„Unsere Gletscher verschwinden. Sie sterben lautlos. Doch was das für uns als Gesellschaft, für uns als Menschheit bedeutet, liegt außerhalb unserer Vorstellungskraft“, sagt Harry Putz. Und deshalb widmet der Innsbrucker Kameramann und Filmemacher mit seiner neuen Doku „Requiem in Weiß“ einem Thema, das ihm als Bergmensch persönlich sehr am Herzen liegt: „Wir müssen erkennen, dass etwas unwiederbringlich verloren geht. Mehr noch: Dass sich etwas verändert – aber wir als Menschheit noch keine Ahnung haben, was durch diese Erderwärmung und den Klimawandel wirklich auf uns zukommt. Die Gletscher sind jedenfalls nur ein Anzeichen der Veränderungen. Mit diesem Film will ich dazu beitragen, die Empathie für unsere Natur zu fördern.“
Das Bewusstsein hat gefehlt
Harry Putz, 51, ist in einer wintersportbegeisterten Familie am Arlberg aufgewachsen, sein Onkel, Gerhard Nenning, feierte im Weltcup unter anderem Siege in Wengen und Kitzbühel und gewann in den 1960ern drei WM-Medaillen. Er selbst tingelte in den 1990ern – wegen seiner auffälligen Dreadlocks bekannt als „fastest Rasta“ – als Snowboard-Rennfahrer rund um den Planeten. „Ich war auf Gletschern im Himalaya-Gebirge, in Neuseeland und in Spitzbergen unterwegs, in den Sommer- und Herbstmonaten habe ich auf Gletschern in Österreich trainiert.“
Schon damals, erinnert sich Harry Putz, habe es erste Diskussionen über einen Rückzug der Gletscher gegeben: „Man dachte aber, das wäre nur ein kurzfristiger Effekt. Wir haben zwar gemerkt, dass sie Jahr für Jahr ein wenig stärker abschmelzen. Aber es war ja trotzdem noch so viel von den Gletschern vorhanden.“ Nachdenklicher Nachsatz: „Mir hat, wie so vielen anderen Menschen, das notwendige Bewusstsein für das Problem gefehlt.“
Warum die Gletscher verschwinden
Für seinen neuen Film, der ab 19. März mit einer Premierentour in die Kinos kommt, besuchte Harry Putz 14 Gletscher in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Südtirol. Und er sprach mit zahlreichen Expertinnen und Experten aus der Klimatologie, der Glaziologie und angrenzender Forschungsfelder: „Die Gletscher zeigen uns ganz klar, was in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Klima passiert ist. Das rapide Abschmelzen passiert nicht nur, weil es jetzt so warm ist, sondern weil es im Laufe der vergangenen Jahrzehnte um so viel wärmer geworden ist. Die Effekte treten verzögert ein.“
Gletschereis bildet sich grundsätzlich durch Schneefall im Einzugsgebiet der Gletscher: „Schneeschichten verdichten sich mit den Jahren zu Eis. Durch die Schwerkraft bewegt sich der Gletscher ganz langsam talwärts und schmilzt dort ab, wo es ihm dann zu warm wird. Da jetzt von oben aber nichts mehr nachkommt, weil in den Sommern kein Schnee mehr liegenbleibt, fehlt halt der Nachschub. Dadurch beschleunigt sich das Abschmelzen an der Gletscherzunge. Das Fatale aber ist, dass sich die Einzugsgebiete nicht mehr aufbauen, sondern ebenfalls völlig abschmelzen.“
Die Probleme sind hochkomplex – und die Folgen unabsehbar: „Selbst, wenn wir sofort alle CO2-Emissionen stoppen und ab heute klimaneutral sind, wird dieser von uns initiierte Rückkopplungseffekt die Temperatur weitere 30 bis 40 Jahre steigen lassen.“ Und das heißt, dass lediglich sechs bis zehn Prozent der Gletscher in den Ostalpen bestehen bleiben.

Wir müssen erkennen, dass etwas unwiederbringlich verloren geht. Mehr noch: Dass sich etwas verändert – aber wir als Menschheit noch keine Ahnung haben, was durch diese Erderwärmung und den Klimawandel wirklich auf uns zukommt. Die Gletscher sind jedenfalls nur ein Anzeichen der Veränderungen.
Wozu wir die Gletscher brauchen
Doch was bedeutet dieses Gletschersterben konkret? Könnten wir nicht einfach einen metaphorischen Mantel des Vergessens über die Geröllfelder werfen, wo einst mächtige Gletscher lagen? „Nein“, sagt Harry Putz. Denn tatsächlich ist unser Leben (und das nicht nur in der Alpenrepublik) auf einen Jahrtausende alten Kreislauf abgestimmt: „Das Gletschereis hält frisch gefallenen Schnee besser am Berg. Wenn der Schnee im Frühjahr und Sommer abschmilzt, führt das zu einem regelmäßigen Abfluss des Wassers über unsere Flüsse.“
An dieses System hat sich unsere Natur im Laufe der Zeit angepasst. „Wenn die Gletscher fehlen, verändert das unser sogenanntes Abflussmanagement ganz entscheidend. Und das wirkt sich auf die Pegelstände der Flüsse ebenso aus wie aufs Grundwasser.“ Neben unabsehbaren Auswirkungen auf die Artenvielfalt erwartet Harry Putz auch ganz konkrete Folgen für viele Haushalte in ganz Österreich: „Wasserkraftwerke, etwa am Inn oder auch an der Donau, werden deutlich geringere Strommengen produzieren, wenn im Frühjahr und Sommer weniger Wasser abfließt und die Flüsse damit deutlich weniger Kraft haben.“
Kein Bashing der Tourismus-Industrie
Dass die UNESCO (die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur) und die WMO (die Weltorganisation für Meteorologie) 2025 zum „Internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher“ erklärt haben, war Harry Putz zu Beginn seiner Arbeit gar nicht bewusst. „Mir ging es ursprünglich um die Frage: Wie gehen wir mit der Natur um. Und da spielt der Tourismus eine entscheidende Rolle, denn die Gletscher werden dafür ausgenutzt.“
Gerade in seiner Heimat werde, laut Harry Putz (der sich in seiner vorangegangenen Produktion „Bis zum letzten Tropfen“ intensiv mit dem Thema „Tirol und die Wasserkraft auseinandergesetzt hat), „die Natur regelrecht prostituiert. Mich stört wahnsinnig, was in der hochalpinen Welt passiert. Aber ich hinterfrage mich natürlich: Ist das nur ein persönliches Gefühl? Gibt es gute Argumente, die rechtfertigen, was auf den Bergen passiert? Dass man die Kapazitäten in den Skigebieten immer weiter ausbaut? Dass man immer größere, breitere Pisten braucht und überall Kunstschneeanlagen errichtet? Dass man neue Gletscher erschließt, die in absehbarer Zeit ohnehin verschwunden sein werden? Warum darf man Skigebiete etablieren, wo noch Wildnis ist?“
Auf der Suche nach Antworten lässt Harry Putz in „Requiem in Weiß“ nicht nur Naturschützer*innen zu Wort kommen, sondern auch – bewusst nicht gegendert – Vertreter des Tourismus und der Seilbahnindustrie, die weiterhin großes Interesse am wirtschaftlichen Ausbau der Gletschergebiete hat: „Mein Film soll kein Bashing der Wintersport- und Tourismusbranche sein.“
Wichtiger ist eine grundlegende Philosophie seines Lebens: „Kampf bringt überhaupt nichts, Lösungen müssen im Dialog gesucht werden. Es ist nicht meine Absicht, für eine der beiden Seiten Werbung zu machen, sondern zu reflektieren: Wie weit kann man gehen mit der Vermarktung unserer Berge, mit dem weiteren Ausbau? Und wo gibt es Grenzen, die man erkennen und neu definieren muss?“
Schmerzhafte Veränderungen
Eine beeindruckende Rolle in dem Dokumentarfilm spielt eine Aktion der NGO „Protect Our Winters“: Umweltaktivistinnen und -aktivisten haben 2023 auf der Pasterze am Großglockner in einer spektakulären PR-Aktion einen Sarg aus Eis symbolisch zu Grabe getragen. „Dieses ‚Gletscherbegräbnis‘ war optisch sehr förmlich, wodurch es verwirrend und ein wenig anstößig wirkte. Der Trauermarsch ist richtig unter die Haut gegangen. Es war aber auch absurd: Die Reden, die hauptsächlich wissenschaftlichen Background vermitteln sollten, wurden direkt auf der Aussichtsterrasse gehalten, wo die Touristen ankommen und einen ersten Blick auf die Pasterze werfen. Motorräder, Kinder, Hunde. Das war ein schöner Kontrast …“
Dass die Pasterze gerade dabei ist, durch das ungebremste Abschmelzen ihren Status als größter Gletscher Österreichs zu verlieren, ist nur ein weiterer Beleg für die Dramatik der Situation. „Ich bin ja grundsätzlich ein zuversichtlicher Mensch“, sagt Harry Putz. „Aber ich mach’ mir nichts vor und stelle mich auf schmerzhafte Veränderungen ein. Dass Anfang Jänner halb Los Angeles brennt, weil es zu trocken geworden ist – das ist doch ein weiteres Zeichen, dass vieles nicht mehr im Lot ist. Wie deutlich müssen diese Zeichen noch werden, bis man endlich reagiert und handelt?“

Verbindung zur Natur finden
Als aktiver Sportler galt Harry Putz selbst in der Welt der lässigen Snowboarder als Rebell. Seit gut 30 Jahren wachsen seine Dreadlocks vor sich hin, aus dem Vegetarier ist längst ein überzeugter Veganer geworden. Er habe einfach irgendwann beschlossen, sich nicht nur bewusster zu ernähren, sondern auch bewusster zu leben. Deshalb hat Harry Putz als Kameramann immer wieder Aufträge abgelehnt, wenn sie seinem Weltbild widersprochen haben: „Ich verzichte lieber auf Geld als auf meine Ideale.“
Dass er mit „Requiem in Weiß – Das würdelose Sterben unserer Gletscher“ nicht reich wird, sei ihm klar. Wichtiger ist es ihm, Bewusstsein für die Probleme zu schaffen, die mit dem Klimawandel einhergehen. Deswegen ist er bei der Produktion eine Partnerschaft mit dem österreichischen und dem deutschen Alpenverein eingegangen: „Wir stellen den einzelnen Sektionen nicht nur den Film, sondern Assets wie Poster oder digitale Medien zur Verfügung, und sie können dann eigene Events mit anschließenden Diskussionsrunden veranstalten.“
Außerdem wird es vom Film eine Kurzversion für den Einsatz in Schulen geben. In dieser Variante wird der Schwerpunkt auf einem verständlichen Zugang zu wissenschaftlichen Fakten liegen, um Diskussionen in den Klassenzimmern anzuregen: „Ich will aufklären und die Menschen sensibilisieren – vor allem junge Leute, die immer seltener rauskommen und dadurch weniger Empathie und Verständnis für die Natur mitbringen.“
„Das sei eben der Lauf“, sagt Harry Putz. Er weiß, dass Jammern und Weinen nichts bringen. Miteinander zu kommunizieren hingegen schon: „Man darf das der jungen Generation nicht übelnehmen, denn wir haben das selbst verursacht. Die digitale Welt hat halt einfach das Naturerlebnis abgelöst. Dabei ist es essenziell, dass wir in Verbindung mit der Natur leben und verstehen, wie die Kreisläufe funktionieren. Nur dann bekommen wir ein Gespür dafür, was man machen muss, um die Natur zu erhalten. Aber generell müssen wir renaturieren, wo immer wir können – und der Natur Raum zurückgeben, damit sie sich erholen kann!“
Harry Putz, Jahrgang 1973, hat seine Karriere als Snowboard-Profi begonnen. Seit 1998 produziert er Bergfilme, 2023 sorgte der Dokumentarfilm „Bis zum letzten Tropfen“ auf internationalen Festivals für Furore. Der Wahl-Innsbrucker ist Mitbegründer, Veranstalter und Kurator des Freeride Filmfestivals, das seit 2010 die besten Ski- und Snowboard-Filme auf die Leinwand bringt. Sein Sohn Vincent, 20, fungierte bei „Requiem in Weiß“ nach der Matura als sein Assistent – „und das macht mich sehr stolz!“
„Requiem in Weiß“ im Kino: Präsentiert wird der 60-minütige Film auf einer Premieren-Tour in Wien (19. März, Stadtkino), Innsbruck (21. März, Metropol Kino), Schlanders (23. März, Basis Vinschgau), München (28. März, Leopoldkino) und Naters (4. April, WNF Konferenzsaal).
funk tank-Gewinnspiel: Für die Premiere von „Requiem in Weiß“ samt Podiumsdiskussion, u. a. mit der Meteorologin und Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb im Wiener Stadtkino am 19. März – Beginn 17:30 Uhr – verlosen wir 2 × 2 Tickets, hier mitmachen!
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