Schon seit Jahren ist es Tradition im Hause Höller, ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe alle Oscar-nominierten Filme zu prüfen. Den Großteil davon habe ich grundsätzlich schon im Laufe des Jahres im Kino oder via Streaming gesehen, manche muss ich auf anderem Weg (z.B. via Screener – danke an der Stelle an die Unterstützung der Verleihe) nachholen. Immerhin 38 Filme zählt die Liste der erlauchten Spielfilme (Sorry, aber Kurzfilm ist für mich immer noch keine relevante Oscar Kategorie!). Bis auf die Dokumentation To Kill a Tiger, der einfach nicht zu bekommen war, habe ich mir alle angesehen. Teilweise mehrmals, oft begeistert, manchmal auch mit tiefem Bedauern über die vergeudete Lebenszeit. Zwischenfazit: Wie schon im Vorjahr nach der triumphalen Rückkehr des Big Screens nach der Corona-Pause via Avatar: The Way of Water und Top Gun: Maverick bekräftigt auch heuer wieder das Kino seine Macht als Vermittler von überwältigenden Sinneseindrücken, purem Eskapismus und der eindringlichen Präsentation großer Geschichten. Dass Streaming hier – quasi als Second Screen – auch durchaus seine Berechtigung hat, wenn es um den stillen Genuss von Autor*innenkino, Kinderprogramm und Dokumentationen geht, steht mittlerweile aufgrund der hohen Produktions- und Ausstrahlungsqualität der Eigenproduktionen von Streaming-Anbietern außer Frage. Bis auf Amazon Prime, aber das ist eine andere Geschichte.
Barbie und Oppenheimer haben schon früh das Kinojahr dominiert. Der gleichzeitige Kinostart, die hohe Erwartungshaltung und der folgende „Barbenheimer“-Hype haben die beiden Filme an den Kinokassen in lichte Höhen geführt, Kritiker*innen und Publikum wurden ebenfalls nicht enttäuscht. Und aufgrund des Streiks der Filmschaffenden von Juli bis November, der teilweise antizipierte Starts von potenziellen Blockbustern wie Dune: Part Two, Deadpool 3, Ghostbusters: Frozen Empire und der unvermeidlichen Fülle an Marvel-Filmen auf heuer oder auf noch später verzögerte, wurden die Nominierungsoptionen kräftig durchgemischt. Andererseits öffneten die verschobenen Filmstarts ein Fenster für andere, teilweise höchst bemerkenswerte Streifen, wodurch so manche schon als sicher geglaubte Auszeichnung nochmals in Frage gestellt wurde. Die üblicherweise aus vorher stattfindenden Preisverleihungen (Golden Globes, BAFTA, SAG etc.) abgeleiteten Trends brachten hier quasi in der Rapid-Viertelstunde des Oscar-Rennens noch einige spannende Optionen ins Spiel. Für mich jedenfalls stehen die Gewinner*innen fest. Wer meiner Meinung nach aus objektiven Gründen gewinnen sollte, lest ihr in den folgenden Zeilen nach Kategorien sortiert. Aber auch – falls abweichend– wer vermutlich tatsächlich gewinnen wird, denn manchmal werden die Entscheidungen der Academy von Sentimentalität, Politik, Tagesgeschehen, Lobbyismus und leider zunehmend Wokeism getragen.
Bester Film
Wieder einmal hat die Academy satte zehn Filme in der wichtigsten Kategorie nominiert, und erfreulicherweise sind die Genres breit gefächert. Die kleine, feine Produktionsgemeinschaft A24 (die noch keinen einzigen schlechten Film produziert hat, Anm.) ist hier gleich mit zwei Filmen vertreten, The Zone of Interest und Past Lives – toll, aber zu nischig und daher chancenlos. Ebenso wie der hoffnungslos überbewertete Maestro. Experimentelles Kino wie Poor Things ist für den Grand Prix dann doch auch zu wenig breitentauglich, ebenso wie der brillante Anatomy of a Fall, der uns aus unerwarteter Ecke ein paar der besten Kinomomente des Jahres beschert hat. Mehr dazu später. Routiniertes Big Cinema à la Killers of the Flower Moon hebt sich zu wenig aus dem Feld ab, ebenso wie die charmanten, aber doch mainstreamigen Dramödien American Fiction und The Holdovers. Wie schon früh erwartet, läuft es auf ein Duell zwischen Barbie und Oppenheimer hinaus, und da hat letzterer dann doch die Nase vorne. Denn die USA lieben einfach große Held*innengeschichten, und der „Vater der Atombombe“ wird in den Augen der US-Amerikaner*innen immer ein Nationalheld bleiben. Außerdem haben Dramen immer bessere Chancen als Komödien. Und es ist ironischerweise just die in Barbie angeprangerte Männerdominanz, die hier auch mitspielt.
Beste Regie
Traditionellerweise rittern fünf Regisseur*innen der für „Best Picture“ nominierten Filme um diese Auszeichnung, so auch dieses Jahr. Wobei es hier ein klein wenig Entrüstung rund um die Nicht-Nominierung von Greta Gerwig für Barbie gab und gibt. Die ich – im Gegensatz zu manch entbehrlicher Aufregung – hier vollinhaltlich unterschreibe, denn statt Martin Scorsese für sein allzu routiniertes Werk Killers of the Flower Moon hätte ich hier wirklich lieber die Gerwig für Barbie gesehen. Vor allem, weil im starken und mutigen Umfeld von Justine Triets spannendem Anatomy of a Fall, Yorgos Lanthimos außergewöhnlichem Poor Things, Jonathan Glazers bedrückendem The Zone of Interest und Christopher Nolans überwältigendem Oppenheimer selbst das Erfolgsduo Scorsese & DiCaprio etwas angestaubt wirkt. Am Ende des Tages aber egal, denn niemand hat hier der ebenso präzisen wie leidenschaftlichen Arbeit von Nolan etwas entgegenzusetzen.
Beste männliche Hauptrolle
Zuallererst müssen wir in dieser Kategorie Bradley Cooper in der Titelrolle des Maestro im gleichnamigen, leider ziemlich danebengegangenen Oscar-Bait-Ego-Trips rund um Musik-Genie Leonard Bernstein in die Wüste schicken, Nase hin oder her. Bemerkenswert, aber trotz aller Leidenschaft trotzdem zu wenig spektakulär, Colman Domingo als Bürgerrechtler Rustin, ebenso wie die perfekt süßsaure Performance von Jeffrey Wright in American Fiction. An dieser Stelle ist erwähnenswert, dass mit Ausnahme von Bradley Cooper hier Schauspieler nominiert sind, die bisher keineswegs als „Leading Men“, sondern vielmehr als ausgezeichnete und erfahrene Schauspieler in der zweiten Reihe bekannt waren. So wie Paul Giamatti, der mit einer großartigen Vorstellung in The Holdovers dem schon Cillian Murphy als Oppenheimer sicher scheinenden Oscargewinn ins Wackeln brachte. Letztendlich aber wird dem Iren das Goldmännchen nicht zu nehmen sein, denn die Intensität und Gravitas, mit der er hier fast den gesamten Film über drei Stunden trägt, ist herausragend. Und wie schon erwähnt: 1. US-Held, 2. Drama schlägt Komödie.
Beste weibliche Hauptrolle
Keine leichte Entscheidung. Ungeachtet der Empörung rund um Margot Robbie in Barbie (siehe oben) haben wir es hier mit einem extrem dichten Feld an schauspielerischen Leistungen aus völlig verschiedenen Genres, Alters- und Bekanntheitsklassen zu tun. Angeführt von der ehrenwerten Grande Dame Annette Bening in der Titelrolle als Extremschwimmerin in Nyad, zeigen hier die Oscar-prämierte Emma Stone in Poor Things und die schon mehrfach Oscar-nominierte Carey Mulligan in Maestro überzeugende Kostproben ihres Könnens. Wirklich ganz groß. Dennoch müssen sich diese drei Hollywood A-Listers hier den Schneid von zwei bisherigen Außenseiterinnen abkaufen lassen: von Sandra Hüller in Anatomy of a Fall (die sich in The Zone of Interest eigentlich eine zweite Nominierung verdient hätte) und von der wenig bekannten Lily Gladstone, die in Killers of the Flower Moon selbst Kapazunder wie DiCaprio oder De Niro an die Wand spielt. Auch wenn Hüller hier mit einer mehrsprachigen Vorstellung à la Christoph Waltz jeden Preis der Welt verdient hat, wird wohl die Gladstone abräumen. Denn nicht nur das hervorragende Spiel ist ausschlaggebend, sondern auch die Chance, dass hier erstmals eine indigene, amerikanische Schauspielerin mit einem Oscar ausgezeichnet werden kann. Das sollte sich die Academy aus gesellschaftspolitischen Gründen nicht entgehen lassen.
Beste männliche Nebenrolle
Hier gibt es keine Newcomer. Und ebenso wie in der Kategorie der besten Hauptdarsteller steht hier das Feld praktisch Kopf. Denn mit Ausnahme von Sterling K. Brown in American Fiction finden wir hier ausschließlich Oberliga „Leading Men“, die sich hier in einer Nebenrolle mehr als wohlfühlen. Und alle spielen völlig entgegen ihren charakteristischen Standard-Charakteren. Mit Ausnahme von De Niro, der in Killers of the Flower Moon nun ja eben den üblichen De Niro gibt. Bisschen langweilig. Mark Ruffalo als öliger Möchtegern-Playboy in Poor Things zum Beispiel, oder Ryan Gosling als einfältiger Ken in Barbie sind einfach nur königlich gut. Am überraschendsten und beeindruckendsten aber gelingt diese Übung Robert Downey Jr. als Oppenheimer Widersacher Lewis Strauss. Wie der einst gefallene Hollywood-Jungstar und Troublemaker nach seinem fulminanten Comeback via Marvel hier mühelos mit glaubwürdiger Seniorität vom ewig leichtfüßigen Mr. Charming ins ganz ernste Fach wechselt, ist oscarwürdig – ohne Diskussion.
Beste weibliche Nebenrolle
Lange sah es ja so aus, als würden sich Emily Blunt in Oppenheimer oder America Ferrera in Barbie aufgrund ihrer Vorstellungen in einem sehr dichten Feld an schauspielerischen Glanzleistungen die Goldglatze in der Kategorie beste weibliche Nebenrolle ausschnapsen. Zwei Nominierte sind wohl chancenlos: Danielle Brooks in der (entbehrlichen) Musical-Neuverfilmung The Color Purple bleibt zu wenig in Erinnerung, Jodie Foster als Nyad-Sidekick zwar gewohnt gut, bleibt aber von ihren persönlichen Karriere-Highlights dann doch weit zurück. Vorhang auf für Newcomerin Da’Vine Joy Randolph, die quasi wie aus dem Nichts mit ihrer wohldosierten, sarkastischen und einfühlsamen Vorstellung als Schulköchin in The Holdovers Publikum und Kritiker*innen im Sturm überzeugte. Neben der vermutlich im Hauptfach siegenden Lily Gladstone ein erfreuliches Signal aus Hollywood, sodass a) nicht nur der Nachwuchs bei den Damen gesichert ist, sondern b) auch Diversity nicht mehr nur ein Lippenbekenntnis bleibt.
Bestes Originaldrehbuch
Es gibt sie noch, die frischen Ideen. Trotz aller berechtigten Unkenrufe rund um die Marvelisierung der Kinowelt, schier endlose Reigen an Sequels und Prequels und die fast immer hochnotpeinlichen Remakes sitzt jetzt gerade jemand an den Tasten und kreiert ein neues, originelles und unterhaltsames Drehbuch. Wie im Fall von Past Lives zum Beispiel, der berührenden koreanischen Expat Romance, oder dem bewusst kontroversen Beziehungsdrama May December, das aber hart an den Kriterien zu adaptiertem Drehbuch schrammt und sich zu wenig zwischen Provokation und Routine entscheiden kann. Ebenso wie Maestro, der als Biopic völlig versagt, indem er dem Werk im Verhältnis zu privaten Extravaganzen einfach zu wenig Platz einräumt. Originell und anders ist halt nicht immer gut. The Holdovers hingegen kann mit seiner Balance aus Nostalgie, Weltschmerz, Coming-of-Age und letztendlich mit exzellenter Situationskomik sowie geschliffenen Dialogen voll und ganz überzeugen. Nur noch geschlagen von Anatomy of a Fall, der aufgrund von perfekten mehrsprachigen Dialogen, messerscharfen Timings für Rückblenden und mehrmaliger wechselnder Perspektiven eigentlich aus einem Fernsehkrimi-Material ein dichtes, bis zum Schluss spannendes Kriminal-Drama in Hollywood-Qualität strickt.
Bestes adaptiertes Drehbuch
Schwiiiiierig, ganz schwierig! Man ist natürlich versucht, den Jahresknüllern Oppenheimer oder Barbie den Preis umzuhängen, schließlich ist das Skript ja immer die Grundlage für einen tollen Film. Überhaupt bei Barbie, wo die Agenda von Autorin Greta Gerwig so pipifein in Szene gesetzt wird. Doch halt: Ist es nicht auch eine ähnliche Agenda, die im abgefahrenen Poor Things – wenn auch ganz, ganz anders – transportiert wird? The Zone of Interest wiederum, komplett andere Baustelle, führt den Zuseher*innen erneut die Gräuel der Nazis vor Augen. Es nützt sich jedoch die Grundidee schnell ab und überlässt den Film dann großteils sich selbst, sprich den Schauspieler*innen und der Kamera. Das Drehbuch kann hier wenig nachlegen. Isoliert betrachtet ist es hier American Fiction am besten gelungen, eine im Kern wichtige Agenda mittels köstlich überhöhter Sozialkritik, entlarvendem Spott und vor allem ziselierter Charaktere einen Finger auf die gar nicht so neue Woke-Unkultur zu legen – ohne dabei peinlich zu wirken, sondern wirklich zu unterhalten.
Bester internationaler Film
Wieder einmal ein starkes Jahr für die Filmszene abseits von Hollywood. Mit Society of the Snow wurden unter spanischer Regie die tragischen Ereignisse rund um den Flugzeugabsturz in den Anden von 1972 mit dem folgenden, in höchster Not praktizierten Kannibalismus in großem Stil inszeniert. Dringt aber, so wie der japanische Beitrag Perfect Days von Wim Wenders (!), rund um den Alltag eines Toilettenreinigers doch zu wenig in die Herzen der Zuseher*innen vor, um hier abzusahnen. Bedingungsloser Realismus wie im deutschen Mobbing-Drama Das Lehrerzimmer geht dem Publikum dann schon mehr an die Nieren. Hier hapert es aber letztendlich an einigen schauspielerischen Mängeln in den Nebenrollen. Durch und durch eindringlich, sowohl in Produktion als auch in Aktion zeigt Io Capitano aus Italien Einblicke in den Schlepperalltag zwischen Afrika und Europa, wenn auch ein wenig zu hollywoodesk. Unangefochten meisterlich und daher sicherer Anwärter auf den Auslandsoscar ist aber der beklemmende The Zone of Interest, der einen fassungslos auf die Selbstverständlichkeit des Massentötens aus Nazisicht blicken lässt. So ruhig und dennoch schrecklich wurde der Holocaust noch nie kommentiert.
Bester Animationsfilm
Die Mighty Mouse strauchelt weiter. So und nicht anders ist das nun schon länger andauernde Geschwächel in der einstigen Parade, ja fast schon als Abodisziplin von Disney zu werten. Disneys gut gemeinter, aber eben nicht wirklich guter Elemental fällt in dieser Kategorie weit hinter die Mitnominierten zurück. Sei es der sicher auch konventionelle, aber eben knackiger inszenierte Nimona aus dem Stall von Netflix oder der charmante und gänzlich ohne Dialog auskommende spanische Robot Dreams – alles besser. Ganz zu schweigen von Studio Ghiblis Altmeister Hayao Miyazaki, der uns mit The Boy and the Heron ein wundervolles Spätwerk kredenzt. Auch wenn es more of the same ist, viele Ideen kennt man schon aus früheren Filmen der Japaner*innen. Gold kann es beim Animationsfilm aber nur für die äußerst gelungene Fortsetzung des animierten Multiverse-Wahnsinns rund um Alternativ-Spiderman Miles Morales geben. In Spider-Man: Across the Spider-Verse werden die Grenzen des famosen ersten Teils nochmals gedehnt, ohne dabei auf das so wichtige Character Building zu vergessen. Meisterhaft.
Bester Dokumentarfilm
Hier muss ich mich – wie schon erwähnt – für die fehlende Beurteilung von To Kill a Tiger entschuldigen. Spielt aber vermutlich keine Rolle, weil es hier ohnehin nur einen klaren Sieger geben kann: 20 Days in Mariupol hat mich zum Weinen gebracht. Die Schrecken des Ukraine Krieges sind hier so eindringlich wie objektiv dokumentiert, da braucht es kein erzählerisches Format. Gut und kreativ gemachte Dokus wie Four Daughters rund um junge Frauen, die dem Einfluss des IS verfallen sind, oder Bobi Wine: The People’s President mit den politisch- korrupten Wirren in Uganda als Thema wirken dagegen fast schon harmlos und/oder aus der Zeit gefallen. Und wie sich die rührselige Alzheimer-Doku The Eternal Memory in diese hochkarätige Runde verirrt hat, verstehe ich immer noch nicht.
Beste Kamera
Die Künstler*innen hinter der Linse haben uns auch dieses Jahr wieder völlig neue Perspektiven eröffnet (pun intended). Die schräge Polit/Vampir-Gruselkomödie El Conde, von Edward Lachmann durchwegs in schwarz-weiß gedreht, weiß ebenso zu gefallen wie der phasenweise auch monochrome Film Poor Things via Robbie Ryan mit erfrischend unangenehmer Fischaugen-Optik. Gewagt. Deutlich besser jedenfalls als der ebenfalls zwischen Farbe und Nicht-Farbe schwankende Maestro mit Matthew Libatique, der dies aber scheinbar ohne echtes Konzept tut. Killers of the Flower Moon hingegen, das ist großes Kino, das ist Breitwand, wie man sie von typischen Scorsese-Werken kennt, diesfalls mit Rodrigo Pietro am Okular. Großes Kino im besten aller Sinne fand jedoch 2023 im IMAX-Format statt, für Oppenheimer wieder einmal vom Analog-Supersize-Fetischisten Christopher Nolan durchgesetzt und dem unvergleichlichen Hoyte van Hoytema hinter der Kamera. Wahrlich: Ein Fest für die Augen.
Beste visuelle Effekte
Witzigerweise ist Oppenheimer trotz aller visuellen Grandezza nicht für diese Kategorie nominiert, weil fast ausschließlich Practical Effects. Und im Gegensatz zum letztjährigen Gamechanger Avatar: The Way of Water ist die Eye-Candy-Fraktion heuer eher fad. Guardians of the Galaxy Vol. 3 bietet hier ebenso wenig Neues wie Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One oder der zwar herrlich retro orientierte, aber letztlich auch schon 1.000 Mal ähnlich erlebte Godzilla Minus One. Über den gründlich misslungenen Napoleon muss man hier auch wenig Worte verlieren. Es bleibt letztlich für mich als Verlegenheitslösung der zwar auch stellenweise dröge, aber zumindest mit interessanten Effekten versehene The Creator in dieser heuer leider völlig verzichtbaren Kategorie. Hättiwari: ohne Hollywood-Streik und mit Dune: Part Two wäre das nicht passiert …
Bestes Kostümdesign
Die authentische Darstellung von Kleidung aus unterschiedlichen Epochen ist zweifellos kein einfaches Unterfangen, überhaupt in Zeiten, wo Profi Pedanten dank High Definition sofort jeden falsch umgelegten Saum und unpassenden Knopf bemängeln. Insofern ist es den Kostümdesigner*innen von historischen Dramen wie Killers of the Flower Moon, Napoleon oder Oppenheimer hoch anzurechnen, dass sie diesbezüglich alles richtig machen. Ist aber halt auch ein wenig langweilig und unspektakulär, dieses Korrekte. Da gibt Holly Waddington mit den Kreationen in Poor Things dem Affen schon mehr Zucker als Jacqueline West, Janty Yates & Dave Crossman und Ellen Mirojnick. So richtig vom Leder ziehen konnte aber genrebedingt Jacqueline Durran in Barbie, und das tat sie mit Humor, Authentizität und Verve. Unschlagbar ist daher der Kostümrausch in Pink, Fake Fur und Neon-Rollerblades!
Bestes Szenenbild
In dieser Kategorie sind exakt die gleichen Filme nominiert wie beim Kostümdesign, und die Wertung lässt sich witzigerweise praktisch 1:1 mit der gleichen Argumentation umsetzen. Also Killers of the Flower Moon, Napoleon und Oppenheimer kreuzbrav und korrekt umgesetzt, wobei sich letzterer allein schon durch die Inszenierung der Bombe (und deren Detonation) deutlich abhebt. Aber dennoch hat Poor Things mit seinen oft grotesken Szenerien und Ausstattungsmerkmalen (Man achte auf die Farben der Rauchfahnen!) hier die Nase vorne, aber natürlich nicht so weit wie Barbie – und zwar sowohl in Barbieland als auch im witzig überzeichneten realen Los Angeles.
Bestes Makeup und Haare
Heikle Sache diesmal. Gleich drei Biopics rund um außergewöhnliche jüdische Persönlichkeiten. Da ist man als Maskenbildner*in aufgrund einschlägiger rassistischer Stereotypen gleich mal in Bedrängnis, wenn man gewisse physiologische Gegebenheiten umsetzen will. Ja, wir reden von Nasen. Ganz schlecht im Sinne von PR-Unglück hat es Bradley Cooper in Maestro erwischt, was aber natürlich nicht alleinig schuld an dem enttäuschenden Gesamtwerk ist. Deutlich besser wurde das mit Helen Mirren in der Titelrolle des Biopics Golda rund um die einstige israelische Premierministerin gelöst. Und bei Oppenheimer hat man auf große Eingriffe via Maske komplett verzichtet und sich einzig auf das famose Method Acting von Cillian Murphy verlassen, alles richtig gemacht. Society of the Snow ist meiner Meinung nach in dieser Kategorie ein wenig deplatziert. Hier haben die Maskenbildner*innen einfach nur ihre Arbeit gemacht, wenig davon ist ausdrücklich erwähnenswert. Umso mehr aber die vielseitigen Ideen in Poor Things. Allein die Tatsache, dass man dem ohnehin schon wie gemacht wirkenden Antlitz von Willem Dafoe noch einen Zacken mehr Irrsinn aufsetzt, ist schon eine Leistung.
Bester Schnitt
Cutter*innen sind die wahrscheinlich wichtigsten Mitarbeiter*innen großer Regisseur*innen, denn sie bestimmen Flow und Rhythmus eines Films, manchmal sogar die gesamte Dramaturgie. Und letztlich entscheidet die Arbeit am Schnittpult darüber, ob sich 90 Minuten wie eine Ewigkeit anfühlen oder drei Stunden wie nichts verfliegen. Zum Beispiel bei Anatomy of a Fall, wo nicht nur clevere Dialoge, sondern vor allem ein raffinierter Schnitt aus Tatort-Material ein Oscar-Drama machen. Oder Poor Things, der die hauptsächlich lineare Erzählweise an exakt den richtigen Augenblicken mit ergänzenden Brüchen perfektioniert. Wo wäre The Holdovers ohne perfektes Gagtiming und gekonnt gesetzten erzählerischen Pausen? Killers of the Flower Moon mit seiner Abwechslung aus epischen Longshots, dramatischer Action und vor allem den Scorsese-typischen Montagen? Alles wirklich erste Sahne. Aber am Ende holt Oppenheimer mit Cutterin Jennifer Lane unter Anleitung von Nonlinear-Obermeister Christopher Nolan das Goldmännchen. Wie schon gesagt: Drei Stunden rund um Persönlichkeiten und Schöpfung eines der bahnbrechendsten Ereignisse der Menschheit in drei Stunden so zu verdichten, dass man fast aufs Atmen vergisst, das ist schon bemerkenswert.
Es gibt sie noch, die frischen Ideen. Trotz aller berechtigten Unkenrufe rund um die Marvelisierung der Kinowelt, schier endlose Reigen an Sequels und Prequels und die fast immer hochnotpeinlichen Remakes sitzt jetzt gerade jemand an den Tasten und kreiert ein neues, originelles und unterhaltsames Drehbuch.
Bester Ton
Auch 2024 weine ich immer noch verständnislos der Abschaffung bzw. Integration von Tonschnitt nach. Gerade jetzt wären die so unterschiedlichen Merkmale eine eigene Erläuterung wert. Aber was solls. Wuchtiger Sound dominiert wie so oft diese Kategorie, sei es zünftiger Kawumm wie in Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One oder moderne Sci-Fi-Soundkulisse wie in The Creator. Auch Maestro kann in den Konzertsequenzen mit gekonnter Dynamik punkten, wahrscheinlich noch das Beste am Film. Die Entscheidung um den Preis für den besten Ton wird aber sauknapp zwischen zwei Konzepten ausfallen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Oppenheimer mit den Nolan-typischen Soundkaskaden und der oft ohrenbetäubenden Mischung aus Dialog und Ambience, und The Zone of Interest mit der Mischung aus bewusst belanglosen Unterhaltungen und dem nur im Hintergrund wahrnehmbaren Grauen hinter der Mauer. Nie wurde Sound so subtil und gleichzeitig so wirksam eingesetzt. Ich setze zwar konservativ auf Oppenheimer, aber ein Sieg für The Zone of Interest würde mich wenig überraschen.
Beste Filmmusik
Wer bin ich, ein unwürdiger Wurm, um Kritik am einzigartigen, großen John Williams zu üben? Ich krümme mich im Staub wie eine Made, wenn ich‘s schreibe, aber es muss raus: Die 48. Nominierung (ACHTUNDVIERZIG) für die beste Filmmusik ist leider die schwächste in dieser Kategorie – und das ausgerechnet für einen Indiana Jones-Streifen mit Harrison Ford. Der ist aber ein ziemlicher Topfen, das nur nebenbei bemerkt. Jedenfalls sind die Nominierungen für American Fiction, Poor Things und speziell auch Robbie Robertsons Killers of the Flower Moon deutlich spannender als die Kompositionen des Altmeisters. Wahre Größe, und das nicht nur in Dezibel, sondern auch punkto Effektivität, zeigt sich aber in der Musikbegleitung von Oppenheimer, erneut je nach Gusto brachial oder harmonisch umgesetzt von Spezl Ludwig Göransson. Jeder Generation ihren Ludwig!
Bester Song
Das muss man sich mal verinnerlichen: Die erst 22-jährige Billie Eilish wird aller Wahrscheinlichkeit bei der 96. Oscar-Verleihung das erreichen, was Kapazunder wie Elton John, Burt Bacharach oder Henry Mancini erst in weit fortgeschrittenerem Alter geschafft haben: Zwei Auszeichnungen für den besten Song. Nach dem verdienten Sieg vor zwei Jahren mit dem Bond-Titelsong, also mit dem Hit aus Barbie, eine weitere Talentprobe von ihr und Bruder Finneas. Vor allem mit hochkarätigen Mitbewerbern à la John Batiste und seine Film American Symphony, dem anderen Barbie-Song „I’m Just Ken“ von Mark Ronson ist das nochmal höher zu bewerten. Die Titelsongs von Killers of the Flower Moon und Flamin´ Hot sind zwar auch hitverdächtig, aber eben nicht so unter die Haut gehend wie die unvergleichliche Stimme der jungen Amerikanerin.
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Das wären also mal alle Nominierten und die von yours truly projektierten Gewinner*innen. Mein Haus versetzen würde ich in so mancher Kategorie dennoch nicht, die Oscars waren noch jedes Jahr für eine oder zwei Überraschungen gut. Als fix darf aber gelten, dass Oppenheimer mit vermutlich acht Siegen aus 13 Nominierungen – darunter bester Film – der große Sieger des Abends wird. Auch Barbie wird mit vermutlich drei Goldmännern keinen Grund zur Klage haben. Killers of the Flower Moon hingegen wird mit „nur“ einem Preis von zehn nominierten Kategorien als großer Verlierer des Abends dastehen, ebenso unglücklich unverdient wie Poor Things mit einer Statue von 11 möglichen. Der Rest wird sich mehr oder weniger fair verteilen. Als große Gewinner*innen dürfen sich dafür Anatomy of a Fall und The Zone of Interest feiern. Zu verdanken haben sie hier vor allem einiges der großen Sandra Hüller – von ihr werden wir hoffentlich noch viel in ebenso spannenden Produktionen sehen.
Zu guter Letzt gibt es da auch noch die Filme aus 2023, die es in der einen oder anderen Kategorie trotz würdiger Leistungen leider nicht unter die Nominierten geschafft haben. Dazu zählen ohne weitere Erläuterung oder Reihung John Wick: Chapter 4, Inside, Dogman, Beau is Afraid und Creed III. Nicht viele, aber das ist wie gesagt auch dem langen, lähmenden Streik zuzuschreiben. Nach den Oscars ist vor den Oscars – ich freue mich jedenfalls schon auf die Ausgabe 2025, wenn heurige Highlights wie Dune: Part Two, Back to Black, Furiosa: A Mad Max Saga, Ballerina, Inside Out 2, Deadpool & Wolverine, Alien: Romulus, Joker: Folie à Deux oder Nosferatu in den Ring steigen.
Unsere Vorhersage auf einen Blick
Kategorie | Film/Name |
---|---|
Film | Oppenheimer |
Regie | Christopher Nolan |
Hauptdarsteller | Cillian Murphy |
Hauptdarstellerin | Lily Gladstone |
Nebendarsteller | Robert Downey Jr. |
Nebendarstellerin | Da’Vine Joy Randolph |
Originaldrehbuch | Anatomy of a Fall |
Adaptiertes Drehbuch | American Fiction |
Internationaler Film | The Zone of Interest |
Animationsfilm | Spider-Man: Across the Spider-Verse |
Dokumentarfilm | 20 Days in Mariupol |
Kamera | Oppenheimer |
Visuelle Effekte | The Creator |
Kostümdesign | Barbie |
Szenenbild | Barbie |
Makeup und Haare | Poor Things |
Schnitt | Oppenheimer |
Ton | Oppenheimer |
Musik | Oppenheimer |
Song | What Was I Made For? – Billie Eilish (Barbie) |
Die 96. Oscar-Verleihung wird in der Nacht von 10. auf 11. März 2024 ab 23:25 Uhr live auf ORF 1, ProSieben und Joyn übertragen.
2 Kommentare
Könnt ihr vielleicht am Ende des Artikels noch einen tabellarischen Überblick mit Höllers Tipps in den einzelnen Kategorien hinschreiben? Wegen der Übersichtlichkeit warads, danke!
Das machen wie natürlich gerne. Eine Zusammenfassung findest du jetzt am Ende des Artikels.