jedes Leben, Ihres, meines, war einmal Utopie, bevor es Wirklichkeit wurde. Wir sollten nicht zu schnell etwas als unrealistisch abtun, nur weil es utopisch erscheint. Wir brauchen dieses revolutionäre Denken.

Zwei Jahre nach Ihrem ersten erfolgreichen Sammelband erscheint nun eine Fortsetzung. Was hat sich seither getan?

Nichts Positives. Die Bedrohung der Frauenrechte nimmt durch den wachsenden Einfluss populistischer und rechtsradikaler Kräfte in ganz Europa stetig zu. Das ist besorgniserregend, da alle Fortschritte der letzten Jahrzehnte in Gefahr sind.

Welche Passage im Buch hat Sie am meisten berührt?

Es wäre vermessen zu sagen, es sei nur eine. Alle Texte sind gleichermaßen wichtig und stark, allen voran der von Rebecca Maskos über Ableismus. Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen wird in unserer Gesellschaft oft ausgeblendet und ignoriert.

Buchcover "Unlearn Patriarchy 2" von Emilia Roig
© Ullstein

Wir sollten nicht zu schnell etwas als unrealistisch abtun, nur weil es utopisch erscheint. Wir brauchen dieses revolutionäre Denken.

Cover "Das Ende einer Ehe" von Emilia Roig
© Ullstein
Im Buch steht der Satz: „Patriarchat bedeutet auch, dass nicht nur Frauen diskriminiert werden.“ Welche Diskriminierungsformen sind noch Teil des Patriarchats, die uns im Alltag oft gar nicht bewusst sind?

Körpernormen, Erziehung, der Gender Pay Gap, aber auch Architektur, Mental Health und Medizin – überall wirkt das Patriarchat. Kein Bereich bleibt von der Macht der Männer unberührt. In der Medizin beispielsweise wird der männliche Körper als Standard betrachtet. Es ist erwiesen, dass die Schmerzen von Frauen und schwarzen Menschen weniger ernst genommen werden als die von Männern und weißen Menschen. Auch bei der Gestaltung von Städten überwiegt die männliche Perspektive.

Im Vorwort schreiben Sie: „Vielleicht sind wir endlich mal an einem Punkt in der Geschichte, an dem Frauen einfach gar nichts mehr müssen. Stattdessen sind jetzt endlich mal die Institutionen dran, und die Männer, in deren Hand die meiste Macht heute immer noch liegt.“ Denken Sie, dass diese Männer tatsächlich aktiv werden und sich freiwillig aus ihrer Machtposition herausbewegen?

Natürlich haben sie kein Interesse daran, etwas zu verändern. Dieser Satz ist vielmehr als ein Appell an Frauen zu verstehen, dass wir nicht dauernd uns selbst in Frage stellen und glauben, wir setzen uns noch nicht genug für den Feminismus ein.

Welche gesellschaftliche Zukunft wünschen Sie sich?

Ich hoffe auf eine Gesellschaft der Fürsorge und Liebe. Gegenwärtig hat Macht durch Kapital den höchsten Wert. Aber wir sehen auch, dass diese Welt so nicht mehr funktioniert. Wir sind am Ende der kapitalistischen Ordnung angekommen.

Portraitfoto Aktivistin, Politologin und Autorin Emilia Roig
© Mohamed Badarne

Emilia Roig, 40, wuchs in der Nähe von Paris auf und lebt in Berlin. Sie ist eine deutsch-französische Politikwissenschaftlerin, Aktivistin und Autorin. Europaweit setzt sie sich für Vielfalt, Feminismus, soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus ein. 2017 gründete sie das „Center for Intersectional Justice“. Sie veröffentlichte u.a. die Bücher „Why we matter – Das Ende der Unterdrückung“ und „Das Ende der Ehe – Für Eine Revolution der Liebe“.

Emilia Roig