Skip to content

Secondhand first – zwischen Stil und Statement

Secondhand-Mode hat ihr Image grundlegend gewandelt. Was früher mit einem Öko-Image kämpfte, ist heute Ausdruck von Haltung und einem neuen Modeverständnis. Doch ist der Run auf getragene Kleidung wieder nur ein kurzzeitiger Trend? Und welche Chancen bietet er für eine Branche, die sich gerne neu erfindet – aber ungern hinterfragt?
Moodbild Secondhand
© Shanna Camilleri/Unsplash

Was gestern noch ein modisches No-Go war, hängt morgen wieder an den begehrtesten Hüften. Bootcut-Jeans zum Beispiel: Anfang des Jahres trug der weltbekannte Rapper Kendrick Lamar ein Paar beim Super Bowl – und plötzlich ist der Jeans-Cut, der für gut zwei Jahre als unmodern galt, wieder zurück auf den Straßen, in den Stores, in den Feeds. Trends sind ein fragiles Konstrukt, zirkulär und heute quasi unvorhersehbar. Oft braucht es nur eine als besonders cool wahrgenommene Person, um bestimmte Kleidungsstücke wieder begehrt zu machen. Warum wird man also nicht gleich selbst zur Trendsetterin bzw. zum Trendsetter – und zwar mit dem, was längst im Schrank hängt?

Die Wahrnehmung verändern

Trend der Stunde ist Secondhand-Mode. Der Kauf von bereits getragener Kleidung hat in den letzten Jahren eine neue Selbstverständlichkeit bekommen. Secondhand-Stores oder Plattformen wie willhaben.at sind nicht mehr nur die Anlaufstelle für Vintage-Fans, sondern zählen zum ganz normalen Shopping. Den Triumph von Altem über das Neue kann man sowohl aus ethischer als auch ökologischer Sicht klar als Sieg verbuchen. Wo aber beginnt echte Veränderung? Norah Joskowitz, Gründerin des Wiener Labels Valle ō Valle und heute Beraterin in Sachen nachhaltiger Mode, beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema. Für ihr Label bedeutete das: umweltschonende Stoffe wie TENCEL™, zertifizierte Biobaumwolle, keine Überproduktion, keine ständigen neuen Kollektionen. Kleidungsstücke entstanden meist aus Deadstock-Materialien, so individuell wie die Menschen, die sie tragen. Secondhand ist auch heute als Kreativschaffende, Stylistin und Beraterin ein zentrales Thema.

Beim Styling-Workshop der MA 48 wurde Norah Joskowitz kürzlich eingeladen, aus Altkleiderbergen des „Tandlers 48“ neue Looks für Interessierte zu kreieren. Im Rahmen der „Orange Week“, einer Gegenbewegung zum Konsumfeiertag Black Friday, wühlte sich Norah mit viel Gespür für Material und Qualität durch und fand eine Auswahl an Kleidungsstücken, deren Zeit nach Dekaden in der Versenkung nun wiedergekommen war. Das Ergebnis waren viele neue Outfits aus alter Ware. Die Resonanz war überraschend groß und viele Kund*innen verloren dadurch erste Berührungsängste mit dem Thema Secondhand-Kleidung.

Neue Haltung durch Secondhand

Auch wenn Projekte wie das der MA 48 sich noch vorsichtig an eine mögliche Zukunft des Kleiderkonsums herantasten, zeigen Umfragen und Statistiken immer mehr, dass Secondhand nicht länger ein Geheimtipp für Vintage-Fans, sondern für viele Menschen die erste Wahl ist. Vor allem jüngere Generationen setzen auf gebrauchte Kleidung. Für sie geht es zuweilen aber nicht nur um Retro-Ästhetik oder günstige Preise – sondern um Haltung.

Der weltweite Markt für gebrauchte Kleidung wächst daher rasant. Laut dem „Resale 2025“-Bericht des US-amerikanischen Secondhand-Anbieters ThredUp wird das Marktvolumen bis 2029 auf rund 367 Milliarden US-Dollar ansteigen – das ist fast dreimal so schnell wie der erwartete Zuwachs der gesamten Modebranche. 2024 wuchs der Secondhand-Sektor um 15 Prozent und macht mittlerweile geschätzte neun Prozent der weltweiten Bekleidungsausgaben aus. Nicht zuletzt sorgt auch technologische Innovation für mehr Komfort beim Gebrauchtkauf: Künstliche Intelligenz hilft, die richtigen Größen und Stile schneller zu finden, Filterfunktionen werden präziser, und der Authentifizierungsprozess – besonders wichtig bei Luxusmode – läuft reibungsloser ab. So wird die Erfahrung immer mehr zum digitalen Shopping-Standard. Denn vor allem der Online-Wiederverkauf treibt das Wachstum voran. 88 Prozent der Ausgaben für Secondhand-Mode werden heute digital getätigt, auf Plattformen wie Vinted, Sellpy oder Vestiaire Collective.

Fashion-Expertin Norah Joskowitz
Fashion-Expertin Norah Joskowitz © Sophie Nawratil

Wenn wir wirklich groß umdenken wollen, darf es gar nicht so viel Secondhand am Markt geben.

Wert entsteht durch Perspektive

Das Kaufverhalten beginnt sich dabei tatsächlich zu verändern, glaubt man der Studie. Demnach sucht jede*r Zweite in der Altersgruppe 18 bis 44 zuerst nach gebrauchter Kleidung und erst dann nach Neuware. Die Motive sind vielfältig: Wer Secondhand kauft, tut das nicht nur aus Nachhaltigkeitsgründen – sondern auch, um sich von der Masse abzuheben. Es geht um Individualität und das bewusste Ausbremsen eines schnelllebigen Modetempos. Das hat sich auch beim Styling-Workshop der MA 48 bestätigt, wie Norah Joskowitz erzählt: „Je mehr Menschen aus so einem Haufen Bekleidung selektieren, desto wertvoller wird die Kleidung. Denn Secondhand bedient nicht nur eine einzige Ästhetik, da ist für jeden Geschmack und jede Körperform etwas dabei.“

Es ist ein Satz, der den Kern der Debatte trifft. Wert entsteht nicht durch das Preisschild oder das Label, sondern durch Kontext, Geschichte – und den Blick, der etwas erkennt, wo andere nur Überfluss sehen. Eine Philosophie, die Norah schon länger propagiert, zum Beispiel mit ihrem Projekt „Kleiderschrank-Kaleidoskop“: In individuellen Beratungen bei der Kundschaft zu Hause arbeitet sie mit dem, was schon da ist – oft über Jahre gesammelt, geliebt, dann vergessen. „Kleiderschränke sind heutzutage notorisch überfüllt, das ist leider die Wahrheit. Da den Überblick zu verlieren, über das, was man besitzt, ist leicht.“ Das Bewusstsein, wie viel man eigentlich besitzt und welches Potenzial bereits im eigenen Kleiderschrank steckt, ist für viele ein Aha-Erlebnis. „Meine Kundschaft hat danach nicht nur einen neu geordneten Kleiderschrank voller Möglichkeiten, sondern auch eine neue, zeitlose Perspektive darauf.“ Denn Modetrends, so Norah, sind schlussendlich ein Relikt vergangener Zeit, das uns ständig zum Kauf verführt. Ein viel zu enges Korsett, das viele Menschen, beispielsweise mit großen Größen, strukturell ausschließt. Sich dem Status quo des eigenen Kleiderschranks zu stellen und eine neue Zufriedenheit für das zu entwickeln, was man bereits hat, ist in der heutigen Zeit also fast rebellisch. Weniger Konsum und dafür das Gefühl von mehr Selbstwirksamkeit – das klingt nach einem fairen Deal.

Zwischen Hoffnung und Skepsis

Trotz allem bleibt Norah als Brancheninsiderin realistisch: „Ich hoffe, dass sich durch den Secondhand-Hype wirklich etwas verändert – aber sowohl Überkonsum als auch Überproduktion von Kleidung sind immer noch extrem.“ Auch im Secondhand-Markt. Denn die Textilien, die dort landen, sind das Resultat einer Industrie, die zu viel und zu billig produziert. Und selbst, wenn wir sie weitergeben, verschenken, weiterverkaufen – das Grundproblem bleibt bestehen. „Wenn wir wirklich groß umdenken wollen, darf es gar nicht so viel Secondhand am Markt geben“, sagt Norah. Denn auch Kreisläufe stoßen irgendwann an ihre Grenzen und es reicht leider nicht, den Modekonsum nur umzuleiten. Er muss sich grundsätzlich verändern. „Dieser individuelle Style, den Secondhand-Mode mit sich bringt, ist bereits so im Bewusstsein, dass er nicht einfach weggespült werden kann wie andere Trends, da bin ich sicher“, sagt die Wienerin abschließend. „Aber da muss noch einiges mehr kommen. Secondhand ist toll, ein totales Umdenken wäre aber besser. Wir müssen alle langsamer werden.“ Und vielleicht liegt genau darin die Chance: Kleidung als etwas zu verstehen, das nicht einfach nur da ist, sondern Bedeutung trägt. Das nicht gekauft wird, um dem Konsumimpuls zu folgen – sondern weil es etwas aussagt. So gesehen ist Secondhand eine Möglichkeit, mit dem zu arbeiten, was schon da ist und gleichzeitig zu überdenken, was oder wie viel wir wirklich brauchen.

Secondhand – kurzgefasst:

  • 88 % der Ausgaben für gebrauchte Mode erfolgen heute digital – Plattformen wie Vinted & Co. boomen.
  • Der weltweite Secondhand-Markt soll bis 2029 auf 367 Mrd. US-Dollar wachsen – fast dreimal so schnell wie die gesamte Modebranche.
  • In einer Branche, die sich zwischen Trendzyklen, Nachhaltigkeitsversprechen und Konsumkritik neu sortieren muss, setzen vor allem jüngere Generationen auf gebrauchte Kleidung.
  • Für viele Konsument*innen geht es bei Secondhand nicht nur um Stil, sondern um Haltung, Nachhaltigkeit und Individualität.
  • Überkonsum bleibt ein Problem – selbst im Secondhand-Markt. Echter Wandel beginnt beim bewussteren Umgang mit dem, was man bereits besitzt.

Norah Joskowitz lenkte ihren Karrierepfad kürzlich vom Modedesign hin zur Ästhetik-Beauftragten im Bereich Nachhaltigkeit. Denn ihrer Meinung nach liegt hier der Schlüssel, Fair Fashion, Kreislaufwirtschaft und Co. aus der Öko-Nische zu befreien. Die Wienerin unterstützt nun dabei, Projekte im Bereich Upcycling, Repair and Care sowie bewussten Konsum ästhetisch so zu gestalten, dass sie begeistern und endlich im Mainstream ankommen.

Norah Joskowitz

Redakteurin Jenni Koutni
Jenni Koutni
sieht sich als Sprachrohr für jene, die etwas Gutes bewirken wollen und darf dabei ihre Leidenschaft fürs Schreiben ausleben.

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Artikel teilen oder drucken
Artikel aus anderen Ressorts
2. Mai 2025
Theatergruppe teatro aus Mödling mit "Anne Frank" 2025

NS-Widerstand auf der Musical-Bühne

21. Apr. 2025
Moodbild Frauen und Finanzen – Damensache

„Wir müssen Mut ergreifen und von Sparerinnen zu Investorinnen werden“

17. Apr. 2025
  / Kabarett
Portraitfoto von Denice Bourbon vom PCCC

Queere Insider-Jokes und Feminismus für alle und jederzeit

2. Apr. 2025
  / Literatur
Portraitfoto Schauspielerin, Autorin und Aktivistin Valerie Huber

„Wir dürfen den Mut nicht verlieren!“

18. März 2025
  / Film
Filmstill "Das Licht" mit Lars Eidinger und Tala Al-Deen

Tala Al-Deen ist „das Geheimherz“

12. März 2025
Moodbild Dokumentarfilm „Requiem in Weiß – Das würdelose Sterben unserer Gletscher“ von Harry Putz

„Wie deutlich müssen die Zeichen noch werden, bis wir reagieren?“

4. März 2025
  / Musik
Portraitfoto Musikerin Rahel

„Körper sind so langweilig. Ich mag Gedichte lieber!“

27. Feb. 2025
  / Film
Filmstill Wicked

Oscar Predictions 2025: Buntes Allerlei

25. Feb. 2025
  / Mode
Modedesignerin Eva Poleschinski: Zwischen Fashion und Lavafeldern

Zwischen Laufsteg und Lavafeldern

Der funk tank Newsletter​

Wir versorgen dich 1x im Monat mit einer exklusiven Vorschau auf unsere kommenden Stories und Gewinnspiele. Garantiert spannend und inspirierend. Also einfach eintragen und part of funk tank werden!