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Handwerk auf höchstem Niveau

Als Projektmanagerin war sie am besten Weg zur steilen Businesskarriere. Doch ihre Neugier und ihre Liebe zu feinen Lederwaren waren stärker. Was nicht heißt, dass Christina Roth nicht immer noch sehr ehrgeizig wäre. Ihr Ziel: die beste Handwerkerin der Welt zu werden.
Lederware vom Feinsten – Christina Roth bei der Arbeit
© Chris Perkles

Der alte, naturbelassene Holzboden knarzt bei jedem Schritt. Es riecht nach Leder und Leim. Es riecht nach Bodenständigkeit. Die Zeit scheint vor langer, langer Zeit stehen geblieben zu sein, hier, in der 50 Quadratmeter großen Werkstatt von Christina Roth in der Salzburger Getreidegasse. So, wie die 36-jährige Handwerkerin in ihrer Lederwerkstatt näht, schleift und hämmert, so haben ihre Vorgänger*innen vor hundert Jahren auch schon gearbeitet: „Wir verwenden heute vielleicht bessere Werkzeuge als früher. Aber eigentlich bräuchten wir noch immer keinen Strom, um per Hand wunderschöne Einzelstücke zu fertigen.“

Die Lust am Neuen

Die gebürtige Steirerin war auf dem besten Weg, eine steile Businesskarriere zu machen – ehe sie sich bei einem privaten Besuch in einer Lederwerkstatt unsterblich in dieses traditionsreiche Handwerk verliebte. Anders als vielleicht manch andere Aus- und Umsteiger*innen war Christina Roth von ihrem vorherigen Beruf aber weder gefrustet, noch unter- oder überfordert.

Im Gegenteil. Aber nach fünf Jahren als Projektmanagerin bei einem großen Salzburger Energy-Drink-Hersteller und zwei weiteren Jahren in der aufstrebenden Welt der Kryptowährungen (inklusive Vorbereitung eines Börsengangs), wollte sie mit Ende 20 einfach wissen, was das Berufsleben sonst noch zu bieten hat: „Tatsächlich hatte ich nie das Gefühl, dass mir etwas fehlt oder ich etwas grundlegend in meinem Leben ändern müsste. Mir hat meine Arbeit Spaß gemacht – aber ich war neugierig und wollte neue Erfahrungen sammeln.“

Dennoch war das Handwerk anfangs in erster Linie als Ausgleich zum doch recht digitalen Alltag gedacht: „Ich habe meine Ausbildung nebenbei begonnen und mir zum Beispiel drei Wochen Urlaub genommen, um bei Tsuyoshi Yamashita, dem bekanntesten Ledermeister in Japan, einen Kurs zu absolvieren.“ Deshalb erscheint ihr der Schritt in die Selbstständigkeit selbst als gar nicht so mutig, wie er auf Außenstehende vielleicht wirken mag: „Ich bin ja nicht eines schönen Morgens aufgewacht und habe mir gedacht, dass ich jetzt mein Leben komplett umkremple. Es war eine langsame Entwicklung.“

Lederware vom Feinsten – Christina Roth bei der Arbeit
© Chris Perkles

Wir müssen Nischen finden und Dinge tun, die Maschinen nicht können. Wir dürfen nicht schnell und billig produzieren, sondern müssen mit den aufwendigsten Techniken und den allerbesten Materialien arbeiten. Und wir müssen unsere ganze Liebe und Energie in unsere Produkte stecken.

Unter Druck lernt es sich besser

Mit der bewussten Entscheidung für das Handwerk ist Christina Roth sehr zufrieden: „Ich finde die Art, wie ich heute arbeite, viel schöner. Es ist so ruhig in der Werkstatt, wir hören nicht einmal Radio. Ich konzentriere mich ganz auf die Aufgabe, die vor mir liegt.“ Ein wesentlicher Unterschied zu früher ist die haptische Komponente ihrer Tätigkeit – und das konkrete, im wahrsten Sinn des Wortes greifbare Ergebnis ihrer Bemühungen: „In der Früh suche ich mir ein Stück Leder heraus und am Ende des Tages liegt ein fertiges Produkt vor mir, das ich allein mit meinen Händen und ein paar Werkzeugen geschaffen habe.“

Bei aller Handwerksromantik kann und will Christina Roth (die zwei Masterstudien zum Thema Management in Barcelona und Graz absolviert hat) ihren Ehrgeiz gar nicht zügeln: „Ich hätte ja zu Red Bull zurückkehren und dort weiter Karriere machen können. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt nicht genauso große Ziele habe. Ich bin grundsätzlich sehr ehrgeizig. Und deshalb will ich handwerklich die Beste der Welt werden.“

Und dafür ist sie in den ersten fünf Jahren seit der Gründung ihrer CR Ledermanufaktur einen ungewöhnlichen und manchmal beschwerlichen Weg gegangen, wie sie im Gespräch mit funk tank erzählt: „Ich musste – und muss immer noch – sehr viel lernen. Deshalb habe ich zu jedem Auftrag ‚Ja‘ gesagt. Auch und gerade, wenn ich nicht wusste, wie das eigentlich funktioniert. So war ich stets gezwungen, mir selbst neue Techniken beizubringen. Ich hätte es mir leicht machen und mich von Anfang an auf Geldbörsen und Reisepass-Hüllen spezialisieren können. Aber so war ich unter Druck gezwungen, mich und meine handwerklichen Fähigkeiten stetig zu verbessern.“

Muskulöse Hände

Die Bandbreite von Produkten, die Christina Roth in ihrer Ledermanufaktur herstellen kann, ist groß; sie reicht von jeder Art von (maßgefertigten) Taschen und Gürteln über Geldbörsen und Uhrbänder hin zu Gerätehüllen und edlen Buch- und Speisekarten-Einbänden. Was sie – anders als in ihren früheren Jobs – dafür nicht braucht, ist ein Computer: „Den verwende ich nur für die Buchhaltung und um Anfragen von Kundinnen und Kunden zu beantworten. Ansonsten arbeite ich so, wie schon vor hundert Jahren gearbeitet wurde und zeichne Schnittmuster nicht digital, sondern traditionell am Karton.“

Die Beschäftigung mit dem robusten Werkstoff Leder verlangt sehr viel Geduld – und körperliche Kraft; je nach Größe einer Tasche oder eines Gürtels sind zum Beispiel Dutzende, ja Hunderte Nadelstiche notwendig: „Es gibt Fotos aus meinen Anfangstagen, da waren meine Finger viel zarter als heute. Durch die Arbeit mit Leder sind meine Hände wesentlich muskulöser geworden.

Lederware und Arbeitsmaterial vom Feinsten – Christina Roth bei der Arbeit
© Chris Perkles

Ich bin grundsätzlich sehr ehrgeizig. Und deshalb will ich handwerklich die Beste der Welt werden.

Maurerin statt Architektin

Gleichzeitig – und auch das fasziniert Christina Roth – verlangen edle Lederwaren sehr viel Gefühl und ein sehr gutes Auge: „Eine Geldbörse besteht aus rund 20 Teilen und alle sind unterschiedlich dick. Wenn wir Leder spalten, bewegen wir uns im Bereich von Zehntelmillimetern. Damit das Produkt am Ende schön in der Hand liegt, muss ich sehr präzise arbeiten.“

Ein Großteil ihrer Werke sind Auftragsarbeiten: „Ich muss gestehen, dass ich selbst keinen großen kreativen Anspruch habe und nicht zwingend jeden Tag irgendetwas Neues designen muss. Kreativ bin ich vor allem in der Wahl meiner Techniken: Wie kann ich Wünsche meiner Kundinnen und Kunden am besten umsetzen? Wenn man so will, dann bin ich eher eine Maurerin, die das Haus aufzieht, und weniger die Architektin, die dieses Haus plant …“

Ein Ort atmet Geschichte

Christina Roth hat ihren Betrieb 2019 an einer prominenten Adresse eröffnet: in der Getreidegasse, mitten in der Salzburger Altstadt, in einem mehr als 500 Jahre alten Gebäude; das elegante Stiegenhaus ist mit edlem Marmor verkleidet. Im Erdgeschoss ist jener Schmiedebetrieb beheimatet, der seit Generationen die berühmten schmiedeeisernen Zunftzeichen in Salzburgs exklusivster Fußgängerzone herstellt.

Natürlich war die Location gerade am Anfang eine zusätzliche finanzielle Bürde, sagt Christina Roth: „Aber man muss dem Handwerk und seiner großen Tradition Respekt zollen. Außerdem ist es für mich selbst ein viel schöneres Gefühl, jeden Morgen durch dieses geschichtsträchtige Gassengewirr zur Arbeit zu gehen, als irgendwo in einem gesichtslosen 70er-Jahre-Bau neben irgendeiner dreispurigen Straße zu sitzen.“

Einfach nur stolz

Für ihren Traum war – und ist – Christina Roth bereit, große Mühen und Strapazen auf sich zu nehmen. Um ihr Gewerbe überhaupt anmelden und ausüben zu dürfen, absolvierte sie im niederösterreichischen Lilienfeld die Berufsschule: „Ich musste mir die Ausbildung selbst finanzieren, konnte aber nebenbei nicht viel arbeiten.“

Auch der Aufbau der Werkstatt war von entbehrungsreichen Versuchen und Irrtümern begleitet: „Natürlich braucht man Werkzeug und gewisse Maschinen. Wenn du dir einen Hammer kaufst und dann draufkommst, dass es doch nicht der richtige ist, hast du halt 35 Euro in den Sand gesetzt. Aber wenn du dir eine Spaltmaschine um 7.000 Euro kaufst, fünf Monate darauf wartest, die Stromleitungen umbauen musst – und dann draufkommst, dass dieses 250 Kilo schwere Trumm doch nicht so funktioniert, wie du es dir erwartet hast, ist das sehr frustrierend.“

Dazu kam speziell in den ersten Jahren die Unzufriedenheit mit den eigenen Fähigkeiten, sagt Christina Roth: „Du hast ein Bild im Kopf und weißt theoretisch genau, was du machen müsstest. Aber deine Hände schaffen es einfach nicht, diese Ideen umzusetzen.“ Umso schöner ist das Gefühl, wenn ein Projekt schlussendlich doch perfekt gelingt – wie zuletzt der eigenhändige Nachbau einer legendären Birkin Bag aus dem Hause Hermès: „Sie ist nicht für den Verkauf gedacht. Ich wollte nur wissen, ob ich es technisch kann. In solchen Momenten vergisst man all die Opfer, die man bringen musste, und ist einfach nur stolz.“

Das Handwerk darf nicht aussterben

Christina Roth gibt ihre Begeisterung für traditionelles – und traditionsreiches – Handwerk mit großer Leidenschaft weiter. Und das nicht nur, weil es ihr Freude macht, ihr Wissen weiterzuvermitteln, sondern auch aus einem ideellen Ansatz: „Wir müssen alle in die Gesamtentwicklung dieses Kulturguts einzahlen. Wenn jeder nur auf sich schaut, wird das Handwerk nämlich irgendwann aussterben.“

Ihr Lehrling Carolina ist aktuell tatsächlich eine von nur zwei angehenden Ledergalanteriewarenerzeuger*innen in ganz Österreich: „Ich war damals sogar die einzige in meinem Jahrgang. Das hat mir schon damals zu denken gegeben: Wenn nur ein oder zwei Menschen von acht Millionen im Land diesen Beruf erlernen wollen, dann muss irgendjemand zeigen, wie schön dieser Beruf ist.“

Diese Rolle übernimmt sie nicht nur, indem sie ihren Arbeitsalltag immer wieder auf ihren Social-Media-Kanälen dokumentiert, sondern auch mit Online-Kursen oder Workshops direkt in ihrer Werkstatt: „Und zuletzt war ich deshalb wieder einmal für eine Woche in den Niederlanden. Ich liebe es ganz einfach, mein Wissen und meine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen, die sich fürs Handwerk begeistern.“

Lederware und Arbeitsmaterial vom Feinsten – Christina Roth bei der Arbeit
© Chris Perkles

Wir alle tragen Verantwortung

Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema in Christina Roths Philosophie – bei der Herkunft des Leders aus dem EU-Raum ebenso wie bei den Gerbmethoden: „Ich achte darauf, dass das Leder möglichst chromfrei und im Optimalfall rein pflanzlich gegerbt wurde. Du spürst einfach den Unterschied, ob Leder chemisch in zwei Stunden in einer riesigen Trommel gegerbt wurde oder langsam und schonend, so wie früher.“

Es sind diese Details, die ihre Arbeit von Massenware unterscheiden, sagt Christina Roth, die sich große Gedanken über die Zukunft des Handwerks ganz allgemein macht: „Wir müssen Nischen finden und Dinge tun, die Maschinen nicht können. Wir dürfen nicht schnell und billig produzieren, sondern müssen mit den aufwendigsten Techniken und den allerbesten Materialien arbeiten. Und wir müssen unsere ganze Liebe und Energie in unsere Produkte stecken.“

Lederwaren können zudem repariert und restauriert werden (ein wichtiger Teil von Christina Roths Geschäftsmodell): „Mir ist bewusst, dass Lederverarbeitung per se nicht das Allerbeste fürs Tierwohl ist. Aber wenn ich hundert Jahre alte Taschen zum Restaurieren bekomme und sehe, in welch gutem Zustand das Material immer noch ist, dann ist das doch ein Beweis für nachhaltige Qualität.“ Und natürlich liegt es in unser aller Verantwortung, beim Shopping bewusste Entscheidungen zu treffen: „Ich kann mir 25 billige Plastikgürtel kaufen, die zwar vegan sind, aber nach kurzer Zeit kaputt gehen. Ich kann aber auch in ein, zwei schöne Ledergürtel investieren, mit denen ich viele Jahre meine Freude hab’ …“

Es geht voran

Christina Roth blickt der Zukunft motiviert und voller Ideen entgegen. Ihr Betrieb soll weiter wachsen und das Angebot erweitert werden. Ein Webshop ist gerade in Planung, außerdem wälzt die Steirerin den Gedanken, mit ihrer Werkstatt in die alte Heimat zurückzukehren und in Salzburg ein Showatelier mit Verkaufsfläche zu eröffnen. Die Rückkehr in die Steiermark wäre aber kein Schritt zurück. Im Gegenteil: „Ich mache einfach Dinge, die ich mag und die mir guttun.“

Christina Roth, 36, ist Ledergalanteriewarenherstellerin und führt in der Salzburger Altstadt ihre CR Lederwerkstatt, wo sie nicht nur exklusive Einzelstücke herstellt, sondern auch alte Lederprodukte restauriert und repariert. Ihr Wissen gibt die gebürtige Steirerin gern an andere handwerksbegeisterte Menschen weiter.

Christina Roth

Portrait Hannes Kropik
Hannes Kropik
vergöttert Katzen und arbeitet als freier Journalist und Autor. Geplanter Pensionsantritt: 2034.

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