Eigentlich wollte ich Toni Woldrich von „eigensinnig“ noch kurz vor Weihnachten im vergangenen Jahr treffen, um mit ihm über seine Arbeit zu sprechen. Per Mail kam dann eine sehr sympathische Antwort von ihm, an die ich mich sicher noch im kommenden Jahreswechsel-Stress gerne zurückerinnern werde und die mich ungemein entschleunigt hat. „Vor Weihnachten muss nicht alles fertig sein, daher schlage ich ein Treffen im Jänner vor.“ Eine Lebensweisheit, die man sich tätowieren lassen könnte, damit man sie nie vergisst.
Angekommen am Ulrichsplatz im 7. Bezirk führt mich Toni Woldrich durch seine Räume. Hier befinden sich sowohl Showroom und Store, als auch Atelier, Fotostudio, Büro und die hauseigene Schneiderei. Für andere ist der Jänner ja noch ein ruhiges Monat, wo langsam alle wieder ins Office zurückkehren. In der Modebranche jedoch ist der Jahresanfang schon mitten im Geschehen. Denn obwohl erst die Frühjahrskollektion vor der Türe steht, wird im Jänner schon längst an weiteren Kollektionen gearbeitet und der Verkauf nach Weihnachten boomt sowieso. Während Woldrich mir eine Kaffeetasse abwäscht, erzählt er mir, dass es bei „eigensinnig“ etwas anders abläuft als bei den meisten Marken, denn es gibt keine klassischen, saisonalen Kollektionen. Je nach Jahreszeit unterscheiden sich vor allem die Stoffe, manche Kreationen sind immer erhältlich. Die unkonventionelle Art wird uns im Laufe des Interviews noch oft begleiten …
Toni Woldrich: Wir stehen gerne zwischen den Stühlen und lieben die Paradoxie. Eigensinn kann man positiv und negativ werten, genauso wie die Farbe Schwarz, die bei uns dominiert. Schwarz kann Melancholie oder Poesie bedeuten, Arroganz oder Eleganz, Understatement sein, aber auch bedrohlich wirken. Wir lassen uns nicht so sehr in Schubladen einordnen. In diesem „Zwischen“ fühle ich mich sehr wohl. Es ist etwas total Produktives und gibt uns unheimlich viel Freiheit. Ohne Schublade müssen wir uns nicht rechtfertigen und können tun, was wir wollen. Wenn jemand kommt und sagt: „Das passt ja überhaupt nicht, weil es asymmetrisch oder komisch ist“, dann sage ich: „Ja, weil es eben auch nicht passen muss.“
Unsere Mode wird von Künstler*innen bis zu Bautechniker*innen getragen – geht man nur von den Berufen aus. Alle haben einen Eigensinn gemeinsam, nämlich den Anspruch auf Einzigartigkeit und Qualität. Es sind Personen, die eine gemeinsame Sicht auf eine spezielle Lebensweise haben. Wir haben Kund*innen aus der ganzen Welt.
Wir haben schon einen künstlerischen Anspruch an unsere Mode, aber trotzdem sind die Stücke keine freien Kunstwerke, denn schlussendlich machen wir produktbezogenes Design für Menschen, die das am Ende des Tages tragen. Schneiderhandwerk bedeutet auch, dass die Teile gut sitzen müssen und eine Passform haben. Wir bewegen uns also schon zwischen dem freien Kunstwerk und dem produktbezogenen Design. Manchmal schlägt das Pendel in die eine Richtung, manchmal in die andere. Genau genommen ist es aber Design, nicht Kunst.
Was wir auf gar keinen Fall machen, ist kopieren. Wir haben immer wieder solche Anfragen, aber die lehnen wir ab. Vor allem, wenn es von anderen Designer*innen ist, speziell aus Österreich. Schwarz ist zeitlos und entgegen dem Trend. Insofern passen Hypes nicht wirklich zu uns.
Wir lieben es, etwas Spezielles zu kreieren. Es kam beispielsweise 2021 eine Anfrage einer Schweizer Freelance-Nonne, die einen eigensinnigen Habit wollte. Schwester Veronika ist dann nach Wien geflogen, und wir haben für sie einen dreiteiligen Habit entworfen – mit einer Haremshose, einer asymmetrischen Bluse und einem dekonstruierten Schleier aus schwerem belgischen Leinen. Der ist jetzt ihre Uniform. Oder unsere Arbeit für den Direktor vom Bruckner Orchester Linz, Norbert Trawöger. Für ihn haben wir zum heurigen Brucknerjahr einen Anzug mit dem Profil von Anton Bruckner entworfen, das sich vom Kragen über die Rückseite bis vorne über die Hose zieht. Wenn wir solche Sachen machen können, ist das natürlich eine schöne Herausforderung.
Wir stehen gerne zwischen den Stühlen und lieben die Paradoxie.
Das ist individuell, aber ich nehme mir immer Zeit, eine Person kennenzulernen, bevor ich mit dem Design beginne. Manchmal kommen mir schon die ersten Ideen während des Gesprächs, danach ist mein ganzes Team involviert, also die Schnitttechnikerin, die Schneiderin etc. Wichtig ist, sich in die Personen hineinversetzen zu können. Manche Kund*innen haben schon konkrete Vorstellungen, andere lassen mich tun. Am schönsten ist es natürlich, wenn man eine Carte Blanche hat, die Kund*innen einem vertrauen und ich uneingeschränkt entwerfen kann.
Das stellt man sich vielleicht anders vor, aber der Arbeitsalltag ist wie in anderen Kreativ-Bereichen auch: 70 Prozent bestehen aus organisatorischer und verwaltungstechnischer Arbeit, und nur ein kleiner Bereich ist der kreative Part.
Natürlich sind die Kosten auch bei uns Thema, und wir haben nicht nur Kund*innen, wo Geld keine Rolle spielt (lacht). Zuerst sprechen wir einfach miteinander, und dann taste ich mich voran. Es kommt immer darauf an, was das Gegenüber möchte. Es macht einen Unterschied, ob es ein „klassischer“ Anzug oder ein sehr extravagantes Modell mit vielen Stunden Kreation vorab wird.
Wir arbeiten mit natürlichen Materialien wie Leinen, Baumwolle, Seide, Wolle und Kaschmir. Das Leinen beziehe ich aus Belgien, und ich habe Lieferant*innen aus Italien und Frankreich, eigentlich kommt fast alles aus der EU, bis auf die japanische Baumwolle. Natürlich sind mir Qualität und Nachhaltigkeit wichtig. Auch das Design vom Stoff und Material spielt eine wichtige Rolle, um danach eigensinnige Mode machen zu können.
Genauso wie die Farbe Schwarz wandelbar ist, so sehe ich mich eigentlich auch. Nach der Matura wollte ich unbedingt Steuerberater werden, dann habe ich ein Studium an der WU angefangen, ein Praktikum gemacht, und es war schnell klar, dass ich sicher kein Steuerberater werden will. Danach bin ich auf die TU gewechselt, weil mich Architektur interessiert hat – genau genommen Raumplanung, auch wegen der Soziologie. Zu der Zeit habe ich bei einer damals kleinen Baufirma begonnen – im Office-Management – und bin dort rasch aufgestiegen. Das Kreative hat mir aber gefehlt, und daher habe ich begonnen zu fotografieren. Ich habe mir einfach in der Westbahnstraße eine Leica gekauft und mit Street Photography begonnen. Als ich meine Fotos dann ausstellen wollte, wollte mich keine Wiener Galerie – logischerweise. Zufälligerweise stand damals in der Westbahnstraße ein Gebäude vor dem Abriss für ein Jahr lang leer, und ich habe es einfach angemietet und hatte plötzlich die Schlüssel zu 1000 Quadratmeter Nutzfläche. Dort haben sich andere Kreative eingemietet, und so bin ich in diese Welt eingetaucht. Den Job in der Baufirma habe ich gekündigt.
Kasimir Malewitsch hat einmal gesagt: „Anfang gut, alles gut.“ Das beschreibt das alles perfekt. Die Themen Leidenschaft und Mut spielten da einfach mit. Damals war ich jünger und mutiger. Heute muss ich mich manchmal wieder daran erinnern, dass es sich auszahlt, sich nicht immer zu viel Gedanken zu machen und einfach zu tun ...
Es gibt nichts, was mich nicht inspiriert, wenn ich offen dafür bin. Ein Gespräch mit einer Person, der ich auf der Straße begegne, eine Musik, die ich höre, ein Buch, das ich lese, Kleinigkeiten, die ich irgendwo auffange. Im Kopf bin ich eigentlich ständig am Kreieren. Und irgendwann kommt es dann aufs Papier. Zum Beispiel bin ich unlängst am Rücken am Teppich gelegen und habe Heavy Metal gehört. Das tue ich selten, aber es hat grad „Unsainted“ von Slipknot gespielt. Ich hatte schon den ganzen Tag irgendwas mit einem Herrenmantel im Kopf. Während des Songs sind mir die Ideen zum Mantel gekommen, und ich habe das Lied in Dauerschleife gehört und eine Skizze gezeichnet. Vielleicht werde ich den Mantel dann auch wirklich „Unsainted“ nennen, wenn ich ihn zur Herbst-Winter-Kollektion herausbringe.
Alles, außer Farbe (lacht).
Den allgemeinen Trend kenne ich nicht, aber wir haben Mode von Größe XXS bis Größe XXXL/ XXXXL und Maßanfertigungen. Unabhängig von Figur und Alter sollte jede Person eigensinnig sein können. Wir sind ja neben der Maßschneiderei auch Änderungsschneiderei, und was nicht passt, wird passend gemacht.
Ich glaube, ich habe Germany's Next Topmodel am Anfang einmal angeschaut und dann nie wieder. Es geht da ja nicht um Echtheit, und das alles ist reine Inszenierung – eine Person wird also zu einem Menschen gemacht, wie er oder sie sein soll. Das passt gar nicht zum Eigensinn und zu meiner Ideologie. Auch Social Media tangiert mich nicht wirklich.
Ich glaube, man sollte einfach dem folgen, wer man ist und was man machen möchte und damit nicht aufhören, nicht zurückstecken, nicht beim geringsten Widerstand gleich Nein sagen und immer den Sinn im Tun sehen. Manchmal tut man eben Sinnloses, das gehört dazu. Mut bedeutet auch, abgetretene Pfade zu verlassen und dazu zu stehen. „Wege entstehen beim Gehen“, da halte ich mich an Franz Kafka …
Toni Woldrich ist Eigentümer und Designer vom Wiener Modelabel „eigensinnig“. Der Sitz im 7. Bezirk vereint Designerlabel und Modegeschäft, Maßschneiderei und Änderungsschneiderei sowie Kreativstudio und Experimentier-Werkstatt. Die Avantgarde Mode in Schwarz ist für Individualist*innen, die sich ausdrücken wollen und Wert auf Qualität legen.
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