Mit dem sechsten Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ meldete sich Kettcar nach sieben Jahren Albumpause im April zurück. Das aktuelle Album nennt die Band selbst einen „Gemischtwarenladen“, denn hier findet sich sowohl harter Post-Punk als auch ruhige Romantik. Was nie fehlt: Texte zum Nachdenken mit viel Tiefgang …
Reimer Bustorff: Das hängt einfach mit der jeweiligen Lebenssituation zusammen. Wir haben mit der Band angefangen, als wir Anfang der 30er waren. Marcus war mit seinem Studium fertig, ich habe mein Studium abgebrochen, weil wir dann das Label gegründet haben (Anm. d. Red.: Grand Hotel van Cleef). Beziehungen gingen auseinander. Da war ganz viel privat im Umbruch und es hat sich viel um einen selbst gekreist und das spiegelte sich dann auch in den Texten wider. Jetzt befinden wir uns in einer anderen Lebenssituation, jetzt hat man irgendwie seinen Weg gefunden.
Wir waren schon immer politisch denkende Menschen, wir haben uns mit Kettcar von Anfang an positioniert und das war uns seit jeher wichtig, aber der Blick auf die Gesellschaft hat sich verändert und erweitert und daher ist das jetzt auch Thema in unseren Texten. Die Aufklärungsarbeit passiert, niemand von uns ist missionarisch unterwegs, die Dinge kommen aus uns raus und wir schreiben nieder, was wir fühlen. Das ist ja diese ewige Diskussion, was und ob man was mit der Musik erreichen möchte. Uns ist schon klar, dass wir die Welt nicht verändern oder Frieden stiften können. Durch meine Sozialisation kann ich aber sagen: Hätte es Bands wie Fugazi oder Bad Religion nicht gegeben, wäre ich jetzt nicht hier. Insofern kann Musik schon Denkanstöße geben und so manch verlorene Seele retten bzw. ranholen.
Vielen Dank! Sieben Jahre Pause ist immer so ein großes Wort, stimmt natürlich nicht ganz, denn wir waren auch umtriebig nach dem letzten Album. Wir waren dann noch auf Tour, haben eine EP rausgebracht, haben Musik fürs Theater gemacht – „Kabale und Liebe“ von Schiller in Kiel. Dann kam die Pandemie und wir waren ein bisschen bequem. Natürlich hatten wir auch Druck, denn je länger du wartest mit dem neuen Album, umso größer wird die Erwartungshaltung von allen. Das Schöne ist, dass wir den Druck auf fünf Schultern verteilen können als Band. Wir haben vor ca. vier Jahren mit dem Album begonnen und dann gemeinsam daran gearbeitet.
Marcus ist eigentlich federführend und wir beide stecken dann die Köpfe zusammen. Wir machen viel zusammen, wir gehen zum Fußball, auf Konzerte, reden viel und versuchen dann, Themen zu finden, um uns einzunorden, wo die Reise hingehen soll. Jetzt ist es thematisch ein ganz schöner Gemischtwarenladen geworden (lacht).
Streit will ich das nicht nennen, aber es gibt schon immer wieder Reibungspunkte, wo wir nicht klar beieinander sind. Es kann über Diskussionen hinausgehen, aber wir besprechen das dann in der ganzen Band. Ich schmeiße z. B. einen Text in die Runde und die anderen geben Feedback und so entsteht das Ganze dann, Stück für Stück. Und befruchtet sich. Man muss da natürlich manchmal Eitelkeiten über Bord werfen und das Ego zurückschrauben. Das ist nicht immer einfach, aber dessen sind wir uns bewusst.
Genau. Und erwachsen und vernunftbegabt. Es ist Wahnsinn (lacht).
Eigentlich gibt es nur positives Feedback bisher. Das ist sehr schön.
Das ist eine schwierige Frage. Es braucht definitiv Raum und diesen Ort muss man suchen und finden. Diesen Raum gab es Anfang der 00er-Jahre in Berlin viel mehr, weil da viel Leerstand war, wo dann viele Partys und auch Musik gemacht wurden. Aber das ändert sich gerade, weil Berlin so wahnsinnig gentrifiziert wird. Das haben wir in Hamburg schon hinter uns. Ich fühle mich in Hamburg immer noch wohl, das ist immer noch unsere Stadt. Da haben wir die Plattenfirma, da haben wir unseren Proberaum, wir haben da eine perfekte Infrastruktur.
Hätte es Bands wie Fugazi oder Bad Religion nicht gegeben, wäre ich jetzt nicht hier. Insofern kann Musik schon Denkanstöße geben und so manch verlorene Seele retten bzw. ranholen.
Also für uns als deutschsprachige Band, die wenig rumkommt, ist es immer was Besonderes ins Ausland zu kommen. Wir spielen ja quasi immer in denselben Städten. Österreich und Schweiz sind da die Exoten für uns. Bei Wien lieben wir dieses Flair, es ist alles so gelassen und eine andere Lebensart. Wir waren vorher Fußball gucken im Lokal Jetzt und der Wirt war so herzlich, das ist schon sehr schön.
Wir entscheiden das meistens vom Herzen aus und gemeinsam, wir sind ja neben Thees und Marcus und mir noch ein größeres Team. Wir haben schon unterschiedliche Geschmäcker und Ansichten, wie was funktionieren kann. Es muss vor allem auch menschlich stimmen und wir gut miteinander klarkommen. Und ganz wichtig ist, dass die Idee, wohin man will, im Einklang ist. Als Künstler*in will man sofort mal eine Platte rausbringen. Und dann müssen wir vom Gas runter und sagen: Vielleicht zuerst mal auf Tour gehen und Konzerte spielen. Und überlegen: Wie finanzieren wir das? Rechnet sich das? Fast jede/r will ja davon leben können, das ist ein weiter Weg. Da gehört auch viel Glück dazu, nicht nur Talent. Wir haben das selber mit Kettcar auch erfahren, wir hatten auch Glück, dass wir zur richtigen Zeit den richtigen Sound gefunden haben und dann passte das auch fürs Gefühl für viele Leute. Das passiert halt nicht immer. Ich habe im Laufe der Label-Arbeit schon tolle Künstler*innen gesehen, wo dann nach dem 2. Album nichts mehr gelaufen ist und zu wenige Leute zu den Konzerten gekommen sind.
Shitney Beers, die hatten wir jetzt mit auf Tour. Die ist umwerfend, wahnsinnig charmant und charismatisch, die liegt mir sehr am Herzen. Und Christin Nichols ist bei uns auch mit auf Tour, wirklich toll, ein bisschen poppiger als Shitney, die mehr in die Indie-Richtung geht.
Ja unbedingt, auch bei der Label-Arbeit haben wir früher immer nur mit Typen zu tun gehabt. Wir schauen jetzt im Büro, dass wir auch Frauen im Team haben, wir bilden ja auch aus als Veranstaltungskauffrau/Veranstaltungskaufmann. Wir teilen uns das Büro auch mit zwei Grafikerinnen, das ist wichtig für die Balance und Diversität.
Kettcar ist eine Indie-Rock-Band aus Hamburg. Ihr sechstes Album „Gute Laune ungerecht verteilt“ ist im April erschienen. 12 Songs, die unter anderem Geschichten von, auf und über Bayreuth, Krankenhauszimmern, Rügen, dem Supermarkt, der Enterprise und der Blauen Lagune erzählen. Mal die Faust in der Tasche, mal das Herz im Hals – schroffe Post-Punk-Gewitter, Akustisches und Sprechgesang. Mit dem sechsten Studioalbum gastiert die Band diesen Sommer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Am 25.7. spielen Kettcar in der Wiener Arena (Open Air), am 29.7. in Graz (Kasematten) und am 31.8. in Linz (Posthof) zusammen mit Thees Uhlmann.
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