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Der Charme der Langsamkeit

Revolution gegen die Perfektion und eine immer schneller werdende digitale Welt. Stefan Csáky kehrt zurück zu seinen beruflichen Wurzeln und findet in der analogen Fotografie eine kreative Subkultur, die uns entschleunigt und unseren Seelen schmeichelt.
Moodbild Fotostudio Stefan Csáky Analogfotografie
© Dino Rekanović/Photo Cluster

Vorweg ein Hinweis in eigener Sache: Der Csáky und ich, wir kennen (und mögen) einander schon länger. Woher und seit wann genau, wissen wir nicht mehr. Das Wiener Nachtlokal Shelter, das es leider nicht mehr gibt, war eine gemeinsame Heimat, ebenso die Arena, das U4 und das Flex. Überhaupt, der Rock ’n’ Roll, die dunkle Luft, das Oage generell. Zur folgenden Geschichte kam es, weil Stefan für uns Jan Hoša und seine „Do Something Great Society“ fotografiert hat. Er hatte eine seiner alten, schweren Analogkameras mit und nebenbei erwähnt: „Mir taugt’s auch wieder sehr, von diesem Null und Eins der digitalen Welt wegzugehen und zu den Wurzeln des Handwerks zurückzukehren.“ Wir haben darüber nachgedacht, wie eine Geschichte über ihn und seine wieder erwachte Leidenschaft für analoge Fotografie ausschauen könnte, und er hat gesagt: „Komm‘ ins Studio, ich fotografier dich und dabei erzähl ich dir, worum es geht …“

Klack!

Der satte, mechanische Verschluss der Blende steht am Ende einer unveränderlichen Abfolge notwendiger Handgriffe, die exakt eine Minute und 40 Sekunden gedauert hat. Und es ist der krönende Abschluss eines Prozesses, der zuvor eine gute halbe Stunde in Anspruch genommen hat (und noch mehr, wenn man Stefan Csákys Vorbereitung im heimischen Dunkelzelt einberechnet, wo er einzelne Filmblätter – je zwei Stück pro Magazin – händisch in eine Halterung einschieben musste). „Analoge Fotografie entschleunigt“, sagt der 52-jährige Wiener. „Sie fordert aber nicht nur meine vollständige Achtsamkeit, sie verlangt auch von den Menschen vor der Kamera einen klaren Fokus auf den Moment. Wir müssen uns miteinander beschäftigen, um gemeinsam zu einem schönen Ergebnis zu kommen.“

Selbstportrait Stefan Csáky
Stefan Csáky © Stefan Csáky

Eine Art Revolution

Stefan Csáky ist Fotograf aus Leidenschaft. Natürlich, sagt er, arbeitet er auch mit modernstem Digital-Equipment; in vielen Bereichen bringt es durchaus große Vorteile mit sich. Aber seine Liebe gilt eben der analogen Fotografie – und das nicht nur aus Sentimentalität. „So habe ich das Fotografieren erlernt. So habe ich das Handwerk schätzen gelernt. Ich mag das Haptische!“ Und er mag die Philosophie, die überraschenderweise dahintersteckt. „Analoge Fotografie ist eine Form der Revolution gegen unser modernes Gesellschaftsmodell. Heute muss in allen Lebensbereichen immer alles schneller funktionieren. Alles muss sofort fertig und immer und überall verfügbar sein. Und gleichzeitig ist nichts mehr richtig fassbar. Analoge Fotografie ist langsam und aufwendig. Sie ist ein Gegenentwurf zum permanenten Druck. Sie ist ein Aufbegehren gegen die Digitalisierung unseres Lebens.“

Aura der Wertigkeit

Für unser Porträt (eine Hommage an den Sänger Paul Westerberg) schleppt Stefan Csáky seine gut 70 Jahre alte Linhof Technika V ins Studio, in den Keller des Photo Clusters in Wien 7. Seine „Big Mamacita“, wie er die Kamera liebevoll nennt, ist eine massive, robuste Großformatkamera. Sie ist so schwer, dass sie zum Fotografieren auf einem Stativ befestigt werden muss. Kein Plastik, keine Elektronik, keine Sensoren, kein moderner Schnickschack. Natürlich kein Autofokus. Um scharfzustellen, schlüpft er unter ein schwarzes Tuch und begutachtet sein Motiv, das auf der rückseitigen Mattscheibe der Kamera nicht nur auf dem Kopf steht, sondern auch noch spiegelverkehrt dargestellt wird – durch eine Lupe. „Eigentlich“, sagt Stefan Csáky, „sind diese Dinge unglaublich simpel aufgebaut. Vorne wird eine Optik aufgesteckt, hinten kommt der Film hinein. Fertig.“

Und doch umgibt diesen Apparat (ebenso wie eine ähnlich alte japanische Mamiya, die er zur Sicherheit ebenfalls mitgebracht) eine ganz besondere Aura. Eine Aura, die weit über das verklärte Sehnen nach einer besseren Zeit hinausgeht. „Du spürst die Wertigkeit eines Objekts, bei dem vor vielen Jahren jedes Teil mit Liebe zum Detail und höchsten Qualitätsansprüchen hergestellt wurde. Diese Kamera geht einfach nicht kaputt. Und wenn doch etwas passieren sollte, kannst du auch heute noch Einzelteile reparieren oder austauschen lassen.“

Redakteur Hannes Kropik steht Modell für Stefan Csáky
Redakteur Hannes Kropik steht Modell für Stefan Csáky © Dino Rekanović/Photo Cluster
Foto Hannes Kropik © Stefan Csáky
Hannes Kropik © Stefan Csáky

Von der Vision zur Realität

Stefan Csáky verdient sein Geld seit knapp 30 Jahren als Fotograf. Begonnen hat der begeisterte Extremsportler als einer der ersten Snowboard-Fotografen, später zählte er zu den führenden Mode- und Werbefotografen des Landes. „Wobei ich sagen muss, dass mich die Mode selbst nie interessiert hat. Mir war vollkommen egal, ob die Models Gewand von Louis Vuitton oder H&M anhatten. Ich hätte es wahrscheinlich nicht einmal unterscheiden können. Mir ist es immer nur ums Fotografieren selbst gegangen. Und darum, miteinander meine Vision von einem guten, interessanten Foto Realität werden zu lassen.“

Dabei hat Stefan Csáky keine formale Ausbildung genossen. Auf der Graphischen, der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt, hat er nach der Matura die Aufnahmeprüfung versemmelt. „Das Jahr in Friedl Kubelkas Schule für künstlerische Fotografie war sehr spannend. Aber da ging es in erster Linie um konzeptionelle Kunstfotografie, und ich wollte doch eigentlich nur Porträts fotografieren …“

Aus Liebe zum Makel

Ursprünglich wollte Stefan Csáky seinem Großvater nacheifern und Arzt werden, doch das Medizinstudium war Anfang der 1990er-Jahre vollkommen überlaufen. „Ich habe es drei Semester lang versucht, aber diese komplett überfüllten Hörsäle waren nicht meine Welt, das Fotografieren hingegen schon. Meine erste richtige Kamera war eine Pentax Super A, die mir mein Vater geschenkt hat.“

Zum Learning by Doing gehörten für den fotografischen Autodidakten viele, viele Stunden in der Dunkelkammer. „Ich habe es geliebt, meine verkaterten Sonntagnachmittage damit zu verbringen, Negative zu entwickeln und Fotos zu vergrößern. Mich hat dieser gesamte Prozess fasziniert – und das tut er immer noch!“

Was ihn außerdem begeistert, ist das Unperfekte in der analogen Fotografie. „Diese Filme haben von Haus aus eine Körnung, die wir bei digitalen Fotos als Makel wahrnehmen würden. Und sie können nicht so viele Nuancen bei Licht und Schatten abbilden wie es Digitalkameras können. Aber gerade dieser klassische ‚cineastische‘ Stil hat aus meiner Sicht viel mehr Charme als die glatte und deshalb zu einem gewissen Grad seelenlose Digitalfotografie. Analog entspricht unseren Sehgewohnheiten. Analog schmeichelt unseren Augen.“

Foto Monki Diamond - Tattoo Artist
Tattookünstlerin Monki Diamond © Stefan Csáky

Bei der analogen Fotografie musst du dich von Anfang an konzentrieren. Du kannst Fehler – etwa bei der Belichtung – nachträglich viel schwerer korrigieren. Du kannst dich nicht durchschummeln. Und das gefällt mir.

Tattoo Artist Steve Littlefingers
Tattookünstler Steve Littlefingers © Stefan Csáky

Ein Blick hinter die Augen

Einen wesentlichen Unterschied zwischen analoger und digitaler Fotografie können wir an dieser Stelle mit einem plumpen „Klasse statt Masse“ zusammenfassen. „Digital schießt du wahnsinnig schnell dutzende, vielleicht hunderte Bilder hintereinander. Und du weißt, da werden schon ein paar sehr gute dabei sei – und notfalls kannst du sie am Computer immer noch nachbearbeiten und durch irgendwelche Filter jagen. Bei der analogen Fotografie musst du dich von Anfang an konzentrieren. Du kannst Fehler – etwa bei der Belichtung – nachträglich viel schwerer korrigieren. Du kannst dich nicht durchschummeln. Und das gefällt mir.“

Analoge Fotografie verlangt aber auch vom Menschen vor der Kamera eine intensive Beschäftigung mit sich selbst. „Du musst wissen, wie du dich präsentieren willst. Denn wir machen eben nur ein oder zwei Fotos. Vielleicht zehn. Auf jeden Fall hilft es uns beiden, wenn wir uns vorher darüber unterhalten, wie das gewünschte Bild aussehen soll. Das macht die Zusammenarbeit zwischen Fotograf und Model viel persönlicher.“

Stefan Csáky versteht sich selbst nicht als Künstler. „Ich habe immer sehr viel Respekt vor der Kunst gehabt, und sehe mich lieber als kreativen Handwerker.“ Mit seinen Bildern will er vor allem den wahren Charakter der Menschen vor seiner Kamera herausarbeiten. „Ich will nicht großspurig vom ‚Spiegel der Seele‘ sprechen, das wäre mir zu esoterisch. Aber durch ein gelungenes Foto, ein gutes Porträt, kannst du ein wenig hinter die Augen einer Person schauen und als Betrachter eine Ahnung von diesem Menschen bekommen.“

Analogfoto Heinz Fischer
Alt-Bundespräsident Heinz Fischer © Stefan Csáky

Kreative Subkultur

Kommerziell wird die analoge Fotografie neben der günstigeren, schnelleren Digitalfotografie in Zukunft nie mehr als eine Nische für Liebhaber sein. „Aber es entsteht gerade eine kreative Subkultur, von der es nicht mehr viele gibt. Es fasziniert mich auch zu sehen, wie viele junge Leute, wie viele Influencer und Content Creators gerade wieder mit analogen Kameras durch die Stadt laufen. Sie haben erkannt, dass sie einen klassischen Look erzeugen können, ohne irgendwelche digitalen Filter zu verwenden.“

„Letztendlich“, sagt Stefan Csáky, „geht es ja gar nicht darum, einer längst verlorenen Zeit und Kultur hinterher zu jammern. Aber wir können uns unserer Tradition bewusst sein und uns auf unsere handwerklichen Fähigkeiten besinnen. Ich denke oft an das Sprichwort, wonach man nicht der Asche huldigen, sondern die Flamme weitertragen soll.“ Für die analoge Fotografie ist Stefan Csáky Feuer und Flamme.

Foto Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams
Friedensnobelpreisträgerin Jody Williams © Stefan Csáky

Stefan Csáky verpasste als Windsurfer mit einer Geschwindigkeit von exakt 50,0 Knoten, umgerechnet 92,6 km/h, bei der Lüderitz Speed Challenge 2018 in Namibia den österreichischen Rekord nur um 0,2 km/h. Wenn der Katzenfreund nicht mit irgendwelchen Sportgeräten draußen am Wasser herumtobt, arbeitet er als Fotograf mit Homebase in Wien.

Grainy Day – Stefan Csáky

Portrait Hannes Kropik
Hannes Kropik
vergöttert Katzen und arbeitet als freier Journalist und Autor. Geplanter Pensionsantritt: 2034.

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