Gerd Hermann Ortler und das Orchester der Südtirol Filarmonica

In diesem Werk geht es um das Kind in uns, das seiner Bestimmung folgt und die Entfaltung in Musik sucht – wie ein Zugvogel, der sich unerschrocken südwärts macht.

Einmal im Jahr kehren Südtiroler Musiker*innen, die sonst bei Orchestern wie den Wiener oder Berliner Philharmonikern spielen, zurück in ihre Heimat – und formieren sich zum Orchester der Südtirol Filarmonica.

Heuer gastieren die Künstler*innen am 13. Oktober im Wiener Konzerthaus. Unter dem Titel „Gustav Mahler und Gerd Hermann Ortler treffen sich im Konzerthaus“ begegnen sich an diesem Abend zwei Werke, die exemplarisch für die künstlerische wie biografische Verbundenheit zwischen Südtirol und Wien stehen. Gespielt werden Gustav Mahlers Adagio aus der 10. Symphonie (in Toblach entstanden!), die „Fuga Ricercata“ von Bach in der Bearbeitung von Anton Webern – und als Highlight die österreichische Erstaufführung des neuen Werks „Expedition to Paradise“ von Gerd Hermann Ortler, komponiert für Klarinette, Trompete und Orchester.

Wir haben vorab mit dem Komponisten und Musiker über seine Wurzeln, Einfälle sowie Genie und Wahnsinn in der Kunst gesprochen …

funk tank: Sie sind in Südtirol geboren und wohnen in Wien. Wie unterscheidet sich die Lebensart der beiden Orte und wo und wie empfinden Sie Heimat?

Gerd Hermann Ortler: Südtirol ist ländlich geprägt, besonders der obere Vinschgau, wo ich aufgewachsen bin: atemberaubende Landschaft, Ruhe, Genuss sowie meine Eltern und Brüder in Glurns, einem mittelalterlichen 900-Einwohner-Städtchen.

Wien dagegen ist urban, dynamisch, ein Zentrum der Kunst. Hier findet man renommierte Museen und Konzerthäuser, inspirierende Künstler*innen und Musiker*innen – auch aus der Vergangenheit: Es ist ein Ort, wo Beethoven gewohnt hat, Schubert herumspaziert ist, Mozart gezecht und Brahms ein Würstel gegessen hat. Die eklektische Vielfalt Wiens, die historischen Vorbilder und die zeitgenössischen Künstlerkollegen und Kolleginnen motivieren mich weiterzuwachsen, denn diese Mischung aus Tradition und Offenheit inspiriert mich enorm und gibt mir Raum für künstlerische Entfaltung.

Ich brauche Südtirol und Wien, den Kontrast, den Wechsel, neue Perspektiven, frische Eindrücke, um dadurch ein dreidimensionales Bild der Welt für meine Kreativität zu bekommen. Heimat? Sie ist, wo meine Musik ist. In Klang, nicht in Koordinaten.

Ihre neue Komposition „Expedition to Paradise“ feiert im Wiener Konzerthaus österreichische Premiere. Was war Ihre Inspiration dafür?

Die Initialzündung für dieses Doppelkonzert für Klarinette, Trompete und Orchester kam von Bertold Stecher. Er stammt ebenfalls aus Südtirol und ist Berliner Philharmoniker. Er hatte die Idee, dass ich ein Werk für ihn und Andrea Götsch als Solist*innen komponieren sollte. Auch Andrea ist Südtirolerin und spielt bei den Wiener Philharmonikern.

Ich habe mich gefragt: Was verbindet uns? Die Reise. Vom ersten Tag als Kind mit dem Instrument in der Hand bis zur großen Bühne. Das habe ich „Expedition to Paradise“ genannt. Aber kein Paradies mit Palmen oder pausbackigen Engeln, sondern ein Ort, den wir selbst bauen: eine Welt, in der Musik die Menschen über Grenzen hinweg verbindet und gemeinsame Erlebnisse schafft. Die Solist*innen bringen nicht nur den brillanten Klang ihrer Instrumente ein, sondern ganze Universen: Wiener Glanz, Berliner Dynamik, Südtiroler Bodenhaftung. Dabei webe ich jodelnde Walzer-Techno-Beats in die Komposition ein – wie ein Ruf aus den Bergen, der sich im Wiener Dreivierteltakt dreht und dann von Techno-Druck aufgeladen wird. Dazu lasse ich den facettenreichen Sound des Jazz sowie frische Farben der Neuen Musik einfließen und verschmelze sie zu meiner ureigenen Klangwelt.

In diesem Werk geht es um das Kind in uns, das seiner Bestimmung folgt und die Entfaltung in Musik sucht – wie ein Zugvogel, der sich unerschrocken südwärts macht.

Gerd Hermann Ortler, Andrea Götsch, Michael Pichler, Bertold Stecher (von vorne nach hinten)
Gerd Hermann Ortler, Andrea Götsch, Michael Pichler, Bertold Stecher (von vorne nach hinten) © Lukas Lorenz
Sie haben das Stück speziell für die Südtirol Filarmonica komponiert. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit diesem Ensemble?

Die Südtirol Filarmonica ist eine Initiative von unschätzbarem Wert: Sie bringt Südtiroler Musiker*innen, die in renommierten Orchestern weltweit spielen, einmal im Jahr zusammen. Es ist ein kulturelles Fenster: Südtiroler Perspektiven aus dem Ausland fließen zurück in die Region und umgekehrt tragen wir die Essenz Südtirols als Botschafter*innen in die Welt hinaus. Die Zusammenarbeit mit diesem Orchester ist sehr erfreulich, denn wir teilen die Überzeugung, dass künstlerischer Austausch sehr wichtig ist. Wir sind am stärksten, wenn wir unsere Augen, Ohren und Herzen öffnen, das Schöne und Beeindruckende auch außerhalb unserer Grenzen wahrnehmen, davon lernen und unsere Entwicklung damit bereichern.

Gustav Mahler gilt als visionärer Komponist, irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn. Sehen Sie Parallelen zwischen seiner kreativen Kühnheit und Ihrem eigenen Schaffen?

Ich würde mich nie direkt mit Mahler auf eine Stufe stellen – das wäre anmaßend. Seine Musik inspiriert mich und bewegt mich tief. Aber es gibt wahrscheinlich einige Parallelen: Das Ringen, sein Innerstes in Töne zu pressen, eine ganze Welt in ein Klangbild fassen zu wollen, das innere Kind herauszulassen, Geschichten zu erzählen – nicht mit Worten, sondern mit Musik.

Komponist sein ist ein sehr einsamer Beruf und man muss tief in sich hineinhorchen. Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich nahe beieinander. Ich kann davon berichten, dass zumindest der Wahnsinn schon manchmal an meine Tür geklopft hat!

Gerd Hermann Ortler ist ein Südtiroler Komponist, Dirigent und Musiker, der für seine genreübergreifenden Werke zwischen zeitgenössischer Musik, Jazz und Improvisation bekannt ist.

Das Orchester der Südtirol Filarmonica spielt seit 2019 in wechselnder Besetzung mit international erfolgreichen Südtiroler Musiker*innen, die jährlich für gemeinsame Konzerte in ihre Heimat zurückkehren.

Gerd Hermann Ortler

Südtirol Filarmonica

Anna Buchegger „Mein Salzburgerisch wird auch in Köln verstanden“

Vor vier Jahren hat Anna Buchegger (26) die ORF-Castingshow „Starmania“ gewonnen. Seither hat sie sich als Solokünstlerin eine Karriere aufgebaut. Voriges Jahr ist ihr Debütalbum „Windschatten“ erschienen, auf dem sie sich mit dem Heimatbegriff auseinandergesetzt hat. Nur ein Jahr später legt sie jetzt mit ihrem zweiten Album „Soiz“ (VÖ: 3. Oktober) nach, auf dem sie noch einen Schritt weiter geht. Mit funk tank spricht Anna darüber, was Heimat für sie bedeutet, warum sie so gern im Dialekt singt und wie sie als Künstlerin im Rampenlicht trotzdem ihre Privatsphäre zu schützen versucht.

funk tank: Der Begriff Heimat spielt bei dir eine wichtige Rolle, jetzt widmest du ihm schon das zweite Album!

Anna Buchegger: Das Thema ist für mich spannend, weil ich in meinem Masterstudium in Contemporary Arts Practice dazu geforscht habe. Der Begriff Heimat gewinnt besonders in Zeiten schneller Veränderungen und Entwicklungen an Bedeutung. In solchen Situationen wird häufig versucht, Heimat zu bewahren oder sich von anderen abzugrenzen. Heimat steht zugleich für Gemeinschaft und Abgrenzung – ein Spannungsfeld, das dazu führt, dass sich zunehmend mehr Menschen heimatlos fühlen. Und im Zuge meiner Forschungsarbeit haben mir sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund ihre eigenen Geschichten erzählt. Da gibt es die unterschiedlichsten Zugänge.

Und dann gibt es ganz viele mit einer neuen Heimat, in der sie nicht einmal wahlberechtigt sind.

Da ist das Stadt-Land-Gefälle ein sehr wichtiges Thema. Und die Kernfamilie, die auch mit der Heimat zu tun hat: Wer darf überhaupt eine Familie gründen, wie ist das Machtgefüge innerhalb der Kernfamilie?

Der Heimatbegriff reicht ja von „Daham statt Islam“-Wahlplakaten bis zur Tracht auf der Wiener Wiesn.

Ja, Tradition und Brauchtum – das ist auch ein spezielles Thema. Da interessiert mich die Frage: Wird Tradition überhaupt hinterfragt? Und kann man sie wertschätzen und gleichzeitig weiterentwickeln und sich kritisch damit auseinandersetzen? Heimat ist etwas, das nicht einfach statisch ist, sondern einer konstanten Auseinandersetzung unterliegt. Man muss diesen Begriff immer weiterentwickeln, das ist nichts, was stagniert. Das hat mit Wertschätzung und Allgemeinwohl zu tun.

Wie ist das bei dir? Wo bist du daheim?

Naja, ich komme aus einem eher kleinen Ort mit ein paar Tausend Einwohnerinnen und Einwohnern. Und jetzt lebe ich in Wien. Von dem her habe ich sowohl das Ländliche, Kleinbürgerliche als auch das Kosmopolitische in mir. Ich bin Abtenauerin, Salzburgerin, jetzt auch Wienerin, Österreicherin, Europäerin, Weltbürgerin, ...

Zum Thema Heimat passt auch die Frage, in welcher Sprache man singt: ob im eigenen Dialekt, auf Hochdeutsch oder doch auf Englisch.

Das hat natürlich auch immer etwas mit Sprachbarrieren zu tun. Und für viele hat das auch mit Heimat zu tun, wie man miteinander kommuniziert.

Mir kommt auch vor, dass es im Dialekt insgesamt nicht so viele Worte über Gefühle oder Emotionszustände gibt – aber dafür irrsinnig viele über landwirtschaftliche Gerätschaften. Vielleicht redet man ja nicht so gern über Gefühle und lieber über die Arbeit.

Du singst im Salzburger Dialekt. Warum?

Ich mag vor allem diese weichen Vokale, das hat an sich schon was Sängerisches. Jede Dialektvarietät hat ein bisschen andere Vokale, das finde ich sehr schön. Das sollte man auch weitergeben. Die Kunst kann das gut. Sprache ist ja vor allem dafür da, dass man sich austauscht und einander versteht. Aber in der Kunst kann man auch die Sprache weitergeben, die man vielleicht nicht so gut versteht, wo man vielleicht zweimal hinhören muss. Es geht auch viel verloren, wenn man Dialekt ins Hochdeutsche übersetzt.

Umgekehrt habe ich einst – ich glaube, es war in Felix Mitterers „In der Löwengrube“ – den Satz gehört, dass man im Dialekt eigentlich nur schwer „Ich liebe dich“ sagen kann.

Ja, das geht nicht, das ist nicht dasselbe. Mir kommt auch vor, dass es im Dialekt insgesamt nicht so viele Worte über Gefühle oder Emotionszustände gibt – aber dafür irrsinnig viele über landwirtschaftliche Gerätschaften. Vielleicht redet man ja nicht so gern über Gefühle und lieber über die Arbeit.

Im Dialekt zu singen, schränkt auch den Aktionsradius ein, oder? Also in Deutschland ist es schwieriger, denke ich.

Ich habe ein Konzert in Köln gespielt, da haben schon einige nachher gesagt, dass sie meine Texte verstanden haben.

Wer ist deine Zielgruppe?

Jetzt hab ich das schon ein bissl beobachtet bei meinen Konzerten. Meine Musik wird nicht extrem viel gestreamt, und ich habe sicher bisher mehr Menschen live erreicht als digital. Und auf den Live-Konzerten ist mir schon aufgefallen, dass es ein sehr breites Publikum in verschiedenen Altersgruppen ist, in dem auch sehr viele queer sind. In Salzburg waren es viele schwule Männer, in Graz viele lesbische Frauen, und es waren auch trans* Personen dabei. Viele haben gesagt, sie finden es schön, dass ich Heimat thematisiere und sie sich darin auch wiederfinden, weil es nicht ausgrenzend ist.

War das eine Intention von dir, so verbindend zu wirken?

Nein. Ich wollte es hauptsächlich für mich aufarbeiten. Aber ich finde es natürlich sehr schön, wenn sich die queere Community damit identifizieren kann. Vielleicht ist das auch noch ein Erbe meines „Starmania“-Siegs 2021. Ich teile auch einen Freundeskreis mit Tom Neuwirth alias Conchita Wurst, den es auch voll gecatcht hat. Er hat Skizzen von Trachten gemacht und versucht, im Dialekt zu schreiben. Das finde ich cool.

Wie schützt du deine Privatsphäre als Künstlerin, die im Rampenlicht steht und damit in der Öffentlichkeit sichtbar ist?

Ich glaube, ein wichtiger Faktor ist die Kunstfigur, die ich für mich geschaffen habe. Heißt: Sobald ich mein Bühnen-Outfit anhabe, ist klar: Hier kommt nicht die private Anna, sondern ihr Alter Ego.

Da fragt man sich natürlich als Außenstehender: Wo ist die Grenze? Wie viel private Anna steckt in der Kunstfigur?

Ich finde es eigentlich voll spannend, wenn man das nicht so genau weiß. Ich würde aber sagen, das bin alles ich, nur viel verstärkter, viel überzogener. Und mit dem Kostüm kann man das plakativ umsetzen. Sobald ich da hineinschlüpfe, habe ich das Gefühl, ich kann mich ein bisschen abgrenzen, und es ist auch nicht alles gleich so persönlich. Es geht ja schon immer um sehr persönliche Themen, die auch gesellschaftskritisch sind. Aber es hat einfach ein bisschen einen Schutzmechanismus, was ich ganz fein finde. Aber grundsätzlich ist es schon schwierig, die Privatsphäre zu wahren, weil jetzt schon so viele Details öffentlich sind – da kann ich nicht mehr zurückrudern. Aber ich finde, Haltung einzunehmen und für gewisse Werte einzustehen, ist einfacher, wenn man so einen gewissen Schutz hat. Aber vielleicht bilde ich mir den auch nur ein.

Wie sehr musst du trotz allem aufpassen, was du sagst? Wie weit lehnst du dich auch einmal aus dem Fenster?

Ich würde schon sagen, dass ich sehr impulsiv bin. Aber da geht es um Themen, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe oder sogar eine wissenschaftliche geschrieben habe, wo ich eine Expertise habe. Und bei anderen Themen, wo ich die nicht habe, traue ich mich zu sagen: Das weiß ich nicht, da kann ich nichts dazu sagen. Ich glaube, das ist sehr wichtig.

Man muss nicht immer zu allem etwas sagen. Aber es kann natürlich immer passieren, dass man etwas sagt, das andere in den falschen Hals bekommen. Ich erinnere mich, dass ich in „Starmania“ auf die Frage, warum ich so gut singen kann, gesagt habe: „Ich hab einfach viel geübt“ – und dann hab ich unbedacht die Redewendung „bis zur Vergasung“ benutzt. Moderatorin Arabella Kiesbauer hat schnell reagiert und gesagt: „Da müssen wir sehr vorsichtig sein.“ Da ist es mir auch selber bewusst geworden. Ich wollte dann nachher online ein Statement dazu abgeben, dass es natürlich keine Absicht war und ich sicher keine Antisemitin bin, aber der ORF wollte das nicht. Ich hab das aber feig gefunden und in der nächsten Show selbst Stellung bezogen – und da hat es dann auf Twitter Leute gegeben, die mit Boykott-Aufrufen reagiert haben. Und andere haben mir tatsächlich Briefe geschrieben, in denen sie erklärt haben, dass es ja eigentlich kein originärer NS-Begriff ist.

Das ist die typische österreichische Reaktion: Die einen buhen dich aus, die anderen feiern dich.

Das Spannende war, wer mich da gecancelt hat. Das waren nämlich keine Linkslinken, sondern eher so Leute mit Pferdebildern, von denen ich das nicht erwartet hätte. Daran hat mich der Skandal um den Song Contest-Gewinner JJ und seine Aussage über Israel und Russland erinnert. Es kann so schnell gehen, dass du plötzlich unten durch bist. Ich habe mich damals sehr geschämt und sogar jüdische Freundinnen und Freunde gefragt, wie sie das denn empfinden. Die haben mich dann wieder beruhigt.

Es zeugt ja auch von Charakterstärke, wenn man Verantwortung übernimmt.

Und man darf nie vergessen, dass politische Korrektheit ein Prozess ist. Es gibt Begriffe, die man immer wieder neu bewerten muss.

Heuer feiert der Film „Sound of Music“ sein 60-jähriges Jubiläum. Ich habe mit diesem Titel lange Falco und nicht die Familie Trapp assoziiert. Du widmest auf deinem neuen Album Maria Trapp einen eigenen Song. Wie hältst du es insgesamt mit diesen Klischees und Stereotypen, die der Film transportiert?

Was mich vor allem an Maria Trapp fasziniert, ist, dass sie nicht wirklich eine Stereotype reproduziert. Im Film und auch im Musical wird sie – ich glaube, durchaus authentisch – als eher crazy dargestellt, als eine Frau, die nicht unbedingt so agiert, wie man es von ihr erwartet. Und sie hat sich relativ früh gegen die Nationalsozialisten aufgelehnt. Das ist auch etwas, was ich am Film schätze: Es ist einerseits Heimatidylle, aber andererseits wird der Nationalsozialismus thematisiert. Das ist eigentlich sehr untypisch fürs Heimatfilm-Genre.

Ich nehme an, eine der nervigsten Fragen ist, ob du von der Musik leben kannst?

Mit dieser Frage bin ich praktisch aufgewachsen. Das werde ich bei jedem Familientreffen gefragt. Manchmal lüge ich dann auch.

Und was ist deine Vision für dich selbst?

Ich denke auf jeden Fall langfristig. Was mich inhaltlich beschäftigt, ist diese unvermeidliche Verbindung von Kunst und Politik, weil die Kunst ja immer gesellschaftliche Veränderungen, Entwicklungen widerspiegelt und für viele ein Medium ist, um individuellen Befindlichkeiten Ausdruck zu verschaffen. Ich denke, es dürfte klar sein, wo ich politisch stehe – ohne mich von einer Partei vereinnahmen zu lassen.

Ich wünsche mir ein solidarisches Miteinander, in dem man einander gegenseitig mehr zuhört und keine Scheu vor Meinungsverschiedenheiten und möglichen Konfrontationen hat.

Ich möchte die Kunst- und Kulturlandschaft mitgestalten und ein Sprachrohr für andere Kunstschaffende sein, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dieser Bereich eine enorme gesellschaftliche Relevanz hat. Deshalb brauchen wir Solidarität in der Branche. Die Musikwirtschaft schafft ja irrsinnig viele Jobs, die an so einem Konzert dranhängen und von der Wertschöpfung profitieren, von der Tontechnik bis zum Hotel, in dem das Publikum übernachtet. Ich selbst spiele sehr gerne Konzerte, und nachher mit ein paar Menschen zu plaudern, das macht mir eigentlich mehr Spaß, als lange im Studio herumzutüfteln, was wir für eine Sound-Ästhetik entwickeln sollen.

Ich finde auch die Rahmendetails voll spannend: Wie kann man eine eigene Welt schaffen, wie schaut ein Video aus, was vermittelt ein Video, hat es ein Drehbuch oder ist es nur Ambiente, hat es ein Gefühl – ich finde es geil, wenn man eine eigene Designwelt drumherum bauen kann.

Musikerin Anna Buchegger
© Hadaier/Buchegger

Anna Buchegger ist Musikerin, Dialekt-Liebhaberin und kritische Beobachterin ihrer Heimat. Vier Jahre nach ihrem Starmania-Sieg zeigt sie mit ihrem zweiten Album „Soiz“ (VÖ: 3. Oktober 2025), wie man Tradition, Haltung und Popmusik glaubwürdig vereint. Live zu erleben ist sie u. a. bei der Album-Präsentation am 17. Oktober 2025 im WUK Wien sowie am 20. Februar 2026 im Freiraum St. Pölten und am 4. April 2026 im Grazer Orpheum.

Anna Buchegger

Mireille Ngosso über Gendermedizin, Rassismus und Mut

Sie ist Ärztin, Aktivistin, Autorin – und die erste afro-österreichische Frau im Wiener Landtag gewesen. Mireille Ngosso kennt die Systeme von innen und weiß, wo sie Menschen ausschließen: in der Politik, in der Medizin, im Alltag. Ihr neuestes Projekt: Mit dem Verein MedInUnity setzt sie sich für eine Medizin ein, die gerechter, vielfältiger und sensibler ist. Im Gespräch mit funk tank spricht die 45-Jährige über das Aufwachsen als junges Schwarzes Mädchen in Wien, über die koloniale Geschichte der Medizin und darüber, warum sie sich heute für eine diversitätssensible Gesundheitsversorgung starkmacht, die alle mitdenkt.

funk tank: Du bist mit vier Jahren aus dem Kongo nach Wien gekommen – erinnerst du dich an deine ersten Gefühle und Erlebnisse, die du mit Wien verbindest?

Mireille Ngosso: Meine ersten Erinnerungen an Wien sind stark von Staunen und Fremdheit geprägt. Ich war sehr klein, deshalb erinnere ich mich nur an wenige Szenen. Eine davon ist mir bis heute ganz präsent: wie meine Mutter mich voller Angst vom Schnee weggezogen hat, weil sie nicht wusste, was das ist und ob es gefährlich sein könnte. Meine Eltern waren in dieser Zeit generell sehr gestresst, neu in Wien anzukommen, nachdem wir zuvor im Flüchtlingslager Traiskirchen waren. Gleichzeitig spürte ich schon früh, dass ich „anders“ war – mit meiner Hautfarbe, meiner Sprache, meiner Geschichte. Und doch war da auch viel Neugierde und der Wunsch, schnell zu verstehen, wie dieses neue Leben funktioniert.

Was war als junges Schwarzes Mädchen in Wien das Schwerste – und was hat dir Kraft gegeben?

Das Schwerste war, dazuzugehören. Ich war immer „die Andere“ – wegen meiner Hautfarbe, die man sofort gesehen hat, und, wie ich heute weiß, auch weil ich neurodivergent bin. In der Schule wollte ich einfach untertauchen, so sein wie die anderen Kinder, nicht auffallen. Aber das war unmöglich, egal wie sehr ich mich angestrengt habe. Dieses Gefühl, ständig beobachtet und hinterfragt zu werden, war sehr belastend. Kraft gegeben hat mir vor allem die Musik: Ich habe gesungen, Klavier gespielt und mich generell künstlerisch ausgedrückt. Das war mein Rückzugsort, meine Stärkequelle.

Deine Eltern waren politisch aktiv. Wie war das als Kind für dich? Inwiefern hat das deinen Weg geprägt?

Ich habe sehr früh mitbekommen, dass Politik in unserem Leben immer präsent war – schon allein, weil meine Eltern aus der Demokratischen Republik Kongo fliehen mussten. Wir haben zuhause viel darüber gesprochen. Gleichzeitig wurde mir aber eingeimpft, mich hier zu ducken und bloß nicht aufzufallen. Dieses Spannungsfeld hat mich sehr geprägt: Einerseits zu verstehen, dass Ungerechtigkeit existiert, andererseits das Gefühl zu haben, dass ich sie nicht benennen darf. Dass ich heute genau das tue – meine Stimme erheben – ist auch eine bewusste Gegenbewegung zu dieser frühen Erfahrung

Du hast das Abendgymnasium gemacht, dann Medizin studiert. Du bist eine Kämpferin. Gab es Momente des Zweifels?

Ja, es gab viele Momente des Zweifels. Am Abendgymnasium habe ich oft nach der Arbeit im Klassenzimmer gesessen und war völlig erschöpft, aber wusste, dass ich durchhalten muss. Im Medizinstudium habe ich mich oft allein gefühlt – ich war eine der wenigen Schwarzen Frauen dort und hatte das Gefühl, mich ständig doppelt beweisen zu müssen, um ernst genommen zu werden. Diese Momente haben an mir gezehrt. Aber gleichzeitig haben sie meinen Willen gestärkt: Gerade weil so viele Menschen an mir gezweifelt haben, wollte ich es umso mehr schaffen. Musik und mein künstlerisches Schaffen haben mir in dieser Zeit sehr geholfen, einen inneren Anker zu haben.

Was hat dir in deiner Ausbildung gefehlt – speziell in Hinblick auf Diversität und interkulturelles Verständnis in der Medizin?

In meiner Ausbildung hat mir unglaublich viel gefehlt. Die Medizin, wie ich sie gelernt habe, war fast ausschließlich auf den weißen, männlichen Körper zugeschnitten. Frauen, People of Color oder unterschiedliche kulturelle Hintergründe kamen kaum vor. Und wenn People of Color erwähnt wurden, dann fast immer aus einer eurozentrischen Perspektive – oft exotisierend, selten realitätsnah.

Dahinter steckt auch die koloniale Geschichte der Medizin: Forschung, Lehre und Krankheitsbilder wurden über Jahrhunderte von Europa aus gedacht und geordnet – mit allen rassistischen Verzerrungen, die das mit sich bringt. Und vieles davon wirkt bis heute fort, in den Lehrbüchern, in der Praxis, in der Art, wie wir Patientinnen und Patienten wahrnehmen. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass in der Lehre fast alle Krankheitsbilder nur auf weißer Haut gezeigt wurden – obwohl Krankheiten auf schwarzer Haut oft völlig anders aussehen. Dieses fehlende Wissen kann in der Praxis lebensgefährlich sein.

Für mich wurde damals sehr klar: Wir brauchen dringend eine Medizin, die diese koloniale Geschichte aufarbeitet und Vielfalt endlich ernst nimmt.

Als Ärztin siehst du, wo Systeme Menschen vergessen. Wo spürst du besonders, dass Schwarze Frauen oder migrantische Frauen anders behandelt werden?

Sehr stark sehe ich das in der Gynäkologie. Schwarze Frauen haben zum Beispiel ein deutlich höheres Risiko, Myome zu entwickeln – und trotzdem wird das in Europa kaum thematisiert oder bagatellisiert. Viele Patientinnen leben jahrelang mit Schmerzen, ohne dass sie ernst genommen werden. Auch bei Schmerzen generell sehe ich Unterschiede: Beschwerden von Frauen, vor allem von Frauen of Color, werden oft heruntergespielt oder als „psychisch“ abgetan.

Das hat viel mit dem zu tun, was ich schon im Studium erlebt habe: ein eurozentrischer Bias. Die „Norm“ ist weiß, männlich, europäisch – alles, was davon abweicht, wird kaum beachtet oder falsch eingeordnet. Genau deshalb ist diversitätssensible Medizin für mich so zentral: Sie rettet Leben, weil sie endlich alle Perspektiven ernst nimmt.

Das Team von MedInUnity: Mireille Ngosso, Danielle Diarra, Karin Kapatais, Sibel Ada, Claudia Espinoza.
Das Team von MedInUnity: Mireille Ngosso, Danielle Diarra, Karin Kapatais, Sibel Ada, Claudia Espinoza © Pixelcoma
Du hast dich als Ärztin auf Frauenmedizin und Gendermedizin spezialisiert. Was macht diesen Bereich so spannend und wo gibt es noch Nachholbedarf?

Mich fasziniert an der Frauen- und Gendermedizin, dass sie sichtbar macht, was lange übersehen wurde: dass biologische Unterschiede, Genderrollen und gesellschaftliche Faktoren unsere Gesundheit entscheidend prägen. Ein Herzinfarkt äußert sich bei Frauen oft anders als bei Männern – aber jahrzehntelang galt das männliche Symptomprofil als „Norm“. Ich habe mich auf diesen Bereich spezialisiert, weil ich in meiner täglichen Arbeit gesehen habe, wie viele Probleme dadurch entstehen. Es sind extrem viele Menschen betroffen, die nicht adäquat behandelt werden, weil ihre Lebensrealität oder ihr Körper nicht ins traditionelle medizinische Raster passt.

Nachholbedarf sehe ich überall: in der Forschung, in der Lehre, in den Lehrbüchern und in der täglichen Praxis. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit, mehr Empathie und vor allem die Bereitschaft, eine Medizin zu schaffen, die wirklich für alle Menschen da ist.

Gibt es ein Gespräch mit einer Patientin, das dir bis heute nicht aus dem Kopf geht?

Ja, ich erinnere mich an eine Patientin, die immer wieder zu mir kam und sagte: „Ich weiß, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmt, aber niemand hört mir zu.“ Sie hatte starke Schmerzen, die lange nicht ernst genommen wurden – bis schließlich ein großes Myom festgestellt wurde. Dieses Gespräch hat sich bei mir eingebrannt, weil es so deutlich zeigt, wie gefährlich es sein kann, wenn Patientinnen nicht gehört werden. Gerade Frauen, besonders Frauen of Color, erleben viel zu oft, dass ihre Beschwerden abgetan oder als übertrieben dargestellt werden. Für mich war das ein Schlüsselmoment: Medizin muss zuhören, ernst nehmen und individuell hinschauen. Nur so entsteht wirkliche Heilung.

2020 hast du Black Lives Matter Wien mitorganisiert. Woran erinnerst du dich am liebsten aus dieser Zeit? Was hat sich seitdem verändert und was konnte bewegt werden?

Es war ein absoluter Mega-Moment. Wir hatten niemals mit so einer großen Anzahl an Menschen gerechnet – und als ich am Omofuma-Platz stand und diese Menschenmenge sah, war das überwältigend. Diese Energie, diese Solidarität, das Gefühl, dass wir nicht alleine sind, werde ich nie vergessen.

Seitdem ist das Thema Rassismus in Österreich sichtbarer geworden. Vor allem finde ich wichtig, dass Betroffene heute viel öfter selbst sprechen und ihre Erfahrungen öffentlich teilen können. Gleichzeitig bleibt aber noch sehr viel zu tun: Einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus gibt es bis heute nicht, und strukturell ist das Thema noch nicht ausreichend verankert.

Ein kleiner Meilenstein für mich persönlich war, dass ich es als Landtagsabgeordnete geschafft habe, am Internationalen Tag gegen Rassismus eine offizielle Veranstaltung im Wiener Rathaus zu organisieren. Das war für mich ein starkes Signal, dass diese Themen auch in den politischen Institutionen Platz haben müssen.

Mireille Ngosso
© Suna Films

Die „Norm“ ist weiß, männlich, europäisch – alles, was davon abweicht, wird kaum beachtet oder falsch eingeordnet. Genau deshalb ist diversitätssensible Medizin für mich so zentral: Sie rettet Leben, weil sie endlich alle Perspektiven ernst nimmt.

Du warst die erste afro-österreichische Frau in der Bezirksvertretung und dann im Wiener Landtag. Ein mutiger, nicht immer leichter Weg. Was nimmst du aus dieser Zeit mit und warum hast du dich schlussendlich aus der Politik zurückgezogen?

Für mich war es ein historischer Moment, in diese Funktionen gewählt zu werden – und gleichzeitig eine große Verantwortung. Ich habe gespürt, dass viele junge Schwarze Menschen und gerade Mädchen auf mich geschaut haben und gesehen haben: „Da ist jemand wie ich, der in den politischen Institutionen sitzt.“ Diese Sichtbarkeit war mir sehr wichtig.

Gleichzeitig war es auch ein sehr harter Weg. Politik in Österreich ist geprägt von starken Machtstrukturen, wenig Diversität und einem Klima, das für Frauen of Color oft besonders belastend ist. Ich habe viel gelernt, aber auch erfahren, wie sehr es an Offenheit fehlt.

Zurückgezogen habe ich mich nicht, weil ich leiser werden wollte – sondern weil ich gemerkt habe, dass ich außerhalb der Parteipolitik manche Themen freier und wirksamer voranbringen kann. Für mich war es eine bewusste Entscheidung, neue Wege zu gehen, ohne meine Stimme zu verlieren.

Eben, du bist nach wie vor laut und sichtbar, daher aber auch angreifbar. Was machst du, wenn dir alles zu viel wird?

Es gibt Momente, in denen mir alles zu viel wird – das gehört dazu, wenn man so sichtbar ist. In solchen Zeiten ziehe ich mich bewusst zurück. Ich verbringe Zeit mit meinen Kindern und engen Freunden und Freundinnen, gehe in die Natur oder spiele Klavier. Die Musik als Kraftquelle ist mir geblieben.

Ich habe auch gelernt, dass ich nicht immer stark sein muss. Pausen, Ruhe und auch das Zulassen von Verletzlichkeit sind genauso wichtig wie das Kämpfen und Lautsein. Das gibt mir die Balance, um wieder mit voller Energie weitermachen zu können.

Dein Lebensmotto?

„Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.“ Dieses Zitat begleitet mich schon sehr lange. Für mich bedeutet es: Ich kann nicht nur fordern, dass sich Strukturen oder die Gesellschaft ändern – ich muss selbst anfangen, das vorzuleben, wovon ich überzeugt bin. Und manchmal heißt das, unbequem zu sein, laut zu sein oder gegen Widerstände anzukämpfen. Aber es heißt genauso, achtsam mit mir selbst zu sein, Pausen zuzulassen und mir treu zu bleiben. Genau diese Mischung aus Haltung, Mut und Selbstfürsorge ist das, was mich trägt.

Mireille Ngosso ist Allgemeinmedizinerin und Expertin für diversitätssensible Medizin und Gendermedizin. Als Co-Autorin von „Für alle, die hier sind“ & „War das jetzt rassistisch?“, ehemalige Landtagsabgeordnete und Aktivistin (u. a. Black Lives Matter) bringt sie politische Perspektiven in medizinische Räume. Mit dem Verein MedInUnity setzt sie sich für eine Medizin ein, die gerechter, vielfältiger und sensibler ist. Keynotes von MedInUnity zu intersektionaler Gesundheit gibt es live am 10. Oktober ab 17 Uhr in der Wiener Urania.

Mireille Ngosso – Instagram

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Dragqueen Tamara Mascara: „Man bemerkt es, wenn Tiefe fehlt“

Was bedeutet Drag im Jahr 2025? Heute ist es viel mehr als Entertainment, Glitzer und Inszenierung – es ist eine vielschichtige Kunstform mit gesellschaftlicher Strahlkraft. Für Tamara Mascara (alias Raphael Massaro) ist es all das und noch viel mehr. In unserem Gespräch erzählt sie, wie sich ihr Zugang zu Drag verändert hat, warum sie politische Verantwortung nie von sich weist und wieso sie die Magie im Spiegel heute noch feiert.

funk tank: Wenn du heute an deinen ersten Auftritt zurückdenkst – wie hat sich dein Zugang zu Drag seither verändert?

Tamara Mascara: Am Anfang ist es jedes Mal sehr aufregend, sich in eine Dragqueen zu verwandeln. Man saugt die Aufmerksamkeit förmlich auf, genießt es, sich völlig anders zu verhalten als im Alltag, und jeder Blick in den Spiegel ist ein Moment der Faszination. Nach 15 Jahren ändert sich das natürlich. Heute gehe ich mit mehr Gelassenheit und Routine an die Sache heran.

Was überwiegt heute, wenn du in Drag bist: Euphorie, Stolz, Verantwortung oder Druck?

Meistens überwiegt der Wunsch, eine gute Show abzuliefern. Das kann man als Druck formulieren, aber auch als professionellen Zugang zur Kunstform Drag und der jeweiligen Performance, die man präsentieren will oder auch abliefern muss.

Hast du heute noch genauso viel Spaß wie früher oder ist das Gefühl ein anderes geworden?

Natürlich macht es mir auch heute noch Spaß, aber genauso wie bei allen anderen Dingen schleicht sich eine gewisse Gewohnheit ein. Ich kämpfe dagegen an, indem ich mir neue Ziele setze. Neue Looks, die ich so noch nie getragen habe, oder wie bei meiner letzten Show nach der Pride im Praterdome – ich hatte noch nie eine so schwierige Choreografie zu tanzen und habe mich in einem Ring an die Decke ziehen lassen. Für diese Show habe ich zwei Monate trainiert und fünf Kilo abgenommen.

Hat sich dein Style verändert oder war das ein natürlicher Prozess?

Der Prozess war, denke ich, organisch. Mode verändert sich mit der Gesellschaft und damit auch der Blick auf Formen, Farben und Ausdruck. Das Endprodukt ist eine stilisierte Form dessen oder eine Antwort auf das, was sich in der Welt um die Künstler*innen abspielt.

Dragstar Tamara Mascara
© Elisabeth Lechner

Wir sollten keinerlei Ungerechtigkeit auf uns sitzen lassen und uns mit aller Kraft dagegen wehren.

In welchen Momenten fühlt sich Drag für dich am kraftvollsten an und warum?

Hier würde ich zwei Dinge unterscheiden: kraftvoll für mich persönlich einerseits und kraftvoll für die LGBTIQ-Community andererseits. Wenn Tamara für die Community spricht, beispielsweise in einer TV-Diskussion gegen einen FPÖ-Politiker auftritt, der nichts Besseres zu tun weiß, als Dragqueens zu verteufeln, zeigt sich Drag von der politischen Stärke. Es ist aber auch kraftvoll, wenn Raphael mit der Malerei an Tamara fertig ist, die Verwandlung perfekt ist und diese ganz gewisse Magie passiert, die Drag so einzigartig macht. Man glaubt fast selbst an die Illusion, die man gemalt hat.

Wie beobachtest du die Entwicklung von Drag in Österreich in den letzten Jahren?

Durch Drag Race kamen sehr viele junge Talente in die Szene. Manche haben es nur kurz probiert, andere sind geblieben und haben sich etabliert. Der Blick auf Drag hat sich ebenfalls stark verändert. Früher war das nicht besonders beliebt, jetzt gibt es kaum ein LGBTIQ-Event ohne Drag-Show.

Wie sicher oder offen empfindest du Wien heute für Drag und queeres Leben generell?

Es hat sich definitiv gebessert, aber wie wir an unserem Nachbarland Ungarn sehen, sind unsere Rechte nicht in Stein gemeißelt. Wir als LGBTIQ-Community müssen stärker zusammenstehen, immer wieder auf absolute Gleichberechtigung pochen und unser Recht darauf niemals vergessen. Wir sollten keinerlei Ungerechtigkeit auf uns sitzen lassen und uns mit aller Kraft dagegen wehren.

Muss Drag politisch sein oder darf es auch einfach nur Entertainment sein?

Ich bestehe darauf, dass es auch einfach nur unterhaltsam sein darf! Aber natürlich ist ein Mann in feminin gelesener Garderobe grundsätzlich ein Statement. Auch Frauen, die Drag machen, sind politisch. Sie nehmen sich ebenso eine Freiheit, die durchaus polarisiert.

Auf welches kommendes Projekt freust du dich besonders?

Ich werde nächstes Jahr das Kostümbild für eine große Theaterproduktion machen.

Gibt es Momente, in denen du stolz an deine Erfolge denkst?

Man vergisst das selbst zu oft. Wenn man dann beispielsweise alte Fotos anschaut und sieht, was man alles auf die Beine gestellt und geschafft hat, ist das schon ein sehr erfüllender Moment.

Welches Feedback auf deine Arbeit ist dir im Gedächtnis geblieben?

Da gibt es so viele! Miss Fame fragte mich, ob das meine echten Augenbrauen sind, und war begeistert. Oder der unglaubliche Mister Pearl, ein Couture-Korsettmacher, hat mir Feedback zu meinen selbstgenähten Korsetts gegeben. Durch meine Arbeit als Dragqueen durfte ich Designer*innen, Stars und Politiker*innen kennenlernen. Ich empfinde das als großes Privileg.

Vielen Menschen gibst du mit deiner Präsenz Mut. Wie gehst du selbst mit dieser Vorbildrolle um?

Das wurde mir erst bewusst, als mir jemand erklärte, er hätte sich vor seiner Familie geoutet, weil er mich immer wieder in Drag gesehen hat und das Selbstbewusstsein von Tamara ihm den Mut dazu gegeben hat. Ich versuche gleichzeitig eine Entertainmentfigur zu sein und trotzdem immer wieder gesellschaftspolitische Themen zu transportieren. Das ist nicht immer einfach. Insgesamt finde ich es unglaublich schön, anderen Mut zu machen und Kraft zu geben.

Wie erklärst du Drag in einem Satz?

Koffer tragen, Schminke checken, Auftritt, Umziehen, Schminke checken, Auftritt, Umziehen, Koffer tragen. (Lacht.)

Was würdest du deinem jüngeren Ich sagen oder jungen Drag Artists, die gerade beginnen?

Dein Drag-Charakter ist eine Kunstfigur. Spiele eine Rolle, das ist Drag. Trainiert eure Unterschenkel, tragt keine zu kleinen Schuhe, überlegt euch, was ihr verkaufen wollt, und seid freundlich und professionell. Zickenterror wie bei Drag Race ist Reality-TV und nicht die Realität.

Was macht für dich heutzutage gute Drag-Künstler*innen aus?

Schauspielerisches Talent, gute Bewegungen, ein großes Wissen über die LGBTIQ-Kultur und ihre Ursprünge. Man bemerkt es, wenn Tiefe fehlt.

Wann ist für dich ein Drag-Moment perfekt?

Wenn der Zauber funktioniert und das Publikum vergisst, welches Geschlecht die Person auf der Bühne hat. Das ist ja auch wirklich ein überflüssiger Gedanke im Angesicht von freier Schönheit.

Tamara Mascara ist Dragqueen, DJ, Modedesignerin und eine der bekanntesten queeren Persönlichkeiten Österreichs. Seit über 15 Jahren steht sie auf Bühnen, legt in Clubs auf, moderiert Events und vereint Glamour und Haltung als Entertainerin. Sie ist Mitbegründerin von The Circus, der größten queeren Partyreihe des Landes, und war 2020 als erste Dragqueen im deutschsprachigen Raum bei Dancing Stars zu sehen. Tamara Mascara steht für Sichtbarkeit, Style und eine klare Botschaft: Drag darf glänzen, empowern und politisch sein.

Live-Termine:

  • 13. September, 25. Oktober – Dragaholic Hosted by Tamara Mascara im Wiener Why Not, Party mit Drag-Auftritten, Free Shots und DJs
  • 11. Oktober – Circus, Österreichs größte Gay Party in der Arena Wien
  • 8., 16., 20., 31. Oktober – Tamara Mascaras Halloween Drag Dinnershows im Schloss Schönbrunn in Wien
  • 8. November – Ay Caramba im Le Meridien Vienna, Latin Dance Party mit Ballroom und Disco Classics Floor
  • 16., 20. November & 2., 22. Dezember – Tamara Mascaras Drag Weihnachtsdinnershow im Schloss Schönbrunn 

Tamara Mascara

Wer sind WIR? Olga Kosanović und „Noch lange keine Lipizzaner“

Achtundfünfzig Tage „zu viel“ verbrachte Olga Kosanović im Ausland. Darunter waren einige Verwandtenbesuche in Serbien, aber vor allem viel Zeit in Deutschland. Ein Auslandsstudium. Schon lange keine Kuriosität mehr für eine Europäerin. Es sei denn, sie möchte die österreichische Staatsbürgerschaft erlangen. Da kann die sonst für junge Menschen hochgelobte Bildung und Lebenserfahrung jenseits der Grenzen schon mal zum Fallstrick werden.

Der Antrag der in Korneuburg geborenen und in Wien aufgewachsenen Filmemacherin mit serbischen Wurzeln wird abgelehnt. Mit Mitte 20 findet sich die Wienerin in einem Informationsabend wieder, wo sie aus dem Staunen nicht herauskommt: „Wirklich aufpassen bei den Strafen. Wenn Sie ein Auto haben: am besten abmelden und drei Jahre stehen lassen“, hört sie den Vortragenden ironisch sagen. Die Kriterien, um hier eingebürgert zu werden, sind so restriktiv, dass Österreich international nur noch von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten überholt wird, weiß Gerd Valchars, Experte für Staatsbürgerschaftsrecht.

Olga Kosanović wollte endlich offiziell dazugehören und wählen gehen dürfen. Die Devise lautete aber vor gut fünf Jahren: Zurück an den Start.

Ihr erster Langfilm hätte gut ein wütender Rachefeldzug werden können. Vermutlich hätten die meisten, die ihre Geschichte hören, sogar Verständnis dafür gezeigt. Die mehrfach preisgekrönte Filmschaffende wählte aber einen ganz anderen Weg: „Noch lange keine Lipizzaner“ wurde ein kluger, mitreißender und gleichsam hinreißender Kinofilm, für den Olga Kosanović mit ihrem Team die Essenz aus rund 50 Gesprächen mit Menschen „von der Straße“ und Expert*innen mit humorvollen, animierten und ästhetisch anspruchsvollen, szenischen Sequenzen verwob. In die Liste der Stargäste reihen sich etwa TikTokerin und Satirikerin Toxische Pommes sowie Autor Robert Menasse ein.

funk tank: Ich komme aus Ungarn und erhielt in den 1990ern die österreichische Staatsbürgerschaft. Ich war sprachlos, als ich deinen Film gesehen habe; mir war nicht klar, wie streng die Kriterien heute sind …

Olga Kosanović: Ich konnte es selbst nicht glauben, als ich mich einbürgern lassen wollte, obwohl ich in Österreich geboren wurde und außer zu meinem Studium immer in Wien gelebt habe. Bis zur Entscheidung, einen Film daraus zu machen, war es trotzdem eine lange Reise. Der Initialmoment war, als ich eine SOS Mitmensch-Kampagne mit einem Video unterstützt habe, in dem ich meine Geschichte erzählt habe, und das völlig ungeplant viral ging. Plötzlich waren da Interviews, Artikel und Tausende Kommentare in verschiedenen Foren – und ich habe mich gefragt: Warum interessiert das so viele Menschen? Welche Emotionen spüren sie dabei – sowohl die Österreicher*innen als auch die Nicht-Eingebürgerten? Ich hatte das Gefühl, alle haben etwas dazu zu sagen, ohne eine Ahnung zu haben, wie auch ich davor. Diese vielen Reaktionen haben mich überrascht.

Eine Aussage hat mich besonders aufgewühlt: auf witzige, absurde und abscheuliche Weise. Ein Forum-User hat geschrieben: „Wenn eine Katze in der Hofreitschule Junge wirft, sind das noch lange keine Lipizzaner.“ – „Noch lange keine Lipizzaner“ wurde unser Arbeitstitel, aber wir haben ihn schließlich nie verändert.

Haben dich die Reaktionen auch gekränkt?

Ich habe mich das erste Mal in meinem Leben richtig fremd gefühlt. Davor war ich immer eine Wienerin, mir war wurscht, was auf meinem Reisepass steht. Plötzlich erfuhr ich Ablehnung, las abschätzige Kommentare, die ich auch alle gespeichert habe, weil ich es nicht anders fassen konnte. All dem so ausgesetzt zu sein, war natürlich auch kränkend. Trotzdem ist mir wichtig zu betonen, dass der Film nicht aus einer Kränkung heraus entstand. Ich möchte viel mehr alle einladen, darüber nachzudenken und darüber zu reden, was die Einbürgerung in Österreich bedeutet. Ich selbst war ja davor völlig blauäugig, ich war mir sicher, dass es in meiner Situation funktionieren muss.

Olga Kosanović und „Noch lange keine Lipizzaner“ – ab 12.9.2025 im Kino.
© Harald Wawrzyniak

Ich bin ein Beispiel für viele, viele Kinder, die in Österreich geboren sind, ausländische Eltern haben und mit beiden Identitäten und in beiden Realitäten aufwachsen.

Warum möchtest du die österreichische Staatsbürgerschaft?

Weil ich hier zuhause bin. Selbst als ich in Hamburg studiert habe, war mir immer klar, dass ich wieder nach Wien zurück möchte, dass dort mein Lebensmittelpunkt ist. Und ebendort möchte ich mitbestimmen dürfen. Ich möchte wählen gehen. Ich war politisch involviert, hatte aber kein Stimmrecht – ich bin jetzt 30, ich will das so nicht mehr. Das hat mich immer gestört.

Und es gab auch Situationen, wo ich mit meinem serbischen Pass benachteiligt war: beispielsweise bei Stipendien oder der Reisefreiheit. Einmal musste ich vom Flughafen wieder nach Hause fahren, während meine Freunde nach London geflogen sind, weil mir zuvor nicht bewusst war, dass ich extra ein Visum gebraucht hätte. Es war zwar ein Stück Papier, trotzdem hat es mir Steine in den Weg gelegt. Dabei bin ich in Serbien Ausländerin, ich habe dort nie gelebt. Ich wollte mich um meine Einbürgerung kümmern, wenn ich unabhängig bin, wenn ich es mir selbst leisten und organisieren kann und nicht meine Eltern irgendwelche Lohnzettel heraussuchen müssen. Als ich dann aber mit dem Studium fertig war, war es wie „zu spät“, weil ich eben davor viel im Ausland war.

Hattest du auch mal das Gefühl, dass dir die österreichische Staatsbürgerschaft „mehr Sicherheit“ bieten könnte?


Auch das tauchte erst später auf, parallel mit den „neuen“ populistischen Strömungen in Europa. Es begann während Corona, als der Bundeskanzler (Sebastian Kurz, Anm.) seine Reden immer wieder explizit an die Österreicherinnen und Österreicher richtete. Anfangs wusste niemand, was kommen wird. Ich bin damals mit meinem Mann auf dem Sofa gesessen – ich bin mit einem Österreicher verheiratet – und habe gesagt: Stell dir vor, es wird entschieden, dass alle, die die Staatsbürgerschaft nicht haben, in ihr Land zurückmüssen. Solche Sorgen kamen seither doch immer wieder. Ich fühlte mich nicht mehr ganz safe.

Kannst du nachvollziehen, dass du deinen serbischen Pass abgeben musst, wenn du die österreichische Staatsbürgerschaft haben möchtest?


Absolut nicht. Ich bin ein Beispiel für viele, viele Kinder, die in Österreich geboren sind, ausländische Eltern haben und mit beiden Identitäten und in beiden Realitäten aufwachsen. Das ist ein Phänomen, das in Österreich durch die Zuwanderung seit mindestens den 1960er Jahren vorherrscht, aber mit dem Einbürgerungsgesetz, sich für das eine oder das andere entscheiden zu müssen, vollkommen negiert wird.

Das bedeutet, dass man etwas zurückgeben muss, womit die eigene Familiengeschichte verbunden ist. Autochthone Österreicher*innen finden oft, das würde bedeuten: Wenn sie nicht ganz zu uns stehen kann, spürt sie uns emotional nicht. Ich bin aber davon überzeugt, dass man beides in sich haben kann. Sogar mehrere Identitäten, ohne dass sich das irgendwie beißt.

Ich selbst muss mir bis heute vorsagen: Zwei „Identitäten“ zu haben, ist kein Defizit, sondern eine Bereicherung …


Genau, und dass man sich dieses Gefühl erarbeiten muss, finde ich ein bisschen unfair. Ich würde mir sehr wünschen, dass es in unserer Gesellschaft ankommt, dass Mehrsprachigkeit und mehrfache Identität für alle eine Bereicherung ist. Ich selbst habe meine serbische Identität oft „weggedrängt“, manchmal habe ich sogar erfunden, dass ich gar kein Serbisch spreche, um ja nicht nicht dazuzugehören. Es dauert lang, bis man das Selbstvertrauen dafür entwickelt, bis man checkt, dass das super ist.

Olga Kosanović im Interview mit funk tank
Olga Kosanović im Interview mit funk tank © Viktória Kery-Erdélyi
Welche Kriterien hältst du für gerechtfertigt, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen?


Man hat auch am Filmende kein Einmaleins, nicht die eine Lösung, wie es zu machen ist. Mir ist am wichtigsten, dass man anfängt nachzudenken: Sind diese Gesetze noch zeitgemäß? Passen die noch zu unserer Gesellschaft?

Dieser Katalog an Kriterien, die es in Österreich zu erfüllen gilt, ist sehr umfangreich. Selbst eben für Menschen, die hier geboren wurden. Was ich sofort ändern würde, ist, dass es gehaltsabhängig ist. Ich finde das demokratiepolitisch nicht richtig, dass nur Leute eingebürgert werden, die gut genug verdienen. Ein zweites absurdes Kriterium betrifft die Verwaltungsstrafen. Ein Leumundszeugnis ist schon okay, aber dass man anfängt, Parkstrafen zu zählen?! Was sagt das über einen Menschen aus?

Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger gibt im Film zu bedenken: Wenn so viele Menschen in Wien nicht wählen dürfen, führt das zu einer Verzerrung der Wahlergebnisse. Die städtische Bevölkerung sei damit unterrepräsentiert, noch dazu die jüngere Bevölkerung – und das wiederum könne dazu führen, dass wichtige Zukunftsthemen nicht abgebildet werden. Wie wichtig war im Film dieser Blick?

Es war für uns eine ganz zentrale Frage in der Recherche, dass die autochthonen Österreicher*innen verstehen: Dieses Thema betrifft wirklich alle. Judith Kohlenberger erklärt sehr gut, was es bedeutet, wenn mehr als ein Drittel der Menschen in Wien nicht wählen kann: nämlich, dass die Stimmen von autochthonen Österreicher*innen in Wien damit prinzipiell weniger wert sind.

Das verkürzte Urteil vieler lautet oft: Dann haben wir zu viele Ausländer*innen in Wien.
Leider, genau das ist das Problem, deswegen ist es auch politisch ein so unbeliebtes Thema, weil es sofort populistisch aufgegriffen wird.

Dabei denken trotzdem viele intuitiv: Wenn jemand viele Jahre in Österreich lebt, arbeitet, Steuern zahlt, darf die Person doch auch wählen gehen – das stimmt aber eben nicht. Wir haben viele, viele Interviews gemacht, auch mit Menschen älteren Semesters, und wir sind auch in Bars gegangen, wo wir sozusagen unsere Bubbles verlassen haben. Mit allen, die sich wirklich darauf eingelassen haben, konnten wir tolle, sehr interessante Gespräche führen. Die Menschen konnten offen ihre Meinung sagen – und es bröckelten auch viele Fassaden-Glaubenssätze.

Wie steht es um deinen Einbürgerungsantrag heute?

Mein Akt wurde an das Verwaltungsgericht weitergegeben, nachdem ich mit einem Anwalt Säumnisbeschwerde eingereicht hatte. Ich bekam dann eine Gerichtsladung – und sollte noch einmal meine sämtlichen Kontoauszüge der vergangenen fünf Jahre einreichen. Das ist schon arg, da sieht man wirklich alles, noch dazu, wenn man wie ich alles mit Karte bezahlt. Der Termin war dann nach acht Minuten vorbei – und ich habe vom Richter die Zusicherung für die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Das ist für zwei Jahre gültig. Ich muss nun die serbische Staatsbürgerschaft zurücklegen, das ist auch nicht lustig und kostet noch viel Geld. Und ich muss bis zum Tag der Verleihung weiterhin alle Kriterien aufrechterhalten – ebenso die Verwaltungsstraffreiheit.

Wirst du feiern, wenn es soweit ist?

Dieser Tag am Gericht war absurd. Es hat irrsinnig geschüttet und mein Mann und ein Freund, der auch mit war, und ich sind dann einen Punschkrapfen essen gegangen, um diesen Tag doch speziell zu begehen. Als ich nach dem Gerichtstermin heimgekommen bin, bin ich sofort eingeschlafen, das passiert mir sonst nie. Aber ich war plötzlich so erschöpft. Da war nun etwas erledigt, das fünf Jahre meines Lebens, mal mehr, mal weniger in Anspruch genommen hatte. – Ja, wenn es soweit ist, wenn es eine Verleihung gibt, werden wir feiern (lacht).

Olga Kosanović wurde am 1. April 1995 in Österreich geboren und lebt in Wien. Sie studierte an der HFBK Hamburg und arbeitet heute als Regisseurin und Drehbuchautorin sowie als Lehrkraft an der Graphischen und der Hertha Firnberg Schule in Wien. Ihre Filme liefen auf zahlreichen Festivals und sind mehrfach preisgekrönt; dazu zählen der Kurzfilm Genosse Tito, ich erbe sowie Land der Berg, der u. a. kürzlich mit dem Österreichischen Filmpreis, dem Preis für den besten Nachwuchsfilm bei der Diagonale und mit gleich zwei Preisen beim Filmfestival Max Ophüls Preis ausgezeichnet wurde. Noch lange keine Lipizzaner ist ihr erster Langfilm; Kinostart: 12. September 2025.

Buchtipps:

Olga Kosanović

Kabarettpreis 2025: Sieger*innen-Portrait 3: Antonia Stabinger

Für ihr aktuelles Soloprogramm „Angenehm“ wird Antonia Stabinger (40) heuer zum zweiten Mal mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet, konkret mit dem Programmpreis. 2017 bekam sie bereits den Förderpreis, damals als Teil des Duos Flüsterzweieck mit Ulrike Haidacher (gegründet 2009). Neben Solo und Duo ist sie auch immer wieder in einem Quartett unterwegs, und zwar beim Pub Quiz Bizarre mit Elli Bauer, Magda Leeb und Sonja Pikart. Über die Auftritte, die ihr am meisten Spaß machen, hat die gebürtige Grazerin und studierte Germanistin Antonia Stabinger mit funk tank ebenso gesprochen wie über Feminismus, der in ihrem ausgezeichneten Programm eine wichtige Rolle spielt. Außerdem: Warum sie als Klitoris auftritt und warum sie einen Podcast über Pflegekinder macht …

funk tank: Wenn ich für dein aktuelles Programm ein Überthema in einem Wort nennen müsste, wäre das wohl Feminismus. Stimmst du dem zu?

Antonia Stabinger: Ein Kabarettprogramm ist immer ein Status quo der Zeit, in der es geschrieben wird. Und da Texte bei mir am besten funktionieren, wenn mich das Thema persönlich emotionalisiert, geht es in meinem Programm dementsprechend viel um Feminismus. Es ist unglaublich, dass wir immer noch über Themen wie Gender Pay Gap, Femizide, die angemessene Wertschätzung von Care-Arbeit und Ähnliches reden müssen. Aber in meinem Programm geht es auch um andere Themen wie zum Beispiel die Klimakrise, Mental Health, Queerness, Kinder, Hunde und wie man am besten einen Orgasmus hat. Es lohnt sich also zu kommen! (Lacht.)

Und wie steht es aus deiner Sicht heute um den Feminismus?

Man braucht wohl ein gewisses Maß an Kraft, Zeit und wirtschaftlicher Sorglosigkeit, um sich beispielsweise Themen wie Diversität, Nachhaltigkeit oder Feminismus zu widmen – und die krisendurchwachsene Gegenwart hält gerade wenige Kapazitäten frei. Offenbar gehen Menschen genau dann wieder zurück zu konservativen Werten, wenn es am dringendsten ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen bräuchte. Wenn internationale Konflikte und Krisen brodeln, wenden wir uns deshalb zum Beispiel lieber den Tradwives zu, anstatt gerade jetzt offen zu sein für eine faire Gesellschaftsstruktur.
Es ist großartig, dass Feminismus endlich in der Mitte der Gesellschaft und im Mainstream angekommen ist. Allerdings bringt das auch das Risiko mit sich, dass der Diskurs verwaschen oder nicht ernst genommen wird, wenn feministische Argumente manchmal leichtfertig oder falsch angewendet werden. Wir dürfen das große Ganze nicht aus den Augen verlieren!

Dieser Diskurs läuft ja schon seit mehreren Jahrzehnten, man denke nur an Alice Schwarzer in den 1970er-Jahren. Viele heutige Feministinnen werden aber fast schon aggressiv, wenn ihr Name fällt. Kannst du das nachvollziehen, oder tut man ihr und ihrer Generation Unrecht, weil man die Umstände ihrer Zeit vernachlässigt?

Beides stimmt. Alice Schwarzer war wichtig, und sie hat wahnsinnig viel bewegt. Aber sie hat auch einen sehr exklusiven Feminismus vertreten – oft nicht intersektional, oft biologistisch und mit einem problematischen Verhältnis zu trans* Menschen. Das muss man benennen dürfen, ohne ihre historische Rolle kleinzureden. Wir können dankbar sein und trotzdem weitergehen.

Zurück zu deinem nun prämierten Bühnenprogramm: Die meiste Aufmerksamkeit hat wohl deine Figur Clit/Doris erregt. Ich vermute einmal, du hast damit gerechnet, dass vor allem wir Medien uns auf dieses Kostüm stürzen werden. Hat es funktioniert, damit deine Botschaft mitzutransportieren?

Für mich war und ist die Clit/Doris mein Vehikel, um Leute mit wichtigen Themen zu erreichen. Abgesehen von meiner persönlichen Liebe zu Ganzkörperkostümen auf der Bühne war mir natürlich klar, dass ich mehr Reichweite mit einem Vulva-Kostüm bekomme, als wenn ich unkostümiert zu Feminismus referiere. Eigentlich war die Figur ja als Social-Media-Eyecatcher gedacht. Aber dann hat eines zum anderen und schließlich zu einem Solokabarettprogramm geführt. Für mich ist die Klitoris die Wurzel des Feminismus: Erst seit drei Jahren wird sie in Schulbüchern als Ganzes – und nicht nur ihre Spitze – abgedruckt. Bis dahin wurde also kommuniziert: Mädchen fehle etwas, sie hätten eine Lücke, eine Leerstelle, sie wären die unvollständige Ausgabe Mensch. Dabei haben auch wir alle Teile, die ein Penis hat – sie sind nur praktischer aufgeräumt.

Für mich ist die Klitoris die Wurzel des Feminismus: Erst seit drei Jahren wird sie in Schulbüchern als Ganzes – und nicht nur ihre Spitze – abgedruckt. Bis dahin wurde also kommuniziert: Mädchen fehle etwas, sie hätten eine Lücke, eine Leerstelle, sie wären die unvollständige Ausgabe Mensch. Dabei haben auch wir alle Teile, die ein Penis hat – sie sind nur praktischer aufgeräumt.

Du kennst auf der Bühne Solo, Duo und Quartett, Vollskript und Impro – welche Konstellation findest du persönlich am angenehmsten?

Es ist wie immer: Alles hat angenehme und unangenehme Aspekte. An einem Skript kann man mit Muße feilen, Impro darf man dafür immer neu erfinden. Wenn man die Bühne mit anderen teilt, hat man mehr Möglichkeiten in Dialogen und eindeutig mehr Spaß auf Touren. Dafür ist man allein in einer Liveshow unglaublich flexibel. Deshalb ist es am schönsten, alles davon zu machen.

Und seit zwei Jahren kennst du privat noch eine ganz andere Rolle, nämlich die als Pflegemutter. Dazu hast du ja schon vor einem Jahr mit funk tank ausführlich gesprochen. Dieses Thema behandelst du auch im Podcast „Kreisrund mit Ecken“ in mittlerweile 40 Folgen. Wird es noch einmal mindestens 40 weitere Folgen geben oder ist das Thema doch irgendwann auserzählt?

Dieser Podcast hat sich für mich als eine absolute Win-Win-Situation herausgestellt. Einerseits bringe ich so das Thema Pflegekinder in mehr Ohren und damit Köpfe, andererseits lerne ich selbst auch viel über das Thema. Zu Gast sind Fachleute – Wissenschaftler*innen, die seit Jahrzehnten zu dem Thema forschen, das ist dann wie eine Privatvorlesung für mich, in der ich auch noch Fragen stellen darf. Und dann besuchen uns auch viele Pflegeeltern aus den unterschiedlichsten Konstellationen, die berührende Geschichten mitbringen und zeigen, was Familie alles sein kann. Und ich denke, da gibt es auch weiterhin noch viel zu besprechen!

Wird es einmal auch ein Kabarettprogramm mit stärkerem Fokus auf Kinder und Mutterschaft geben, oder sind andere Themen drängender?

Das Thema Kinder, ihre fantastischen Sichtweisen, Care-Arbeit und ihre Aufteilung in Familien wird bestimmt weiterhin mitschwingen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, ein komplett monothematisches Programm zu spielen. Das wäre mir zu langweilig – und ich muss es ja schließlich drei Jahre spielen, das Publikum ist ja meist jeweils nur einmal dabei. Also mache ich, was mir Spaß macht. Es darf aber gern mitgelacht werden.

Der Österreichische Kabarettpreis wird seit 1999 vergeben. Ins Leben gerufen hat ihn damals Wolfgang Gratzl, der damalige Leiter der Wiener Kleinkunstbühne Vindobona. 2010 übernahm ein eigens gegründeter Verein unter dem Vorsitz der Kabarett-Agenturchefin Julia Sobieszek die Verantwortung für den Preis, der mittlerweile in sechs Kategorien vergeben wird:

  • Der Hauptpreis geht an herausragende Künstler*innen.
  • Der Förderpreis ist Nachwuchstalenten gewidmet.
  • Der Programmpreis wird unter allen Kabarettist*innen vergeben, die in den vergangenen zwölf Monaten ein neues Programm auf die Bühne gebracht haben.
  • Der Sonderpreis ist eine Art Würdigung des Lebenswerks: Die Jury widmet ihn Personen oder Institutionen, die sich besonders um das Kabarett im deutschsprachigen Raum verdient gemacht haben.
  • Mit dem Fernsehpreis zeichnet das Publikum in einem öffentlichen Voting die beliebteste Satire-/Comedy-/Kabarettshow im deutschsprachigen TV aus – Streaming-Formate eingeschlossen.
  • Mit dem Online-Preis würdigt das Publikum die beliebtesten Content-Creator im deutschsprachigen Raum.

Die ersten vier Preisträger*innen bestimmt eine Fachjury aus rund einem Dutzend Kulturjournalist*innen gemeinsam mit zwei Bühnenbetreiber*innen als Gastjuror*innen. Das Online-Voting für den Fernseh- und Online-Preis läuft von 11. bis 31. August auf der Website vom Österreichischen Kabarettpreis.

Antonia Stabinger

Forever Young – Longevity als neues Gesundheitskonzept

Was vor einigen Jahren noch wie Zukunftsmusik klang, ist heute ein zentraler Begriff im modernen Lifestyle- und Medizin-Diskurs: Longevity. Gemeint ist ein ganzheitlicher Ansatz, der nicht nur auf ein langes, sondern vor allem auf ein gesundes Leben abzielt. Doch was steckt tatsächlich hinter dem Trend? Wir haben mit Marie Dorn, Gründerin des Youth Club in Wien, gesprochen – über wissenschaftliche Grundlagen, konkrete Methoden und warum es beim Thema Langlebigkeit weniger um ewige Jugend als um Lebensqualität geht.

funk tank: Was bedeutet Longevity genau – und warum gewinnt das Thema so stark an Bedeutung?

Marie Dorn: Longevity bedeutet Langlebigkeit, also das Streben nach einem langen und gesunden Leben. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl der Lebensjahre, sondern vor allem um deren Qualität. Ziel ist es, bis ins hohe Alter vital, geistig fit und zufrieden zu bleiben. Und immer mehr Menschen erkennen die Relevanz dieses Ansatzes! Denn obwohl die Lebenserwartung steigt, verbringen viele die letzten Jahre mit gesundheitlichen Einschränkungen oder chronischen Erkrankungen. In Österreich beträgt dieser Zeitraum im Durchschnitt 7 bis 11 Jahre. Die Statistik zeigt deutlich, wie wichtig es ist, nicht nur auf ein langes Leben zu setzen, sondern die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern und zu fördern.

Es besteht ein regelrechter Longevity-Hype. Ist das eher positiv – oder mit unrealistischen Erwartungen verbunden?

Der aktuelle Trend bringt viele innovative Ansätze hervor, die unser Wohlbefinden positiv beeinflussen können. Andererseits wirken manche Methoden – wie etwa die stark technisierte Routine von Bryan Johnson – sehr extrem und im Alltag schwer umsetzbar. Dennoch befürworte ich es, dass wir unser Denken über Gesundheit und Altern hinterfragen. Es geht darum, bewusster und nachhaltiger zu leben. Denn unsere Gesundheit ist unser wertvollstes Gut.

Dieses Bewusstsein wird oft mit aufwendigen Routinen oder kostspieligen Behandlungen verbunden. Wie realistisch ist dieses Bild im Alltag?

Tatsächlich geht es in der Praxis um einen ganzheitlichen Lebensstil, unabhängig von Kosten und Aufwand. Entscheidend sind bewusste Alltagsentscheidungen: eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, effektives Stressmanagement und Zeit in der Natur.

Welche unkomplizierten Wege gibt es, um Longevity im Alltag zu leben – auch ohne medizinisches Know-how oder große Investitionen?

Folgende einfache Maßnahmen lassen sich leicht integrieren:

  • Bewegung: Täglich 10.000 Schritte, ergänzt durch Yoga, Schwimmen oder andere sanfte Sportarten.
  • Schlaf: Abends digital detox, in einem dunklen, kühlen Raum schlafen.
  • Ernährung: Gesunde Fette, hochwertige Proteine, ausreichend Ballaststoffe. Intervallfasten unterstützt den Zellschutz.
  • Stressmanagement: Meditation und bewusste Pausen helfen beim Entspannen.
  • Prävention: Regelmäßige Blutanalysen und Vorsorgeuntersuchungen einplanen.
  • Soziales Umfeld: Gute Beziehungen fördern nachweislich Gesundheit und Lebensdauer.

Schon kleine Veränderungen können viel bewirken – entscheidend sind Routinen, die langfristig bestehen.

Gibt es wissenschaftlich belegte Methoden, um den Alterungsprozess zu verlangsamen?

Ja, es existieren zahlreiche evidenzbasierte Ansätze, um den Alterungsprozess zu verlangsamen – und teilweise sogar umzukehren ("Reverse Aging"):

  • NAD⁺-Spiegel erhöhen: Dieses zelluläre Schlüsselmolekül ist wichtig für Regeneration und DNA-Reparatur.
  • Intervallfasten: Unterstützt Autophagie, reduziert Entzündungen und reinigt die Zellen.
  • Körperliche Aktivität: Fördert die Mitochondrienfunktion, aktiviert den Stoffwechsel und verjüngt auf Zellebene.
  • Kältetherapie: Eisbäder, kalte Duschen oder Kryokammern fördern Dopamin, senken Entzündungen und stärken das Immunsystem.
  • Hitzeeinwirkung (z. B. Sauna): Aktiviert Hitzeschockproteine, die Zellschäden erkennen und reparieren; stärkt das Herz-Kreislauf-System.
  • Schlafqualität: Tiefer Schlaf aktiviert nächtliche Reparaturmechanismen und stärkt das Immunsystem.
  • Mikronährstoffe & Supplemente: Gezielt eingesetzte Nährstoffe unterstützen die Zellgesundheit und verlangsamen messbar den Alterungsprozess.
  • Mentale Haltung & soziale Bindungen: Optimismus kann die Lebenserwartung um bis zu 15 % steigern. Ein positives Mindset reduziert Cortisol, das die Zellalterung beschleunigt.
  • IHHT ("Intervall-Hypoxie-Hyperoxie-Training"): Diese Atemtechnik aktiviert zelluläre Reparaturprozesse, stärkt Mitochondrien und fördert den Stoffwechsel.

Diese Maßnahmen greifen idealerweise ineinander – für eine ganzheitliche Basis eines gesunden, langen Lebens.

Wie unterscheidet sich moderne Longevity-Medizin von klassischen Gesundheitsansätzen?

Die Longevity-Medizin verfolgt einen ganzheitlichen, personalisierten und wissenschaftlich fundierten Ansatz, um den Alterungsprozess zu verlangsamen und die Lebensqualität langfristig zu verbessern. Klassische Prävention konzentriert sich meist auf allgemeine Richtlinien oder das Behandeln von Symptomen. Longevity hingegen setzt früher an – und individueller.

Marie Dorn vom Youth Club in Wien
Marie Dorn vom Youth Club in Wien © Daria Homola

Entscheidend sind bewusste Alltagsentscheidungen: eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, effektives Stressmanagement und Zeit in der Natur.

Was hat dich persönlich dazu inspiriert, dich mit dem Thema Longevity zu beschäftigen?

Alter muss nicht automatisch Einschränkung bedeuten. Ich wollte verstehen, wie wir nicht nur länger, sondern erfüllter leben können. Besonders faszinierend finde ich die wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, wie stark wir den biologischen Alterungsprozess aktiv beeinflussen können. Aus dieser Motivation heraus habe ich den Youth Club gegründet.

Was genau bietet der Youth Club – und wie unterscheidet er sich von klassischen Gesundheitszentren oder Wellness-Angeboten?

Der Youth Club ist ein Innovationshub für ganzheitliches Wohlbefinden. Wir kombinieren modernste Diagnostik, wissenschaftlich fundierte Methoden, smarte Lifestyle-Optimierung und bewährte Verfahren aus der integrativen Medizin – individuell abgestimmt. Unser Angebot reicht von Hightech-Analysen über maßgeschneiderte Therapien bis hin zu Mental Health Coaching und regenerativen Behandlungen.

Welche innovativen Longevity-Behandlungen gibt es bei euch?

Unsere Top-Anwendung ist NAD⁺ – verfügbar als Infusion, Shot, Nasenspray oder Supplement. Darüber hinaus bieten wir zahlreiche weitere, individuell kombinierbare Behandlungen, abgestimmt auf die jeweiligen Ziele. Ein ganzheitlicher Ansatz ist uns besonders wichtig – denn es gibt viele effektive Wege zu gesunder Langlebigkeit. Unser Credo: "Forever Young – Inside Out."

Wie lange dauert es, bis man erste positive Veränderungen durch Longevity-Behandlungen merkt?

Das hängt stark vom individuellen Gesundheitszustand, der Therapieform und der Regelmäßigkeit der Anwendung ab. NAD⁺ kann bereits nach der ersten Anwendung spürbare Effekte zeigen – etwa mehr Energie oder bessere Konzentration. Langfristige Wirkungen wie verbesserter Zellschutz und sichtbare Anti-Aging-Effekte zeigen sich meist nach mehreren Monaten.

Gibt es einen Tipp, den du allen mitgeben würdest, um bewusster und gesünder zu leben?

Regelmäßige digitale Pausen – Bildschirme ausschalten. Das schafft Raum für echte Begegnungen, Kreativität und innere Ruhe. Außerdem: Achtsamkeit im Alltag kultivieren. Kleine Momente der Selbstreflexion stärken das Körperbewusstsein und fördern gesunde Entscheidungen. Und ganz wichtig: Umgib dich mit Menschen, die dich inspirieren. Ein unterstützendes Umfeld wirkt oft stärker als jede Routine – für Gesundheit und persönliches Wachstum.

Better Aging und Longevity Moodbild
© Daria Homola

Marie Dorn ist Unternehmerin, Gesundheitsvisionärin und Gründerin des Youth Club, eines exklusiven Longevity- und Gesundheitszentrums in Wien. Mit einem einzigartigen Ansatz aus moderner Medizin, ganzheitlichen Routinen und innovativen Lifestyle-Technologien schafft sie Räume, in denen Menschen ihre Gesundheit aktiv gestalten.

Der Youth Club richtet sich an alle, die Gesundheit nicht als Reparatur, sondern als Prävention und Lebensstil verstehen. In einem exklusiven Setting mit Boutique-Flair und persönlicher medizinischer Begleitung werden Körper, Geist und Zellen gestärkt. Herzstück ist die Community: Durch regelmäßige Events, Austausch und Motivation wird ein bewusstes, gesundes Leben gefördert.

Youth Club

Marietta Babos und Damensache: Vom Sparen zum Investieren

Die gebürtige Ungarin, promovierte Ökonomin und frühere Strategieberaterin Dr. Marietta Babos gründete 2018 die Finanz-Plattform „Damensache“, um Frauen in Österreich den Weg zu finanzieller Unabhängigkeit zu ebnen. Am 5. Mai 2025 lädt sie zum „Damensache Day“ ins Wiener Palais Eschenbach – mit Vorträgen, Networking und Finanzwissen – speziell für Frauen. Im Gespräch mit funk tank verrät Marietta Babos, warum Altersvorsorge keine Männerdomäne ist, welche Fehler viele Frauen (unbewusst) machen und wie finanzielles Wissen zum Gamechanger werden kann …

funk tank: Die Nachfrage nach Ihrer Expertise ist groß, was gleichzeitig bedeutet, dass wir in Sachen finanzieller Gleichberechtigung weit hinten sind. Wie weit hinten sind wir wirklich in Fakten und Zahlen?

Dr. Marietta Babos: Ja, die Nachfrage zeigt deutlich, dass viele Frauen aktiv nach finanzieller Selbstbestimmung streben – und das ist gut so. Gleichzeitig spiegeln die Zahlen leider auch, wie viel noch zu tun ist:

• Gender Pay Gap: Frauen verdienen in Österreich im Schnitt rund 17,1 % weniger als Männer (Stand 2023, Statistik Austria). Das ist einer der höchsten Werte in Westeuropa.
• Gender Pension Gap: Die Pensionslücke ist noch gravierender – Frauen erhalten durchschnittlich 41,1 % weniger Pension als Männer.
• Teilzeitquote: Rund 49 % der erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit – bei Männern sind es nur rund 11 %. Das wirkt sich massiv auf Einkommen, Karrierechancen und Altersvorsorge aus.
• Finanzbildung: Laut OECD-Studien schätzen sich Frauen im Schnitt deutlich seltener als „finanziell kompetent“ ein als Männer – obwohl sie in vielen Bereichen die besseren Entscheidungen treffen würden.
• Investieren: Nur etwa ein Drittel der Privatinvestor*innen in Österreich sind Frauen. Dabei zeigen Studien, dass Frauen oft risiko- und langfristig orientierter investieren – und damit sogar erfolgreicher sind.

Diese Zahlen zeigen: Wir sind mittendrin im Aufbruch – aber noch lange nicht dort, wo wir hinwollen. Genau deshalb ist finanzielle Bildung für Frauen kein „Nice to have“, sondern ein Schlüssel zur echten Gleichberechtigung.

Bitte erzählen Sie uns ein bisschen etwas über Ihren persönlichen Weg zur Finanz-Expertin …

Ich habe zwar Makroökonomie studiert und in Banking & Finance in St. Gallen in der Schweiz promoviert, aber trotzdem ist etwas in unserer Familie passiert, das von einen auf den anderen Tag alles verändert hat. Mein Vater starb unerwartet an einem Herzinfarkt und neben diesem großen Verlust für unsere Familie war meine Mutter plötzlich armutsgefährdet, obwohl sie stets berufstätig war und zwei Kinder großgezogen hat. Das hat mich nicht in Ruhe gelassen, weil ich eine sehr analytische Person bin, und so habe ich herausgefunden, dass das kein Einzelfall, sondern systematisch in unserer Gesellschaft verankert ist.

Zu dem Zeitpunkt wurde ich 40 Jahre alt, und da habe ich für mich beschlossen, dass ich als Beitrag für eine bessere Welt Frauen aufkläre, wie wichtig es ist, selbstbestimmt zu leben, und sie über Stolpersteine in der Erwerbsbiografie informiere. Damals habe ich meine Studentinnen neben meinem Lehrauftrag einfach so darüber informiert. Irgendwann saßen Hunderte von Studentinnen bei mir und haben mich gefragt, wie sie dieses Wissen umsetzen sollen. Ich habe ihnen empfohlen, eine unabhängige Finanzberatung für Frauen aufzusuchen, und es hat sich herausgestellt, dass es so etwas nicht gab. Das hat mich dazu angespornt, mich mit der Finanzwelt auszutauschen. Ich habe mit sehr vielen Banken und Versicherungen gesprochen, mit der Idee, eine Kampagne nur für Frauen zu starten, aber eigentlich nur Ablehnung erlebt. Somit habe ich ein Start-up gegründet, das war die Geburtsstunde von „Damensache“.

Mittlerweile sind wir kein Start-up mehr. Wir beraten Frauen österreichweit hinsichtlich Finanzplan, Produkte etc. – es ist eine wunderschöne Aufgabe, weil man sieht, wie die Frauen über die Jahre immer selbstbewusster werden und Spaß daran finden. Wir haben aktuell eine Empfehlungsquote von über 40 Prozent und müssen keine Werbung schalten; Mütter bringen ihre Töchter usw. Wir haben echt das Gefühl, dass wir die Welt etwas besser machen!

Portraitfoto Dr. Marietta Babos/Damensache
© Alexandra Grill

Ich finde, dass nicht das Geld das Problem ist, sondern wie wir damit umgehen.

Sie haben selbst eine Tochter. Ab wann beginnt man mit der finanziellen Aufklärung, und wie macht man das am besten aus Elternsicht?

Ich bin Teenager-Mama, allerdings habe ich viel früher mit dem Sparen mit ihnen begonnen, ganz am Anfang mit 6 Euro Taschengeld im Monat. Wir haben das auf 3 Töpfe aufgeteilt. Der erste Topf ist für alles Mögliche, was man sich kaufen möchte. Der zweite Topf ist für etwas, wofür man mittelfristig ansparen möchte. Der dritte Topf ist in Erwachsenensprache die Pensionsvorsorge, in Kindersprache hat es geheißen, dass wir das nie angreifen. So wurde das Geld gedrittelt: Sie hatten etwas für kurzfristigen Spaß, etwas zur Vorfreude und etwas, das langfristig angelegt und nie ausgegeben wurde – das ist allerdings schon einige Jahre her. Durch die Inflation sind die Summen heutzutage sicher anders. Meine Tochter geht bis heute bei ihren Ferienjobs so mit dem Geld um.

Viele Kundinnen sparen auch für ihre Kinder, z. B. 100 Euro im Monat, und dabei ist es schön zu sehen, dass die Kinder informiert werden, wofür gespart wird, z. B. welche Unternehmen in den Wertpapierfonds drinnen sind. Wenn ein Kind adidas liebt und weiß, dass seine Lieblingsmarke auch in den Fonds ist, können Kinder das so miterleben.

Ich bin sehr stolz, dass der Anfang der „Damensache“ Pionierarbeit war und die damalige Bundesministerin einen Termin mit mir vereinbart hat und kurz danach die Finanzbildung für Mädchen und Frauen in das Regierungsprogramm aufgenommen wurde. Mittlerweile gibt es sogar eine nationale Finanzbildungsstrategie, die immer mehr ausgerollt wird.

Ich empfehle jeder und jedem, die Kinder miteinzubeziehen. Bei meinen Kindern ist es so, dass sie ihre Veranlagungen über mich haben und ich ihnen auch die Bewegungen der Kapitalmärkte erkläre. Die ältere Generation hat mit Spar-Produkten/Bausparern gelernt anzulegen, allerdings ist das heutzutage leider nicht mehr ausreichend aufgrund der Inflation. Deswegen müssen wir Mut ergreifen und von Sparerinnen zu Investorinnen werden.

Finanzielle Engpässe können auch von einen auf den anderen Tag passieren, z. B. als selbstständige Unternehmerin und alleinerziehende Mutter. Das sind ja gleich zwei Bereiche, wo es definitiv finanzielle Nachteile gibt. Welche Tipps haben Sie in solchen Fällen?

Absolut richtig – wer selbstständig ist und alleinerziehend, trägt doppelte Verantwortung und hat oft deutlich weniger finanzielle Sicherheitspuffer als andere. Hier sind meine wichtigsten Tipps:

1. Finanzielle Basis schaffen – so früh wie möglich
• Eine Liquiditätsreserve ist das A und O – idealerweise 3 bis 6 Monatsausgaben.
• Wer keine Rücklagen hat: sofort beginnen, auch wenn es nur 50 Euro pro Monat sind. Konstanz schlägt Höhe.
• Fixkosten regelmäßig überprüfen: Was brauche ich wirklich? Was ist verzichtbar?

2. Private und unternehmerische Finanzen trennen
• Das hilft, den Überblick zu behalten und klare Prioritäten zu setzen.
• Gerade bei Engpässen zeigt sich, wie wichtig professionelle Buchhaltung und Planung sind.

3. Vorsorge für Notfälle – auch wenn sie unbequem ist
• Berufsunfähigkeitsversicherung, Krankenversicherung, Haushaltsversicherung – bei Alleinerziehenden unverzichtbar.
• Wer fällt ein, wenn ich plötzlich krank werde? Eine Notfallmappe mit Vollmachten und Kontaktdaten ist Gold wert.

4. Netzwerke und Solidarität
• Keine*r muss alles alleine stemmen: Netzwerke bieten Unterstützung, Austausch und konkrete Hilfen.
• Gemeinsam kommt man oft auf Lösungen, die allein nicht sichtbar waren.

Mein wichtigster Rat: Nicht aus Angst in den Stillstand verfallen. Auch kleine Schritte zählen – und oft öffnen sich neue Türen, wenn man mutig den ersten macht. Wer Unterstützung braucht, findet sie.

Auf Ihrer Website gibt es den Zukunftsrechner. Was hat es damit auf sich?

Der Zukunftsrechner ermöglicht es, basierend auf persönlichen Daten sowie Sparmöglichkeiten und bevorzugten Veranlagungsformen, das spätere private Budget für einen unabhängigen und genussvollen Ruhestand zu berechnen. Anhand eines konkreten Beispiels wird veranschaulicht, wie sich der Zinseszinseffekt über eine möglichst lange Veranlagungsdauer positiv auswirkt. Als Beispiel dient ein Startalter von 25 Jahren – ein guter Zeitpunkt, um mit der Vorsorge zu beginnen, natürlich kann aber jederzeit damit gestartet werden. Dieses gemeinsame „Ausprobieren“ bildet einen zentralen Bestandteil der ersten „Damensache"-Strategiegespräche.

Viele Menschen haben Respekt vor dem Geschäft mit Aktien, Fonds & Co. Wie startet man in die Welt der Anlage und finanziellen Absicherung für die Zukunft?

Wissen ist Macht. Darum veranstalten wir auch am 5. Mai den ersten „Damensache Day“ im Wiener Palais Eschenbach. Wir wollen mit Expert*innen wie Steuerberaterinnen, Juristinnen und Themen wie Anlage, Karriere, Finanz und Familie zeigen, dass es nicht kompliziert ist und an diesem Tag die Angst davor nehmen. Wir erwarten 250 Frauen und sind jetzt schon fast ausverkauft, das ist eine schöne Bestätigung, dass sich so viele Frauen diesen Themen widmen und sich auch frei dafür nehmen. Der 5. Mai ist nicht zufällig gewählt, denn ich habe ihn schon vor Jahren zum Tag der finanziellen Selbstbestimmung ausgerufen, das hat mir damals mein erstes großes Interview im Standard gebracht, letztes Jahr ist an diesem Tag mein Buch „Geld ist Damensache“ erschienen.

Wir zeigen bei „Damensache“ und dem Event alle Anlagemöglichkeiten, von konservativ bis riskant, ganz objektiv. Wenn man alle Infos auf dem Tisch hat, verschwindet die Angst. Man muss nicht von 0 auf 100 kommen, Hauptsache, man startet mit der ersten Veranlagung. Vielleicht mit etwas Konservativem, wie kostenlos eine Staatsanleihe auf bundesschatz.at zu kaufen. Oder man investiert in physisches Gold oder hat schon Münzen geerbt oder geschenkt bekommen. Oder man startet mit Wertpapierfonds mit Risikostufe 3, es gibt die Stufen 1 bis 7. Das ist kein Wettbewerb und man muss sich mit niemandem matchen. Was ich auf jeden Fall ans Herz lege, sind unabhängige Plattformen, darum gibt es auch unseren Verein. Da zeigen wir alle Möglichkeiten auf, auch wenn wir wirtschaftlich nichts davon haben. Das ist nicht das Ziel. Hauptsache, die Kundinnen finden ihren Weg und verlieren die Angst vor der Anlage, Respekt ist gut, Angst kann man mit Wissen besiegen. Deswegen bieten wir auch unsere Beratungsgespräche kostenlos an, unabhängig davon, wofür sich die Kundin dann entscheidet.

Damensache-Tipps von Dr. Marietta Babos zur Anlage
Tipps aus dem Buch "Geld ist Damensache" von Marietta Babos © Dr. Marietta Babos
Warum denken Sie, dass Frauen noch immer größere Probleme damit haben, über Finanzen zu sprechen und z. B. auch bei Gehaltsverhandlungen zurückhaltender sind als Männer? Und wie kann man dem entgegenwirken?

In Beziehungen ist das Gespräch sowieso Tabuthema, für beide Geschlechter. In der letzten Zeit bemerke ich bei Frauen, dass sie gerne darüber sprechen, das finde ich sehr schön. Laut Analysen ist z. B. bei Wertpapierfonds, die von und mit Frauen geführt werden, die Performance signifikant besser. Weil Frauen sich zwar langsamer entscheiden, weil sie viele Informationen beschaffen, aber dafür sind sie vorausschauender und bleiben dann bei der Strategie, damit sparen sie Kosten und Risiko.

Bei den Gehaltsverhandlungen können wir uns wirklich etwas von Männern abschauen, da sie für sich selbst einstehen. Viele Frauen denken, dass die eigene Leistung eh gesehen wird. Nur gilt: Tu Gutes und sprich darüber. Bis auf die Überwindung kostet das Nachfragen gar nichts, denn es kann nichts passieren, wenn man etwas fordert, auch mit dem „Nein“ kann man dann im Jahr darauf arbeiten und es wieder zum Gespräch machen.

Gehaltsverhandlungen sind strategisch zu behandeln, mit objektiven Gründen kann man sich wunderbar vorbereiten. Je konkreter wir auflisten können, welche Ideen, Gedanken, Leistungen etwas bringen, umso konkreter kann dieser Wunsch in die Chefetage getragen werden. Aus dem HR-Bereich weiß ich, dass diese Gespräche selten zustande kommen. Also bitte: Nur Mut.

Sehr hilfreich sind Vergleichsportale, die einen Überblick geben, wo man sich auf der Skala des Gehalts befindet. Auch diese Skala zeigt leider bis heute deutlich, dass ein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht wird und Frauen 10 bis 20 Prozent weniger verdienen, bei gleicher Jobbeschreibung.

Sie haben noch 1000 Euro auf Ihrem Konto und wissen nicht, was die finanzielle Zukunft bringt, was tun Sie damit?

Ich würde dann unbedingt in konservative Veranlagungsformen investieren, das sind fix verzinste Tagesgeldkonten, bei denen man 2 bis 3 Prozent Zinsen bekommt. Trotzdem muss man sagen, dass selbst von diesen Minizinsen Steuern abzuführen sind, aber es wäre zumindest mehr, als wenn man gar nichts tun würde.

Wir sind mittendrin im Aufbruch – aber noch lange nicht dort, wo wir hinwollen. Genau deshalb ist finanzielle Bildung für Frauen kein „Nice to have“, sondern ein Schlüssel zur echten Gleichberechtigung.

Geld bedeutet Ihnen …

… Freiheit, mehr Emotion habe ich nicht dazu, aber das ist eine sehr wichtige Emotion. Weil das die Freiheit ist, über einen selbst frei entscheiden zu können. Das ist meiner Meinung nach der Sinn von Geld und nicht die Anhäufung von Gütern. Geld alleine ist auch nicht böse, das ist oft eine Annahme, die viele haben. Denn wenn du Geld hast, kannst du auch die Welt in die gute Richtung lenken. Wenn du dich z. B. für nachhaltige Fonds entscheidest, unterstützt du Unternehmen, Produkte usw., die das Gute fördern. Ich sage es immer scherzhaft: Geld alleine macht nicht unglücklich.

Die finanzielle Freiheit ist ein kostbares Gut, das ich jeder und jedem wünsche. Finanzen in einer Partnerschaft sind auch eine wichtige Sache, ich wünsche daher meinen Kindern und jedem Menschen eine Beziehung, die man führt, weil man sich liebt und die nichts mit finanzieller Notwendigkeit zu tun hat. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Partnerschaften positiv verlaufen, wenn das Thema Finanzen auf Augenhöhe passiert.

Würde es kein Geld geben, dann …

… würden wir bestimmt anders leben und denken. Wir müssten unsere Bedürfnisse direkt tauschen, z. B. Zeit gegen Nahrung, Wissen gegen Unterkunft, Pflege gegen Schutz. Das klingt romantisch, ist aber oft unpraktisch. Geld ist schon eine geniale Erfindung, weil es den Tausch vereinfacht, wir können Werte vergleichen und Zeit überbrücken. Das sehe ich wirklich rein praktisch. Anders betrachtet gäbe es ohne Geld natürlich auch keine Unterschiede, auch keinen Gender Pay Gap, keine finanziellen Abhängigkeiten, dann müssten wir andere Methoden finden, um Wertschätzung zu zeigen. Ich finde, dass nicht das Geld das Problem ist, sondern wie wir damit umgehen.

Dr. Marietta Babos, geboren 1978 in Ungarn, ist Ökonomin, Unternehmerin und Gründerin der Finanzbildungsplattform „Damensache – Finanzen für Frauen“. Nach ihrem Studium in Budapest und Wien arbeitete sie als Strategieberaterin. 2015 promovierte sie an der Uni St. Gallen im Bereich Banking & Finance. Mit „Damensache“ setzt sie sich seit 2018 für finanzielle Selbstbestimmung von Frauen ein. Für ihr Engagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Minerva Award 2023. Babos ist zweifache Mutter und Autorin des Ratgebers „Geld ist Damensache“.

Am 5. Mai 2025 lädt „Damensache“ zum Finanz-Event für Frauen ins Palais Eschenbach in Wien. Geboten werden Workshops, Talks und Finanzwissen – von Vorsorge bis Investment. Das Ziel: Finanzielle Unabhängigkeit für Frauen.

Damensache

PCCC: Queere Insider-Jokes und Feminismus für alle und jederzeit

Das queer-feministische Schaffen von Künstlerin Denice Bourbon ist vielfältig: Sie ist schon als Sängerin, Burlesque-Performerin, Theaterschauspielerin und Stand-up-Comedian auf der Bühne gestanden. Mit ihrem Politically Correct Comedy Club (PCCC) bringt sie vor allem FLINTA*-Personen auf die Bühne …

funk tank: Der PCCC wurde 2017 gegründet. Wie hat er sich seither entwickelt?

Denice Bourbon: Es ist ein Wahnsinn! Ein Thema war am Anfang, dass das queere Publikum in Wien eigentlich überhaupt nicht an Comedy interessiert war, weil wir ja meist selbst part of the jokes waren. Das war ja auch der Grund für den PCCC, weil es damals einfach kaum Kabarettistinnen und Kabarettisten gab, zu denen ich als queere Person hingehen wollte. Und vor allem gab es keine queere Comedy. Wir haben damals in einem Saal mit 100 Plätzen angefangen – und unsere ersten Shows waren alle ausverkauft. Das hat uns sehr überrascht. Dann hat uns das WUK kontaktiert und eingeladen. Ich habe mir gedacht: Das sind 280 Sitzplätze, das werden wir nie füllen.

Und, habt ihr es dann doch füllen können?

Wir waren ein einziges Mal nicht ausverkauft. Damals ist Cher in der Wiener Stadthalle aufgetreten. Das sagt auch etwas über unser Publikum aus.

Ist euer Publikum mehrheitlich queer?

Es ist bunt gemischt. Aber die Queeren darunter erkennt man daran, worüber sie lachen. Uns sind alle willkommen, wir machen keine grundlegende Educational Comedy. Wir verwenden einschlägige Begriffe, und wer die im Publikum nicht kennt, muss sie halt nachschauen. Da merken wir, was für ein Publikum wir haben. Wir sind offen für alle, aber wir machen keine Abstriche, damit auch nicht-queere Personen alles verstehen.

Portraitfoto von Denice Bourbon vom PCCC
© Daniel Hill

Ich möchte nie und nimmer ein Mann sein. Es wirkt so ermüdend, was Männer machen müssen, was sie nicht machen dürfen – ich hoffe, dass wir irgendwann zu dem Punkt kommen, wo Männer verstehen, dass Feminismus für alle da ist.

Ich gebe ehrlich zu: Ich weiß auch erst seit etwa einem Jahr, dass ich ein Cis-Mann bin.

Natürlich wusstest du das vorher nicht mit dem Cis-Mann. Wenn man zur Norm gehört, dann denkt man auch nicht darüber nach. Ich habe zum Beispiel nie darüber nachgedacht, wie mein Körper funktioniert, bis ich eine gute Freundin im Rollstuhl hatte. Das hat meine Sicht verändert.

Als Nicht-Betroffene*r kann man vielleicht mitfühlen und mitleiden, aber man ist selbst nicht eingeschränkt.

Ja, das ist ein Privileg. Darum geht es uns ja: Wir verwenden Comedy als Werkzeug, um auf Sachen aufmerksam zu machen. Und es ist sehr schön, dass Leute von unseren Shows inspiriert sind. Und ja, wir sind politisch korrekt, aber vor allem geht es uns um den Spaß. Vor dem PCCC hatten wir keinen Raum, in dem wir sitzen und gemeinsam über depperte Dinge in unserer Welt lachen konnten. Und das ist so eine Erleichterung, wenn man merkt: Ich bin nicht allein. Mir war auch immer wichtig zu schauen, wer auf der Bühne steht, dass es nicht immer eine weiße Cis-Norm ist, sondern dass die Künstler*innen so vielfältig sind wie das Publikum. Unser Publikum ist wahnsinnig aktiv. Die sind laut, die machen mit, es ist richtig unwienerisch. Das finde ich ja komisch: Wien ist sonst immer so laut, aber im Kabarett sitzen alle ganz still da.

Besteht nicht ein bisschen die Gefahr, wenn queere Menschen queere Comedy für queeres Publikum machen, dass man irgendwann gemeinsam im Selbstmitleid badet und einander vorjammert, wie gemein die cis-normative Gesellschaft zu einem ist?

Darum geht es ja nicht. Wir reden eher darüber, wie super wir sind, statt wie anstrengend die anderen sind. Die interessieren uns ja gar nicht so. Das glauben nur manche Leute, so wie sie bei feministischer Comedy glauben, dass es nur darum geht, wie scheiße Männer sind. Aber das stimmt nicht. Dazu ist mir auch meine Zeit zu schade, um darüber zu reden, was Männer alles falsch machen. Es geht um unsere Erfahrungen ...

Da kann man dann auch Insider-Jokes machen, weil man weiß, dass sie von allen im Saal verstanden werden.

Genau. Wenn ich zum Beispiel erzähle, dass ich fünf Toaster daheim habe, dann wissen alle Lesben im Publikum, dass das eine Anspielung auf Ellens Coming-out in einer TV-Show in den Neunzigern ist. Und es ist okay, wenn das nicht alle verstehen, weil der nächste Witz ist dann wieder für alle lustig. Was mir oft passiert ist – und das freut mich auch – war, dass nach der Show Leute zu mir gekommen sind und zum Beispiel gesagt haben: „Ich bin ein heterosexueller Cis-Mann, und ich hatte keine Ahnung, aber jetzt hab ich was Neues gelernt, und es ist ur lustig.“ Ich glaube, Leute, die noch nie in unseren Shows waren, haben fast ein bisschen Angst und glauben, dass es zu exklusiv für sie ist und sie sich nicht wohlfühlen werden. Aber das ist es nicht. Wir machen das ja nicht, um Leute zu bestrafen, sondern um Leute zu bespaßen. Wir sind ja auch keine Aliens.

Sind alle Performer*innen queer?

Es leben nicht alle queer, aber sie bringen alle ein Verständnis dafür mit. Das Wichtigste für mich ist, dass es intersektional ist, dass sie also etwas anderes mitbringen. Wir haben auch PoC (People of Color, Anm. der Redaktion) auf der Bühne. Aber natürlich habe ich viele Trans-Performer*innen. Es geht darum, die Norm zu brechen, und langsam wird es besser in Österreich. Dass wir jetzt so viele junge Kabarettistinnen haben, ist auch zu einem Gutteil unser Verdienst. Malarina kommt vom PCCC – das ist ja eine großartige Geschichte: Sie wollte für mich schreiben, und ich habe gesagt: „Ich glaube, du solltest deine Texte selber auf die Bühne bringen.“ Maria Muhar hat bei uns angefangen, Toxische Pommes …

Lauter Preisträgerinnen beim Österreichischen Kabarettpreis.

Ja genau, und das hat der PCCC geschafft. Ich bin ziemlich sicher, dass AnnPhie Fritz, die auch zum PCCC-Pool gehört, auch eine Auszeichnung bekommen wird. Ihre Show ist unglaublich gut. Normalerweise treten Queers oder Punks – ich definiere mich als queer-lesbische Fem-Punk – in irgendwelchen Kellern mit zwanzig Plätzen auf. Dass wir mit dem PCCC diese große Bühne kriegen, diese Räume besetzen können und unsere Sachen auch andere Leute interessieren, das ist richtig cool. Wir machen ja auch Gastspiele in Berlin.

Wie steht denn Österreich im internationalen Vergleich da?

Ich bin in Schweden aufgewachsen und habe immer schon die britische und amerikanische Stand-up-Comedy sehr geliebt. Als ich vor mehr als zwei Jahrzehnten nach Wien gekommen bin, hat es da hier kaum etwas gegeben. Das klassische Kabarett mit geschriebenen Texten war einfach nichts für mich. International hat sich in den vergangenen zehn Jahren viel verändert. Ich glaube, das hat mit MeToo zu tun, dass Leute gesagt haben: „Warte mal, stop! Wir wollen keine rassistischen Witze mehr, wir wollen not another fucking guy talking about his dick.“ Und seitdem ist es so breit geworden.

Deine Comedy ist auf Englisch.

Ja, oder Denglisch. Als ich angefangen habe, wurde mir gesagt: Stand-up-Comedy auf Englisch in Wien, das kannst du vergessen. Und ich habe mir gedacht: Let’s see, I will try. In Wien gibt es ja ur viele Menschen, die nicht Deutsch als Erstsprache haben, und das wird einfach ignoriert, wie viele das sind. Auf meiner Tour mit Christiane Rösinger und Stefanie Sargnagel habe ich festgestellt, dass das mit den englischsprachigen Programmen in Österreich einfacher ist als in Deutschland. Dort sind sie irgendwie konservativer, wenn es um die Sprache geht. Obwohl das Publikum da wie dort ähnlich ist.

Gibt es da ein West-Ost-Gefälle zwischen ehemaliger BRD und DDR?

Das kann ich nicht sagen, weil wenn wir in Ostdeutschland auftreten, dann sind wir an coolen, alternativen Spielorten. Die ganze Welt hat sich verändert, die Szene in Wien hat sich verändert, und ich weiß, dass der PCCC einen großen Teil dazu beigetragen hat.

Färbt das auch auf etablierte Kabarettistinnen und Kabarettisten und Comedians ab?

Auf jeden Fall. Ich weiß aber, dass viele männliche Kabarettisten den PCCC als den größten Scheiß sehen, den man überhaupt nicht braucht.

Ich nehme an, das sind die, die sagen, dass man gar nichts mehr sagen darf.

Was ja nicht stimmt, denn offensichtlich darf man immer noch alles sagen. Die Frage ist nur: Warum will man es sagen? Ich weiß auch nicht, warum die so viel Energie darauf verwenden. Der PCCC tut ja niemandem weh, wir sind ja nicht gemein zu irgendwem, wir machen es einfach so, wie wir es richtig finden. Und es ist mir völlig egal, was andere machen. Sollen sie es machen. Aber dann gehe ich halt nicht dorthin. Ich glaube, das hat viel mit Angst zu tun. Man hat Angst, Macht zu verlieren, man hat Angst, irrelevant zu werden. Vor zwanzig Jahren war ich noch wütend darüber, aber inzwischen habe ich Besseres zu tun. Ich freu mich lieber, dass es bei uns so gut läuft.

Gibt es nicht auch umgekehrt den Trend, dass queer heute als hip empfunden wird?

Queer, non-binary oder trans ist nicht 24/7 superlustig. Es ist wahnsinnig schwierig, eine Wohnung zu finden, auf Urlaub zu fahren, sich irgendwo einzuschreiben. Wenn du mit deiner Partnerin unterwegs bist, musst du dich jedes Mal outen. Auf der Straße wirst du immer noch komisch angeschaut. Man bekommt Rechte zugestanden bis zu einer gewissen Grenze, und dann heißt es: Jetzt ist es zu viel. Aber wer entscheidet das, die Cis-Community? Es ist beim Rassismus genau das Gleiche. Ich meine, vor nicht einmal zehn Jahren hat sich ein Kabarettist backstage aufgeregt, dass er das N-Wort nicht mehr auf der Bühne sagen darf. Jetzt ist das keine Diskussion mehr. Es kommt immer eine Empörung auf, wenn jemand sagt: „Ich hätte gern meine Rechte.“ Da hab ich echt keinen Bock mehr drauf. Was geht es andere Leute überhaupt an, wenn jemand non-binary ist? Das hat original gar nichts mit deren Leben zu tun. Viele Leute haben viel zu viele fucking Meinungen in Bezug auf Dinge, die sie nicht betreffen.

Ich bin seit dreißig Jahren politisch aktiv und habe alles mitgemacht. Ich war in der Gay-Bewegung, dann kam Trans, vor etwa zehn Jahren ging es wieder vor allem um Rassismus, seit einiger Zeit reden wir verstärkt über Gender, und jetzt wird bald Klasse kommen. Ich verstehe es einfach nicht, wenn die Norm sich empört über Leute, die nicht der Norm entsprechen. Ich rege mich ja auch nicht über heterosexuelle Kleinfamilien auf, die Häuser bauen. Weil es mich nicht betrifft.

Wie definierst du Feminismus?

Auf jeden Fall intersektional. Das ist einer der wichtigsten Begriffe, weil es da ein System gibt. Feminismus bedeutet Gleichberechtigung für alle. Es geht darum, dass es für alle gleich und fair ist.

Männer müssen sich ebenfalls befreien, und zwar von toxischer Hardcore-Maskulinität. Das ist ja unglaublich ungesund, darüber müssen wir wirklich dringend reden. Das ist ein bisschen, als ob man einen Scheiß-Job hat, den man hasst, aber man wird mit einem hohen Gehalt an der Stange gehalten. Dann macht man sich vor, dass es schon passt, aber in Wahrheit ist man todunglücklich dabei. Und so sieht in meinen Augen die Gesellschaft für Männer aus. Ich möchte nie und nimmer ein Mann sein. Es wirkt so ermüdend, was Männer machen müssen, was sie nicht machen dürfen – ich hoffe, dass wir irgendwann zu dem Punkt kommen, wo Männer verstehen, dass Feminismus für alle da ist. Und dass es um eine schönere Welt für alle geht, unabhängig von dem, was man zwischen den Beinen hat oder halt nicht. Nicht mein Körper definiert, was mit mir passiert, sondern die Gesellschaft tut das. Und das ist für mich alles Feminismus. Das große Problem ist, dass es Feminismus heißt, und damit fühlen sich die Männer überhaupt nicht angesprochen.

Viele Männer sehen im Feminismus ja auch etwas, das Männern etwas wegnimmt.

Ja, das müssen wir aber auch tun. Wir müssen ihnen etwas wegnehmen und den Frauen dazugeben, damit beide das gleiche Level erreichen. Weil wir Frauen schon so wenig haben, und das seit Jahrtausenden.

Was geht es andere Leute überhaupt an, wenn jemand non-binary ist? Das hat original gar nichts mit deren Leben zu tun. Viele Leute haben viel zu viele fucking Meinungen in Bezug auf Dinge, die sie nicht betreffen.

Rund um den Weltfrauentag am 8. März mehren sich Jahr für Jahr in den Medien die Berichte über die Geschlechterungleichheit.

Und es ist immer noch dringend notwendig, aufzuzeigen, wie unglaublich ungleich unsere Gesellschaft ist. Es war für mich ein echter Schock, als ich von Schweden nach Österreich gekommen bin. Und wie es noch immer aussieht. Ich habe das oft genug erlebt, dass ich wo privat zum Essen eingeladen war, und dann haben die Frauen die Teller abgeräumt, während die Männer sitzen geblieben sind. Ich habe gedacht, ich bin in den Fünfzigerjahren – was ist das für ein Scheiß? Das ist nur ein winziges Detail, aber es illustriert die Realität in unserer Gesellschaft. Mütter sind 24/7 im Einsatz, auch zu Hause, Väter helfen bestenfalls daheim und lassen sich feiern, wenn sie einmal babysitten. Alleinerzieherinnen, die nur Teilzeit arbeiten können, werden gebasht von Politikerinnen wie Johanna Mikl-Leitner. Es ist einfach absurd.

Wir müssen darüber reden, auch über Femizide. Und dafür ist der 8. März da. Aber man kann auch aufzeigen, was wir Frauen Geiles gemacht haben. Und das feiere ich auch. Erst gehe ich auf die Demo für Frauenrechte, und am Abend feiere ich dann mein Frausein. Was wir aber brauchen, ist Support 365 Tage im Jahr und nicht nur an einem einzelnen Tag. Und bitte, keine Geschenke zum Weltfrauentag! Es ist ja kein Ehrentag, sondern eine jährliche Erinnerung daran, wie scheiße es ist. Dass ich einmal in Armut sterben werde als kinderlose Single-Frau.

Apropos feiern: Denkst du eigentlich schon ans zehnjährige Jubiläum des PCCC in zwei Jahren?

O Gott, nein! Ich kann bis November planen, das ist meine Grenze. Ich kriege Anfragen für in einem Jahr und denke mir: Wer weiß, was in einem Jahr sein wird, womöglich bin ich da gar nicht mehr in Wien? Ich habe nie so gelebt. Aber natürlich muss ich ein bisschen vorplanen, weil ich für meine Performer*innen verantwortlich bin. In Berlin gibt es im Mai eine Show, in Wien machen wir jetzt einmal Pause bis zum Herbst, dann wollen wir uns mit einer großen Gala im WUK zurückmelden. Und es wird auch eine Doku über uns gedreht, durchaus mit lustigen Elementen.

Hast du denn vor, Wien zu verlassen?

Nein, ich liebe Wien, ich werde weiter hier leben und hier sterben. Mein Plan ist aber, allmählich die Führung an jemand anderen zu übergeben. Es war nie so gedacht, dass ich die Oberchefin bin, sondern der PCCC ist eine große Community. Malarina hat es zurecht als Familie bezeichnet. Vielleicht werde ja dann auch einmal ich vom PCCC gebucht. Es ist zuletzt auch ein bisschen viel geworden. Wir hatten ja nicht nur dieses große Format mit 300 Leuten im Publikum, sondern daneben gab es auch noch Open Mics, und weil ich gemerkt habe, dass für manche der Schritt vom Open Mic zur Show zu groß ist, habe ich noch ein Zwischenformat für die New Beginners im Spektakel mit circa 100 Leuten konzipiert. Und dann kam eine Anfrage von der Kulisse, sodass wir dort Abende mit jeweils zwei Solo-Performer*innen gemacht haben. In den vergangenen zwei Jahren gab es also vier verschiedene PCCC-Formate, das war zwar sehr cool, aber irgendwie ist es ein bisschen zu viel geworden, fast wie McDonald’s. Wenn man das die ganze Zeit hat, ist es nichts Besonderes mehr. Ich war irgendwann nahe am Burn-out.

Ich habe mehr als dreißig Performer*innen im Pool und versuche, die Auftritte so fair wie möglich zu verteilen. Da habe ich auch einiges dazugelernt in den vergangenen Jahren. Bei den Hauptshows hatten wir am Anfang acht Performer*innen pro Abend, das war einfach verrückt. Das waren bloß zehn Minuten pro Person, und dazu kam dann noch meine Moderation. Das war einfach too much. Jetzt sind es vier oder fünf Acts. Dafür gebe ich meinen Künstler*innen ziemlich große Freiheiten. Ich bin ja selber Anarchistin.

Aber es sind dreißig verschiedene Befindlichkeiten, auf die du Rücksicht nehmen musst.

Ja, aber sie sind alle pflegeleicht. Weil die meisten aus der Queer-Szene kommen, und wir sind es gewohnt, als Kollektiv zusammenzuarbeiten. Und wir genießen das auch. Es gibt keinen Wunsch nach einem Super-Diva-Gehabe – außer es ist zum Spaß. Und alle wissen, dass ich keine Zeit habe, Egos zu streicheln.

Denice Bourbon heißt bürgerlich Denise Fredrikson und wurde 1976 in Finnland geboren, aufgewachsen ist sie in Malmö (Schweden). Im Alter von 26 Jahren ist sie nach Wien gekommen und geblieben. Die Musik ihrer Band Bonanza Jellybean verortet sie „zwischen Country, finnischem Tango, traurigen Melodien und lustigen, lesbischen Texten“, mit Me and Jane Doe hat sie Electropunk gesungen. Im queeren Künstler*innenkollektiv Club Burlesque Brutal (später Club Grotesque Fatal) spielte sie mit Geschlechterrollen. 2015 kuratierte Denice Bourbon gemeinsam mit Denise Kottlett Wiens erstes internationales queeres Performance-Festival „Straight To Hell“ im Kosmos Theater, zwei Jahre später gründete sie mit Josef Jöchl den Politically Correct Comedy Club (PCCC), der politisch korrekten Humor so definiert, dass keine Witze auf Kosten von Minderheiten gemacht werden, und der vor allem FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender) auf die Bühne bringt.

Denice Bourbon – Instagram

PCCC – Instagram

Tala Al-Deen ist „das Geheimherz“

Manchmal finde ich es unfair, dass es im Kino dunkel ist. Mehrmals möchte ich den Block zücken und kluge Sätze aufschreiben (ich mache es dann doch, tastend, nach Gefühl, Handynotizen halte ich für ein No-go gegenüber den anderen). Die meisten dieser Sätze kommen von Farrah, der syrischen Haushälterin, die im Laufe des Films auf eine ganz besondere Art und Weise eine Familie rettet, „eine typische dysfunktionale Familie, wo jeder sein Süppchen kocht und sich nicht um den anderen schert“, wie es die rebellische klimaaktivistische Tochter Frieda formuliert.

Doch die Finsternis im Kino ist natürlich gut, gerade bei einem Film wie „Das Licht“ (u. a. mit Lars Eidinger, Nicolette Krebitz). Sie trägt zur Magie bei, die der deutsche Star-Filmemacher Tom Tykwer („Babylon Berlin“) auslösen will: mit einer Geschichte im und um das Leben einer Familie, die praktisch all unsere Baustellen seziert, um nach gut zweiundeinhalb Stunden zu einem aufwühlenden und letztlich auch ein bisschen tröstlichen Schluss zu kommen, den Schauspielerin Tala Al-Deen im Finale dieses Gesprächs beschreibt. Ohne zu spoilern.

Eine Anmerkung noch vorab: Dass sich bei all dem Drama auch Schmäh ausgeht, ist schon noch mal ein feiner Zug von Tom Tykwer.

funk tank: Welche Gedanken hattest du, als du das Drehbuch gelesen hast – wie kamst du zum Projekt?

Tala Al-Deen: Ganz klassisch, mit einem E-Casting. Ich habe mit einer ganz lieben Freundin vom Theater bei ihr daheim die Szene zwischen Farrah und Frieda aufgenommen. Ich hatte eine halbe Seite Screenshot vom Pitch (Projektvorstellung, Anm.) und die eine Szene, mehr wusste ich nicht.

Also auch nicht, wo sie eingebettet war?

Nein, nur dass eine mysteriöse syrische Haushälterin in das Leben einer Familie tritt. Trotzdem dachte ich mir sofort: Das ist ungefähr die vielschichtigste Figur, von der ich jemals gelesen habe. Ich habe das Handyvideo abgeschickt und bin dann wieder in meinen Probenalltag gegangen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde ich von Tom Tykwer in sein Büro in Berlin eingeladen. Das war ein sehr nettes Treffen und ich hab’ mir gedacht: total schön, ein ganz normaler Mensch. Ich glaube, er war auch aufgeregt.

Er hat etwas zu Papier gebracht, was ihm sehr wichtig ist – und er hat zu mir gesagt: Ich gebe dir das jetzt, lies es dir durch und du sagst mir nächste Woche, was du davon hältst.
Ich weiß noch, dass ich im 15. Wiener Gemeindebezirk auf dem Balkon stand und gesagt hab’: Du hast da schon etwas Irres geschrieben, aber ich finde es richtig gut, es hat mich sehr berührt und ich wäre sehr gerne dabei. Das haben wir dann gleich besiegelt – quasi mit einem telefonischen Handschlag.

Tom Tykwer sagt in einem Interview: Farrah ist „das Geheimherz“ des Films. Welche Bedeutung hat das für dich? Wie hat der Film deinen persönlichen Horizont erweitert?

Farrah transformiert ihren Schmerz auf so eine meisterhafte Art. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, zu wie viel Empathie Menschen in der Lage sind, obwohl ich verstehen könnte, wenn sie das nicht wären – gemessen an dem, was sie erlitten haben oder was ihnen passiert ist. Solche Menschen gibt es in der Realität, das habe ich in der Recherche und auf der Suche nach dieser Figur erfahren.

Serpil Temiz Unvar ist so ein Mensch. Sie ist die Mutter von Ferhat Unvar, der in Hanau beim rassistischen Mordanschlag gestorben ist. Diese Frau hat im Namen ihres Sohnes eine Bildungsinitiative gegründet und spricht auf Demos für Demokratie. Das inspiriert mich sehr.

„Das Licht“ hat mich außerdem an einem Punkt getroffen, an dem ich schon für die Dinge, die diese Figur mitbringt, empfänglich war. Der Film hat das noch vertieft. Weder ich noch mein Umfeld sind klassisch religiös, trotzdem hat man Rituale, um Achtsamkeit zu zelebrieren. Ich habe immer schon meditiert und – das ist jetzt sehr persönlich – seit Farrah mache ich das regelmäßiger und schreibe danach meine Gedanken auf.

„Das Licht“ fordert auf vielen Ebenen intensiv. Welche Gedanken reißt er bei dir auf?

Ich finde mich in „Das Licht“ in fast allen Figuren wieder. Ich bin irgendwo dazwischen. Ich bin keine Bobo-Mittelstandsgöre, die Klimaaktivismus macht, aber es ist etwas davon in mir. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber meine Eltern sind irakisch. Auch dieser Hintergrund beschäftigt und beeinflusst mich.

Der Film macht den Wahnsinnsversuch, eine Klammer um alles zu machen, alles zu fassen, was diese Welt bedeutet, und dabei das Liebevolle und das Menschliche hochzuhalten. Das versuche ich auch. Das wird in letzter Zeit viel zu wenig gemacht und das zu tun, fühlt sich fast schon wahnwitzig an, aber umso mehr lohnt es sich, es trotzdem zu versuchen.

Wie hat dich der Inhalt in deiner Arbeit bewegt und inspiriert?

Ich habe eine klare antirassistische Haltung und finde es völlig absurd, welche und wie Migrationsdebatten geführt werden. Wenn man gestern oder heute nach Syrien schaut, in das Land, wo meine Figur verortet ist, denkt man sich: Was gibt es da überhaupt zu überlegen? Ich könnte Zahlen und Statistiken auspacken, was bei uns passieren würde, wenn die migrantischen Leute verschwinden würden, aber für mich ist die europäische Wirtschaft gar nicht die zentrale Frage, sondern: Da sind Leute, die können nicht leben, wo sie sind, und zwar nur, weil sie beispielsweise Alawiten sind.
Deswegen war es mir auch so wichtig, aus Farrah eine greifbare Figur zu machen. Sie ist fast ein engelsgleiches, magisches Wesen, aber trotzdem ein Mensch und sie hat einiges erlebt.

Ich habe viel Arbeit in die Figur gesteckt, ein großer Schlüssel war die Sprache. Würde ich mit dem Dialekt sprechen, mit dem ich großgeworden bin, würde ich klar als Irakerin identifiziert werden. Es war mir sehr wichtig, so gut ich kann, den syrischen Dialekt zu lernen. Ich hatte einen tollen Dialektcoach an meiner Seite und wir haben sehr intensiv daran gearbeitet.

Mudar, mein lieber Mann im Film, und Mido, mein Sohn, sind beide Syrer und ich habe ihnen immer wieder gesagt, sie müssen streng mit mir sein (die beiden Schauspieler sind Mudar Ramadan und Mido Koitani, Anm.). Ich habe wirklich mein Bestes getan und hoffe, dass das auf eine schöne Art auch etwas für ein arabisch sprachiges Publikum hergibt.

Was wünschst du dir: Was soll generell beim Publikum ankommen?

Das Spannende ist, dass es hier ja nicht um eine oberflächliche, reiche Familie geht. Aber es ist nun einmal so, dass es selbst für Leute mit schönen Idealen eine Herausforderung wurde, in dem turbokapitalistischen System, in dem wir uns global befinden, noch als Mensch oder als Familie stattzufinden.

Ich hab’ das in den letzten Jahren selbst gemerkt, dass ich Momente hatte, in denen ich krass überarbeitet war und mir alles auf die Füße gefallen ist. Da wird mir immer bewusst, wie dankbar ich für meine leibliche und meine gewählte Familie bin, die mich auffangen und die ich auffange, weil es jeden Tag viel zu verkraften gibt. Ich hoffe, dass das Publikum genau das aus dem Film zieht: wie wichtig „Familie“ – in welcher Form auch immer – und Community sind. Wir müssen gemeinsam sein, mir fällt nichts anderes für diese Zeit ein.

Portraitfoto Tala Al-Deen
© Charlot van Heeswijk

Der Film macht den Wahnsinnsversuch, eine Klammer um alles zu machen, alles zu fassen, was diese Welt bedeutet, und dabei das Liebevolle und das Menschliche hochzuhalten. Das versuche ich auch. Das wird in letzter Zeit viel zu wenig gemacht und das zu tun, fühlt sich fast schon wahnwitzig an, aber umso mehr lohnt es sich, es trotzdem zu versuchen.

Machen wir noch einen kleinen Abstecher zu deiner Bio: Du hast in Deutschland zunächst Arabistik und amerikanische Literatur studiert. Wie bist du auf die Kunstuni in Graz gekommen?

Retrospektiv würde ich sagen: Ich wollte eigentlich etwas Künstlerisches machen, aber es hat sich zuerst nicht so angefühlt, als würde mir da etwas zur Verfügung stehen. Ich hatte ein sehr gutes Abitur, aber auch das Gefühl, dass meine Eltern sich ein „anständiges“ Studium gewünscht haben. Man muss hier dazu sagen, dass mein Bruder Musiker (Laith Al-Deen, Anm.) wurde – ziemlich erfolgreich sogar (lacht).

Mein Englischlehrer hat mich einmal gefragt, ob ich zur Theater AG kommen möchte. Ich mochte ihn und war auch gut in Englisch, ich wollte ihn nicht enttäuschen und bin da donnerstags nach der Schule hin. Ich bin dabei geblieben bis ich irgendwann gemerkt habe: Das rettet mich, dort einen Ausdruck zu finden, und vor allem dieses Miteinander. Das bewegt und interessiert mich bis heute an meinem Beruf, dass wir immer als Gruppe etwas erschaffen. Da ist von jedem etwas drinnen, das finde ich besonders.

Jedenfalls bin ich zum Studieren nach Leipzig gezogen und als ich 23 wurde, wusste ich: Das ist der letzte Moment, um sich für Schauspiel zu bewerben; es gab da Altersfristen. Also habe ich die Runde gemacht und an etwa zwölf Schulen vorgesprochen. Und dann wurde es Graz.

Du spielst aktuell auch am Schauspielhaus Wien. In welcher Produktion wirst du demnächst zu erleben sein?

Wir beginnen jetzt die Romanadaption von „Content“ von Elias Hirschl zu proben. Das ist ein geniales Buch, eine Art Dystopie über eine Agentur namens „Smile Smile Inc.“, die Content produziert, während um sie herum alles schon unter Wasser steht. Ich freue mich richtig darauf, mit der Regisseurin Aslı Kışlal daran zu arbeiten.

Tala Al-Deen ist 1989 in Heidelberg geboren und aufgewachsen. Sie spielt seit der Schulzeit Theater, studierte aber zunächst Arabistik und amerikanische Literatur. Ihr Schauspielstudium absolvierte sie an der Kunstuniversität Graz. Zwischen 2014 und 2017 erarbeitete sie mit Regisseurin Sophia Barthelmes Performances und Theaterstücke. Sie ist seit 2016 Sängerin und Stylophonistin der Grazer Band Frau Sammer und Mitglied des queerfeministischen Theaterkollektivs Deine Mudda. Zudem war sie in der Gruppe NSU Komplex auflösen aktiv, die sich gegen strukturellen Rassismus engagiert. Aktuell ist sie Teil des Ensembles am Schauspielhaus Wien. Vor der Kamera stand sie unter anderem in der Tatort-Folge „Wer zögert, ist tot“ (2021) sowie in der Serie „A Thin Line“ (2023).

„Das Licht“ war der heurige Eröffnungsfilm der Berlinale, der 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Kinostart vom neuen Film von Tom Tykwer ist am 20. März 2025.

Tala Al-Deen am Schauspielhaus Wien: „Content“, nach dem Roman von Elias Hirschl, Regie: Aslı Kışlal, Premiere: 7. Mai 2025.

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