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„Körper sind so langweilig. Ich mag Gedichte lieber!“

Utopie statt Dystopie: Die österreichische Künstlerin Rahel entführt mit ihrer Musik in eine Welt, in der alles möglich ist. Ein Interview über das Patriarchat, Text und Wirklichkeit sowie den Wunsch nach einer Käsefarm.
Portraitfoto Musikerin Rahel
© Lukas Maier

Musikalisch trifft bei Rahel New Wave auf Dream-Pop. Sowohl Rahels Stimme als auch ihre Texte laden zum Träumen ein, ohne dabei oberflächlich zu sein, denn Text ist für sie „ein ganzes Land“ …

funk tank: Liebe Rahel, dein Debütalbum „Miniano“ ist so erfrischend hoffnungsvoll, trotz der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage. Im Song „Schaffner“ beispielsweise gibt es keine Ungerechtigkeiten und Unterschiede mehr hinsichtlich der Geschlechter. Ist Optimismus dein Schlüssel zum Glück?

Rahel: Besten Dank. Ich bin längst nicht immer zuversichtlich. Bei tiefen inneren Abgründen sehnt man sich aber wahrscheinlich besonders nach paradiesischen Zuständen. Musik oder kreative Produkte können Räume aufmachen, in denen Mensch ein Mensch sein kann. Das funktioniert nämlich nicht in einer Drogerie und hat im besten Fall nichts mit Einkaufen zu tun!

Das Musikbusiness ist nach wie vor stark männerdominiert. Welche Erfahrungen hast du gemacht? Gehen deiner Meinung nach Männer mit Frauen beruflich anders um als mit Männern bzw. hattest du jemals das Gefühl, aufgrund deines Geschlechts benachteiligt zu werden?

Viele Dinge spürt man im ersten Moment gar nicht. Selbst als eine Person, die sich viel mit diesen Themen auseinandersetzt. Manchmal braucht es Jahre, bis man merkt: Das war eigentlich gar nicht okay. Aber natürlich wird das Empfinden verlässlicher und die Reaktionsfähigkeit schneller.

Oft sind es Blicke, beiläufige Kommentare. Es kursieren sonderbare Meinungen: Frauen, die zu akustischen Gitarrenklängen singen, sind süß, Frauen, die auf der Bühne stehen, müssen einem gewissen Ideal entsprechen. Oft hört man auch von Frauen selbst komische Sachen, da muss man sich dann daran erinnern, dass es nicht ihre Schuld ist, sondern die patriarchale Ordnung, unter der sie selbst leiden. Männer bilden öfter Banden, weil sie nicht glauben, dass andere Männer ihnen etwas wegnehmen.

Männer sind in vielen Dingen natürlich viel freier und müssen weniger Mut haben. Auch wenn fragwürdige Werte wie Ageism oder eine abgeschwächte Form von Schönheitsdruck auch bei ihnen stattfinden.

Wie gehst du mit dem Begriff „Powerfrauen“ um? Ich finde ihn ja bedenklich …

Ja, voll. Ich sag dann: Oh, ein richtiger Powermann. Ein Hausmann. Eine gar nicht so schlechte Männerband.

Frau sein bedeutet für dich … ?

… Männern die Frage zu stellen, was Mann sein für sie bedeutet.

Der schlimmste Satz, den du beruflich über dich ergehen lassen musstest … ?

Uiui. Die wenigsten negativen Sachen bekommt man ja ins Gesicht gesagt. Was ich aber schon zweimal gehört habe, hat mit der ersten Frage zu tun: Wow, du bist ja gar nicht so schön und stehst trotzdem auf der Bühne! Ur mutig! Da muss ich dann lachen, wenn ich überall schwitzige, wabernde, sabbernde, oberkörperfreie, sich in den Schritt greifende Männer sehe. Oder mir wurde in einem Interview von einem Mann gesagt, dass es mutig ist, dass das Profil meines Gesichtes das Albumcover von „Miniano“ ist. Weil ich ja eine ‚große‘ Nase habe. Körper sind aber auch so langweilig, irgendwie. Ich mag Gedichte lieber!

Du hast bei Elfriede Ott Schauspiel studiert, machst mit Produzent Raphael Krenn Musik, 2021 kam deine erste Single „Tapp Tapp Tapp“ heraus, 2024 dein erstes Album. Warum der Switch vom Schauspiel zum Gesang? Schlüpfst du auch als Musikerin Rahel in eine Rolle? Wie und wo ziehst du textlich die Grenzen zwischen beruflich und privat? Gibt es Themen, die du textlich nicht behandeln willst?

Ich war im Schauspiel weder wahnsinnig erfolgreich, noch hat es mich wohl auf Dauer ausreichend interessiert. Und ich war noch zu jung im Kopf. Dann habe ich Raphael Krenn gesucht und gefunden und hatte plötzlich eine Möglichkeit, etwas ganz Eigenes zu erfinden, was erstmal immer nur uns gehört.

In der Musik denke ich nicht an (Text-)Begrenzungen. Wenn ich schreibe, denke ich nur an die Wörter und was für Bilder, was für Farben, Formen und Gefühle sie auslösen. Schreiben zu lernen ist für mich echt eine lebenslange Reise.

Ich glaube, im Moment verschwimmen die Grenzen zwischen Bühnen-Ich und Schreibenden-Ich immer mehr und das ist sehr schön. Ich will keine Barriere, ich will, dass die Texte ankommen und dazu muss alles sehr, sehr nah und kompromisslos an mir dran sein. Und das funktioniert am allerbesten, wenn ich Texte schreibe, die sehr, sehr nah und kompromisslos an mir dran sind.

Deine Lyrics sind tiefsinnig, intelligent und haben dennoch viel Interpretationsspielraum. Wie und wodurch wirst du dafür inspiriert? Was genau macht gute Songtexte aus?

Dankesehr für die Frage. Text ist einfach ein ganzes Land. Dieses Land ist noch viel, viel tiefer und weiter, als ich dachte. Von dieser Erkenntnis muss ich mich gerade erst erholen.

Ich werde oft von coolen Liedern inspiriert. Im Moment von denen von der Band Keimzeit, aber auch von denen der Gruppe Jetzt!. Manchmal von Büchern, aber oft fällt es mir schwer, den Weg in ein Buch zu finden. Wenn es mir gelingt, dann will ich nicht mehr rauskommen. Bei Helena Adler passiert mir das oder Bachmann, jetzt nehme ich mir Ilse Aichinger vor.

Deine momentanen Lieblingskünstler*innen … ?

Ein paar deutschsprachige: Ulla Meinecke, Hildegard Knef, Frau Lehmann, Gustav, Marlene Dietrich, Texte von Peter Licht, Lilith Stangenberg, Kreisler (wenn er nicht so grässliche Femizid-Fantasien hätte) zum Beispiel.
Und englische höre ich viel Velvet Underground, English Teacher, Connor Oberst, Fever Ray, Spacemen 3, David Bowie, Frankie Cosmos, The Cure, Radiohead, …

Ich mag deine Version von „Wir trafen uns in einem Garten“ sehr gerne. Hattest du Bedenken, dich an eine so große und bekannte Nummer zu wagen bzw. dir selbst Druck gemacht, wie es die Leute finden würden?

Ja, natürlich. Aber Raphi und ich sind dann ganz intuitiv rangegangen. Wir hatten auch ein zweijähriges Kind im Studio. Und unser Studio war ein halb verlassenes Kindergartengebäude in den Bergen. Wir haben immer vollwertig gefrühstückt und der Sonne gefrönt. Vielleicht hat das alles ein bisschen geholfen, wer weiß!

Ich hab nicht erwartet, dass mich so viele auf das Lied ansprechen werden. Ich hab es zum Beispiel noch nie live gespielt, aber manche waren traurig deswegen, deshalb habe ich es jetzt auf die Setlist geschrieben.

Wie sieht dein Musikerinnen-Alltag aus, wenn du nicht gerade auf Tour bist?

Im Moment etwas zerfahren. Die Struktur ist schon eine schöne Erfindung, da stimme ich auch ausnahmsweise mit der Arbeitswelt überein. Ich suche noch nach einem Ausgleich. Falls jemand eine Käsefarm hat, ich würde gerne halbjährlich vorbeikommen.

Was steht im Jahr 2025 musikalisch bei dir an? Worauf dürfen wir uns freuen?

Ich weiß noch nicht, wann und wie sich Hörende konkret freuen können. Einstweilen freue ich mich aber aufs Weiterschreiben.

Musikerin Rahel
© Merve Ceylan

Wenn ich schreibe, denke ich nur an die Wörter und was für Bilder, was für Farben, Formen und Gefühle sie auslösen. Schreiben zu lernen ist für mich echt eine lebenslange Reise.

Die österreichische Musikerin Rahel heißt bürgerlich Rahel Klara Kislinger. Die 1995 im Waldviertel geborene Künstlerin studierte bei Elfriede Ott Schauspiel, 2021 kam ihre erste Single „Tapp Tapp Tapp“ heraus, 2024 ihr erstes Album „Miniano“. Live spielt Rahel heuer u. a. am 15. Juni 2025 am Kimiko Isle of Campus Festival und am 26. Juli 2025 am Noisehausen Festival in Deutschland.

Rahel

Das Interview ist mit freundlicher Zusammenarbeit mit Headliner entstanden.

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Alicia Weyrich
arbeitet als Journalistin, Texterin und PR-Beraterin in Wien. Neben dem geschriebenen Wort liebt sie die Musik, das Meer, gutes Essen sowie Zeit mit ihren Lieblingsmenschen.

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