Tala Al-Deen ist „das Geheimherz“

Manchmal finde ich es unfair, dass es im Kino dunkel ist. Mehrmals möchte ich den Block zücken und kluge Sätze aufschreiben (ich mache es dann doch, tastend, nach Gefühl, Handynotizen halte ich für ein No-go gegenüber den anderen). Die meisten dieser Sätze kommen von Farrah, der syrischen Haushälterin, die im Laufe des Films auf eine ganz besondere Art und Weise eine Familie rettet, „eine typische dysfunktionale Familie, wo jeder sein Süppchen kocht und sich nicht um den anderen schert“, wie es die rebellische klimaaktivistische Tochter Frieda formuliert.

Doch die Finsternis im Kino ist natürlich gut, gerade bei einem Film wie „Das Licht“ (u. a. mit Lars Eidinger, Nicolette Krebitz). Sie trägt zur Magie bei, die der deutsche Star-Filmemacher Tom Tykwer („Babylon Berlin“) auslösen will: mit einer Geschichte im und um das Leben einer Familie, die praktisch all unsere Baustellen seziert, um nach gut zweiundeinhalb Stunden zu einem aufwühlenden und letztlich auch ein bisschen tröstlichen Schluss zu kommen, den Schauspielerin Tala Al-Deen im Finale dieses Gesprächs beschreibt. Ohne zu spoilern.

Eine Anmerkung noch vorab: Dass sich bei all dem Drama auch Schmäh ausgeht, ist schon noch mal ein feiner Zug von Tom Tykwer.

funk tank: Welche Gedanken hattest du, als du das Drehbuch gelesen hast – wie kamst du zum Projekt?

Tala Al-Deen: Ganz klassisch, mit einem E-Casting. Ich habe mit einer ganz lieben Freundin vom Theater bei ihr daheim die Szene zwischen Farrah und Frieda aufgenommen. Ich hatte eine halbe Seite Screenshot vom Pitch (Projektvorstellung, Anm.) und die eine Szene, mehr wusste ich nicht.

Also auch nicht, wo sie eingebettet war?

Nein, nur dass eine mysteriöse syrische Haushälterin in das Leben einer Familie tritt. Trotzdem dachte ich mir sofort: Das ist ungefähr die vielschichtigste Figur, von der ich jemals gelesen habe. Ich habe das Handyvideo abgeschickt und bin dann wieder in meinen Probenalltag gegangen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde ich von Tom Tykwer in sein Büro in Berlin eingeladen. Das war ein sehr nettes Treffen und ich hab’ mir gedacht: total schön, ein ganz normaler Mensch. Ich glaube, er war auch aufgeregt.

Er hat etwas zu Papier gebracht, was ihm sehr wichtig ist – und er hat zu mir gesagt: Ich gebe dir das jetzt, lies es dir durch und du sagst mir nächste Woche, was du davon hältst.
Ich weiß noch, dass ich im 15. Wiener Gemeindebezirk auf dem Balkon stand und gesagt hab’: Du hast da schon etwas Irres geschrieben, aber ich finde es richtig gut, es hat mich sehr berührt und ich wäre sehr gerne dabei. Das haben wir dann gleich besiegelt – quasi mit einem telefonischen Handschlag.

Tom Tykwer sagt in einem Interview: Farrah ist „das Geheimherz“ des Films. Welche Bedeutung hat das für dich? Wie hat der Film deinen persönlichen Horizont erweitert?

Farrah transformiert ihren Schmerz auf so eine meisterhafte Art. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, zu wie viel Empathie Menschen in der Lage sind, obwohl ich verstehen könnte, wenn sie das nicht wären – gemessen an dem, was sie erlitten haben oder was ihnen passiert ist. Solche Menschen gibt es in der Realität, das habe ich in der Recherche und auf der Suche nach dieser Figur erfahren.

Serpil Temiz Unvar ist so ein Mensch. Sie ist die Mutter von Ferhat Unvar, der in Hanau beim rassistischen Mordanschlag gestorben ist. Diese Frau hat im Namen ihres Sohnes eine Bildungsinitiative gegründet und spricht auf Demos für Demokratie. Das inspiriert mich sehr.

„Das Licht“ hat mich außerdem an einem Punkt getroffen, an dem ich schon für die Dinge, die diese Figur mitbringt, empfänglich war. Der Film hat das noch vertieft. Weder ich noch mein Umfeld sind klassisch religiös, trotzdem hat man Rituale, um Achtsamkeit zu zelebrieren. Ich habe immer schon meditiert und – das ist jetzt sehr persönlich – seit Farrah mache ich das regelmäßiger und schreibe danach meine Gedanken auf.

„Das Licht“ fordert auf vielen Ebenen intensiv. Welche Gedanken reißt er bei dir auf?

Ich finde mich in „Das Licht“ in fast allen Figuren wieder. Ich bin irgendwo dazwischen. Ich bin keine Bobo-Mittelstandsgöre, die Klimaaktivismus macht, aber es ist etwas davon in mir. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber meine Eltern sind irakisch. Auch dieser Hintergrund beschäftigt und beeinflusst mich.

Der Film macht den Wahnsinnsversuch, eine Klammer um alles zu machen, alles zu fassen, was diese Welt bedeutet, und dabei das Liebevolle und das Menschliche hochzuhalten. Das versuche ich auch. Das wird in letzter Zeit viel zu wenig gemacht und das zu tun, fühlt sich fast schon wahnwitzig an, aber umso mehr lohnt es sich, es trotzdem zu versuchen.

Wie hat dich der Inhalt in deiner Arbeit bewegt und inspiriert?

Ich habe eine klare antirassistische Haltung und finde es völlig absurd, welche und wie Migrationsdebatten geführt werden. Wenn man gestern oder heute nach Syrien schaut, in das Land, wo meine Figur verortet ist, denkt man sich: Was gibt es da überhaupt zu überlegen? Ich könnte Zahlen und Statistiken auspacken, was bei uns passieren würde, wenn die migrantischen Leute verschwinden würden, aber für mich ist die europäische Wirtschaft gar nicht die zentrale Frage, sondern: Da sind Leute, die können nicht leben, wo sie sind, und zwar nur, weil sie beispielsweise Alawiten sind.
Deswegen war es mir auch so wichtig, aus Farrah eine greifbare Figur zu machen. Sie ist fast ein engelsgleiches, magisches Wesen, aber trotzdem ein Mensch und sie hat einiges erlebt.

Ich habe viel Arbeit in die Figur gesteckt, ein großer Schlüssel war die Sprache. Würde ich mit dem Dialekt sprechen, mit dem ich großgeworden bin, würde ich klar als Irakerin identifiziert werden. Es war mir sehr wichtig, so gut ich kann, den syrischen Dialekt zu lernen. Ich hatte einen tollen Dialektcoach an meiner Seite und wir haben sehr intensiv daran gearbeitet.

Mudar, mein lieber Mann im Film, und Mido, mein Sohn, sind beide Syrer und ich habe ihnen immer wieder gesagt, sie müssen streng mit mir sein (die beiden Schauspieler sind Mudar Ramadan und Mido Koitani, Anm.). Ich habe wirklich mein Bestes getan und hoffe, dass das auf eine schöne Art auch etwas für ein arabisch sprachiges Publikum hergibt.

Was wünschst du dir: Was soll generell beim Publikum ankommen?

Das Spannende ist, dass es hier ja nicht um eine oberflächliche, reiche Familie geht. Aber es ist nun einmal so, dass es selbst für Leute mit schönen Idealen eine Herausforderung wurde, in dem turbokapitalistischen System, in dem wir uns global befinden, noch als Mensch oder als Familie stattzufinden.

Ich hab’ das in den letzten Jahren selbst gemerkt, dass ich Momente hatte, in denen ich krass überarbeitet war und mir alles auf die Füße gefallen ist. Da wird mir immer bewusst, wie dankbar ich für meine leibliche und meine gewählte Familie bin, die mich auffangen und die ich auffange, weil es jeden Tag viel zu verkraften gibt. Ich hoffe, dass das Publikum genau das aus dem Film zieht: wie wichtig „Familie“ – in welcher Form auch immer – und Community sind. Wir müssen gemeinsam sein, mir fällt nichts anderes für diese Zeit ein.

Portraitfoto Tala Al-Deen
© Charlot van Heeswijk

Der Film macht den Wahnsinnsversuch, eine Klammer um alles zu machen, alles zu fassen, was diese Welt bedeutet, und dabei das Liebevolle und das Menschliche hochzuhalten. Das versuche ich auch. Das wird in letzter Zeit viel zu wenig gemacht und das zu tun, fühlt sich fast schon wahnwitzig an, aber umso mehr lohnt es sich, es trotzdem zu versuchen.

Machen wir noch einen kleinen Abstecher zu deiner Bio: Du hast in Deutschland zunächst Arabistik und amerikanische Literatur studiert. Wie bist du auf die Kunstuni in Graz gekommen?

Retrospektiv würde ich sagen: Ich wollte eigentlich etwas Künstlerisches machen, aber es hat sich zuerst nicht so angefühlt, als würde mir da etwas zur Verfügung stehen. Ich hatte ein sehr gutes Abitur, aber auch das Gefühl, dass meine Eltern sich ein „anständiges“ Studium gewünscht haben. Man muss hier dazu sagen, dass mein Bruder Musiker (Laith Al-Deen, Anm.) wurde – ziemlich erfolgreich sogar (lacht).

Mein Englischlehrer hat mich einmal gefragt, ob ich zur Theater AG kommen möchte. Ich mochte ihn und war auch gut in Englisch, ich wollte ihn nicht enttäuschen und bin da donnerstags nach der Schule hin. Ich bin dabei geblieben bis ich irgendwann gemerkt habe: Das rettet mich, dort einen Ausdruck zu finden, und vor allem dieses Miteinander. Das bewegt und interessiert mich bis heute an meinem Beruf, dass wir immer als Gruppe etwas erschaffen. Da ist von jedem etwas drinnen, das finde ich besonders.

Jedenfalls bin ich zum Studieren nach Leipzig gezogen und als ich 23 wurde, wusste ich: Das ist der letzte Moment, um sich für Schauspiel zu bewerben; es gab da Altersfristen. Also habe ich die Runde gemacht und an etwa zwölf Schulen vorgesprochen. Und dann wurde es Graz.

Du spielst aktuell auch am Schauspielhaus Wien. In welcher Produktion wirst du demnächst zu erleben sein?

Wir beginnen jetzt die Romanadaption von „Content“ von Elias Hirschl zu proben. Das ist ein geniales Buch, eine Art Dystopie über eine Agentur namens „Smile Smile Inc.“, die Content produziert, während um sie herum alles schon unter Wasser steht. Ich freue mich richtig darauf, mit der Regisseurin Aslı Kışlal daran zu arbeiten.

Tala Al-Deen ist 1989 in Heidelberg geboren und aufgewachsen. Sie spielt seit der Schulzeit Theater, studierte aber zunächst Arabistik und amerikanische Literatur. Ihr Schauspielstudium absolvierte sie an der Kunstuniversität Graz. Zwischen 2014 und 2017 erarbeitete sie mit Regisseurin Sophia Barthelmes Performances und Theaterstücke. Sie ist seit 2016 Sängerin und Stylophonistin der Grazer Band Frau Sammer und Mitglied des queerfeministischen Theaterkollektivs Deine Mudda. Zudem war sie in der Gruppe NSU Komplex auflösen aktiv, die sich gegen strukturellen Rassismus engagiert. Aktuell ist sie Teil des Ensembles am Schauspielhaus Wien. Vor der Kamera stand sie unter anderem in der Tatort-Folge „Wer zögert, ist tot“ (2021) sowie in der Serie „A Thin Line“ (2023).

„Das Licht“ war der heurige Eröffnungsfilm der Berlinale, der 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Kinostart vom neuen Film von Tom Tykwer ist am 20. März 2025.

Tala Al-Deen am Schauspielhaus Wien: „Content“, nach dem Roman von Elias Hirschl, Regie: Aslı Kışlal, Premiere: 7. Mai 2025.

Tala Al-Deen – Instagram

Rahel: „Körper sind so langweilig. Ich mag Gedichte lieber!“

Musikalisch trifft bei Rahel New Wave auf Dream-Pop. Sowohl Rahels Stimme als auch ihre Texte laden zum Träumen ein, ohne dabei oberflächlich zu sein, denn Text ist für sie „ein ganzes Land“ …

funk tank: Liebe Rahel, dein Debütalbum „Miniano“ ist so erfrischend hoffnungsvoll, trotz der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage. Im Song „Schaffner“ beispielsweise gibt es keine Ungerechtigkeiten und Unterschiede mehr hinsichtlich der Geschlechter. Ist Optimismus dein Schlüssel zum Glück?

Rahel: Besten Dank. Ich bin längst nicht immer zuversichtlich. Bei tiefen inneren Abgründen sehnt man sich aber wahrscheinlich besonders nach paradiesischen Zuständen. Musik oder kreative Produkte können Räume aufmachen, in denen Mensch ein Mensch sein kann. Das funktioniert nämlich nicht in einer Drogerie und hat im besten Fall nichts mit Einkaufen zu tun!

Das Musikbusiness ist nach wie vor stark männerdominiert. Welche Erfahrungen hast du gemacht? Gehen deiner Meinung nach Männer mit Frauen beruflich anders um als mit Männern bzw. hattest du jemals das Gefühl, aufgrund deines Geschlechts benachteiligt zu werden?

Viele Dinge spürt man im ersten Moment gar nicht. Selbst als eine Person, die sich viel mit diesen Themen auseinandersetzt. Manchmal braucht es Jahre, bis man merkt: Das war eigentlich gar nicht okay. Aber natürlich wird das Empfinden verlässlicher und die Reaktionsfähigkeit schneller.

Oft sind es Blicke, beiläufige Kommentare. Es kursieren sonderbare Meinungen: Frauen, die zu akustischen Gitarrenklängen singen, sind süß, Frauen, die auf der Bühne stehen, müssen einem gewissen Ideal entsprechen. Oft hört man auch von Frauen selbst komische Sachen, da muss man sich dann daran erinnern, dass es nicht ihre Schuld ist, sondern die patriarchale Ordnung, unter der sie selbst leiden. Männer bilden öfter Banden, weil sie nicht glauben, dass andere Männer ihnen etwas wegnehmen.

Männer sind in vielen Dingen natürlich viel freier und müssen weniger Mut haben. Auch wenn fragwürdige Werte wie Ageism oder eine abgeschwächte Form von Schönheitsdruck auch bei ihnen stattfinden.

Wie gehst du mit dem Begriff „Powerfrauen“ um? Ich finde ihn ja bedenklich …

Ja, voll. Ich sag dann: Oh, ein richtiger Powermann. Ein Hausmann. Eine gar nicht so schlechte Männerband.

Frau sein bedeutet für dich … ?

… Männern die Frage zu stellen, was Mann sein für sie bedeutet.

Der schlimmste Satz, den du beruflich über dich ergehen lassen musstest … ?

Uiui. Die wenigsten negativen Sachen bekommt man ja ins Gesicht gesagt. Was ich aber schon zweimal gehört habe, hat mit der ersten Frage zu tun: Wow, du bist ja gar nicht so schön und stehst trotzdem auf der Bühne! Ur mutig! Da muss ich dann lachen, wenn ich überall schwitzige, wabernde, sabbernde, oberkörperfreie, sich in den Schritt greifende Männer sehe. Oder mir wurde in einem Interview von einem Mann gesagt, dass es mutig ist, dass das Profil meines Gesichtes das Albumcover von „Miniano“ ist. Weil ich ja eine ‚große‘ Nase habe. Körper sind aber auch so langweilig, irgendwie. Ich mag Gedichte lieber!

Du hast bei Elfriede Ott Schauspiel studiert, machst mit Produzent Raphael Krenn Musik, 2021 kam deine erste Single „Tapp Tapp Tapp“ heraus, 2024 dein erstes Album. Warum der Switch vom Schauspiel zum Gesang? Schlüpfst du auch als Musikerin Rahel in eine Rolle? Wie und wo ziehst du textlich die Grenzen zwischen beruflich und privat? Gibt es Themen, die du textlich nicht behandeln willst?

Ich war im Schauspiel weder wahnsinnig erfolgreich, noch hat es mich wohl auf Dauer ausreichend interessiert. Und ich war noch zu jung im Kopf. Dann habe ich Raphael Krenn gesucht und gefunden und hatte plötzlich eine Möglichkeit, etwas ganz Eigenes zu erfinden, was erstmal immer nur uns gehört.

In der Musik denke ich nicht an (Text-)Begrenzungen. Wenn ich schreibe, denke ich nur an die Wörter und was für Bilder, was für Farben, Formen und Gefühle sie auslösen. Schreiben zu lernen ist für mich echt eine lebenslange Reise.

Ich glaube, im Moment verschwimmen die Grenzen zwischen Bühnen-Ich und Schreibenden-Ich immer mehr und das ist sehr schön. Ich will keine Barriere, ich will, dass die Texte ankommen und dazu muss alles sehr, sehr nah und kompromisslos an mir dran sein. Und das funktioniert am allerbesten, wenn ich Texte schreibe, die sehr, sehr nah und kompromisslos an mir dran sind.

Deine Lyrics sind tiefsinnig, intelligent und haben dennoch viel Interpretationsspielraum. Wie und wodurch wirst du dafür inspiriert? Was genau macht gute Songtexte aus?

Dankesehr für die Frage. Text ist einfach ein ganzes Land. Dieses Land ist noch viel, viel tiefer und weiter, als ich dachte. Von dieser Erkenntnis muss ich mich gerade erst erholen.

Ich werde oft von coolen Liedern inspiriert. Im Moment von denen von der Band Keimzeit, aber auch von denen der Gruppe Jetzt!. Manchmal von Büchern, aber oft fällt es mir schwer, den Weg in ein Buch zu finden. Wenn es mir gelingt, dann will ich nicht mehr rauskommen. Bei Helena Adler passiert mir das oder Bachmann, jetzt nehme ich mir Ilse Aichinger vor.

Deine momentanen Lieblingskünstler*innen … ?

Ein paar deutschsprachige: Ulla Meinecke, Hildegard Knef, Frau Lehmann, Gustav, Marlene Dietrich, Texte von Peter Licht, Lilith Stangenberg, Kreisler (wenn er nicht so grässliche Femizid-Fantasien hätte) zum Beispiel.
Und englische höre ich viel Velvet Underground, English Teacher, Connor Oberst, Fever Ray, Spacemen 3, David Bowie, Frankie Cosmos, The Cure, Radiohead, …

Ich mag deine Version von „Wir trafen uns in einem Garten“ sehr gerne. Hattest du Bedenken, dich an eine so große und bekannte Nummer zu wagen bzw. dir selbst Druck gemacht, wie es die Leute finden würden?

Ja, natürlich. Aber Raphi und ich sind dann ganz intuitiv rangegangen. Wir hatten auch ein zweijähriges Kind im Studio. Und unser Studio war ein halb verlassenes Kindergartengebäude in den Bergen. Wir haben immer vollwertig gefrühstückt und der Sonne gefrönt. Vielleicht hat das alles ein bisschen geholfen, wer weiß!

Ich hab nicht erwartet, dass mich so viele auf das Lied ansprechen werden. Ich hab es zum Beispiel noch nie live gespielt, aber manche waren traurig deswegen, deshalb habe ich es jetzt auf die Setlist geschrieben.

Wie sieht dein Musikerinnen-Alltag aus, wenn du nicht gerade auf Tour bist?

Im Moment etwas zerfahren. Die Struktur ist schon eine schöne Erfindung, da stimme ich auch ausnahmsweise mit der Arbeitswelt überein. Ich suche noch nach einem Ausgleich. Falls jemand eine Käsefarm hat, ich würde gerne halbjährlich vorbeikommen.

Was steht im Jahr 2025 musikalisch bei dir an? Worauf dürfen wir uns freuen?

Ich weiß noch nicht, wann und wie sich Hörende konkret freuen können. Einstweilen freue ich mich aber aufs Weiterschreiben.

Musikerin Rahel
© Merve Ceylan

Wenn ich schreibe, denke ich nur an die Wörter und was für Bilder, was für Farben, Formen und Gefühle sie auslösen. Schreiben zu lernen ist für mich echt eine lebenslange Reise.

Die österreichische Musikerin Rahel heißt bürgerlich Rahel Klara Kislinger. Die 1995 im Waldviertel geborene Künstlerin studierte bei Elfriede Ott Schauspiel, 2021 kam ihre erste Single „Tapp Tapp Tapp“ heraus, 2024 ihr erstes Album „Miniano“. Live spielt Rahel heuer u. a. am 15. Juni 2025 am Kimiko Isle of Campus Festival und am 26. Juli 2025 am Noisehausen Festival in Deutschland.

Rahel

Das Interview ist mit freundlicher Zusammenarbeit mit Headliner entstanden.

Eva Poleschinski: Zwischen Laufsteg und Lavafeldern

Eva Poleschinski zählt zu den bekanntesten Modedesignerinnen Österreichs und hat sich mit ihren maßgeschneiderten Roben sowohl national als auch international einen Namen gemacht. Ihre Kreationen vereinen Eleganz mit Handwerkskunst und stehen für außergewöhnliche Materialkompositionen, detailverliebte Applikationen und sinnliche Schnitte. Jedes ihrer Designs erzählt eine eigene Geschichte und trägt dabei stets ihre unverkennbare Handschrift …

funk tank: Du bist seit 17 Jahren ein fester Bestandteil der österreichischen Modeszene. Wie hat sich die Branche in dieser Zeit verändert und in welche Richtung entwickelt sich die Nachfrage heute?

Eva Poleschinski: Ich finde es sehr positiv, dass in den letzten Jahren viele Kolleg*innen in Österreich den Schritt in die Selbstständigkeit wagen und dadurch den Markt mitprägen. Die Modeindustrie hingegen ist in den letzten Jahren definitiv schnelllebiger geworden, nicht zuletzt dem Onlinehandel geschuldet. Das stellt besonders kleine Labels, die keine großen Stückzahlen produzieren, vor wirtschaftliche Herausforderungen und erschwert die Wettbewerbsfähigkeit.

Ich habe mich bereits 2014 bewusst dazu entschieden, dieser Schnelllebigkeit entgegenzuwirken und mich auf individuelle Designentwicklung spezialisiert. Sofern nicht anders gewünscht, bestehen meine Roben aus mehreren Einzelteilen, die sich vielseitig kombinieren und unterschiedlich tragen lassen.

Gibt es in Österreich noch genügend Anlässe für maßgeschneiderte Couture-Roben?

Dank der tief verwurzelten Balltradition gibt es in Österreich nach wie vor einen großen Markt für Abendroben. Diese Veranstaltungen sind fest in unserer Kultur verankert und halten die Nachfrage nach eleganten Kleidungsstücken lebendig.

Wie hat sich der Markt für Abend- und Hochzeitsmode in den letzten Jahren verändert?

Meine Kundinnen schätzen zunehmend multifunktionale Designs, die es ermöglichen, einzelne Teile nicht nur zum Ball oder zur Hochzeit, sondern auch in anderen Kombinationen über Jahre hinweg zu tragen. Zudem hat sich neben den klassischen Frühlings- und Sommerhochzeiten ein klarer Trend zu Winterhochzeiten entwickelt.

Opernball-Moderatorin Teresa Vogl in Eva Poleschinski
Opernball-Moderatorin Teresa Vogl in Eva Poleschinski 2025 © ORF/Thomas Ramstorfer

Mit meinen Kleidern möchte ich Geschichten erzählen und Teil einzigartiger Momente sein. Meine Mode soll Freude schenken und meinen Kundinnen ein besonderes, angenehmes Gefühl vermitteln – sie sollen sich darin außergewöhnlich und einzigartig fühlen.

Wie hältst du deine Kreativität frisch und innovativ?


Als Designerin ist es mir wichtig, mich kontinuierlich weiterzuentwickeln – sowohl in Bezug auf Materialien als auch auf handwerkliche Techniken. Inspiration finde ich auf meinen Reisen, aber auch in den individuellen Präferenzen der Kundinnen oder Kooperationspartner, mit denen ich arbeite. Jedes Stück ist einzigartig, und genau diese Vielfalt macht meine Arbeit so spannend. Mit meinen Kleidern möchte ich Geschichten erzählen und Teil einzigartiger Momente sein. Meine Mode soll Freude schenken und meinen Kundinnen ein besonderes, angenehmes Gefühl vermitteln – sie sollen sich darin außergewöhnlich und einzigartig fühlen.

Wohin entwickelt sich die Mode in Österreich? Ist handgefertigte und individuelle Mode noch gefragt?

Der Trend geht eindeutig in Richtung Handwerk und Individualität. Viele meiner Kundinnen distanzieren sich zunehmend von der Schnelllebigkeit der Modebranche und dem damit verbundenen Wegwerfverhalten. Stattdessen legen sie bewusst Wert auf nachhaltige, hochwertige und langlebige Modestücke.

Du verbringst viel Zeit mit deiner Familie in Island und reist mittlerweile mit einem personalisierten Van bis in den Norden. Was fasziniert dich so sehr an diesem Land, und warum zieht es dich immer wieder dorthin?

Mich begeistert die unberührte Landschaft und ihre faszinierenden Kontraste. Besonders beeindruckt mich das Licht, das selbst im dichtesten Nebel oder an klaren Wintertagen eine einzigartige Atmosphäre schafft. Wir reisen abseits des Mainstreams und genießen diese besondere Verbindung zur Natur.

Wie sieht ein typischer Tag im Van-Life für dich aus? Folgst du festen Routinen oder lässt du dich einfach treiben?

Die Routinen gibt mittlerweile unsere Tochter vor. Unsere täglichen Radien sind kleiner geworden, doch das tut der Intensität des Erlebens keinen Abbruch. Der Früh-Kaffee ist nicht verhandelbar und der Rest des Tages richtet sich nach Wetter und der jeweiligen Route. Die kann sich manchmal untertags spontan ändern – jeder Tag ist ein Abenteuer.

Modedesignerin Eva Poleschinski: Zwischen Fashion und Lavafeldern
© Eva Poleschinski
Euer Van ist eher ein Geländewagen als ein klassischer Wohnwagen. Wie müssen wir uns die Lebensmittelversorgung vorstellen? Kauft ihr auf Vorrat oder spontan, und wie organisiert ihr das Kochen?

Unser Fahrzeug ist ein echter Alleskönner (lacht). In die Gegenden, in denen wir unterwegs sind, käme ein Wohnwagen gar nicht erst hin – deshalb haben wir uns bewusst für dieses Setting entschieden. Die ursprüngliche Ladefläche des Pick-ups ist mit einem ausgeklügelten Ladensystem organisiert und ein separater Alu-Cap-Aufbau bietet zusätzlichen Stauraum. Wir kochen dort, wo die Aussicht passt, mit unserem Gaskocher, auf dem wir auch schon eine Pizza mit Aussicht auf den Gletscher genossen haben. Teilweise bringen wir Lebensmittel aus Österreich mit, aber meistens versorgen wir uns vor Ort in Supermärkten oder in den vielen Fischgeschäften mit frischer Ware. Und da in Island dank intensiver Geothermienutzung sogar Bananen wachsen, ist auch die Obstversorgung gesichert.

Schlaft ihr ausschließlich im Van oder gönnt ihr euch zwischendurch mal eine feste Unterkunft?

Ehrlich gesagt schlafen wir am besten in unserem Dachzelt – dafür lassen wir (fast) jede feste Unterkunft links liegen. Nur wenn die Wettervorhersage wirklich extrem ist, etwa bei heftigem Sturm und Starkregen, gönnen wir uns ausnahmsweise eine feste Bleibe. Das kommt allerdings selten vor. Als Backup haben wir außerdem immer unser Bodenzelt dabei.

Wie sieht es mit sanitären Anlagen aus? Wie lange kommt ihr ohne feste Einrichtungen aus?

Die meisten Campingplätze verfügen über gute Sanitäranlagen. Außerdem sind wir große Fans der isländischen geothermischen (Frei-)Bäder – so ist Duschen für uns nie ein Problem. Und selbst wenn wir länger im Hochland unterwegs sind, finden sich oft nette heiße Quellen.

Gibt es Parallelen zwischen deinem Leben in der Natur und deinem kreativen Schaffen?

Definitiv. Die raue Schönheit der Natur inspiriert mich und bildet einen spannenden Kontrast zu meiner eigenen Interpretation davon. In meinen Designs setze ich diese Eindrücke um, indem ich natürliche Strukturen, Farben und Stimmungen aufgreife und ihnen eine individuelle, kreative Form gebe.

Islands Landschaften sind atemberaubend – roh, unberührt und in ihrer Vergänglichkeit perfekt. Geformt von Naturkräften, entstehen einzigartige Szenerien. Genau diese Dynamik spiegelt sich in meiner Arbeit wider: Als Perfektionistin bin ich erst zufrieden, wenn jedes Kleid ‚perfectly in shape‘ ist.

Modedesignerin Eva Poleschinski: Zwischen Fashion und Lavafeldern
© Oliver Rathschueler
Wenn Island ein Kleid wäre – wie würde es aussehen?

Island ist eine meiner größten Inspirationsquellen – seit 2016 sieht man in meinen Kollektionen den Einfluss. Über die Jahre ist es zu meinem Markenzeichen geworden, meine Kreationen mit der Natur verschmelzen zu lassen und ihre raue, zugleich faszinierende Ästhetik in meinen Designs einzufangen.

Was bedeutet für dich mehr Luxus – ein maßgeschneidertes Couture-Kleid oder die Verbundenheit zur Natur?

Beides löst in mir ein ähnliches Gefühl von Glück aus. Wenn ein perfekt gelungenes Couture-Kleid vor mir liegt, empfinde ich dieselbe Faszination wie inmitten der Natur. Besonders eindrucksvoll war für mich der Vulkanausbruch am Fagradalsfjall 2021 – ein unvergessliches Naturschauspiel, das ich nicht nur erlebt, sondern auch genutzt habe, um meine Designs in dieser einzigartigen Kulisse in Szene zu setzen.

Was hat dir Island über dich selbst beigebracht, das heute in deine Arbeit als Designerin einfließt?

Island hat mich gelehrt, nie aufzuhören zu staunen, neugierig zu bleiben und mich immer wieder auf Neues einzulassen. Vor allem aber hat es mir gezeigt, wie wichtig es ist, auf mein Bauchgefühl zu vertrauen – eine Haltung, die sich in jedem meiner Designs widerspiegelt.

Modedesignerin Eva Poleschinski: Zwischen Fashion und Lavafeldern
© Eva Poleschinski

Eva Poleschinski wurde 1984 geboren und entdeckte früh ihre Leidenschaft für Mode. Ihre Mutter, eine talentierte Hobbyschneiderin, inspirierte sie dazu, ihren eigenen kreativen Weg zu gehen. Mit nur 23 Jahren gründete die Hartbergerin 2008 ihr eigenes Modelabel und schaffte mit eisernem Willen den Sprung in die internationale Modewelt.

Ihre Designs sind heute auf den renommiertesten Red Carpets, darunter die Oscars und Golden Globes, sowie in großen Modemagazinen wie Vogue, Elle und Madame zu sehen. Sie präsentierte ihre Kollektionen unter anderem auf der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin, in New York, Paris und Tokio, realisierte kreative Kooperationen mit namhaften Marken und wurde 2014 zur „Designerin of the Year“ gekürt.

Ihr Stil zeichnet sich durch einen außergewöhnlichen Materialmix, Individualität und höchste Handwerkskunst aus. Trotz ihres vermeintlich glamourösen Berufs zieht sie sich regelmäßig nach Island zurück, wo sie mit ihrer Familie Ruhe und Inspiration findet – ein prägender Einfluss, der sich in vielen ihrer Entwürfe widerspiegelt.

Eva Poleschinski

Mira Lu Kovacs: „Ich will nicht ankommen, nur immer weiter gehen“

„Ich will noch so viel lernen und ausprobieren“, erklärt die 37-Jährige im Interview. Mira Lu Kovacs ist der beste Beweis dafür, dass langjährige Erfahrung und wissbegieriger Elan sich nicht ausschließen müssen. Die Künstlerin kann und macht viel im Musik-Business, neben ihrem Soloprojekt spielt sie z. B. bei My Ugly Clementine und Sad Songs To Cry To. Außerdem ist sie momentan bei der Linzer Theaterproduktion „The Broken Circle“ im Einsatz. Warum die Gleichberechtigungsdebatte Mira manchmal langweilt, haben wir u. a. mit ihr im Interview besprochen …

funk tank: Liebe Mira, dein aktuelles und zweites Soloalbum „Please, Save Yourself“ strahlt eine weise Gelassenheit aus. Fühlst du dich als „alte Häsin“ musikalisch angekommen und geerdet? Was würdest du aus heutiger Sicht deinem jüngeren Ich karrieretechnisch raten und anders machen?

Mira Lu Kovacs: Das Wort „angekommen“ macht mir Angst. Ich will nicht ankommen, nur immer weiter gehen. Aber es stimmt, ich fühle mich zumindest auf einem ziemlich sicheren Plateau. Von dort aus lässt es sich wirklich gut sein, arbeiten, kommunizieren. „Geerdet“ nehm ich mir gern als Beschreibung (lacht).

Meinem jüngeren Ich, das sich kaum was zugetraut hat, sich selbst ständig under-rated hat und vor allem und jedem Angst hatte, würde ich raten, nicht zu bescheiden zu denken. Aber vor allem würde ich sie gern in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles, was sie fühlt, okay und gut ist. Auch würd ich ihr sagen, dass sie sich entspannen darf. Aber all das hätte wahrscheinlich nichts genutzt, denn alle Ängste und Unsicherheiten waren notwendig, um sich jetzt davon frei(er) zu fühlen und zu verstehen: Es gab sehr verdammt gute Gründe für diese Zustände, ich hatte „recht“ damit und jetzt stehe ich noch viel aufrechter da und weiß, warum ich mache, was ich mache.

Wenn ich so überlege, weiß ich nicht recht, was ich groß anders machen würde. Ich würde lauter sein, bei zachen Situationen ruhiger und dadurch stabiler dagegenhalten. Solche Dinge … but it’s all good now.

Die Lyrics deines Albums wirken sehr nahbar und intim, wer oder was inspiriert dich? Und was machen eingängige und gute Lyrics aus?

Mich inspiriert, was um mich herum passiert. Was mir meine Freund*innen rückmelden, wie auf mich und mein Handeln reagiert wird. Ich gehe beruflich quasi ständig in Selbstreflexion. Das klingt extrem einseitig, aber ich kann ja nur aus meiner Perspektive berichten, will keine Geschichten von anderen klauen. Ich denke, je persönlicher die Geschichtenerzählung, desto politischer.

Dein Sound stimmt nachdenklich und es spielt auch immer ein bisschen Traurigkeit mit. Braucht große Kunst auch großes Leid? Oder anders gefragt: Würde das Leben immer nur auf der Sonnenseite stattfinden, wäre es dann überhaupt möglich, kreativ zu arbeiten?

Ich liebe den Satz „Ohne Dunkelheit, kein Licht“. Ich denke, das sagt alles. Das Klischee der leidenden Künstler*in mag ich nicht, aber natürlich ist Kunst und Ausdruck ein unfassbar heilsames Mittel, um mit Trauma und Leid umzugehen. Daher gibt es halt auch viele traumatisierte und leidende Künstler*innen. Und aus genau dem Grund sollte auch jeder Mensch die Möglichkeit zu kreativem Schaffen bekommen.

Mira Lu Kovacs
© Ina Aydogan

Das Klischee der leidenden Künstler*in mag ich nicht, aber natürlich ist Kunst und Ausdruck ein unfassbar heilsames Mittel, um mit Trauma und Leid umzugehen.

Neben deinem Soloprojekt spielst du nach wie vor bei My Ugly Clementine und widmest dich auch deinem Musikprojekt Sad Songs To Cry To. Seit 1. Februar gastierst du am Landestheater Linz mit dem Stück „The Broken Circle“. Worum geht es da und was ist dein Part? Wie kam es zu dem Projekt?

Mit Sara Ostertag, der Regisseurin von „The Broken Circle“, arbeite ich nun das zweite Mal zusammen. Sie hat mich 2023 das erste Mal gefragt, ob ich bei einem Stück von ihr Musik komponieren und performen möchte, das war damals auch das erste Mal Theater für mich.

In dem Stück geht es um Eltern und deren Kind, um Krebs und ums Sterben. Viele meiner Angehörigen wollen und können sich das Stück nicht ansehen, weil allein der Stoff zu hart ist. Ich verstehe das und gleichzeitig empfinde ich es als unheimlich tröstend, so ein Stück zu erarbeiten. Ich mag die Konfrontation. Ich brauche sie, um zu begreifen, was geschieht. Das „nicht drumherum reden“ ist auch zentral in dem Stück, das Ensemble und die Crew sind fantastisch.

Was bevorzugst du: Intime Clubkonzerte oder große Festivalbühnen?

Intime Clubkonzerte! Schöne, alte Theaterräume oder alte Kinos, alles, was viel Holz hat und gut klingt.

Laut deiner Website kann man dich auch für Vocal-Coachings buchen. Wie sieht so ein Unterricht aus und was muss ich mitbringen, damit du mich unterrichtest?

Ich begleite in meinem Coaching Menschen, die sich mit ihrer Stimme auseinandersetzen wollen, mit oder ohne Erfahrung. Ich selbst habe Jazz-Gesang studiert, damit hat mein Unterricht aber nichts mehr zu tun, denke ich.

Ich mag es, mit Leuten zu arbeiten, die ihren Körper spüren lernen wollen, interessiert sind an dieser Form des Fokus und des Atmens. Aber natürlich singt man dann auch irgendwann Lieder und hat einfach Spaß an diesem Ausdruck.

Deine momentanen musikalischen Lieblingskünstler*innen sind …?

Adrienne Lenker steht seit einigen Jahren ganz, ganz oben auf meiner Liste, aktuell höre ich gerade wieder mehr Paula Cole und Kate Bush. Ich liebe auch sehr Beth Gibbons, Brandi Carlile und so ein paar Ausschnitte von Musicalgrößen à la Aaron Tveit …

Stichwort Frau im Musikbusiness. Leider noch immer Thema, denn sowohl auf als auch hinter den Bühnen wird die Branche größtenteils von Männern dominiert. Hattest du jemals das Gefühl, benachteiligt zu werden, weil du eine Frau bist?

Ganz knapp, zu Beginn: einfach JA.
Mir knallt vor Langeweile bei dem Thema regelmäßig der Kopf auf den Tisch. Leider müssen wir immer noch drüber reden.

Wir erleben trotz aller Errungenschaften und guten Entwicklungen wieder eine extreme Rückentwicklung von Dingen, die schon fast selbstverständlich geworden sind für mich. Und jetzt, wo immer mehr rechtsextreme Parteien und Faschist*innen auf der Welt regieren, wird sich das ganz sicher noch drastisch verschlechtern. Überall soll die Frau wieder in die Tradition zurückgedrängt werden und es darf nicht mehr als zwei Gender geben. Darauf bewegen wir uns gerade wieder zu. Daher können wir uns kein Müde- oder Faulwerden erlauben.

Statistiken wie die Zahl der Femizide in allein diesem Land geben auch Einblick in den Ist-Zustand. Die Kunst und Kultur lebt ja nicht komplett außerhalb dieser Verhältnisse. Mir geht es außerdem auch um das allgemeine (Arbeits-)Klima und die weiterhin großen Chancenungleichheiten durch unter anderem Unterforderung und -förderung. Hohe bzw. die höchsten Positionen in z. B. großen Häusern sind nach wie vor vornehmlich männlich besetzt. Und wenn es mal anders ist, ist das eher eine Ausnahme und in der nächsten Periode braucht es wieder ausgleichend eine traditionellere Besetzung.

Ganz persönlich muss ich sagen, habe ich mir vor längerer Zeit ein wenig die Scheuklappen aufgesetzt, weil mich gewisse Dinge einfach so zurückhalten und aggressiv machen. Don’t get me wrong, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle, eine Grenze übertreten wird, handle ich. Aber ich bewege mich in einer relativ gesunden Bubble und in der fühle ich mich einigermaßen safe. Aktuell ist mein Fokus, mich eher schützend und unterstützend vor und hinter andere, die nachkommende Generation zu stellen. Deren Selbstwert zu supporten und sie darin zu bestärken, alles zu hinterfragen und bei sich zu bleiben.

Ist nach dem Album schon vor dem kommenden Album? Was sind deine musikalischen Pläne für heuer und wo siehst du dich karrieretechnisch in weiteren 12 Jahren?

Heuer spiele ich mal das neue Album, das ich letztes Jahr herausgebracht habe, ein bisschen live. Also es stehen einige Konzerte an. Ich spiele wieder mit einer ganz neu zusammengesetzten Band. Ich freu mich schon sehr darauf!

Ich habe im Zuge der Theaterproduktion in Linz einiges komponiert, was dann aber für das Stück nicht gepasst hat. Vor ein paar Tagen erst ist mir aufgefallen, dass das bereits die nächste Welle sein könnte (lacht).

In 12 Jahren? 2037? Ist da was Spezielles? Gute Zahl jedenfalls. Ich hoffe einfach, immer weitermachen zu können, herausgefordert zu werden. In der Branche als Frau altern zu können und dürfen und mich weiterzuentwickeln. Ich will noch so viel lernen und ausprobieren. Das Einzige, was nicht eintreten darf, ist Langeweile.

Mira Lu Kovacs ist eine österreichische Musikerin, Komponistin und Performerin. Bekannt wurde die 37-Jährige mit dem Band-Projekt Schmieds Puls (2013–2019), seit 2019 ist sie mit ihrem Soloprojekt unterwegs und zudem bei weiteren Bands aktiv, z. B. bei My Ugly Clementine und Sad Songs To Cry To. Außerdem ist sie momentan bei der Linzer Theaterproduktion „The Broken Circle“ im Einsatz.

Wer Mira live erleben möchte, kann das heuer u. a. am 26.2. im Dom im Berg in Graz, am 27.2. in den Kammerlichtspielen in Klagenfurt, am 28.2. im Treibhaus in Innsbruck, am 23. und 24. Juni im Wiener Stadtsaal, bei diversen Festivals im Sommer, z. B. am Linzer Lido Sounds und am Poolbar Festival in Feldkirch. Weitere Live-Dates:

Mira Lu Kovacs

Das Interview ist mit freundlicher Zusammenarbeit mit Headliner entstanden.

Kabarettist Hosea Ratschiller im Interview

Die „Pratersterne“ sind zurück. Gingen viele davon aus, dass die 2017 erstmals on Air gegangene ORF-Sendung nach der vergangenen Staffel eingestellt wurde, gibt es jetzt doch ein Wiedersehen mit Moderator Hosea Ratschiller und dem vielversprechendsten Kabarettnachwuchs des Landes. Und das in einer neuen Umgebung. Denn das „sehr räudige“ (Zitat Hosea Ratschiller) Fluc am Wiener Praterstern, das der Sendung ursprünglich den Namen mitgegeben hat, wurde gegen das noble Ambiente der Roten Bar im Volkstheater eingetauscht. Zu sehen sind die neuen Folgen seit 7. Jänner im ORF. Wie sich der neue Spielort anfühlt, hat uns Hosea Ratschiller ebenso geschildert wie sein Verhältnis zu Social Media und zu Political Correctness.

funk tank: Die „Pratersterne“ sind nach einer einjährigen Pause zurück – aber an einer neuen Location.

Hosea Ratschiller: Ja, wir sind vom sehr räudigen Fluc am Praterstern, das aber eine sehr urbane Stimmung hatte und so eine Ausgeh-Atmosphäre, übersiedelt in die Marmorhallen des Volkstheaters. Ich glaube, die Idee dahinter, die „Pratersterne“ in die Rote Bar zu verpflanzen, war: Wir machen sozusagen einen Ausflug, und dann hat der Onkel mit der dicken Brieftasche uns eingeladen ins feine Restaurant, und wir ziehen uns das edelste Gewand an, das wir finden können. Es fühlt sich ein bisschen wie eine Mottoparty an.

Aber ihr seid immer noch dieselben Kinder, die sich nicht zu benehmen wissen?

Genau, wir erzählen trotzdem von unseren Dating-Unfällen und wo wir überall ausgerutscht sind, und was uns so alles auffällt. Es ist zwar rundherum Marmor, und an der Decke hängt ein Kristallluster, aber je länger wir da sitzen, desto wohler fühlen wir uns und denken nicht mehr darüber nach, welche jetzt die Fischgabel ist. Jetzt ist die Frage, wie das Fernsehpublikum diesen Wechsel annimmt.

Wird die andere Location im TV überhaupt groß auffallen?

Ich glaube, es wird schon einen Unterschied machen. Aber die Bilder sind so schön – es wirkt fast wie ein Fiebertraum von Arthur Schnitzler. Es ist eine andere Seite von Wien, die wir da jetzt zeigen, das Großbürgertum.

Ist die Kleinkunst jetzt in der Hochkultur angekommen?

Zumindest gehen wir da hin und zeigen uns – aber auf Einladung, das möchte ich schon betonen. Wir sind keine Hausbesetzer, sondern wir kommen einer Einladung nach, benehmen uns dann aber daneben.

Habt ihr auf diese Einladung gewartet?

Wir waren sehr zufrieden im Fluc, es hatte eine tolle Atmosphäre. Es hat alle Beteiligten inklusive mich selbst sehr überrascht, wie dankbar auch ein Publikum, das sonst nie in ein solches Lokal gehen würde, uns dorthin gerne gefolgt ist. Wir fühlen uns aber in der Roten Bar auch sehr wohl. Es ist nur eine andere Art von Ausgehen. Es ist mehr Maturaball als Freitagabend-Fortgehen.

Ist das Publikum gleich geblieben nach der Pause und dem Ortswechsel?

Ja. Aufmerksame Zuseher*innen werden zum Beispiel erkennen, dass der eine Herr, der fast in jeder Sendung war, auch im Volkstheater wieder aufgetaucht ist. Das hat uns sehr gefreut.

Der ist mitgefahren auf Klassenfahrt.

Genau. Ob er der Klassenlehrer ist, wird sich erst herausstellen.

Die „Pratersterne“ werden als Talenteschmiede für heimischen Kabarettnachwuchs wahrgenommen. War das auch der Grundgedanke bei der ersten Sendung 2017?

Das Coole ist, dass tatsächlich Leute, die vor ein paar Jahren bei uns als Neulinge aufgetreten sind, jetzt die Stars sind: Christoph Fritz, Malarina, Berni Wagner, die hatten alle bei uns ihren ersten TV-Auftritt – und jetzt sind sie unsere Headliner. Wir haben zwar nicht viel Geld zu verteilen, aber dafür Aufmerksamkeit, Fernsehzeit, den Rückhalt einer Redaktion, ein Publikum und – was man nicht unterschätzen darf – sendefähiges Material. Weil wir wirklich Top-Kameraleute und mit Jan Frankl einen absoluten Profi für den Schnitt haben. Diese Mannschaft bietet den Leuten, die da antreten, ideale Bedingungen, um auch selbst ein Material zu bekommen, das man dann überall hinschicken kann.

Kabarettist Hosea Ratschiller mit den Pratersternen in der Roten Bar im Wiener Volkstheater
© ORF/Hubert Mican
Wer wählt die Künstler*innen aus?

Das macht die Redaktion, und die macht das sehr gut. Ich mische mich nicht ein. Ich mache höchstens Vorschläge, aber ich habe von Anfang an gesagt: Ich möchte nicht darüber entscheiden, welche Kolleg*innen hier eine Plattform kriegen. Es ist nicht meine Sendung, ich bin nur der Moderator im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wir haben alte Freunde, die zu uns kommen, obwohl sie das nicht müssten, wie Thomas Maurer, Gunkl oder Christoph & Lollo. Das freut uns sehr, und mindestens genauso freut uns, dass unsere Nachwuchsarbeit so gut funktioniert. Wir sind quasi das Salzburg des Kabaretts, wir haben die Talente schon, wenn sie ganz jung sind – und immer noch, wenn sie große Stars sind.

Nehmen die Arrivierten dann nicht Jungen den Sendeplatz weg, die ihn dringender bräuchten?

Zu Beginn haben wahrscheinlich viele Leute die „Pratersterne“ vor allem wegen Josef Hader, Andreas Vitásek, Alfred Dorfer, Roland Düringer, Thomas Stipsits, Klaus Eckel und all diesen Leuten geschaut. Mittlerweile schalten sie, glaube ich, wirklich wegen der Sendung selbst ein. Aber ich würde jeder humoristischen Sendung, wenn sie solche Stars bekommen kann, schwerstens empfehlen, ja zu sagen.

Welche Talente werden 2025 für Aufsehen sorgen?

Bei uns wird es ganz schön viele neue Gesichter zu sehen geben. Vor allem musikalisch: Resi Reiner, Rahel, Endless Wellness – diese Namen hat ein breiteres Publikum bisher nicht allzu oft gehört. Aber die sind echt gut. Und Leute wie Ina Jovanovic oder Tereza Hossa, die schon in der Sendung waren, sind sehr jung, aber schon sehr weit fortgeschritten. Und Romeo Kaltenbrunner ist aus meiner Sicht nicht nur der schönste Kabarettist des Landes, sondern der hat es echt drauf, bist du deppat. Der ist zwar schon Mitte dreißig, aber immer noch neu.

Du hast jetzt mehrere Frauen genannt. Wird das Kabarett von unten her weiblicher? Wie siehst du den Satirenachwuchs in Österreich?

Unser Anliegen bei den „Pratersternen“ war, zu zeigen, dass viele unterschiedliche Ansätze nebeneinander funktionieren können. Meine Lieblingssendung in der ersten Staffel war die, wo Thomas Stipsits und die damals noch undergroundige Stefanie Sargnagel hintereinander aufgetreten sind, und beide haben beim Publikum exakt gleich gut funktioniert und könnten unterschiedlicher nicht sein. Dass dann, wenn man das bewiesen hat, es diverser zugehen kann und auch die Entscheidungspersonen überzeugbar sind, dass man nicht immer dieselben fünfzehn, zwanzig Personen nehmen muss, darauf haben wir ein bisschen gewettet – und die Wette haben wir gewonnen. Und dass sich parallel dazu die Welt dahingehend verändert hat, dass es nicht mehr ungewöhnlich ist, dass eine Frau auf der Bühne steht und Witze erzählt, das spielt uns natürlich in die Hände. Wir waren immer offen dafür, Unterschiedliches nebeneinander abzubilden. Dass das so aufgeht, ist schön, und ich freue mich darüber. Aber unser Hauptanliegen bleibt, dass es lustig ist. Dass wir zeigen, was die österreichische Kabarettszene so hergibt. Und dass die so bunt und divers ist wie nie zuvor, ist einfach unser Glück.

Befeuern das die Sozialen Medien? Eine Toxische Pommes etwa ist ja zuerst dort bekannt geworden und erst danach auf die Kabarettbühne gegangen.

Früher war man im Kulturbereich abhängig von einigen wenigen Personen, die Entscheidungen getroffen haben. Alles war sehr hierarchisch organisiert und stark männlich dominiert. Mittlerweile kann man sich online selber ein Publikum erspielen. Aber das auch nur, wenn man die Zeit dafür hat, den Erwerbsdruck nicht hat, um vier Stunden am Tag Social Media bespielen zu können. Ich behaupte: Als Alleinerzieherin hast du es da immer noch schwer. Als jemand, der sich in seinem Privatleben um andere kümmert, Rechnungen zu bezahlen hat, kein Erbe im Hintergrund hat, ist es nicht deutlich leichter geworden. Aber für Leute, die ungebunden sind und ihre ganze Lebenszeit und -energie in den Aufbau einer Instagram- oder Tiktok-Seite investieren können, gehen die Türen leichter auf als früher.

Und die Spaß daran haben.

Natürlich, es muss einem auch liegen. Toxische Pommes hat in einem Interview gesagt, wenn du keine Lust darauf hast, kannst du es gleich bleiben lassen, weil das merkt man. Das ist ein bisschen das, worin ich gefangen bin – weil mir macht es keinen Spaß, Zwanzig-Sekunden-Videos zu machen. Ich habe A nicht die Zeit, B nicht die finanzielle Absicherung und C nicht die Lust daran. Hätte ich nicht drei Kinder und diesen Mental Load, müsste ich nicht die Miete zahlen, den Alltag meiner Familie organisieren, putzen, kochen und so weiter, vielleicht würde es mir Spaß machen. Und vielleicht hätte ich es früher als Zwanzigjähriger auch gemacht. Aber jetzt hab ich echt ein Problem, das gebe ich ehrlich zu. Ich muss versuchen, diese alten Formen gut genug zu bespielen und trotzdem ein Publikum anzusprechen, das nicht nur vor sich hin altert. Zum Glück gelingt das, und es sitzen bei mir nicht immer dieselben drin und altern mit mir, sondern es kommen auch Neue nach. Das schönste Feedback für mich ist, wenn Eltern ihre Kinder mitnehmen, dass es denen auch getaugt hat. Weil das bedeutet, dass ich diesen Beruf noch ein paar Jahre weitermachen darf. Aber ich bin darauf angewiesen, dass Leute ihrem Nachwuchs Tickets für meine Vorstellungen schenken.

Wir sind quasi das Salzburg des Kabaretts, wir haben die Talente schon, wenn sie ganz jung sind – und immer noch, wenn sie große Stars sind.

Würdest du zur Generation Tiktok gehören, würdest du aber genau diesen Alltag, den du schupfen musst, in Kurzvideos packen.

Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass diese Tradwifes, die das tun, in Wahrheit auch nur etwas verkaufen. Ich glaube, dass das Geschäftsfrauen sind, die damit ihre Familie ernähren, und dass da wer anderer den Haushalt macht. Dass du neben dem Aufbau einer Social-Media-Seite noch zusätzlich eine Familie ernähren kannst, halte ich für ausgeschlossen.

Wärst du zwanzig Jahre jünger, würdest du den Weg ins Kabarett noch einmal gehen? Die Selbständigkeit, die Unwägbarkeit in Hinblick auf Engagements, . . .

Es ist so, dass das dazukommt. Das ist ja nicht das Erste, was da ist, sondern dass du etwas in dir spürst, dass du gerne auf der Bühne stehst und weißt, wie man einen Witz macht, dass du dich da wohlfühlst und über den Stress hinaus, den das macht, auch andere Gefühle abzuholen sind; und dass du dich – was ich gar nicht unterschätzen würde – wohlfühlst mit anderen Leuten, die das Gleiche machen; dass du einer von ihnen sein willst. Das ist alles zuerst da. Dass das dann dein Beruf wird und der irgendwann dein Leben finanzieren muss, als jemand, der Kinder hat oder alte Leute in der Familie versorgen muss, das kommt ja dann alles erst und verdirbt dir nicht die Lust auf den Beruf. Es verdirbt dir vielleicht die Lust auf den Beruf und kostet dich die Geduld mit Leuten, die dir sagen, dass du das alles schaffen musst. Aber wenn ich herumfahre und auf Bühnen stehen darf, dann ist das die Belohnung. Der Drang auf die Bühne war bei mir so unausweichlich und schon als Kind da – ich habe echt versucht, daran vorbeizukommen, aber das war nicht drin. Meinen Eltern zuliebe, die die Ersten in der Familie mit einem Studium waren, habe ich tatsächlich versucht, einen anständigen Beruf zu lernen.

Welchen?

Ich wollte Jus studieren. Mein Vater hat mich einmal als Kind gefragt, was ich später machen will, und da habe ich geantwortet: Ich will fünfzigtausend Schilling verdienen (Anm. das entspräche heute in etwa 7.500 Euro) – womit, war mir wurscht. Ich wollte nur nicht so wenig Geld haben wie meine Eltern.

Es gibt ja das Klischee vom Kabarettisten, der privat nicht lustig ist.

Das Problem ist eher, dass ich manchmal ernst sein muss. Damit kämpfe ich. Um ein verträgliches Mitglied der Gesellschaft zu sein, muss man irgendwann zumindest ein minimales Interesse an Dingen entwickeln, die nicht auf eine Pointe hinauslaufen. Das kostet mich wesentlich mehr Kraft, als lustig zu sein. Ich glaube, das ist ein Wesenszug: Wenn Kabarettist*innen miteinander sprechen, das könnte man auf der Bühne gar nicht bringen, weil wir wirklich über alles Witze machen, und das die ganze Zeit. Political Correctness ist zwar momentan ein großes Thema, aber in der Garderobe findet die nicht statt – und zwar in keiner.

Und außerhalb der Garderobe? Darf man tatsächlich nicht mehr alles sagen?

Oja, aber es wird nicht einfacher, mit den Konsequenzen zu leben. Freilich nicht für alle, und da muss man wieder differenzieren. Aber ich halte dieses „Man darf heute nichts mehr sagen“ für völligen Stumpfsinn. Man darf heute mehr sagen als je zuvor – es sagen nur halt die anderen dann auch was.

Um ein verträgliches Mitglied der Gesellschaft zu sein, muss man irgendwann zumindest ein minimales Interesse an Dingen entwickeln, die nicht auf eine Pointe hinauslaufen. Das kostet mich wesentlich mehr Kraft, als lustig zu sein.

Sagst du auf der Bühne alles?

Nein. Aber weniger aus Sorge, dass ich irgendwelche Gefühle verletzen könnte, sondern aus einem handwerklichen Ehrgeiz heraus. Ich verwende keine Kraftausdrücke und keine Fäkalsprache auf der Bühne, weil ich mir nicht die billigen Pointen abholen will. Ich habe den seltsamen Ehrgeiz, der mir oft im Weg steht und mich bremst, es auch anders hinzukriegen.

Damit ist es dann jugendfrei.

Es ist an anderen Stellen für die Jugend dann schwieriger. Ich spreche die Dinge klar an, ich verwende nur eine cleane Sprache.

Hosea Ratschiller, Jahrgang 1981, wollte seinen Eltern zuliebe Jus studieren, hat letztlich aber ein Studium der Geschichte, Philosophie und Theaterwissenschaft abgebrochen. Nach dem Zivildienst im Sanatorium der Israelitischen Kultusgemeinde landete er im Jahr 2000 beim ORF- Jugendsender FM4 und arbeitete ab 2009 auch für Radio Ö1. Nach Tätigkeiten für „Wir sind Kaiser“ und „Dorfers Donnerstalk“ präsentiert er seit 2017 im ORF die „Pratersterne“, die seit dieser Staffel nicht mehr im Fluc am Praterstern aufgezeichnet werden, sondern in der Roten Bar im Volkstheater. Daneben tourt er mit seinem aktuellen Soloprogramm „Hosea“ durch Österreich.

Hosea Ratschiller

Katharina Stengl und Homajon Sefat: Podcast „Café Depresso“

Depressionen werden zwar heutzutage mehr thematisiert als früher, immerhin sind allein in Österreich rund 730.000 Menschen davon betroffen (mit hoher Dunkelziffer), aber dennoch werden die Erkrankten oft nicht richtig gehört, behandelt und respektiert. Im Podcast „Café Depresso“ widmen sich Dr. Katharina Stengl und Homajon Sefat der mentalen Gesundheit auf kurzweilige und niederschwellige Art, um „Tabus zu brechen und dafür zu kämpfen, dass Menschen endlich offen über ihre Ängste und Sorgen sprechen können.“

funk tank: Liebe Frau Dr. Stengl, lieber Herr Sefat, seit vergangenem Jahr gibt es Ihren Podcast „Café Depresso“. Wie haben Sie zueinander gefunden?

Katharina Stengl: Homajon war in der Klinik, in der ich tätig war, Patient in der Tagesklinik. Nach seiner Entlassung hatte er mich angeschrieben, ob ich mir einen Podcast vorstellen könnte, mit ihm gemeinsam zur Aufklärung über psychische Erkrankungen. Ich fand die Idee sehr toll und bin echt sehr froh, dass er den Mut hatte, seine Idee zu realisieren.

Homajon Sefat: Mir hat Katharinas leicht zugängliche Art, Wissen zum Thema mentale Gesundheit zu vermitteln, sehr imponiert. Und ich hatte die Podcast-Idee schon länger im Hinterkopf und fand diese Kombination aus Expertin und Kabarettist spannend.

Warum fällt es sowohl Betroffenen als auch der Gesellschaft so schwer, Depressionen genug Raum zu geben? Die einen schämen sich, die anderen verurteilen …

Katharina Stengl: Wir werden noch oft angesprochen, dass es so toll ist, dass wir im Café Depresso offen über psychische Erkrankungen sprechen. Ich finde es nach wie vor sehr schockierend, dass dafür noch immer so wenig Raum ist in unserer Gesellschaft. Dennoch ist der Trend immer mehr, sich selbst zu perfektionieren, und unangenehme Gefühle wie Trauer, Eifersucht, Scham, Schuld dürfen nicht da sein. Leider wird das auch von der Politik nicht richtig gesehen, da es noch immer zu wenig Hilfsangebote für psychisch Erkrankte gibt, sei es, dass Psychotherapie noch immer nicht komplett bezahlt wird, oder wir zu wenige Therapieeinrichtungen haben.

Es dürfte sich um einen kollektiven Neglect in der Gesellschaft handeln: Wenn wir es nicht sehen, gibt es das nicht. Ich denke, viele haben auch große Angst, selbst eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Wobei gerade Hinschauen und sich gemeinsam Austauschen die Gesellschaft auch viel stärker machen würde. Ich finde, es ist ein erstrebenswertes Ziel, für mehr Offenheit und auch Gleichstellung für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen.

Herr Sefat, Sie sind Kabarettist, gute Laune ist also Ihr Programm, privat sind Sie jedoch 2023 in eine tiefe Depression geschlittert. Wie kam es dazu und wie sind Sie wieder aus diesem Loch ausgestiegen? Ist Ihr Mental-Health-Podcast Teil der Therapie?

Die Depression war schon länger präsent und hat wahrscheinlich schon 10–15 Jahre davor ihren Anfang gefunden. Nur konnte ich diese davor nicht benennen. Ich dachte, ich wäre einfach ein melancholischer Mensch, der ständig müde und traurig ist. Aber vor allem durch die Corona-Krise hat sich die Krankheit verschlimmert, und ich hab mir 2022 Hilfe gesucht und hatte Glück mit meiner Therapeutin.

Die Diagnose war mittelgradige bis schwere rezidivierende Depression. Zu Beginn war es schwer für mich, die Diagnose anzunehmen. Gleichzeitig war ich erleichtert, endlich zu wissen, was mit mir los ist. Geholfen hat mir die regelmäßige Gesprächstherapie und ein achtwöchiger Aufenthalt in einer Tagesklinik.

Der Podcast ist sicherlich zu einem Teil Therapie. Aber ich wollte in erster Linie eine Anlaufstelle schaffen für Betroffene und deren Umfeld. Weil ich leider miterleben musste, dass einige Menschen aus meinem Leben mit meiner Diagnose nicht umgehen konnten oder diese nicht ernst genommen haben. Weil sie keine Berührungspunkte oder Verständnis für mentale Gesundheit haben oder hatten. Und vielleicht hilft der Podcast, diese Erfahrung anderen zu ersparen.

Was mir geholfen hat, ist, sich Freund*innen anzuvertrauen. Das ist zu Beginn schwierig, weil es vielleicht mit Scham behaftet oder ungewöhnlich ist, sich so verletzlich zu zeigen, aber es ist schon eine große Hilfe, gehört zu werden.

Sie arbeiten auch als Autor und Musiker, eine schnelllebige Branche mit viel Druck. Gab es Momente, wo Sie sich von der Kunst entfernen wollten, um wieder auf die Beine zu kommen, oder hat die Kunst Sie gerettet?

In der Hochphase der Depression wollte ich nichts mehr mit Schreiben, in welcher Form auch immer, zu tun haben. Auch mein Bandprojekt habe ich aus einem Impuls der Überforderung heraus abrupt beendet und pausiert. Ich bin 18 Monate nicht auf einer Bühne gestanden. Es war mir alles zu viel. Ich musste mich einfach neu sortieren, lernen, auf meine Bedürfnisse zu hören und gesund werden.

In der Zeit haben mir Musik und Filme sehr geholfen. Es klingt zwar klischeehaft, aber: Kunst kann Leben retten. Genauso wie der Humor.
Mittlerweile spiele ich auch selbst wieder vereinzelt und arbeite an einem neuen Programm.

Was raten Sie Betroffenen, die sich in einer mentalen Krise befinden?

So früh wie möglich Hilfe suchen. Weil es dauert oft Wochen bis Monate, einen Therapieplatz zu finden. Was mir geholfen hat, ist, sich Freund*innen anzuvertrauen. Das ist zu Beginn schwierig, weil es vielleicht mit Scham behaftet oder ungewöhnlich ist, sich so verletzlich zu zeigen, aber es ist schon eine große Hilfe, gehört zu werden.

Bei akuten Notfällen empfehle ich den sozialpsychiatrischen Notdienst, der ist in Wien z.B. rund um die Uhr telefonisch unter 01/31330 erreichbar.

Frau Dr. Stengl, Sie haben eine neurologische Ausbildung an der Berliner Charité absolviert und sind dann in die Psychiatrie gewechselt. Mit welchen Methoden und Techniken helfen Sie depressiven und traumatisierten Menschen? Wie können Betroffene wieder ihren Alltag bewältigen und bewusst leben und fühlen?

Zuerst geht es darum, eine gute Befunderhebung und Diagnostik zu machen, welche Erkrankung für die Symptome verantwortlich ist. Zum Beispiel werden viele komplex traumatisierte Menschen oder Menschen mit ADHS jahrelang wegen einer Depression behandelt, und die eigentliche Ursache wird nicht behoben.

Es geht vor allem auch um eine gute Aufklärung, gerade gegen Psychopharmaka herrschen viele Vorurteile, die sich auch negativ auf eine regelmäßige Einnahme auswirken können. Bei einigen psychischen Erkrankungen können aber gerade Psychopharmaka auch wirklich helfen.

Generell ist das psychiatrische Konzept, immer den Menschen zu betrachten, auch mit seinen Lebensgewohnheiten (Job, Familie, Partner, Wohnform).

Zusätzlich biete ich auch Psychotherapie an, diese ist besonders wichtig, um sich selbst besser zu verstehen und ggf. schädliche Verhaltensmuster zu verändern.
Hier lernen Betroffene zunächst, sich selber besser wahrzunehmen und ihre Gefühle zu verstehen und sie als hilfreiche Informationen zu nutzen. Es wäre schön, ein Fach wie Emotionsregulation bereits in der Schule zu lehren.

Wie entsteht eine Depression? Kann Mensch das verhindern?

Es gibt sehr viele verschiedene Arten – ich nutze gerne das bio-psycho-soziale Modell. Manche Menschen haben biologisch schon ungünstige Voraussetzungen (zum Beispiel Veränderungen im zentralen Serotonin-Stoffwechsel), das sieht man, wenn ganze Familien an Depressionen leiden.

Psycho- und Sozial zielt darauf ab, welche Erfahrungen wir machen, in der Herkunftsfamilie und in unserem Umfeld. Wenn es früh zu traumatisierenden Ereignissen kommt im Leben, kann das den Grundstock für eine Unsicherheit mit sich selbst und schädigenden Verhaltensweisen sein. Häufig zeigen depressive Menschen sehr hohe Selbstansprüche, gehen sehr hart mit sich ins Gericht (innerer Kritiker/innere Kritikerin) und kennen ihre Grenzen nicht bzw. opfern sich für andere auf.

Ja, Mensch könnte das verhindern, indem bereits in den Schulen weniger der Wert auf Leistung gelegt wird, sondern mehr auf Achtsamkeit, Selbstwert, Selbstrespekt, Grenzen setzen und Emotionsregulation. Das wären wichtige Grundbausteine für eine gesündere Gesellschaft. Zusätzlich könnten Kommunikationstrainings mit gewaltfreier Kommunikation nach Rosenberg schon bei Kindern einen wertschätzenden, liebevollen Umgang miteinander unterstützen.

Katharina Stengl und Homajon Sefat mit ihrem Podcast „Café Depresso“
© Christopher Glanzl

Insbesondere die Zuwendung und Auseinandersetzung mit unangenehmen Gefühlen kann tatsächlich Gesundheit fördern.

Leider werden psychische Erkrankungen sowohl im Gesundheitssystem als auch gesellschaftlich nicht als „vollwertige Krankheiten“ wahrgenommen, oft werden diese bagatellisiert. Woran könnte das liegen und was muss geändert werden?

Ich denke, es ist Angst und Verdrängung, wir wenden uns immer gerne von unangenehmen Sachen ab. Viele Menschen haben große Angst vor psychischen Krankheiten – ich glaube, der Verlust von Kontrolle spielt dabei eine zentrale Rolle. Ein gebrochener Knochen wird mit Gips wieder verbunden, ein gebrochenes Herz dauert möglicherweise länger und benötigt mehr Zuwendung. Ich denke, viele wenden sich ab, weil sie tief in sich aber diese Gefühle kennen und Angst haben, diese in sich auch anzuerkennen.

Geändert werden sollte eine bessere Fehlerkultur, mehr Mitgefühl und Verständnis und der Mut, sich unangenehmen Gefühlen zu stellen. Ich meine, jeder hatte schon einmal oder öfter Angst oder hat sich geschämt. Damit sollten wir uns mehr konfrontieren und den Mut haben, das zu spüren. Insbesondere die Zuwendung und Auseinandersetzung mit unangenehmen Gefühlen kann tatsächlich Gesundheit fördern.

Die Themen Ihres Podcasts sind zwar ernste, dennoch wird man beim Hören gut unterhalten und auch Lachen ist erlaubt. Rettet Lachen Leben? Gibt es aus neurologischer Sicht Techniken, wie jede/jeder von uns positiv gestärkt in den Tag starten kann?

Humor ist auf jeden Fall eine gute Strategie, um mit den Herausforderungen und Prüfungen des Lebens umzugehen. Gerade im Resilienztraining wird das auch angewendet und es gibt einige Achtsamkeitsübungen, die sich genau damit beschäftigen. Es ist auch vor allem wichtig, einen liebevollen Umgang mit sich selber zu finden, das kann man auch zu jeder Lebenszeit noch lernen. Ich habe auch eine Zeit Impro-Theater als Therapie mit Patient*innen gespielt, es war so schön zu beobachten, wie viel Stärke und Vertrauen Menschen wieder entwickeln, wenn sie lachen können und ihre Kreativität entdecken. Da hatten wir das Motto: Scheiter heiter!

Dr. Katharina Stengl ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und lebt in Wien. Ihr Credo: „Happiness is your birthright – don’t let your mind interfere with it!“.

Homajon Sefat ist Kabarettist, Autor und Musiker aus Wien.

Im Mai 2024 veröffentlichten die beiden die erste Folge des Podcasts „Café Depresso“.

Dr. Katharina Stengl – Website

Homajon Sefat – Website

„Café Depresso“/Spotify

Martin Gruber und aktionstheater ensemble mit „Wir haben versagt“

Ab 12. Jänner gastiert das aktionstheater ensemble unter der Leitung von Martin Gruber wieder im Wiener Theater am Werk. Das neue Stück „Wir haben versagt“ von der freien Theatergruppe ist eine „performative Selbstanklage. Mit guter Musik, um die Tragödie zu ertragen“ …

funk tank: Verehrter Herr Gruber, spätestens wenn man in Ihren Stücken sitzt, muss es „Klick“ im Gehirn machen und ein Umdenken in Richtung Gemeinschaft stattfinden. Ihr aktuelles Stück hat aber eine ganz andere Message, denn Sie sind der Meinung, versagt zu haben. Wie und warum haben Sie versagt?

Martin Gruber: Wie in jedem Stück beginnen wir bei uns selbst. Sagen wir als Vertreter*innen der nicht explizit rechten Seite, nehmen wir die Schuld des aktuellen politischen Desasters auf uns und gestehen: „Wir haben versagt.“ Jetzt liegt hinter dieser selbstmitleidigen, performativen Bußübung natürlich nicht etwa Bescheidenheit, sondern im Gegenteil eine ziemliche Hybris. Will heißen: Jetzt haben wir uns so lange mit unserer Kunst abgerackert, und dann wird die extreme Rechte stärkste Kraft. 


Fremdenhass und Rechtsruck sind Themen, die politisches Theater nahezu behandeln muss. Sie tun das sehr treffend, auch wenn es oft wehtut. Wie erklären Sie sich den Erfolg rechter Parteien? Sind wir noch zu retten?

Es ist wahrscheinlich die Sehnsucht nach einer vergangenen Welt, jene nach einer autochthonen und friktionsfreien Gesellschaft, die freilich so nie existiert hat. Von der rechten Seite werden simple Lösungen angeboten, die einen Beruhigungseffekt auslösen. Nach dem Motto: Lehnt euch zurück, wir werden das alles für euch lösen. Schuld sind die Anderen – die Migrant*innen, die Woken, die Schwulen, die Feministinnen etc. Das ist natürlich Blödsinn, aber es gibt auch auf der, sagen wir, progressiven Seite keine wirklichen großen Entwürfe. Keine gesellschaftsvereinende politische Erzählung, welche zuerst komplexe Zusammenhänge verständlich herunterreißt, um dann etwaige Lösungsansätze zu kreieren, bei welchen sich die oder der Einzelne erkennen kann.

Es könnte beispielsweise formuliert werden, warum es uns allen etwas bringt, wenn wir den Kuchen etwas aufteilen oder was der wirkliche Benefit einer diversen Gesellschaft wäre. Ohne freilich auch nur einen Jota von einer liberalen demokratischen Ordnung abzugehen. Ich vernehme auch auf der linken oder progressiven Seite ein popeliges Verharren im Klein-Klein.

Der Spin-Doctor hat gesagt: Sag zehnmal Umwelt und fünfzehnmal Solidarität, und dann werden sie uns schon wählen. Die Floskel alleine wird den Turnaround nicht bringen. Wir haben es anscheinend mit einer Entpolitisierung des Politischen zu tun. Es mag vielleicht etwas kitschig klingen, aber ich glaube, dass sich der eine oder andere Ansatz nur übers Zuhören finden lässt. Ob uns das passt oder nicht, die meisten Menschen, die Rechts gewählt haben, fühlen sich nicht gehört. Ich habe gerade vorher einen Song von den Tiger Lillys gehört, die erste Zeile geht so: „I´m calling but no one will be hearing.“

Besonders bemerkenswert finde ich die Verbindung von privaten Schicksalen und großen gesellschaftlichen Themen in Ihren Stücken. Ihre Schauspieler*innen sind weitaus mehr als Darsteller*innen, oft tragen sie ja auch reale Geschichten vor. Wie entstehen die Texte?

Die Themen gibt die Gesellschaft vor. Da jede*r Einzelne ein Teil dieser Gesellschaft ist, finden sich dann die Zusammenhänge zum größeren Ganzen. Wir versuchen, die sogenannte Alltagssprache auf ihre mehr oder weniger versteckten Machismen oder Rassismen zu untersuchen. Im täglich Dahingestammelten outen wir aber auch unsere Sehnsüchte. Ich versuche, den entstandenen dramatischen Text, die Dialoge, auch die manischen Monologe, dann so zu montieren oder rhythmisieren, dass transparent wird, was „hinter“ dem Gesagten liegen mag. Einige Texte schreibe ich auch selbst. Der Stücktext wird so verdichtet, dass klar wird, dass auch manipuliert und gelogen wird. Und wenn die Sprache versagt, kommt Musik und Choreografie ins Spiel.

"Wir haben versagt" von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble
© Stefan Hauer
Mit den meisten Künstler*innen arbeiten Sie seit vielen Jahren zusammen. Gibt es auch Momente, wo die „Familie“ untereinander einmal Abstand braucht, weil Sie so eng zusammenarbeiten? Wie schalten Sie ab?


Am schönsten lässt sich Einsamkeit bekanntlich erleben, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist. Eine Zeit mit mir, bei der ich weiß, dass ich die Länge des Alleinseins bestimmen kann. Und dann Zeit mit Freund*innen.

Ich gestehe: Es gab noch kein Stück von Ihnen, bei dem ich nicht geweint habe. Das meine ich als Kompliment, für mich gehört das Körperliche und das Fühlen zu einer guten Inszenierung. Wie definieren Sie ein gelungenes Theaterstück? Was muss es haben/aussagen/auslösen, muss es überhaupt irgendwas?

Kunst ist die Möglichkeit, mittels eines Abzielens auf sämtliche Sinne, Zusammenhänge zuerst lustvoll zu zerlegen, um sie dann, je nach Gusto, in ein neues Licht zu setzen. Das Erleben, um ja nicht zu sagen Konsumieren, von Kunst ist, da jede*r eine andere Geschichte hat, eine höchst persönliche, intime Angelegenheit. Insofern „muss“ sie natürlich gar nichts. Wenn Sie unsere Stücke zum Weinen bringen, dann freut mich das sehr, weil das Stück etwas auslöst, sich also etwas gelöst hat. Ich persönlich weine oft und oft auch gerne. Im gelöst entspannten Zustand weiß ich dann auch mitunter warum. Wenn nicht, ist es auch gut.

Wir haben es anscheinend mit einer Entpolitisierung des Politischen zu tun. Es mag vielleicht etwas kitschig klingen, aber ich glaube, dass sich der eine oder andere Ansatz nur übers Zuhören finden lässt. Ob uns das passt oder nicht, die meisten Menschen, die Rechts gewählt haben, fühlen sich nicht gehört.

Wenn Sie sich nicht mit dem eigenen Theater befassen – mit welcher Form der Kunst beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit? Was sollten unsere Leser*innen unbedingt lesen/hören/anschauen?

Zuallererst freue ich mich auf den neuen Film von Pedro Almodóvar. Ich hatte noch keine Gelegenheit, „The Room Next Door“ zu sehen. Aber nicht zuletzt seine Auseinandersetzungen mit dem Tod bringen mich immer voll ins Leben. In Sachen bildender Kunst würde ich empfehlen, einfach draufloszugehen: Albertina Modern, MuseumsQuartier, Ausstellungen junger Künstler*innen. Seit der Ausstellung von Amoako Boafo im Belvedere kann man auch wieder mal einen Schiele sehen – ohne gleich an Wiener Souvenirkitsch-Kaffeedosen zu denken.

Das aktionstheater hat den Nestroypreis bekommen, Sie wurden ebenfalls schon mehrfach ausgezeichnet. Wie wichtig sind (Ihnen) Auszeichnungen in der Kunst? Sind Sie eitel?

Ja, natürlich bin ich eitel. Gleichzeitig bemühe ich mich, mich dabei nicht allzu ernst zu nehmen. Unsere Stücke sind nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit dieser Eitelkeit. Auch sämtliche Ensemblemitglieder sind angehalten, ihre Eitelkeit schamlos auszuschlachten. Das ist die einzige Möglichkeit, aus dem eigenen Narzissmus einen Mehrwert zu ziehen. Die diversen Preise füttern die Eitelkeit natürlich auch. Ich muss aber gestehen, dass im institutionenverliebten Österreich die Anerkennung einer freien Compagnie schon sehr wohl tut.

"Wir haben versagt" von Martin Gruber und dem aktionstheater ensemble
© Stefan Hauer

Kunst ist die Möglichkeit, mittels eines Abzielens auf sämtliche Sinne, Zusammenhänge zuerst lustvoll zu zerlegen, um sie dann, je nach Gusto, in ein neues Licht zu setzen.

Ihr Ensemble ist seit 1989 eine freie Theatergruppe, die regelmäßig in Bregenz, Dornbirn und Wien gastiert. Gibt es kulturelle Unterschiede hinsichtlich Verortung? Wo spielen Sie am liebsten?

Nach der einen Spielserie hier freue ich mich auf die nächste dort, dann auf Gastspiele im Ausland. Ich konnte mich noch nie entscheiden, was ich am liebsten mag. Der Unterschied der einzelnen Zuschauer*innen ist größer als der zwischen den Bundesländern. Auch was den Humor betrifft. Es gibt kein homogenes Publikum.

Stichwort freie Theatergruppe – sehr viele gibt es nicht, die lange durchhalten, immerhin müssen freie Gruppen mit weitaus weniger Budget und Förderungen auskommen und in der Kultur fehlt leider sowieso oft das Geld. Wie und wo sollte aus politischer Sicht was getan werden und: Is the struggle real?

The struggle has been real for the last 36 years. Österreich hat durchaus eine lobenswerte Subventionskultur, früher haben das Mäzene übernommen, man war jedoch von deren Geschmack und Goodwill abhängig. Es liegt aber an der Verhältnismäßigkeit.

Das Gros der österreichischen Bevölkerung assoziiert Kunst und Kultur immer noch mit Sängerknaben, Staatsoper und Burgtheater. Als Folge davon wird ein ziemlich überzogener Teil der freigemachten Gelder für das Erwartbare und in erster Linie für restaurative Kunst eingesetzt. Auch von linken Parteien. Die Relevanz der zeitgenössischen Kunst wird zwar in diversen Sonntagsreden immer wieder betont, findet aber nicht wirklich seinen Niederschlag in der Realität. Das Zeitgemäße bekommt sein eigenes Plätzchen zugewiesen, da steht dann am Eingang des jeweiligen Kunsttempels: „Achtung Avantgarde“.

Im besten Fall liefert zeitgenössische Kunst Denk- und Fühl-Material für die ganze Zivilgesellschaft. Sollte die extreme Rechte dereinst die Agenden der Kunst übernehmen, werden wir wissen, was wir versäumt haben.

Ihre Stücke sind immer sehr schnell ausverkauft. Was kommt nach „Wir haben versagt“? Das ist hoffentlich kein Abschied, denn es klingt nicht so hoffnungsvoll …

Die Tatsache, dass wir als Zivilgesellschaft versagt haben, heißt ja nicht, dass wir nicht immer wieder von vorne anfangen dürfen. Ich habe mir für das nächste Stück den etwas kitschigen Titel „Ragazzi del Mondo. Nur eine Welt“ ausgesucht. Wir spielen also mit der banalen Erkenntnis, dass wir nur eine Welt haben. Dass wir uns aber blöderweise immer wieder in unsere eigenen kleinen Bubbles zurückziehen. Wie hoffnungsvoll dieses Unterfangen wird, wage ich jetzt noch nicht vorauszusagen. Was ich aber annehme, ist, dass zwischen den Worten die eine oder andere Hoffnung durchsickern wird.

Martin Gruber gründete 1989 das aktionstheater ensemble, das regelmäßig in Wien und Vorarlberg gastiert. Die Stücke der freien Theatergruppe verbinden Sprache, Körper und Musik, Choreografien, Erfahrungen, persönliche Recherchen und historische Ereignisse.

Das aktuelle Stück „Wir haben versagt“ von Theater-Regisseur Martin Gruber ist am 12. Jänner und vom 14. Jänner bis 19. Jänner im Wiener Theater am Werk zu sehen.

Aufgrund hoher Nachfrage besteht die Möglichkeit, an der Generalprobe am 11. Jänner um 19.30 Uhr teilzunehmen. Ab sofort können ermäßigte Karten um 15 Euro unter karten@aktionstheater.at bestellt werden.

Wir verlosen 2 x 2 Karten für das bereits ausverkaufte Stück „Wir haben versagt“ am 19. Jänner 2025 ab 19.30 Uhr im Wiener Theater am Werk – hier mitmachen!

aktionstheater ensemble 

Schlageranfall mit Michael Niavarani, Viktor Gernot, Jenny Frankl

Wenn man ein Pressegespräch besucht, bei dem Michael Niavarani mit dabei ist, dann ist eines gewiss: Spätestens nach ein paar Minuten wird schallend gelacht. So auch bei der Präsentation von „Schlageranfall“, einem Liederabend, bei dem der Name Programm ist: Der „Nia“ macht wieder einmal gemeinsame Sache mit seinem alten Spezl Viktor Gernot und hat auch die drei Damen aus dem Simpl-Ensemble, Katharina Dorian, Jenny Frankl und Ariana Schirasi-Fard, ins Boot geholt. Gemeinsam mit einer fünfköpfigen Band präsentieren sie ihre Lieblingsschlager von Peter Alexander bis Caterina Valente. Zu sehen ist das Ganze am 30. Dezember im ORF. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um mit den drei jüngeren Damen und den beiden älteren Herren nicht nur über Schlager zu sprechen, sondern auch über die Gründe für den Mangel an erfolgreichen Frauen auf der Kabarettbühne. Zwischen schallendem Gelächter und Ulkereien kamen dabei auch recht ernsthafte Argumente zutage.

funk tank: Ich frage für eine Freundin: Wie ordinär wird es, wenn Michael Niavarani mit dabei ist? Schlager ist ja doch eher eine saubere Angelegenheit.

(Allgemeines Gelächter in der Runde.)

Viktor Gernot: Die Lieder sind keimfrei. Dazwischen ist es leicht angepatzt, sagen wir es mal so.
Michael Niavarani: Ja, wobei es sich tatsächlich in Grenzen hält.
Jenny Frankl: Für deine Verhältnisse auf jeden Fall! Obwohl . . .
Niavarani: Was?
Frankl: Na, in der letzten Nummer sind wir ja alle fast nackt. Wo ihr nur das Handtuch anhabt.
Niavarani: Ja, es ist eigentlich fast pornografisch.
Gernot: Ich hab die Szene verdrängt, da haben wir ja wirklich fast nix an.
Niavarani: Da sind wir oben ohne – die Herren.
Frankl: Aber die haben größere Brüste als wir.

(Niavarani brüllt vor Lachen.)

Niavarani: Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie neidisch die drei Damen auf meine Brüste sind! Weil sie ja auch so behaart sind.

Zurück zum Schlager, bitte. Wenn man Schlager sagt, denken die einen an Peter Alexander und Caterina Valente und die anderen an Vanessa May. Liegen da Welten dazwischen oder doch nicht?

Gernot: Ich behaupte, dass früher die Leute, die Schlager produziert haben, von besonderer Güte waren. Da haben die besten Autor*innen halt drei alberne Verse gedichtet, aber das waren Leute, die sonst Theaterstücke oder Filmskripts geschrieben haben. Und die Leute, die das arrangiert haben, haben sonst Filmmusik gemacht. Und die Orchestermusiker*innen waren die besten, die man damals für Geld haben konnte. Und auch bei den Interpretinnen und Interpreten hast du kein Autotuning gebraucht oder irgendwelche Verschönerungsgeschichten im Tonstudio – das waren Profis, die jederzeit bei einer Theaterproduktion mitmachen hätten können. Hinter den kleinen, albernen Geschichten stand also großes Können, großes Kino. Das Ganze immer mit einem Augenzwinkern. Und wenn es um Liebesdinge oder Erotik gegangen ist, dann war das immer nur Andeutung, das Maximum war, dass ein Kuss als Kuss ausgesprochen wurde, sonst waren es Metaphern. Es gab viele, viele Rhythmen, es war ja auch ein Spiegel der Tanzmusik dieser Zeit, von Walzer über Latin bis hin zu allen Vier-Viertel-Takten, die es gibt. Und jetzt geht alles mit demselben nz-nz-nz-Beat durch, damit der Diskjockey nicht überlegen muss, wenn er die nächste Nummer auflegt. Also damals ein viel größerer Reichtum.

Und waren die Texte wirklich so seicht, wie es sich anhört, oder habt ihr dann doch auch Tiefen gehört? Wird der Schlager inhaltlich unterschätzt?

Niavarani: Es geht oft um nix. Was man dem Schlager vorwirft, ist, dass er sich nicht kritisch mit den Themen der Zeit auseinandersetzt. Aber was ist so schlecht daran? Vielleicht möchte man manchmal einfach nicht von aktuellen Problemen belästigt werden.
Gernot: Es gibt schon auch kritische Nummern: „Die süßesten Früchte“ erzählt von der Kluft zwischen Arm und Reich, „Zwei kleine Italiener“ von der Sehnsucht des Gastarbeiters nach der Heimat im unfreundlichen Deutschland.

Umgekehrt gibt es ja auch den Metoo-Schlager schlechthin: „Rote Lippen soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da“ – wer heute ein Lied veröffentlichen würde, in dem er eine Frau einfach küsst, weil sie ihm gefällt, würde wohl medial gesteinigt werden.

Niavarani: Er singt ja nicht, dass sie sich gewehrt hat – im Gegensatz zu „Delilah“, einem Lied über einen Femizid, in dem er auch noch sagt, dass sie schuld ist: „My, my my Delilah, why, why, why Delilah?“ Warum hast du mich so weit gebracht, dass ich dich abstechen musste? Das kann man wirklich nimmer singen.
Gernot: Und in der zweiten Strophe von „Rote Lippen“ sind sie verheiratet, es gibt also ein Happy End. Und was hätte die Geschichte erzählt, bei dieser unglaublichen Empörungsbereitschaft heute? Wenn sie ihn küsst, dann wäre das okay, dann würden viele sagen: Die starke junge Frau ergreift die Initiative, das ist cool. Beim Mann ist es ein Übergriff. Aber du kannst davon ausgehen: Wir Männer wollen immer.
Frankl: (Lacht laut.) Ja, das ist ja das Problem! Aber wir haben dahingehend schon die Lieder untersucht, wir stellen uns nicht unreflektiert auf die Bühne und thematisieren auch Worte, die man heute nicht mehr benutzt. Da gibt es zum Beispiel das Lied, dessen Titel wir nie ausgesprochen haben: „Da sprach der alte Häuptling der . . .“
Katharina Dorian: Außerdem muss man auch ganz ehrlich sagen: Es ist ja nicht so, als ob jeder heutige Popsong oder jedes andere Genre sich ausschließlich um tiefgründige, hochpolitische Themen drehen würde. Da geht es genauso um Liebesgeschichten, und das mit teilweise vier Worten.
Gernot: Und der Liedtext ist immer nur ein Teil des Ganzen, ein Lied ist ein Arrangement, eine Orchestrierung, eine Interpretation, und dann ist da noch die Erzählweise mit der Melodie. Ein Lebensgefühl oder die Qualität einer Nummer überträgt sich oft einfach nur über den geilen Song.
Niavarani: Wir finden es total in Ordnung, wenn die Menschen einfach zwei Stunden lang einfach Spaß haben und sich freuen, dass wir diese Lieder singen. Das ist schon sehr viel und sehr schwer zu schaffen.

Schlageranfall im ORF mit u. a. Niavarani, Gernot und Frankl
© ORF/Hoanzl/Nadine Studeny
Wer ist euer Zielpublikum?

Niavarani: Alle, die Karten kaufen.
Frankl: Bei unseren beiden Herren hier sind es die Damen 60 plus.
Gernot: (In Richtung Katharina Dorian, Jenny Frankl und Ariana Schirasi-Fard.) Und für alle anderen haben wir euch eingeladen.
Ariana Schirasi-Fard: Wobei wir zu meiner Überraschung bisher doch auch ein relativ junges Publikum dabei hatten.
Gernot: Auf jeden Fall sind viele mit uns mitgealtert, wir sind ja jetzt auch schon drei Jahrzehnte auf der Bühne.
Niavarani: Es gibt Menschen, die mich schon im Graumann-Theater gesehen haben. Und ich glaube, die sind so treu geblieben, weil sie sich denken: „Jetzt geh ich noch einmal hin, weil irgendwann müssen die doch was machen, was wirklich gut ist.“
Gernot: Inzwischen ist es wie bei den Rolling Stones: Es könnte das letzte Medley sein.

(Schallendes Lachen am Tisch.)

Auf der Bühne seid ihr drei Frauen und zwei Männer . . .

Schirasi-Fard: . . . und die ausschließlich männliche Band.
Niavarani: Und wir haben auch nicht nach Talent gesucht, sondern nach Geschlechtsteil.

Aber zumindest am Mikrofon gibt es keinen Männerüberhang. Und auch die Simpl-Revue ist weiblich gut besetzt. Aber generell fällt mir in der Szene nicht mehr als eine Handvoll Kabarettistinnen ein, die ein ähnliches Standing haben wie Michael Niavarani, Viktor Gernot und doch gut zwei Dutzend andere Männer. Woran liegt das?

Niavarani: Dass es weniger Frauen gibt, die so berühmt sind und Kabarett machen.
Frankl: Aber woran liegt das, das ist die Frage?
Gernot: Ich behaupte, dass Humor etwas ist, was Buben sehr früh als machtvolles Mittel erkennen, das viele ganz früh, schon im Kindergarten, bewusst einsetzen. Weil sie draufkommen, sich über sich selbst und andere lustig zu machen, die anderen zum Kudern zu bringen, ist die einzige Chance, wahrgenommen zu werden.
Frankl: Und den Frauen wird immer schon erklärt, wie sie zu sein haben: sehr brav, nicht zu laut lachen und schön sein. Und ich glaube, wir schleppen das bis heute mit, sodass eben Frauen nicht auf die Bühne gehen und ihre Wampe herzeigen (Seitenblick auf Niavarani.), weil sie von der Gesellschaft sehr lange gehört haben, dass das nicht gut ist. Wenn das ein Mann macht, ist das aber cool und lustig. Würden die Frauen genauso selbstbewusst hervortreten – aber dazu gehört eben dieses ganze Body-Mind-Set, das eben so lange mitgeschleppt wurde und vielleicht jetzt endlich aufgebrochen wird –, dann wäre das genauso lustig. Vielleicht liegt es auch daran, dass man sich als Frau nicht so vorzupreschen traut, wie die Männer das ja schon lange mitbekommen haben, dass sie das dürfen. Und man hat ja auch das Gegenüber: Das Publikum ist bei einem Mann ganz angetan, wenn er das macht, bei einer Frau hingegen vielleicht ein bissl irritiert: Warum versteckt sie sich nicht, wenn sie zu viele Kilos hat?
Schirasi-Fard: Überleg einmal, wenn wir uns irgendwelche Reels schicken: Unser Humor ist ein anderer, wir lachen über andere Dinge. Und ich glaube, dass die breite Masse gewohnt ist, über Männerthemen zu lachen und nicht über Frauenthemen. Weil sie oft gar nicht wissen, warum wir etwas lustig finden.
Dorian: Es war ja auch lange Etikette, dass Frauen bei Tisch über Witze von Männern lachen sollen, aber bitte bloß nicht versuchen sollen, selber welche zu machen.
Niavarani: Das war eine herrliche Zeit! (Allgemeines Gelächter, weil die Damen genau wissen, dass er es nicht so meint – oder?)
Dorian: Und wenn einem das so eingetrichtert wird . . . Das sind alles so Zahnrädchen, die ineinandergreifen.
Niavarani: (Jetzt wieder ernst.) Wenn man sich die großen Komikerinnen anschaut, dann erkennt man eindeutig, dass es zwischen einem männlichen und einem weiblichen Humor null Unterschied gibt. Es ist tatsächlich so: Entweder ist etwas lustig oder es ist nicht lustig. Das ist ein mathematisches Gesetz, und es ist scheißegal, ob das ein Mann oder eine Frau macht. So. Jetzt aber kommt es, wie Jenny sagt, auf die Rezeption durch das Publikum an. Und ich habe mir diese Frage immer schon gestellt, wenn ich am Broadway eine Carol Burnett oder eine Tina Fey gesehen habe, die unfassbar lustig sind . . .
Gernot: Aber die sind alle dünn.
Niavarani: Naja, eine Frau kann ihre Wampe nicht herzeigen, wenn sie keine hat. Jedenfalls hab ich mich immer gefragt: Warum ist das bei uns so schwierig? Warum gibt es bei uns so wenige erfolgreiche Komikerinnen? Und es liegt tatsächlich an der Rezeption. Die Komödie ist ja immer etwas Zerstörerisches, es ist immer lustig, wenn was schiefgeht, wenn was kaputtgeht, das ist eigentlich extrem negativ, wenn was passiert. Und es ist schon richtig, von den Frauen wurde immer verlangt, sie sollen die Familie zusammenhalten, was Gutes kochen, schön sein, dem Mann den Rücken freihalten und so weiter – diese ganze patriarchalische Struktur ist der Grund, weshalb es so wenige erfolgreiche Komikerinnen gibt. Nicht, weil Frauen nicht lustig wären. Es ist vollkommen egal, welches Geschlechtsteil man zwischen den Beinen hat, wenn man auf der Bühne lustig ist. Es muss auch oft nicht das eigene sein.

(Jenny Frankl zerkugelt sich vor Lachen.)

Schirasi-Fard: Aber wenn du dir die ganzen Rom-Coms anschaust, dann sollen Frauen in erster Linie die Schöne sein, die angebetet wird. Oder aber ein lustiger Sidekick, und das sind dann nicht die Schönen. Weil die sollen ja bitte nicht ablenken von der Schönen.

Und lustig auf eigene Kosten. Gerne auch als Blondinen-Witz.

Frankl: (Schaut kurz irritiert.)
Niavarani: Die Jenny versteht’s net, die is blond.

(Allgemeines Gelächter.)

Schlageranfall im ORF mit u. a. Niavarani, Gernot und Frankl
© ORF/Hoanzl/Nadine Studeny

Diese ganze patriarchalische Struktur ist der Grund, weshalb es so wenige erfolgreiche Komikerinnen gibt. Nicht, weil Frauen nicht lustig wären. Es ist vollkommen egal, welches Geschlechtsteil man zwischen den Beinen hat, wenn man auf der Bühne lustig ist. Es muss auch oft nicht das eigene sein.

Aber im Ernst, wie stehst du als blonde Frau zu Blondinen-Witzen?

Frankl: Finde ich super. Man darf einfach niemanden ausschließen. Wenn man Witze macht, gehören alle inkludiert. Man darf über alle Witze machen, man muss es einfach charmant und gut verpacken. Und der klassische Blondinen-Witz, nun ja . . .

. . . unterscheidet sich im Grunde nicht vom Burgenländer-Witz, Ostfriesen-Witz, . . .

Frankl: Ja, scheißegal. Ich lach meistens über Blondinen-Witze, weil sie als Witze an sich lustig sind. Da kannst du ja einfügen, was du willst.

Das hat Otto Waalkes in „7 Zwerge“ mit den Schwarzhaarigen-Witzen vorgemacht.

Frankl: Genau. Hauptsache, der Witz selbst ist gut.

TV-Tipp: Am Montag, 30. Dezember 2024, werden zur Primetime um 20:15 Uhr in ORF 1 zahlreiche Schlager aus den Fünfzigern und Sechzigern gesungen – und kommentiert. Die Kabarett-Urgesteine Michael Niavarani und Viktor Gernot gestalten den 90-minütigen Abend gemeinsam mit Katharina Dorian, Jenny Frankl und Ariana Schirasi-Fard sowie der Band „Best Friends“.

Aufgezeichnet wurde der „Schlageranfall“ in Niavaranis Globe Wien, mit dem er heuer ein rundes Jubiläum gefeiert hat: Michael Niavarani ist seit zehn Jahren Hausherr in seinem Theater in St. Marx – zusätzlich zum ebenfalls von ihm gegründeten Theater im Park, das heuer seine bereits fünfte Saison hatte, und zum Kabarett Simpl, das er seit 2019 besitzt. Im Simpl ist er groß geworden, seinen ersten Auftritt dort hatte der 1968 geborene Schauspieler im Jahr 1989. Bereits 1993 wurde er zum ersten Mal künstlerischer Leiter, damals noch unter Hausherr Albert Schmidleitner. Die aktuelle Simpl-Revue „Paradies dringend gesucht“ hat er gemeinsam mit Jenny Frankl geschrieben, die ebenso wie Katharina Dorian und Ariana Schirasi-Fard zum aktuellen Simpl-Ensemble gehört.

Michael Niavarani / Viktor Gernot / Jennifer Frankl / Katharina Dorian / Ariana Schirasi-Fard

Von Flohmärkten zu Sotheby’s: Kunsthandel Pichler in Wien

Der Familienladen in zweiter Generation ist ein Sammelsurium handverlesener, kuratierter Stücke, die allesamt und einzeln für sich eine Geschichte erzählen. Inmitten sitzt Verena Barth, die das Familiengeschäft 2023 von ihrer Mutter übernommen hat. „Der Kunsthandel Pichler ist mehr als ein Geschäft – er ist eine Ode an die Schönheit vergangener Zeiten, verknüpft mit einem modernen Sinn für Stil und Nachhaltigkeit.“ So beginnt unser Gespräch, in dem die geschäftstüchtige Vintage-Expertin mir einen Einblick in die Welt der Antiquitäten, die besondere Dynamik zwischen Mutter und Tochter und die Freude am Sammeln und Restaurieren gibt.

funk tank: Wie hat alles begonnen und welche Entwicklung hat das Geschäft seitdem durchlaufen?

Verena Barth: Die Gründung geht auf meine Mutter Eva zurück, die 1992 nach ihrer Zeit als Stewardess ihren Traum verwirklichte und in den ehemaligen Räumlichkeiten einer Wäscherei unseren Kunsthandel hier in der Marokkanergasse eröffnete. Ihre Vision war es, ihre Leidenschaft für Kunst zum Beruf zu machen. Was als reines Möbel- und Interieurgeschäft begann, entwickelte sich durch ihr persönliches Interesse weiter und schloss schließlich auch Echtschmuck sowie Modeschmuck aus den Bereichen Vintage und Antiquitäten mit ein.

Wie haben sich die Vorlieben und Ansprüche der Kund*innen im Laufe der Zeit verändert?

Anfangs standen vor allem Möbel im Fokus. Es gab sogar einen eigenen Restaurator und Tapezierer. Heute kann man beobachten, dass andere Stilrichtungen gefragt sind als damals. Zum Beispiel verkaufte meine Mutter viele Biedermeiermöbel, die wir heutzutage kaum noch im Geschäft anbieten. Früher war es auch üblich, dass die Kund*innen ihre Möbel restaurieren oder neu tapezieren ließen. Heute sind viele nicht mehr bereit, in eine aufwändige Restauration zu investieren und stellen ihre Möbel nicht mehr „auf Hochglanz“ in die Wohnung.

Was hat es mit der Entwicklung des Schmuckangebots auf sich?

Im Laufe der Zeit nahm der Schmuck immer mehr Raum im Sortiment ein und ist mittlerweile fast der größte Bestandteil unseres Angebots. Neben Modeschmuck haben wir auch den Bereich Echtschmuck erweitert. Bevor ich 2016 für fünf Jahre ins Ausland ging, arbeitete ich bereits bei meiner Mutter und machte eine Ausbildung zur Gemmologin. In dieser Zeit vertiefte ich mein Wissen über signierten Vintage-Modeschmuck, ein absolutes Lieblingsthema von mir. Während meines Aufenthalts in der Schweiz konnte ich mit antikem und Vintage-Echtschmuck arbeiten und mein Wissen über Diamanten erweitern. Diese Erfahrungen bringe ich jetzt in das Geschäft ein.

Kunsthandel Pichler
© Kunsthandel Pichler
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Mutter und Tochter in einem so kreativen Umfeld?

Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mutter, was die beste Grundlage für eine Zusammenarbeit ist. Wir haben uns schon immer gut verstanden, auch wenn wir gelegentlich unterschiedlicher Meinung sind. Besonders wichtig war, dass Eva bei der Geschäftsübergabe 2023 offen für Neues war, wie Social Media und den Onlineshop. Natürlich fiel es ihr nach drei Jahrzehnten nicht immer leicht, loszulassen. Ein Beispiel ist das Umstellen des Schreibtisches, der immer an derselben Stelle stand und nach etwa 30 Anläufen schließlich umgestellt wurde. Ich konnte das gut nachvollziehen, und letztendlich haben wir es geschafft.

Nach welchen Kriterien wählt ihr die Stücke für euer Sortiment aus?

Bei uns gibt es keine bestimmte Stilrichtung oder Epoche, die wir bevorzugt verkaufen. Wir wählen Stücke aus, die uns gefallen und die wir uns selbst in unser Zuhause stellen oder tragen würden. Oft geben wir uns gegenseitig Tipps, was dem anderen gefallen könnte. Zudem gehen wir auch auf spezielle Kund*innenanfragen nach bestimmten Schmuckstücken, Interieur oder Accessoires ein.

Woher bezieht ihr eure Sachen?

Der Großteil unserer Dinge stammt aus Wohnungsauflösungen oder von Kund*innen, die uns ihre Stücke direkt anbieten. Diese Angebote erfolgen meist per E-Mail, WhatsApp oder Telefon. Bei größeren Auflösungen kommen wir auch persönlich vorbei. Zudem besuchen wir regelmäßig Flohmärkte im In- und Ausland. Nahezu jede Reise ist mit einem Flohmarktbesuch verbunden. Das sorgt dafür, dass unser Sortiment bunt und abwechslungsreich bleibt.

Wie wichtig sind euch die Restaurierung und Pflege der Stücke, die ihr verkauft?

Jedes neue Stück wird gründlich gereinigt, gepflegt, kontrolliert und bestimmt. Verschiedene Materialien erfordern unterschiedliche Pflege. Bei Reparaturen haben wir nicht nur umfangreiches Wissen und ein großes Netzwerk an Partner*innen, sondern auch die ganze Familie hilft immer wieder mit.

Wie lässt sich die Geschichte bzw. Herkunft eines Stückes eruieren?

Der Stil, das Material und das äußere Erscheinungsbild spielen dabei eine entscheidende Rolle. Besonders hilfreich sind Punzierungen, Marken oder Stempel, die sich vor allem im Schmuckbereich oder bei Edelmetallen finden. Diese erlauben es, Herkunft und Alter des Stücks genau zu bestimmen. Hierfür haben wir eine umfassende Bibliothek zur Hand.

Eva Pichler und Verena Barth vom Kunsthandel Pichler
Eva Pichler und Verena Barth © Kunsthandel Pichler

Meine Mutter hat mir gezeigt, dass Kunsthandel mehr als ein Beruf ist – es ist eine Lebensphilosophie.

Oft entwickelt man eine emotionale Verbindung zu den einzelnen Stücken. Wie trefft ihr die Entscheidung, ob ein Objekt verkauft wird oder ob es in euer privates Sortiment fließt?

Da wir begeisterte Sammlerinnen sind, müssen wir uns manchmal zurückhalten, um nicht alles selbst zu behalten. Oft lege ich mir ein Stück für ein bis zwei Tage zur Seite und schlafe darüber, um zu entscheiden, ob ich es wirklich brauche. Wenn es dann doch in den Verkauf geht, freue ich mich, wenn es jemandem gefällt, der es zu schätzen weiß. Wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass es ein Geschäft ist und die Stücke verkauft werden sollen – sonst ist man am Ende seine eigene beste Kundin!

Was war das aufregendste Stück, das ihr jemals verkauft oder erworben habt?

Ein besonders aufregendes Stück, an das wir uns erinnern, ist ein Panther aus Bronze, den meine Mutter vor vielen Jahren auf einem Flohmarkt entdeckte. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein dekoratives Objekt, aber sie spürte, dass mehr dahintersteckte. Erst zu Hause, beim genaueren Betrachten, fiel ihr die feine Punzierung auf, die den Panther als Werk eines namhaften Künstlers auswies. Die Überraschung und Freude waren groß, und nach weiterer Recherche entschieden wir, das Stück bei Sotheby’s in London versteigern zu lassen. Es war ein unvergesslicher Moment, der uns zeigte, dass wahre Schätze manchmal im Verborgenen liegen.

Welche Trends im Bereich Vintage und Antiquitäten beobachtet ihr?

Die Objekte haben bereits viele Jahre überdauert, befinden sich oft in ausgezeichnetem Zustand und sind – abgesehen vom Nichtkonsum – die beste Alternative. Früher wurde vieles in höherer Qualität gefertigt, und es war üblich, sorgfältig auf die Dinge zu achten. Diese hochwertige Herstellung wirkt sich positiv auf die Langlebigkeit der heutigen Vintage- und Antiquitätenstücke aus und ist ein Gewinn für Käufer*innen. Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass diese Stücke bereits existieren und nicht neu produziert werden müssen, was nachhaltig ist. Zudem kehren viele Trends immer wieder, sodass man im Vintage- und Antiquitätenbereich oft moderne Akzente findet.

Wie kann ich als Laie erkennen, ob es sich um ein „gutes“ Secondhand-Stück handelt?

Besonders wichtig ist die Verarbeitung und die Materialien. Hochwertige Materialien wie echtes Leder oder Massivholz deuten auf Qualität hin. Auch kleine Details wie saubere Nähte oder solide Verschlüsse sprechen für Langlebigkeit. Im Schmuckbereich sollte man auf Stempel oder Punzierungen achten, die Aufschluss über das Material und die Herkunft geben. Die Patina eines Stücks erzählt ebenfalls eine Geschichte – sie zeigt, dass das Objekt gelebt hat und die Zeit gut überdauert hat.

Hochwertige Verarbeitung und kleine Details verraten oft mehr über die Geschichte eines Objekts, als man denkt.

Was sind häufige Fehler, die Käufer*innen beim Einkauf von Secondhand-Objekten machen?

Ein häufiger Fehler ist es, sich zu sehr auf Perfektion zu versteifen. Kleine Gebrauchsspuren sind normal und verleihen einem Stück Charakter. Es ist wichtig, nicht nur auf den Preis zu achten und dabei die Qualität zu übersehen. Viele Käufer*innen neigen dazu, Dinge zu kaufen, die sie letztlich nicht nutzen werden. Frage dich, ob das Stück zu deinem Stil passt und im Alltag verwendet wird. Ein bewusster Kauf sorgt dafür, dass du lange Freude an deinem Vintage-Stück hast.

Was sind eure Pläne für die Zukunft des Geschäfts?

Seit meiner Übernahme konnte ich bereits viele Meilensteine erreichen. Dazu gehören der Aufbau eines Onlineshops und verschiedene Kooperationen, wie das Kunstprojekt Wand.Solo, das ich gemeinsam mit der Kuratorin Barbara Steininger leite. Wir haben dieses Jahr auch einige Events mit Kooperationspartner*innen veranstaltet. Ein weiterer Schwerpunkt war die Weiterentwicklung unserer Social-Media-Kanäle, um das Geschäft und die Produkte vorzustellen. Ich zeige auch gerne, wie ich Vintage- und Antikstücke in meinen Alltag integriere – sei es durch Outfit-Ideen oder Einrichtungstipps. In Zukunft möchte ich meiner Community noch mehr Input geben, wie sie Vintage-Stücke in ihr Leben einbauen können, und mehr Hintergrundwissen vermitteln. Weitere Kollaborationen und Events, insbesondere mit Frauen, stehen ebenfalls auf dem Plan. Ein spannendes Projekt mit meinem Mann, das meine Leidenschaft für besondere Stücke mit einer kreativen Einrichtung in einem neuen Kontext außerhalb Österreichs am Meer verbindet, ist ebenfalls in Arbeit. Mehr Details dazu werden bald verraten, aber es wird einen besonderen Touch vom Kunsthandel Pichler haben.

Kunsthandel Pichler
© Kunsthandel Pichler

Verena Barth vom Kunsthandel Pichler ist ausgebildete Gemmologin und verfügt über umfassendes Fachwissen zu Edel- und Schmucksteinen. In der Schweiz sammelte sie wertvolle Erfahrungen, indem sie für einen Antiquitätenhändler mit Schwerpunkt auf antiken Schmuck tätig war. Seit 32 Jahren ist der Familienbetrieb Kunsthandel Pichler im 3. Bezirk in Wien ein beliebter Treffpunkt für Vintage- und Antiquitätenliebhaber*innen, die nach einzigartigen Stücken aus vergangenen Zeiten suchen. Mit einem Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und der Wertschätzung des Wiederverwendens bietet das Geschäft eine charmante Alternative zum Massenkonsum.

Kunsthandel Pichler

Christina Stürmer: Eine Burg, die nichts erschüttert

Gerade hat Christina Stürmer einen Teil ihrer MTV Unplugged Tour hinter sich, im kommenden Sommer spielt die 42-Jährige mit ihrer Band in Österreich und Deutschland weitere Konzerte. Der Fokus der zweifachen Mama hat sich in den vergangenen Jahren verschoben, denn für sie bedeutet Familie alles. Wie sie ihre Musikkarriere mit dem Mama-Sein vereint und wer die Sängerin dabei unterstützt, hat sie uns im Interview via Videocall während der Tour erzählt:

funk tank: Guten Morgen, liebe Christina, danke, dass du dir Zeit nimmst für unser Interview, du bist ja gerade auf Tour und sicher noch müde vom gestrigen Auftritt …

Christina Stürmer: Guten Morgen, wir kommen gerade vom Frühstück und langsam wieder in die Gänge. Früher haben wir immer bis 1 Uhr mittags geschlafen, mittlerweile ist das nicht mehr so, da merkt man, dass wir in die Jahre gekommen sind (lacht). Normalerweise stehe ich zu Hause um 06:30 Uhr auf, weil meine große Tochter schon in die Schule geht und die Vorbereitungen mit Jause usw. dauern. Jetzt auf Tour hat sich das verschoben, es wird abends später, dafür habe ich den Luxus, dass der Wecker erst um 10 Uhr läutet. Sobald die Tour zu Ende ist, bin ich dann wieder in der anderen Welt. Ich mache jetzt schon Playdates für meine Töchter aus …

Deine beiden Töchter sind 8 und 3,5 Jahre alt. Wie sieht so ein Tourleben aktuell aus? Sind die Kids dabei?

Früher war die Große mit auf Tour, heuer ist Oliver (Oliver Varga, Partner und Bandmitglied, Anm. d. R.) zum ersten Mal überhaupt in all den 22 Jahren nicht mit uns mit und passt auf unsere Kinder auf. Gerade spüre ich, dass diese Tour allen gut tut, nicht nur mir, sondern auch Oliver und den Kindern, das schweißt sie noch mehr zusammen, wenn die Mama mal nicht da ist.

Ich habe es sehr genossen, dass mein Partner bisher immer an meiner Seite war auf Tour, er spielt ja von Beginn an Gitarre in der Band. Bei den heurigen Unplugged Konzerten haben wir es so gelegt, dass es nicht so viele Konzerte am Stück sind und wenn wir getrennt sind, telefoniere ich sehr oft und lange mit meinen Töchtern. Wir hören und sehen uns dank Videotelefonie täglich, es ist okay für sie, aber sie machen sich einen Kalender zu Hause, wo sie Tag für Tag abschneiden, bis ich wiederkomme. Die Tour ist immer überschaubar und ich stimme das mit dem Familienleben ab. Ich hätte so gerne, dass beide einmal mitkommen, bisher hat das aber von den Locations her nicht so gepasst oder wegen der Schule der Großen.

Kommendes Jahr gibt es ein paar Termine, wo es klappen könnte, z. B. in Finkenstein in Kärnten. Da kommen dann sicher auch Oma und Opa mit. Bei uns hält die gesamte Familie zusammen, da unterstützen auch die Großeltern, um Oliver zu entlasten, während ich weg bin.

War es für dich schwierig, deine Arbeit und die Anfänge vom Mama-Sein unter einen Hut zu bringen? Ich meine nicht nur organisatorisch, sondern auch psychisch. Man muss als Frau doch irgendwie alles sein, liebevolle Mama, erfolgreiche Businessfrau, ausgeglichene Partnerin …

Definitiv. Der Vorteil bei mir ist, dass Oliver von Anfang an in der Band gespielt hat und weiß, was auf Tour abgeht, wie eine Albumproduktion abläuft und generell das Business rennt. Manchmal habe ich echt viel zu tun, manchmal bin ich dann aber auch voll und ganz zu Hause.

Eine Schwangerschaft und das Mama-Sein laufen bei jeder Frau anders ab. Ich war zwar nahe am Wasser gebaut und oft gerührt und habe nach wie vor sehr viel Respekt davor, was der weibliche Körper alles kann. Aber ich hatte das große Glück, dass sowohl meine Schwangerschaften als auch die Geburten gut verlaufen sind, auch danach war das Überforderungsgefühl nie da. Sicher auch dank meiner Hebamme, die mich vor, während und nach der Geburt unterstützt hat. Das kann ich jeder Frau nur empfehlen. Und ich habe eine gute Veranlagung, das spielt sicher auch eine Rolle.

Bei meiner ersten Tochter Marina war ich auf Tour, als sie ein dreiviertel Jahr alt war, rückblickend denke ich mir: Wow, krass, wie ich das gemacht habe. Da ziehe ich den Hut vor mir selber. Das Schöne war damals, dass Oliver dabei war, Mama und Papa waren also beim Kind und meine Schwester war als Nanny mit, wenn wir Soundcheck hatten oder das Konzert. Bei der zweiten Tour waren dann Oma und Opa mit und haben aufgepasst. Es ist so toll, dass wir das bisher immer so geschafft haben. Wir haben eine gute Beziehung zu unseren Eltern und Schwiegereltern. Ich habe es selbst als Kind geliebt, mit meinen Großeltern zusammen zu sein, Oliver ebenso, da hat man als Kind ja andere Regeln und Möglichkeiten und darf viel mehr. Und so führen wir das jetzt weiter.

Das klingt idyllisch und schön.

Im Nachhinein denke ich schon an die Zeit, als ich Marina gestillt habe während der Tour. Das Stillen raubt ja viel Kraft und ich musste vor den Konzerten timen, wann ich stille und abpumpe, das war heftig, sie war da ja noch ganz klein.

Mental war da sicher die größte Herausforderung die Öffentlichkeit. Damit hatte ich zu kämpfen. Die Leute haben mich via Social Media als Rabenmutter beschimpft. Und wenn sie beim Papa war, haben die Menschen geschrieben, dass das Kind zur Mutter muss.

Oft bashen ja Frauen andere Frauen …

Ja, es waren eigentlich nur Frauen. Auch da hat mir die Hebamme sehr geholfen. Und die Familie, die mir immer das Gefühl gab, dass alles gut ist. Sowie Marinas gutes Befinden. Sie hatte ja das beste Leben. Sie war immer bei uns und musste im Gegensatz zu anderen Kindern nicht zur Tagesmutter, während die Eltern arbeiten. Ich habe bei der Kleinen gemerkt, dass sie entspannt war, wenn wir entspannt waren. Sie liebt es bis heute, unterwegs zu sein. Es gibt so viele schöne Fotos, wo sie aus dem Bus schaut und die Städte und Landschaft sieht. Das wirkt bis heute.

Es gibt genug weibliche Talente. Es muss die Leistung passen, nicht jede Position muss von einer Frau besetzt werden, aber fähige Frauen gehören gefördert.

Wie finden deine Töchter deine Musik? Versucht ihr als musikalische Eltern, euer Interesse und Talent auch bei ihnen zu fördern?

Wir hören viel Musik zu Hause. Sie sind sehr musikalisch, haben ein Taktgefühl und treffen die richtigen Töne beim Singen, das bewundern wir als Eltern immer wieder. Beide haben noch kein Instrument gelernt, aber natürlich die Möglichkeit, bei uns Instrumente auszuprobieren. Ich bin der Meinung, dass das von selbst kommen und Spaß machen muss, wir zwingen ihnen da nichts auf. Sie lieben es einfach zu tanzen und zu singen und haben ein gutes Rhythmusgefühl, das ist eh schon die halbe Miete.

Die beiden hören gerne Christina Stürmer, die Große war auch schon bei Konzerten. Besonders angetan hat es ihnen die „Wintasun“ mit Wolfgang Ambros. Da sitzen diese zwei jungen Mädchen oft da und singen und feiern Wolfgang Ambros, das finde ich so cool. Jetzt wo die Aufnahmen zu den Unplugged Konzerten vorbei sind, hören wir privat meistens anderes.

Was hörst du privat?

Ich höre sehr gerne X Ambassadors. Marina hat eine Zeit lang Harry Styles gemocht, das finde ich auch spitze. Deine Freunde höre ich nach MTV Unplugged auch ohne Kinder im Auto, es zeigt so schön, wie wir als Eltern Dinge tun, die schon unsere Eltern bei uns getan haben. Z. B. das doofe Zählen, das erstaunlicherweise funktioniert (lacht). Gregory Alan Isakov feiere ich so richtig ab, das habe ich auch bei beiden Geburten gehört, das beruhigt mich. Und ansonsten Mac Miller, der ist leider schon gestorben, sein letztes Album „Circle“ liebe ich.

Ich glaube, dass alles so stabil in mir ist, weil ich meine Kinder habe, die mir so viel Kraft geben und ich dadurch nie das Gefühl habe, abzuheben.

Du bist die erste deutschsprachige Musikerin, die zum MTV Unplugged Format eingeladen wurde. Ein Hinweis darauf, wie ungerecht verteilt es zugeht in der Musikbranche. Musstest du mehr abliefern, weil du eine Frau bist?

Ich hatte nie das Gefühl, dass ich extra abliefern muss in unserer Gruppe, weil ich zwar lange die einzige Frau war, aber eben auch die Chefin. Jetzt auf Tour ist unsere Pianistin Maria mit, das bereichert die Band und bringt eine neue Energie mit.

In der Branche ernte ich viel Respekt, das liegt daran, dass ich das seit 22 Jahren mache.

Generell sitzen schon viele Männer am Hebel im Musikbusiness, das finde ich schwierig. Aber auch hier gibt es Veränderungen, Wanda z. B. haben eine Managerin und bei mir macht das jetzt Barbara Stilke. Auf Tour war es mir wichtig, dass die Vorbands größtenteils weiblich sind und ich so meinen Beitrag dazu leiste. Es gibt genug weibliche Talente. Es muss die Leistung passen, nicht jede Position muss von einer Frau besetzt werden, aber fähige Frauen gehören gefördert. Ich bemerke, dass es noch nicht so üblich ist, dass Frauen andere Frauen unterstützen, es wird besser, aber da gibt es sicher noch Nachholbedarf.

Wir sind geschlechtertechnisch noch lange nicht bei der Gleichberechtigung angelangt. Wie vermittelst du deinen Kindern die Notwendigkeit dieser?

Was meine Kinder betrifft, wollen wir ihnen mitgeben, dass alle gleich sind, unabhängig vom Geschlecht, von der Herkunft oder vom Aussehen her. Das fruchtet auch. Ich lese viel mit meinen Töchtern – es gibt immer mehr Bücher über starke Mädchen und Frauen, Emotionen, Mut, wichtige Werte.

Deine Songs behandeln manchmal traurige Themen. Wie erklärst du deinen Töchtern deine Texte?

Die kleine Lotta bekommt das noch nicht mit, aber Marina mit 8 schon, die weint immer wieder bei meinen Liedern, z. B. bei „Mama“. Wichtig ist, dass man den Kindern das Gefühl von Sicherheit gibt, mit ihnen darüber spricht und auch vermittelt, dass sie bei uns so sein können, wie sie sind. Es ist gut, die Schleusen zu öffnen. Manchmal weiß man gar nicht, warum man weint, das habe ich oft. Aber mir geht es danach immer besser, es ist eine Art von Reinweinen …

Du warst sehr jung schon sehr erfolgreich und wirkst nach wie vor so angenehm bodenständig und gefestigt — wie machst du das?

Das ist schwierig zu sagen, ich überlege ja nicht, warum ich wie bin. Es hat sicher auch was mit der Familie zu tun. Seit der Geburt meiner Kinder hat sich was verschoben, weil sich der Fokus geändert hat, ich bin immer mit einem Fuß zu Hause. Es kann sein, dass das Interview von uns jetzt zu Ende ist und mich meine Tochter gleich danach anruft und fragt, wo ihre Clip-Ohrringe sind (lacht).

Ich glaube, dass alles so stabil in mir ist, weil ich meine Kinder habe, die mir so viel Kraft geben und ich dadurch nie das Gefühl habe, abzuheben. Ich mache wahnsinnig gerne Musik und weiß es zu schätzen, aber das Größte sind meine Töchter.

Ich mache regelmäßig Shiatsu und meditiere, um den Körper richtig zu spüren und zu merken, was einem guttut und was nicht. Ich fühle mich seit den Kindern wie eine Burg, die nichts und niemand erschüttern kann. Weil mein Körper das alles leisten konnte und leistet als Mama. Ich bin davon überzeugt, dass wir das gut machen als Eltern und als Paar. Das macht mich innerlich so stark.

Christina Stürmer
© Ingo Pertramer

Christina Stürmer zählt zu den erfolgreichsten Musikerinnen in Österreich. Die 42-Jährige startete ihre Karriere bei der TV-Show Starmania (2003), mit den nachfolgenden Veröffentlichungen im deutschsprachigen Raum hat sie über 1,9 Millionen Tonträger verkauft. Kommendes Jahr geht Christina Stürmer mit ihrer Band weiter auf MTV Unplugged Tour in Deutschland und Österreich:

26.06.2025 – Erlangen – E-Werk
27.06.2025 – Dresden – Weisser Hirsch
28.06.2025 – Dachau – Musiksommer
29.06.2025 – Graz – Kasematten
04.07.2025 – Wien – Arena Open Air
17.07.2025 – Deggendorf – Donaufest 2025
19.07.2025 – Tuttlingen – Ruine Honberg
20.07.2025 – Finkenstein – Burgarena
25.07.2025 – Linz – Domplatz
01.08.2025 – Immenstadt – Immenstädter Sommer

Christina Stürmer

Das Interview ist mit freundlicher Zusammenarbeit mit !ticket Eventmagazin entstanden.