Mehr Liebe – das wünscht sich Emilia Roig für unsere Welt. Die französische Politologin und Aktivistin gründete 2017 in Berlin das Center for Intersectional Justice, einen gemeinnützigen Verein mit dem Ziel, Diskriminierung zu bekämpfen. Sie hat außerdem bereits mehrere Bücher geschrieben und initiiert, wie etwa Unlearn Patriarchy 2. Den feministischen Sammelband hat sie zusammen mit Silvie Horch und Alexandra Zykunov herausgegeben. Die Autorinnen der Essays blicken hinter männliche Machtstrukturen, entlarven patriarchale Prägungen und zeigen Möglichkeiten auf, wie wir aus dem kapitalistischen System endlich ausbrechen können. Und genau darum ging’s auch in unserem Interview. Ein Gespräch, das Mut macht.
Emilia Roig: Es ist für mich eine Befreiungsbewegung, ein kollektives, aber auch individuelles Projekt mit dem Ziel, uns vom bedrückenden Patriarchat zu befreien.
Unser kapitalistisches System beruht auf Ungleichheit. Viele betrachten das als Fehler des Systems. Doch die Wahrheit ist, dass es genauso entworfen wurde und einwandfrei funktioniert. Die Beseitigung von Diskriminierung gestaltet sich schwierig, da sie für das Überleben des Systems essenziell ist. Ein tiefgreifender Paradigmenwechsel, der nicht auf Trennung, Kontrolle und Herrschaft basiert, ist daher dringend erforderlich. Der erste Schritt besteht darin, diese toxischen Dynamiken zu entlarven, um daraufhin eine neue Welt aufbauen und etablieren zu können. Dies ist das Ziel unserer Bücher – Menschen dazu zu bewegen, die Realität anzuerkennen. Wir müssen den Mut haben, Institutionen grundlegend und immer wieder in Frage zu stellen.
Jedes Leben, Ihres, meines, war einmal Utopie, bevor es Wirklichkeit wurde. Wir sollten nicht zu schnell etwas als unrealistisch abtun, nur weil es utopisch erscheint. Wir brauchen dieses revolutionäre Denken.
Nichts Positives. Die Bedrohung der Frauenrechte nimmt durch den wachsenden Einfluss populistischer und rechtsradikaler Kräfte in ganz Europa stetig zu. Das ist besorgniserregend, da alle Fortschritte der letzten Jahrzehnte in Gefahr sind.
Es wäre vermessen zu sagen, es sei nur eine. Alle Texte sind gleichermaßen wichtig und stark, allen voran der von Rebecca Maskos über Ableismus. Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen wird in unserer Gesellschaft oft ausgeblendet und ignoriert.
Wir sollten nicht zu schnell etwas als unrealistisch abtun, nur weil es utopisch erscheint. Wir brauchen dieses revolutionäre Denken.
Körpernormen, Erziehung, der Gender Pay Gap, aber auch Architektur, Mental Health und Medizin – überall wirkt das Patriarchat. Kein Bereich bleibt von der Macht der Männer unberührt. In der Medizin beispielsweise wird der männliche Körper als Standard betrachtet. Es ist erwiesen, dass die Schmerzen von Frauen und schwarzen Menschen weniger ernst genommen werden als die von Männern und weißen Menschen. Auch bei der Gestaltung von Städten überwiegt die männliche Perspektive.
Natürlich haben sie kein Interesse daran, etwas zu verändern. Dieser Satz ist vielmehr als ein Appell an Frauen zu verstehen, dass wir nicht dauernd uns selbst in Frage stellen und glauben, wir setzen uns noch nicht genug für den Feminismus ein.
Ich hoffe auf eine Gesellschaft der Fürsorge und Liebe. Gegenwärtig hat Macht durch Kapital den höchsten Wert. Aber wir sehen auch, dass diese Welt so nicht mehr funktioniert. Wir sind am Ende der kapitalistischen Ordnung angekommen.
Emilia Roig, 40, wuchs in der Nähe von Paris auf und lebt in Berlin. Sie ist eine deutsch-französische Politikwissenschaftlerin, Aktivistin und Autorin. Europaweit setzt sie sich für Vielfalt, Feminismus, soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus ein. 2017 gründete sie das „Center for Intersectional Justice“. Sie veröffentlichte u.a. die Bücher „Why we matter – Das Ende der Unterdrückung“ und „Das Ende der Ehe – Für Eine Revolution der Liebe“.
Noch kein Kommentar, Füge deine Stimme unten hinzu!