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„Man bemerkt es, wenn Tiefe fehlt“

Tamara Mascara prägt seit über fünfzehn Jahren als Dragqueen, Künstlerin und Aktivistin die queere Szene in Österreich. Im funk tank-Interview spricht sie über Identität, Wandel und Widerstand.
Dragstar Tamara Mascara prägt als Drag Queen, Künstlerin und Aktivistin die queere Szene in Österreich. Das Interview über Identität, Wandel und Widerstand.
© Julia Schuster

Was bedeutet Drag im Jahr 2025? Heute ist es viel mehr als Entertainment, Glitzer und Inszenierung – es ist eine vielschichtige Kunstform mit gesellschaftlicher Strahlkraft. Für Tamara Mascara (alias Raphael Massaro) ist es all das und noch viel mehr. In unserem Gespräch erzählt sie, wie sich ihr Zugang zu Drag verändert hat, warum sie politische Verantwortung nie von sich weist und wieso sie die Magie im Spiegel heute noch feiert.

funk tank: Wenn du heute an deinen ersten Auftritt zurückdenkst – wie hat sich dein Zugang zu Drag seither verändert?

Tamara Mascara: Am Anfang ist es jedes Mal sehr aufregend, sich in eine Dragqueen zu verwandeln. Man saugt die Aufmerksamkeit förmlich auf, genießt es, sich völlig anders zu verhalten als im Alltag, und jeder Blick in den Spiegel ist ein Moment der Faszination. Nach 15 Jahren ändert sich das natürlich. Heute gehe ich mit mehr Gelassenheit und Routine an die Sache heran.

Was überwiegt heute, wenn du in Drag bist: Euphorie, Stolz, Verantwortung oder Druck?

Meistens überwiegt der Wunsch, eine gute Show abzuliefern. Das kann man als Druck formulieren, aber auch als professionellen Zugang zur Kunstform Drag und der jeweiligen Performance, die man präsentieren will oder auch abliefern muss.

Hast du heute noch genauso viel Spaß wie früher oder ist das Gefühl ein anderes geworden?

Natürlich macht es mir auch heute noch Spaß, aber genauso wie bei allen anderen Dingen schleicht sich eine gewisse Gewohnheit ein. Ich kämpfe dagegen an, indem ich mir neue Ziele setze. Neue Looks, die ich so noch nie getragen habe, oder wie bei meiner letzten Show nach der Pride im Praterdome – ich hatte noch nie eine so schwierige Choreografie zu tanzen und habe mich in einem Ring an die Decke ziehen lassen. Für diese Show habe ich zwei Monate trainiert und fünf Kilo abgenommen.

Hat sich dein Style verändert oder war das ein natürlicher Prozess?

Der Prozess war, denke ich, organisch. Mode verändert sich mit der Gesellschaft und damit auch der Blick auf Formen, Farben und Ausdruck. Das Endprodukt ist eine stilisierte Form dessen oder eine Antwort auf das, was sich in der Welt um die Künstler*innen abspielt.

Dragstar Tamara Mascara
© Elisabeth Lechner

Wir sollten keinerlei Ungerechtigkeit auf uns sitzen lassen und uns mit aller Kraft dagegen wehren.

In welchen Momenten fühlt sich Drag für dich am kraftvollsten an und warum?

Hier würde ich zwei Dinge unterscheiden: kraftvoll für mich persönlich einerseits und kraftvoll für die LGBTIQ-Community andererseits. Wenn Tamara für die Community spricht, beispielsweise in einer TV-Diskussion gegen einen FPÖ-Politiker auftritt, der nichts Besseres zu tun weiß, als Dragqueens zu verteufeln, zeigt sich Drag von der politischen Stärke. Es ist aber auch kraftvoll, wenn Raphael mit der Malerei an Tamara fertig ist, die Verwandlung perfekt ist und diese ganz gewisse Magie passiert, die Drag so einzigartig macht. Man glaubt fast selbst an die Illusion, die man gemalt hat.

Wie beobachtest du die Entwicklung von Drag in Österreich in den letzten Jahren?

Durch Drag Race kamen sehr viele junge Talente in die Szene. Manche haben es nur kurz probiert, andere sind geblieben und haben sich etabliert. Der Blick auf Drag hat sich ebenfalls stark verändert. Früher war das nicht besonders beliebt, jetzt gibt es kaum ein LGBTIQ-Event ohne Drag-Show.

Wie sicher oder offen empfindest du Wien heute für Drag und queeres Leben generell?

Es hat sich definitiv gebessert, aber wie wir an unserem Nachbarland Ungarn sehen, sind unsere Rechte nicht in Stein gemeißelt. Wir als LGBTIQ-Community müssen stärker zusammenstehen, immer wieder auf absolute Gleichberechtigung pochen und unser Recht darauf niemals vergessen. Wir sollten keinerlei Ungerechtigkeit auf uns sitzen lassen und uns mit aller Kraft dagegen wehren.

Muss Drag politisch sein oder darf es auch einfach nur Entertainment sein?

Ich bestehe darauf, dass es auch einfach nur unterhaltsam sein darf! Aber natürlich ist ein Mann in feminin gelesener Garderobe grundsätzlich ein Statement. Auch Frauen, die Drag machen, sind politisch. Sie nehmen sich ebenso eine Freiheit, die durchaus polarisiert.

Auf welches kommendes Projekt freust du dich besonders?

Ich werde nächstes Jahr das Kostümbild für eine große Theaterproduktion machen.

Gibt es Momente, in denen du stolz an deine Erfolge denkst?

Man vergisst das selbst zu oft. Wenn man dann beispielsweise alte Fotos anschaut und sieht, was man alles auf die Beine gestellt und geschafft hat, ist das schon ein sehr erfüllender Moment.

Welches Feedback auf deine Arbeit ist dir im Gedächtnis geblieben?

Da gibt es so viele! Miss Fame fragte mich, ob das meine echten Augenbrauen sind, und war begeistert. Oder der unglaubliche Mister Pearl, ein Couture-Korsettmacher, hat mir Feedback zu meinen selbstgenähten Korsetts gegeben. Durch meine Arbeit als Dragqueen durfte ich Designer*innen, Stars und Politiker*innen kennenlernen. Ich empfinde das als großes Privileg.

Vielen Menschen gibst du mit deiner Präsenz Mut. Wie gehst du selbst mit dieser Vorbildrolle um?

Das wurde mir erst bewusst, als mir jemand erklärte, er hätte sich vor seiner Familie geoutet, weil er mich immer wieder in Drag gesehen hat und das Selbstbewusstsein von Tamara ihm den Mut dazu gegeben hat. Ich versuche gleichzeitig eine Entertainmentfigur zu sein und trotzdem immer wieder gesellschaftspolitische Themen zu transportieren. Das ist nicht immer einfach. Insgesamt finde ich es unglaublich schön, anderen Mut zu machen und Kraft zu geben.

Wie erklärst du Drag in einem Satz?

Koffer tragen, Schminke checken, Auftritt, Umziehen, Schminke checken, Auftritt, Umziehen, Koffer tragen. (Lacht.)

Was würdest du deinem jüngeren Ich sagen oder jungen Drag Artists, die gerade beginnen?

Dein Drag-Charakter ist eine Kunstfigur. Spiele eine Rolle, das ist Drag. Trainiert eure Unterschenkel, tragt keine zu kleinen Schuhe, überlegt euch, was ihr verkaufen wollt, und seid freundlich und professionell. Zickenterror wie bei Drag Race ist Reality-TV und nicht die Realität.

Was macht für dich heutzutage gute Drag-Künstler*innen aus?

Schauspielerisches Talent, gute Bewegungen, ein großes Wissen über die LGBTIQ-Kultur und ihre Ursprünge. Man bemerkt es, wenn Tiefe fehlt.

Wann ist für dich ein Drag-Moment perfekt?

Wenn der Zauber funktioniert und das Publikum vergisst, welches Geschlecht die Person auf der Bühne hat. Das ist ja auch wirklich ein überflüssiger Gedanke im Angesicht von freier Schönheit.

Tamara Mascara ist Dragqueen, DJ, Modedesignerin und eine der bekanntesten queeren Persönlichkeiten Österreichs. Seit über 15 Jahren steht sie auf Bühnen, legt in Clubs auf, moderiert Events und vereint Glamour und Haltung als Entertainerin. Sie ist Mitbegründerin von The Circus, der größten queeren Partyreihe des Landes, und war 2020 als erste Dragqueen im deutschsprachigen Raum bei Dancing Stars zu sehen. Tamara Mascara steht für Sichtbarkeit, Style und eine klare Botschaft: Drag darf glänzen, empowern und politisch sein.

Live-Termine:

  • 13. September, 25. Oktober – Dragaholic Hosted by Tamara Mascara im Wiener Why Not, Party mit Drag-Auftritten, Free Shots und DJs
  • 11. Oktober – Circus, Österreichs größte Gay Party in der Arena Wien
  • 8., 16., 20., 31. Oktober – Tamara Mascaras Halloween Drag Dinnershows im Schloss Schönbrunn in Wien
  • 8. November – Ay Caramba im Le Meridien Vienna, Latin Dance Party mit Ballroom und Disco Classics Floor
  • 16., 20. November & 2., 22. Dezember – Tamara Mascaras Drag Weihnachtsdinnershow im Schloss Schönbrunn 

Tamara Mascara

Portrait Mio Paternoss
Mio Paternoss
Mio Paternoss arbeitet seit 2011 als Journalist und Stylist in Wien. Mode und Diversität liegen ihm besonders am Herzen.
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