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Von Upcycling bis Kleidung aus dem Labor: Mode heute und morgen

Wie wird die Mode der Zukunft aussehen? Kann Upcycling die Antwort auf aktuelle Probleme sein? Und was steckt überhaupt hinter dem Begriff „Science Fashion“? Eine Bestandsaufnahme zwischen aktuellen Entwicklungen und Zukunftsvisionen.
Moodbild "Mode von heute und morgen"
© Nearon

Viele Fakten über unseren Modekonsum stimmen ganz schön nachdenklich. Dass man jährlich mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert, beispielsweise, und ein großer Teil davon ungetragen auf Mülldeponien landet oder die Natur verschmutzt. Oder auch die Tatsache, dass die meisten dieser Produkte innerhalb von nur fünf Jahren nach dem Kauf weggeworfen werden. Dennoch erwartet man, dass die weltweite Kleidungsnachfrage noch steigt. Neue, umweltfreundlichere Materialien herzustellen und an effektiven Recycling- und Abfallsystemen für Textilabfälle zu arbeiten, sind wichtige Schritte, packen das Problem allerdings nicht an der Wurzel. Der wahre Übeltäter ist immer noch die Überproduktion. Neue Kleidung aus bereits bestehenden Materialresten herzustellen, ist daher aktuell die effektivste Maßnahme, wenn man diesen Problemen entgegenwirken möchte. Upcycling spart Ressourcen, rettet Stoffe vor dem Müll – und ist glücklicherweise gerade voll im Trend. Labels wie E.L.V. Denim aus Großbritannien, Avenir aus Deutschland oder ReJean Denim aus Glasgow zählen zu den Vorreiter*innen dieser nachhaltigen Technik. Vielversprechenden Nachwuchs gibt es aber auch in Österreich.

Kleine Schritte, große Wirkung

„Wir wollen zeigen, dass man auch aus alten Textilien etwas Schönes machen kann, das qualitativ sogar besser ist als Fast Fashion“, erzählen Maryna und Olha, zwei Studentinnen, die seit drei Jahren das Wiener Modelabel Nearon führen. „Anfangs hatten wir die Materialbeschaffung stark unterschätzt. Man weiß zwar, dass es tonnenweise ausrangierte Textilien gibt, nur muss man erst einmal herausfinden, wie man an sie herankommt.“ Die beiden schrieben mehr als 50 Sortierungswerke an, nur drei antworteten. Das Problem: Bei solch vergleichsweise kleinen Mengen wittern Unternehmen kein Geschäft. „Die Sortierungswerke taten sich schwer, unser Konzept zu verstehen und dass es sogar gut für sie ist. Second-Hand- oder Vintage-Shops nehmen keine Ware an, die Flecken oder Löcher hat. Wir allerdings schon, denn diese fehlerhaften Teile schneiden wir einfach weg. Ein Konzept wie unseres ist noch zu neu für sie. Was wir kaufen, ist ja eigentlich Abfall, der sonst verbrannt wird“, erzählt Maryna.

Mittlerweile fanden die beiden passende Sortierungswerke rund um Österreich. „Wir bestellen meist eine halbe Tonne alter Jeans – für die ist diese Menge allerdings nichts.“ Aber Faktoren wie Transport, Waschen und Lagerung sind für ein kleines Label eben schwierig zu handhaben. Maryna und Olha sehen sich als Aktivistinnen und plädieren stets dafür, jeden Kauf gut zu überlegen: „In unserem Heimatland der Ukraine gibt es im Moment wirklich wichtigere Themen, über die man sich sorgen muss. Aber in wohlhabenden Ländern leben wir im Überfluss und man hat den Luxus, es sich aussuchen zu können, wo man seine Kleidung kauft. Da wäre es wichtig, Marken auszuwählen, die fair bezahlen oder auf bereits Bestehendes zurückgreifen. Es gibt in jeder Stadt unzählige Second-Hand-Shops und viele Online-Plattformen – Ausreden gelten also nicht.“ Und nachhaltigere Alternativen wird es in Zukunft wohl noch häufiger geben, verspricht zumindest die Wissenschaft.

Mode von Nearon
© Nearon

Eine Revolution im Hintergrund

Als Model Bella Hadid ein weißes Slipdress live auf dem Runway der Coperni-Show auf den Körper gesprüht wurde, liefen die Smartphones heiß. So etwas hatte Social Media noch nicht gesehen. Das war vor zwei Jahren. Für Sabine Seymour war diese Aktion damals schon ein alter Hut. „Solche aufsprühbaren Textilien, wie sie das Unternehmen Fabrican für Coperni zeigte, gibt es seit 20 Jahren“, erzählt die Wissenschaftlerin und Unternehmerin, die sich bereits in den 90ern auf das Thema Science Fashion spezialisierte. Tatsächlich wurde Fabrican schon 2003 gegründet und die Sprühtextilien vom Time Magazine als eine der „50 Best Inventions of 2010“ prämiert. Bis es zum viralen Social-Media-Moment kommt, sind viele dieser erstaunlichen neuen Materialien meist nur in Wissenschaftskreisen bekannt. „Dabei gibt es unzählige spannende Projekte in dem Bereich“, sagt Seymour, die sich mit ihren Unternehmen Moondial und Pony Earth unter anderem auf die Integration von Technologie und KI in Textilien spezialisiert. Die Zukunft der Mode hat für sie schon längst gestartet – nur eben im Hintergrund. „Es gibt bereits Färbetechniken mit Algen oder Bakterien. Im Myzelium, also den fadenförmigen Zellen eines Pilzes, steckt großes Potenzial. Oder neue Naturfasern aus agrarwirtschaftlichen Abfällen wie Reishülsen, Stroh oder Hanf“, schwärmt sie weiter. Seymour muss es wissen: Die Österreicherin wurde an der Parsons School of Design in New York zur ersten Professorin für Fashionable Technology ernannt, ein Begriff, den sie mit ihrem gleichnamigen Buch prägte, das 2008 erschien.

Growing Patterns Living Pigments by studio LIA
Growing Patterns Living Pigments by studio LIA © Florian Voggeneder

Es gibt bereits Färbetechniken mit Algen oder Bakterien. Im Myzelium, also den fadenförmigen Zellen eines Pilzes, steckt großes Potenzial. Oder neue Naturfasern aus agrarwirtschaftlichen Abfällen wie Reishülsen, Stroh oder Hanf.

Science what?

Science Fashion ist ein Bereich, der gerade Fahrt aufnimmt. Gründe dafür sind neben technologischem Fortschritt vor allem die Notwendigkeit von ressourcensparenden und umweltschonenden Textilien und Verarbeitungsweisen für die Zukunft. Science Fashion oder auch BioTech Fashion kombiniert dabei Designprinzipien mit wissenschaftlichen Disziplinen wie Technik, Ergonomie, Physiologie und Biologie. Man bewegt sich dabei in zwei Richtungen: Zum einen ist das tragbare Technologie, also Textilien, die elektronische Impulse senden und damit den Körper bemessen. Zum anderen Biomimikry oder Biomimetik, die sich die Natur zum Vorbild nimmt. Biologische Prozesse lassen sich nämlich digitalisieren, indem man die Codes der chemischen Zusammensetzung von DNA in die Einsen und Nullen der Computersprache umwandelt. Führend auf diesem, zugegeben sehr abstrakten Forschungsgebiet sind derzeit Frauen. Designerin Suzanne Lee beispielsweise entwickelte gemeinsam mit dem Zentrum für Synthetische Biologie am Imperial College London ein visionäres Forschungsprojekt zu Kleidung, die aus bakterieller Zellulose wächst. Unter Einsatz harmloser Bakterien werden Zellulose-Nanofasern gesponnen und gleichzeitig zu einem textilähnlichen Material geformt, das in einer Grünteelösung gezüchtet und in einer Passform getrocknet werden kann. Die Professorin und Pionierin im Bereich Science Fashion Carole Collet arbeitet wiederum seit Jahren daran, das Zellwachstum in Pflanzen so zu programmieren, dass sie bestimmte Funktionen für uns erfüllen. Geht es nach Collet, züchten wir im Jahr 2050 z. B. eine hybride Erdbeerpflanze, die gleichzeitig Erdbeeren und an den Wurzeln eine feine textile Spitze produziert.

Ich bin noch nicht überzeugt von teuren Materialien, die man im Labor wachsen lässt. Ich halte mehr davon, Neues aus etwas zu machen, das wir derzeit wegwerfen.

Wohin die Reise geht

Im Moment sind solche Quantensprünge noch Zukunftsmusik, erklärt Sabine Seymour: „Die Forschung macht derzeit wahnsinnig große Fortschritte, für die Industrie steckt das Thema dagegen noch in den Kinderschuhen. Denn im Moment ist die Produktion neuer Bio-Materialien nicht skalierbar und damit zu teuer.“ Dennoch erreichen vereinzelte Innovationen bereits große Modehäuser: Stella McCartney stellte z. B. einen Jumpsuit vor, der mit den von Elissa Brunato und ihrem Unternehmen Radiant Matter entwickelten, biologisch abbaubaren „BioSequins“-Pailletten bestickt wurde. Auch Julia Moser ist der Meinung: Textilien auf Kosten der Umwelt zu färben, war gestern, Muster nachhaltig wachsen zu lassen, ist die Zukunft. Die junge Österreicherin widmet ihre Forschung dem Färben mit lebenden Bakterien, u. a. mit dem Projekt Growing Patterns Living Pigments. Dieser Prozess könnte in Zukunft viele Ressourcen schonen sowie Umweltverschmutzung eindämmen. Julias Färbemethode benötigt nämlich kaum Wasser und keinerlei schädliche Chemikalien. Eine Eigenheit haben die Färbehelfer allerdings: Muster und Farben sind nicht vorhersehbar. „Alles Naturgegebene enthält Unregelmäßigkeiten. So wie kein Blatt eines Baumes je ident ist, verhalten sich auch die Bakterienstämme nie gleich“, erzählt Moser. „Besonders spannend ist, dass es nicht irrelevant zu sein scheint, welche Person die Tätigkeit ausführt. Bei Bakterien handelt es sich um lebendige Organismen, die ihren eigenen Willen haben und reagieren“, erzählt Julia Moser fasziniert.

Ein gemeinsames Mindset für die Zukunft

Für Expert*innen wie Sabine Seymour sind Errungenschaften wie diese in Zukunft nur sinnvoll, wenn man sie nicht genauso verschwenderisch einsetzt wie bestehende Verfahren: „Ich bin noch nicht überzeugt von teuren Materialien, die man im Labor wachsen lässt. Ich halte mehr davon, Neues aus etwas zu machen, das wir derzeit wegwerfen.“ Denn das nachhaltigste Material bringt nichts Gutes, wenn die Produktion dafür enorm viel Energie oder Wasser verbraucht. Wirklich realistisch wird es erst, wenn diese Materialien einen Price Point erreichen, der nicht im Luxussektor liegt. Science Fashion, so die Wissenschaftlerin, schafft ihren Impact erst im Großen. Und bis dahin heißt es: Zufrieden sein mit dem, was man bereits hat.

Jährlich werden mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert, viele davon landen aufgrund der Überproduktion im Müll. Dennoch steigt die weltweite Nachfrage nach Textilien. Österreichische Modelabel wie Nearon oder Tech-Fachfrau Sabine Seymour sorgen dafür, dass die Mode der Gegenwart und Zukunft umweltfreundlicher ist. Auch international ist nachhaltige Mode total im Trend.

Nearon

Pony Earth

Growing Patterns Living Pigments

Redakteurin Jenni Koutni
Jenni Koutni
sieht sich als Sprachrohr für jene, die etwas Gutes bewirken wollen und darf dabei ihre Leidenschaft fürs Schreiben ausleben.

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