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„Slow Food ist keine Marketing-Idee, es ist eine Haltung“

Ingrid und Gottfried Bachler sind Slow Food Expert*innen erster Stunde. Ein Gespräch über die nachhaltige Genuss-Bewegung, „Gutes Essen“ und ein bewussteres Leben für uns alle in der Zukunft …
Ehepaar Bachler beim bewussten Genießen von Essen und Trinken
© Elias Jerusalem

Alles begann 1980 im Piemont und bei dem einen oder anderen Glaserl Wein, bei Barolo um genau zu sein. Der Italienische Publizist und Soziologe Carlo Petrini hat damals mit einer Gruppe Weinliebhaber*innen die Gesellschaft der „Freunde des Barolo“ gegründet, um dem Wein der dortigen Gegend mehr Wertschätzung zu zollen. Genau diese Runde sorgte sechs Jahre später für noch mehr Aufsehen. Und zwar mit einem öffentlichen Pasta-Essen an der Spanischen Treppe in Rom als Protest gegen die Eröffnung einer McDonald’s-Filiale in der historischen Innenstadt. Die Slow Food Bewegung war damit geboren, damals noch unter dem Vereinsnamen „Arcigola“, seit 1989 international anerkannt. „Mittlerweile engagieren sich über 1 Million Menschen in mehr als 160 Ländern für eine Esskultur, die Genuss und Verantwortungsbewusstsein vereint – mit dem Ziel, ein gerechteres, besseres und damit zukunftsfähiges Lebensmittelsystem zu schaffen. „Damals wie heute kämpfen wir als Slow Food Expert*innen für regionale Traditionen, gutes Essen, kulinarischen Genuss und ein moderates Lebenstempo“, so das Team von Slow Food Österreich.

Überlegte Gaumenfreuden

Das Kärntner Gastronomen-Paar Ingrid und Gottfried Bachler sind Slow Food Expert*innen erster Stunde. Seit 1989 setzen sich die beiden für gute und saubere Lebensmittel aus der Umgebung ein und prägen bis heute diese Bewegung. Ingrid Bachler ist Obfrau vom Marktplatz Mittelkärnten, ihr Ehemann Gottfried Bachler ist Obmann von Slow Food Kärnten. Ihr 3-Hauben-Restaurant in Althofen haben sie im vergangenen Jahr geschlossen, ihre Genussreisen gehen aber mit Catering, Events, Seminaren und Kochkursen weiter und bleiben somit für die Allgemeinheit erhalten.

Wer einmal zusammen mit Ingrid und Gottfried Bachler Käse gegessen und Wein getrunken hat, will das nie wieder ohne diese Wirtsleute tun. Die Art und Weise, wie sie über Lebensmittel und Produkte sprechen und das Wissen, das sie bei solch einem Tasting vermitteln, lässt jeden noch so ungeschulten Gaumen zu einem Feinspitz werden. Bei unserem Treffen erzählen die beiden private Anekdoten aus ihrem mehr als 40-jährigen Gastroleben und betonen die Notwendigkeit von nachhaltigen Lebensmitteln.

funk tank: Vor rund 37 Jahren haben Carlo Petrini und eine Gruppe von Aktivist*innen die Slow Food Bewegung gegründet, heute engagieren sich mehr als eine Million Menschen für den bewussten Genuss von Lebensmitteln. Was bedeutet Slow Food für Sie, und wie sind Sie zu der Organisation gekommen?
Ingrid & Gottfried Bachler: Über einen Kurgast, der in unserem Ort weilte. Es wollte während seines Kuraufenthaltes ein wenig in einer Profi-Küche „spielen“. Das haben wir mit ihm gemacht. Dann führte das Eine zum Anderen … Als Petrini Slow Food ausrief, wurde damals ein Team vom ORF in Wien nach Bra(tislava) geschickt. Auf der Rückreise war die Regisseurin Traudl Wolfschwenger auf der Suche nach einem heimischen Restaurant mit ähnlicher Philosophie. Ihr Kameramann Roland erzählte ihr von seinem Kuraufenthalt und der Zeit in unserer Küche. Aus Verona – damals gab es weder Handy noch Internet – rief er bei uns an, ob es möglich sei, von einem unserer Bauern etwas geliefert zu bekommen. Wir erklärten uns bereit und besorgten von einem Kleinbauern innerhalb von 5 Stunden eines seiner Milchferkel. Fast zeitgleich kamen dann sowohl das Fernsehteam als auch der Bauer bei uns an. So haben wir von der ganzen Bewegung erfahren und meldeten uns gleich bei Slow Food an. Keine 4 Wochen später kam Carlo Petrini überraschend zu uns, um zu sehen, wo und wie „diese Verrückten“ leben. Damit begann eine mittlerweile sehr lange Freundschaft und unsere ungebrochene Begeisterung für Slow Food.
In Österreich handelt man seit mehr als 20 Jahren nach dem Slow Food Credo „gut, sauber und fair“. Welche Kriterien konkret müssen die Lebensmittelproduzent*innen erfüllen, um als Slow Food Betrieb anerkannt zu werden?
Die Produzent*innen müssen bei Slow Food einfach nach den Richtlinien des guten Gewissens handeln. Respektvoll, nachvollziehbar und mit der ganzen Liebe zur Sache.

Das Essen muss mehr an Stellenwert in der Familie und im Haushalt bekommen.

Auch in der heimischen Gastronomie gibt es ausgezeichnete Slow Food-Betriebe. Wie viele Restaurants kann man mittlerweile bei uns finden, und wie wird der bewusste Zugang von Slow Food in der Branche angenommen?
Es werden immer mehr. Wir in Kärnten versuchen die Idee sehr breit aufzustellen. Dazu geben wir gemeinsam mit der Kärnten Werbung einen mittlerweile nicht mehr wegzudenkenden Slow Food Guide heraus. In diesem finden sich Restaurants, Wirtshäuser, Buschenschenken und Produzent*innen mit einer Reihung und Bewertung nach Schnecken.
Slow Food Bäcker Taupe Mehl
© Elias Jerusalem
Als Obmann von Slow Food Kärnten und Gründerin von Marktplatz Mittelkärnten kümmern Sie sich u.a. darum, erlesene regionale Schätze auf den Tisch der Österreicher*innen zu bringen und Genuss und Verantwortung zu vereinen. Gerade die Kärntner Bewegung hat viele nachhaltige Projekte ins Leben gerufen. Was hat es mit Slow Food Travel und den Slow Food Villages auf sich? Und worauf sind Sie sonst noch besonders stolz?
Slow Food Travel, also echte Reiseziele und Slow Food Village, Orte guten Lebens, sind beide bei uns in Kärnten entstanden. Nach einer gewissen Anlaufzeit sind beide Projekte von Slow Food International übernommen und ausgerollt worden. Besonders stolz aber sind wir, dass es zunehmend in die Mitte der Gesellschaft getragen wird, sich zu engagieren und sein Handeln und Tun den Zielen von Slow Food zu folgen. Denn: Slow Food ist keine Marketing-Idee, es ist eine Haltung.
Ein Fokus von Slow Food Kärnten liegt auch auf der Vermittlung der Philosophie in Kindergärten und Schulen. Wie bringt man wichtige Botschaften dem jungen Publikum näher?
Wir haben mittlerweile 17 Schulen, die bei uns dabei sind. Alle diese Schulen haben eigene Slow Food Verantwortliche. Sie „müssen“ jeweils 1-2 dokumentierte Projekte umsetzen. Die 16 Slow Food Chefs sind angehalten, mit der ihnen zugeordneten Schule ein gemeinsames Projekt umzusetzen.
Leider ist es nach wie vor auch ein finanzielles Problem, ob man sich „Gutes Essen“ leisten kann oder nicht. Wer muss Ihrer Meinung nach etwas tun, um dieses Dilemma zu lösen? Und was kann jede*r von uns tun?
Es ist kein finanzielles Problem, „Gutes Essen“ zu genießen. Es ist vielmehr ein Problem der Wertung. Das Essen muss mehr an Stellenwert in der Familie und im Haushalt bekommen. Das Besorgen von wertvollen Lebensmitteln sollte immer im Vordergrund stehen, abseits von anderen, unnötigen Anschaffungen. Wenn es gelingt, diese Muster zu verändern und bewusster zu machen, dass das, was wir in uns hineinessen wichtiger wäre, dann sollte es gehen. Der Konsument / die Konsumentin ist ein Co-Produzent / eine Co-Produzentin. Mit jedem Griff ins Regal, wo wir bereit sind, unser Geld auszugeben, akzeptieren wir auch die Art der Herstellung.
Ehepaar Bachler
© Elias Jerusalem
Angenommen wir setzen unser Gespräch in 10 Jahren fort. Wo steht die Slow Food Bewegung dann im Optimalfall, und wie gehen die Menschen mit Lebensmitteln in Ihrem Wunschszenario um?
In 10 Jahren werden wir über Slow Food als eine der erfolgreichsten NGOs reden. Es wird selbstverständlich sein, den Produzent*innen „auf die Finger zu schauen“, die Produzent*innen werden wieder stolz auf ihre Produkte sein, da sie zum Glücklichsein ihren Beitrag leisten. Wir werden nur mehr genau so viel einkaufen, wie wir auch wegessen können. Wir werden wieder mit den Nachbarn teilen und nicht über die erfolgreichsten Einkäufe von angesagten Produkten reden, sondern über die sagenhaft guten Dinge, die vor Ort hergestellt worden sind. All das wird die Erde uns allen danken.

Wenn es um nachhaltigen Genuss geht, ist man bei Weinakademikerin Ingrid Bachler und Haubenkoch Gottfried Bachler genau richtig. Die Gastro- und Slow Food Profis aus Kärnten bieten in ihrer Genussschule Tastings, Kochkurse und Seminare an. Außerdem gibt’s bei ihnen professionelles Catering und einen Online-Shop für Kärntner Spezialitäten.

Bachler’s Feinkost, Catering, Seminare

Seit mehr als 25 Jahren ist die Slow Food Bewegung in Österreich tätig. Sie setzt sich für gute und saubere Lebensmittel zu fairen Preisen ein. Beim Dachverband Slow Food Österreich und den 17 Konvivien sowie 9 Gemeinschaften im Land stehen bewusster Genuss und nachhaltige Lebensmittel im Zentrum. Mit Geschmacksschulungen, Verkostungen, Exkursionen zu den Produzent*innen, Kochkursen und anderen Aktionen bringt die Organisation ihre Philosophie der Allgemeinheit näher.

Slow Food Österreich

funk-tank-magazin-alicia-weyrich-by-stefan-diesner-3
Alicia Weyrich
arbeitet als Journalistin und Werbetexterin in Wien. Neben dem geschriebenen Wort liebt sie die Musik, das Meer, gutes Essen sowie Zeit mit ihrer Familie, ihren Freund*innen und ihren Tieren.

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