Depressionen werden zwar heutzutage mehr thematisiert als früher, immerhin sind allein in Österreich rund 730.000 Menschen davon betroffen (mit hoher Dunkelziffer), aber dennoch werden die Erkrankten oft nicht richtig gehört, behandelt und respektiert. Im Podcast „Café Depresso“ widmen sich Dr. Katharina Stengl und Homajon Sefat der mentalen Gesundheit auf kurzweilige und niederschwellige Art, um „Tabus zu brechen und dafür zu kämpfen, dass Menschen endlich offen über ihre Ängste und Sorgen sprechen können.“
Katharina Stengl: Homajon war in der Klinik, in der ich tätig war, Patient in der Tagesklinik. Nach seiner Entlassung hatte er mich angeschrieben, ob ich mir einen Podcast vorstellen könnte, mit ihm gemeinsam zur Aufklärung über psychische Erkrankungen. Ich fand die Idee sehr toll und bin echt sehr froh, dass er den Mut hatte, seine Idee zu realisieren.
Homajon Sefat: Mir hat Katharinas leicht zugängliche Art, Wissen zum Thema mentale Gesundheit zu vermitteln, sehr imponiert. Und ich hatte die Podcast-Idee schon länger im Hinterkopf und fand diese Kombination aus Expertin und Kabarettist spannend.
Katharina Stengl: Wir werden noch oft angesprochen, dass es so toll ist, dass wir im Café Depresso offen über psychische Erkrankungen sprechen. Ich finde es nach wie vor sehr schockierend, dass dafür noch immer so wenig Raum ist in unserer Gesellschaft. Dennoch ist der Trend immer mehr, sich selbst zu perfektionieren, und unangenehme Gefühle wie Trauer, Eifersucht, Scham, Schuld dürfen nicht da sein. Leider wird das auch von der Politik nicht richtig gesehen, da es noch immer zu wenig Hilfsangebote für psychisch Erkrankte gibt, sei es, dass Psychotherapie noch immer nicht komplett bezahlt wird, oder wir zu wenige Therapieeinrichtungen haben.
Es dürfte sich um einen kollektiven Neglect in der Gesellschaft handeln: Wenn wir es nicht sehen, gibt es das nicht. Ich denke, viele haben auch große Angst, selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Wobei gerade Hinschauen und sich gemeinsam Austauschen die Gesellschaft auch viel stärker machen würde. Ich finde, es ist ein erstrebenswertes Ziel, für mehr Offenheit und auch Gleichstellung für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen.
Die Depression war schon länger präsent und hat wahrscheinlich schon 10–15 Jahre davor ihren Anfang gefunden. Nur konnte ich diese davor nicht benennen. Ich dachte, ich wäre einfach ein melancholischer Mensch, der ständig müde und traurig ist. Aber vor allem durch die Corona-Krise hat sich die Krankheit verschlimmert, und ich hab mir 2022 Hilfe gesucht und hatte Glück mit meiner Therapeutin.
Die Diagnose war mittelgradige bis schwere rezidivierende Depression. Zu Beginn war es schwer für mich, die Diagnose anzunehmen. Gleichzeitig war ich erleichtert, endlich zu wissen, was mit mir los ist. Geholfen hat mir die regelmäßige Gesprächstherapie und ein achtwöchiger Aufenthalt in einer Tagesklinik.
Der Podcast ist sicherlich zu einem Teil Therapie. Aber ich wollte in erster Linie eine Anlaufstelle schaffen für Betroffene und deren Umfeld. Weil ich leider miterleben musste, dass einige Menschen aus meinem Leben mit meiner Diagnose nicht umgehen konnten oder diese nicht ernst genommen haben. Weil sie keine Berührungspunkte oder Verständnis für mentale Gesundheit haben oder hatten. Und vielleicht hilft der Podcast, diese Erfahrung anderen zu ersparen.
Was mir geholfen hat, ist, sich Freund*innen anzuvertrauen. Das ist zu Beginn schwierig, weil es vielleicht mit Scham behaftet oder ungewöhnlich ist, sich so verletzlich zu zeigen, aber es ist schon eine große Hilfe, gehört zu werden.
In der Hochphase der Depression wollte ich nichts mehr mit Schreiben, in welcher Form auch immer, zu tun haben. Auch mein Bandprojekt habe ich aus einem Impuls der Überforderung heraus abrupt beendet und pausiert. Ich bin 18 Monate nicht auf einer Bühne gestanden. Es war mir alles zu viel. Ich musste mich einfach neu sortieren, lernen, auf meine Bedürfnisse zu hören und gesund werden.
In der Zeit haben mir Musik und Filme sehr geholfen. Es klingt zwar klischeehaft, aber: Kunst kann Leben retten. Genauso wie der Humor.
Mittlerweile spiele ich auch selbst wieder vereinzelt und arbeite an einem neuen Programm.
So früh wie möglich Hilfe suchen. Weil es dauert oft Wochen bis Monate, einen Therapieplatz zu finden. Was mir geholfen hat, ist, sich Freund*innen anzuvertrauen. Das ist zu Beginn schwierig, weil es vielleicht mit Scham behaftet oder ungewöhnlich ist, sich so verletzlich zu zeigen, aber es ist schon eine große Hilfe, gehört zu werden.
Bei akuten Notfällen empfehle ich den sozialpsychiatrischen Notdienst, der ist in Wien z.B. rund um die Uhr telefonisch unter 01/31330 erreichbar.
Zuerst geht es darum, eine gute Befunderhebung und Diagnostik zu machen, welche Erkrankung für die Symptome verantwortlich ist. Zum Beispiel werden viele komplex traumatisierte Menschen oder Menschen mit ADHS jahrelang wegen einer Depression behandelt, und die eigentliche Ursache wird nicht behoben.
Es geht vor allem auch um eine gute Aufklärung, gerade gegen Psychopharmaka herrschen viele Vorurteile, die sich auch negativ auf eine regelmäßige Einnahme auswirken können. Bei einigen psychischen Erkrankungen können aber gerade Psychopharmaka auch wirklich helfen.
Generell ist das psychiatrische Konzept, immer den Menschen zu betrachten, auch mit seinen Lebensgewohnheiten (Job, Familie, Partner, Wohnform).
Zusätzlich biete ich auch Psychotherapie an, diese ist besonders wichtig, um sich selbst besser zu verstehen und ggf. schädliche Verhaltensmuster zu verändern.
Hier lernen Betroffene zunächst, sich selber besser wahrzunehmen und ihre Gefühle zu verstehen und sie als hilfreiche Informationen zu nutzen. Es wäre schön, ein Fach wie Emotionsregulation bereits in der Schule zu lehren.
Es gibt sehr viele verschiedene Arten – ich nutze gerne das bio-psycho-soziale Modell. Manche Menschen haben biologisch schon ungünstige Voraussetzungen (zum Beispiel Veränderungen im zentralen Serotonin-Stoffwechsel), das sieht man, wenn ganze Familien an Depressionen leiden.
Psycho- und Sozial zielt darauf ab, welche Erfahrungen wir machen, in der Herkunftsfamilie und in unserem Umfeld. Wenn es früh zu traumatisierenden Ereignissen kommt im Leben, kann das den Grundstock für eine Unsicherheit mit sich selbst und schädigenden Verhaltensweisen sein. Häufig zeigen depressive Menschen sehr hohe Selbstansprüche, gehen sehr hart mit sich ins Gericht (innerer Kritiker/innere Kritikerin) und kennen ihre Grenzen nicht bzw. opfern sich für andere auf.
Ja, Mensch könnte das verhindern, indem bereits in den Schulen weniger der Wert auf Leistung gelegt wird, sondern mehr auf Achtsamkeit, Selbstwert, Selbstrespekt, Grenzen setzen und Emotionsregulation. Das wären wichtige Grundbausteine für eine gesündere Gesellschaft. Zusätzlich könnten Kommunikationstrainings mit gewaltfreier Kommunikation nach Rosenberg schon bei Kindern einen wertschätzenden, liebevollen Umgang miteinander unterstützen.

Insbesondere die Zuwendung und Auseinandersetzung mit unangenehmen Gefühlen kann tatsächlich Gesundheit fördern.
Ich denke, es ist Angst und Verdrängung, wir wenden uns immer gerne von unangenehmen Sachen ab. Viele Menschen haben große Angst vor psychischen Krankheiten – ich glaube, der Verlust von Kontrolle spielt dabei eine zentrale Rolle. Ein gebrochener Knochen wird mit Gips wieder verbunden, ein gebrochenes Herz dauert möglicherweise länger und benötigt mehr Zuwendung. Ich denke, viele wenden sich ab, weil sie tief in sich aber diese Gefühle kennen und Angst haben, diese in sich auch anzuerkennen.
Geändert werden sollte eine bessere Fehlerkultur, mehr Mitgefühl und Verständnis und der Mut, sich unangenehmen Gefühlen zu stellen. Ich meine, jeder hatte schon einmal oder öfter Angst oder hat sich geschämt. Damit sollten wir uns mehr konfrontieren und den Mut haben, das zu spüren. Insbesondere die Zuwendung und Auseinandersetzung mit unangenehmen Gefühlen kann tatsächlich Gesundheit fördern.
Humor ist auf jeden Fall eine gute Strategie, um mit den Herausforderungen und Prüfungen des Lebens umzugehen. Gerade im Resilienztraining wird das auch angewendet und es gibt einige Achtsamkeitsübungen, die sich genau damit beschäftigen. Es ist auch vor allem wichtig, einen liebevollen Umgang mit sich selber zu finden, das kann man auch zu jeder Lebenszeit noch lernen. Ich habe auch eine Zeit Impro-Theater als Therapie mit Patient*innen gespielt, es war so schön zu beobachten, wie viel Stärke und Vertrauen Menschen wieder entwickeln, wenn sie lachen können und ihre Kreativität entdecken. Da hatten wir das Motto: Scheiter heiter!
Dr. Katharina Stengl ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und lebt in Wien. Ihr Credo: „Happiness is your birthright – don’t let your mind interfere with it!“.
Homajon Sefat ist Kabarettist, Autor und Musiker aus Wien.
Im Mai 2024 veröffentlichten die beiden die erste Folge des Podcasts „Café Depresso“.
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