Skip to content

Kabarettpreis 2025 – Sieger*innen-Portrait Teil 3: Antonia Stabinger

„Beim Feminismus das große Ganze nicht aus den Augen verlieren“: Kabarettistin Antonia Stabinger über ihre Bühnenfigur Clit/Doris, Gleichberechtigung und eine weibliche Leerstelle in alten Schulbüchern.
Kabarettpreis 2025 – Sieger*innen-Portrait Teil 3: Antonia Stabinger
© Jasmin Schuller

Für ihr aktuelles Soloprogramm „Angenehm“ wird Antonia Stabinger (40) heuer zum zweiten Mal mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet, konkret mit dem Programmpreis. 2017 bekam sie bereits den Förderpreis, damals als Teil des Duos Flüsterzweieck mit Ulrike Haidacher (gegründet 2009). Neben Solo und Duo ist sie auch immer wieder in einem Quartett unterwegs, und zwar beim Pub Quiz Bizarre mit Elli Bauer, Magda Leeb und Sonja Pikart. Über die Auftritte, die ihr am meisten Spaß machen, hat die gebürtige Grazerin und studierte Germanistin Antonia Stabinger mit funk tank ebenso gesprochen wie über Feminismus, der in ihrem ausgezeichneten Programm eine wichtige Rolle spielt. Außerdem: Warum sie als Klitoris auftritt und warum sie einen Podcast über Pflegekinder macht …

funk tank: Wenn ich für dein aktuelles Programm ein Überthema in einem Wort nennen müsste, wäre das wohl Feminismus. Stimmst du dem zu?

Antonia Stabinger: Ein Kabarettprogramm ist immer ein Status quo der Zeit, in der es geschrieben wird. Und da Texte bei mir am besten funktionieren, wenn mich das Thema persönlich emotionalisiert, geht es in meinem Programm dementsprechend viel um Feminismus. Es ist unglaublich, dass wir immer noch über Themen wie Gender Pay Gap, Femizide, die angemessene Wertschätzung von Care-Arbeit und Ähnliches reden müssen. Aber in meinem Programm geht es auch um andere Themen wie zum Beispiel die Klimakrise, Mental Health, Queerness, Kinder, Hunde und wie man am besten einen Orgasmus hat. Es lohnt sich also zu kommen! (Lacht.)

Und wie steht es aus deiner Sicht heute um den Feminismus?

Man braucht wohl ein gewisses Maß an Kraft, Zeit und wirtschaftlicher Sorglosigkeit, um sich beispielsweise Themen wie Diversität, Nachhaltigkeit oder Feminismus zu widmen – und die krisendurchwachsene Gegenwart hält gerade wenige Kapazitäten frei. Offenbar gehen Menschen genau dann wieder zurück zu konservativen Werten, wenn es am dringendsten ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen bräuchte. Wenn internationale Konflikte und Krisen brodeln, wenden wir uns deshalb zum Beispiel lieber den Tradwives zu, anstatt gerade jetzt offen zu sein für eine faire Gesellschaftsstruktur.
Es ist großartig, dass Feminismus endlich in der Mitte der Gesellschaft und im Mainstream angekommen ist. Allerdings bringt das auch das Risiko mit sich, dass der Diskurs verwaschen oder nicht ernst genommen wird, wenn feministische Argumente manchmal leichtfertig oder falsch angewendet werden. Wir dürfen das große Ganze nicht aus den Augen verlieren!

Dieser Diskurs läuft ja schon seit mehreren Jahrzehnten, man denke nur an Alice Schwarzer in den 1970er-Jahren. Viele heutige Feministinnen werden aber fast schon aggressiv, wenn ihr Name fällt. Kannst du das nachvollziehen, oder tut man ihr und ihrer Generation Unrecht, weil man die Umstände ihrer Zeit vernachlässigt?

Beides stimmt. Alice Schwarzer war wichtig, und sie hat wahnsinnig viel bewegt. Aber sie hat auch einen sehr exklusiven Feminismus vertreten – oft nicht intersektional, oft biologistisch und mit einem problematischen Verhältnis zu trans* Menschen. Das muss man benennen dürfen, ohne ihre historische Rolle kleinzureden. Wir können dankbar sein und trotzdem weitergehen.

Zurück zu deinem nun prämierten Bühnenprogramm: Die meiste Aufmerksamkeit hat wohl deine Figur Clit/Doris erregt. Ich vermute einmal, du hast damit gerechnet, dass vor allem wir Medien uns auf dieses Kostüm stürzen werden. Hat es funktioniert, damit deine Botschaft mitzutransportieren?

Für mich war und ist die Clit/Doris mein Vehikel, um Leute mit wichtigen Themen zu erreichen. Abgesehen von meiner persönlichen Liebe zu Ganzkörperkostümen auf der Bühne war mir natürlich klar, dass ich mehr Reichweite mit einem Vulva-Kostüm bekomme, als wenn ich unkostümiert zu Feminismus referiere. Eigentlich war die Figur ja als Social-Media-Eyecatcher gedacht. Aber dann hat eines zum anderen und schließlich zu einem Solokabarettprogramm geführt. Für mich ist die Klitoris die Wurzel des Feminismus: Erst seit drei Jahren wird sie in Schulbüchern als Ganzes – und nicht nur ihre Spitze – abgedruckt. Bis dahin wurde also kommuniziert: Mädchen fehle etwas, sie hätten eine Lücke, eine Leerstelle, sie wären die unvollständige Ausgabe Mensch. Dabei haben auch wir alle Teile, die ein Penis hat – sie sind nur praktischer aufgeräumt.

Für mich ist die Klitoris die Wurzel des Feminismus: Erst seit drei Jahren wird sie in Schulbüchern als Ganzes – und nicht nur ihre Spitze – abgedruckt. Bis dahin wurde also kommuniziert: Mädchen fehle etwas, sie hätten eine Lücke, eine Leerstelle, sie wären die unvollständige Ausgabe Mensch. Dabei haben auch wir alle Teile, die ein Penis hat – sie sind nur praktischer aufgeräumt.

Du kennst auf der Bühne Solo, Duo und Quartett, Vollskript und Impro – welche Konstellation findest du persönlich am angenehmsten?

Es ist wie immer: Alles hat angenehme und unangenehme Aspekte. An einem Skript kann man mit Muße feilen, Impro darf man dafür immer neu erfinden. Wenn man die Bühne mit anderen teilt, hat man mehr Möglichkeiten in Dialogen und eindeutig mehr Spaß auf Touren. Dafür ist man allein in einer Liveshow unglaublich flexibel. Deshalb ist es am schönsten, alles davon zu machen.

Und seit zwei Jahren kennst du privat noch eine ganz andere Rolle, nämlich die als Pflegemutter. Dazu hast du ja schon vor einem Jahr mit funk tank ausführlich gesprochen. Dieses Thema behandelst du auch im Podcast „Kreisrund mit Ecken“ in mittlerweile 40 Folgen. Wird es noch einmal mindestens 40 weitere Folgen geben oder ist das Thema doch irgendwann auserzählt?

Dieser Podcast hat sich für mich als eine absolute Win-Win-Situation herausgestellt. Einerseits bringe ich so das Thema Pflegekinder in mehr Ohren und damit Köpfe, andererseits lerne ich selbst auch viel über das Thema. Zu Gast sind Fachleute – Wissenschaftler*innen, die seit Jahrzehnten zu dem Thema forschen, das ist dann wie eine Privatvorlesung für mich, in der ich auch noch Fragen stellen darf. Und dann besuchen uns auch viele Pflegeeltern aus den unterschiedlichsten Konstellationen, die berührende Geschichten mitbringen und zeigen, was Familie alles sein kann. Und ich denke, da gibt es auch weiterhin noch viel zu besprechen!

Wird es einmal auch ein Kabarettprogramm mit stärkerem Fokus auf Kinder und Mutterschaft geben, oder sind andere Themen drängender?

Das Thema Kinder, ihre fantastischen Sichtweisen, Care-Arbeit und ihre Aufteilung in Familien wird bestimmt weiterhin mitschwingen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, ein komplett monothematisches Programm zu spielen. Das wäre mir zu langweilig – und ich muss es ja schließlich drei Jahre spielen, das Publikum ist ja meist jeweils nur einmal dabei. Also mache ich, was mir Spaß macht. Es darf aber gern mitgelacht werden.

Der Österreichische Kabarettpreis wird seit 1999 vergeben. Ins Leben gerufen hat ihn damals Wolfgang Gratzl, der damalige Leiter der Wiener Kleinkunstbühne Vindobona. 2010 übernahm ein eigens gegründeter Verein unter dem Vorsitz der Kabarett-Agenturchefin Julia Sobieszek die Verantwortung für den Preis, der mittlerweile in sechs Kategorien vergeben wird:

  • Der Hauptpreis geht an herausragende Künstler*innen.
  • Der Förderpreis ist Nachwuchstalenten gewidmet.
  • Der Programmpreis wird unter allen Kabarettist*innen vergeben, die in den vergangenen zwölf Monaten ein neues Programm auf die Bühne gebracht haben.
  • Der Sonderpreis ist eine Art Würdigung des Lebenswerks: Die Jury widmet ihn Personen oder Institutionen, die sich besonders um das Kabarett im deutschsprachigen Raum verdient gemacht haben.
  • Mit dem Fernsehpreis zeichnet das Publikum in einem öffentlichen Voting die beliebteste Satire-/Comedy-/Kabarettshow im deutschsprachigen TV aus – Streaming-Formate eingeschlossen.
  • Mit dem Online-Preis würdigt das Publikum die beliebtesten Content-Creator im deutschsprachigen Raum.

Die ersten vier Preisträger*innen bestimmt eine Fachjury aus rund einem Dutzend Kulturjournalist*innen gemeinsam mit zwei Bühnenbetreiber*innen als Gastjuror*innen. Das Online-Voting für den Fernseh- und Online-Preis läuft von 11. bis 31. August auf der Website vom Österreichischen Kabarettpreis.

Antonia Stabinger

Portrait Redakteur Mathias Ziegler
Mathias Ziegler
ist seit seiner Jugend Stammgast im Kabarett. Der versierte Redakteur und Podcast-Host baute bei der Wiener Zeitung die Kabarettberichterstattung mit auf und ist der Szene stark verbunden geblieben.

Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!


Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Artikel teilen oder drucken

Artikel aus anderen Ressorts

8. Nov. 2025
  / Kabarett
Alexa Oetzlinger hat die Wiener Kulisse vor vier Jahren mitten in der Krise übernommen.

Klasse statt Masse

24. Okt. 2025
  / Literatur
Asterix in Lusitanien: Melancholie trifft auf Turbokapitalismus

Asterix in Lusitanien: Melancholie trifft auf Turbokapitalismus

10. Okt. 2025
  / Musik
Gerd Hermann Ortler

„Ich kann berichten, dass der Wahnsinn schon manchmal an meine Tür geklopft hat!“

8. Okt. 2025
  / Musik
Musikerin Anna Buchegger

„Mein Salzburgerisch wird auch in Köln verstanden“

24. Sep. 2025
Mireille Ngosso über medizinische Gerechtigkeit, strukturellen Rassismus und den Mut, laut zu sein – auch wenn es unbequem ist.

„Gerade weil so viele Menschen an mir gezweifelt haben, wollte ich es umso mehr schaffen“

17. Sep. 2025
40 Jahre Wald4tler Hoftheater: Vom Bauernhof zur Kulturinstitution – mit "Der Zerrissene"

Wald4tler Hoftheater: Vom Bauernhof zur Kulturinstitution

4. Sep. 2025
Dragstar Tamara Mascara prägt als Drag Queen, Künstlerin und Aktivistin die queere Szene in Österreich. Das Interview über Identität, Wandel und Widerstand.

„Man bemerkt es, wenn Tiefe fehlt“

27. Aug. 2025
  / Kabarett
Der 34-jährige Oberösterreicher Berni Wagner bekommt heuer den Hauptpreis beim Österreichischen Kabarettpreis.

Kabarettpreis 2025 – Sieger*innen-Portrait Teil 4: Berni Wagner

21. Aug. 2025
  / Film
Olga Kosanović und „Noch lange keine Lipizzaner“ – ab 12.9.2025 im Kino.

Wer sind WIR?

Der funk tank Newsletter​

Wir versorgen dich 1x im Monat mit einer exklusiven Vorschau auf unsere kommenden Stories und Gewinnspiele. Garantiert spannend und inspirierend. Also einfach eintragen und part of funk tank werden!

Secret Link