Ein Mittwochvormittag Mitte Oktober: Anna F. schaltet sich für unseren Zoom-Call von einem relativ schmucklosen Balkon zu – viel Beton, wenig Grün, noch weniger Ausblick. Man könnte diesen Balkon überall vermuten, vom Wiener Stadtrand bis zum Berliner Plattenbau, aber für das ärmellose T-Shirt und die schwarze Sonnenbrille, mit der Anna F. vor der Kamera sitzt, ist es im Oktober zu kalt und zu grau, egal ob in Wien oder Berlin. „Ich bin gerade in Athen“, sagt sie dann auch gleich, „hier ist es noch angenehm warm.“ Nach einem intensiven Jahr gönnt sich Anna F. noch ein paar Tage Urlaub, bevor es mit Promotion und Konzerttour losgeht. Nach ihren beiden Solo-Alben ist „Hardcore Workout Queen“ nun das erste, das sie gemeinsam mit ihrer Band Friedberg veröffentlicht (Release: 8.11.). Es sei eine Art „musikalischer Road-Trip“, sagt Anna F. Nicht nur, weil die Künstlerin „einfach gerne drauflos“ macht, ohne bestimmtes Ziel. Sondern auch, weil selbst in der Musik Abwechslung brauche. „Ich finde Alben, auf denen Lieder zu ähnlich klingen, sehr schnell langweilig. Da höre ich dann einfach nicht mehr zu.“ Das ist wohl der Hauptgrund, dass sich auf „Hardcore Workout Queen“ Indie-Rock mit Elektro-Sounds, Dance und ein bisschen Pop-Beats abwechseln. Von Langeweile jedenfalls keine Spur.
Anna F.: Als ich von Berlin nach London gezogen bin, musste ich mich erst einmal zurechtfinden und ankommen. Und dann kam noch Corona. Aber grundsätzlich liegt es wahrscheinlich eher daran, dass ich sehr lange an Dingen arbeite, bis ich etwas wirklich gut finde. Ich mache wirklich sehr viele Versionen von meinen Songs, probiere aus, feile daran herum. Das ist nicht schlau, weil es viel zu lange dauert, das weiß ich. Vor allem, weil ich dann meistens eh zur Ausgangsidee zurückkehre.
(Lacht) Ja? Vielleicht ist das in der Musik anders. Ich finde, man kann diesen besonderen Vibe, den eine erste Aufnahme hat, nur ganz schlecht wiederherstellen. Selbst, wenn sie mit schlechtem Equipment an irgendeinem x-beliebigen Ort aufgenommen wurde. Zumindest bei den Vocals funktioniert das für mich nicht – wenn man Drums oder Gitarre dann nochmal einspielt, ja, okay. Aber bei der Stimme? Nein, ich finde, das ist eine ganz bestimmte Stimmung, die du nicht rekreieren kannst.
Das ist ein Gefühl, das ich ganz schwer erklären kann. Ich bin sehr kritisch mit dem, was ich mir selbst von anderen Musiker*innen anhöre und dem, was ich selbst produziere. Wenn ich mir denke: „Das würde ich mir selbst gerne anhören!“, bin ich bereit zu sagen: Gut, der Song ist fertig.
Noch bevor es „Friedberg“ in dieser Konstellation gab, hatte ich schon sehr viele Songs geschrieben. Nicht nur den Text, sondern auch die Parts für die Instrumente. Wir sind ja eigentlich eine Live-Band – das klingt teilweise beim Konzert auch komplett anders als die Studioaufnahmen. Aber der Großteil des kreativen Prozesses liegt eigentlich bei mir.
Gute Frage. Ich weiß es nicht genau, das ist wahrscheinlich Ansichtssache. Es ist meine Art zu arbeiten, ich mache das gerne so.
Es ist mein Projekt, ja. Aber die Live-Shows sind ja wirklich unser Herzstück und die sind uns allen superwichtig. Da heben wir die Songs und die Musik einfach nochmal auf eine komplett andere Ebene. Die Live-Versionen sind ja teilweise doppelt so lang, wir haben ganz lange Jam-Parts und haben da auf der Bühne auch eine richtige Energy. Das ist super. Unseren ersten Live-Gig haben wir übrigens ganz spontan in einem Pub in London an einem Sonntag gespielt, ohne Soundcheck oder Probe vorher. Vor einem Haufen Fremder, die mit ihren Familien gerade „Sunday Roast“ (klassischer Sonntagsbraten, Anm.) gegessen haben. Wir wollten es einfach probieren. Zwei Wochen später hatten wir nochmal einen Gig in einem anderen kleinen Laden – zufälligerweise war dort gerade ein Booking-Agent. So kam dann eines zum anderen.
Irgendwie schon. Ich wollte ja eigentlich erst nur für ein halbes Jahr her, aber irgendwann hat es sich richtig angefühlt, hier zu bleiben. In Berlin habe ich mich oft treiben lassen, in London habe ich richtigen Antrieb bekommen, die Stadt ist total inspirierend. Ich lebe im Nordosten von London, in Hackney Wick. Hier leben und arbeiten viele Kreative – Regisseur*innen, Fotograf*innen, Grafikdesigner*innen, Musiker*innen, Filmproduzent*innen. Da ergeben sich oft tolle Dinge, selbst, wenn man nur in der Früh seinen Coffee-to-go holt.
Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass man aus Österreich weggehen muss, um irgendwie Wertschätzung zu bekommen – ich glaube, dass sich da nicht viel verändert hat. Und sonst glaube ich, dass sich österreichische Künstlerinnen und Künstler schon sehr gut behaupten, vor allem aus Deutschland schaut man interessierter nach Österreich und was sich hier tut.
Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass man aus Österreich weggehen muss, um irgendwie Wertschätzung zu bekommen.
Boah, manchmal denke ich mir schon, dass ich da einfach so reingepurzelt bin. Ich bin ja direkt von Friedberg nach Wien gekommen und ich hatte ja auch kein richtiges Management oder so und habe überall mitgemacht. Im Nachhinein denke ich mir, da hätte ich manchmal auch ‚Nein‘ sagen können – oder jemand hätte das für mich machen können. Aber das ist nie passiert, ich hatte das Ruder nicht wirklich in der Hand, sondern habe irgendwie immer Menschen getroffen, die mir gesagt haben, was ich jetzt als Nächstes am besten machen sollte. Das ist jetzt definitiv anders, ich habe da viel dazugelernt, sage öfter auch mal ‚Nein‘, weil ich gelernt habe, auf mich und mein Bauchgefühl zu vertrauen. Ich war auch nie wirklich Teil einer „Szene“, was schade ist. Wobei ich nicht mal genau weiß, ob es so eine große Musikszene damals so richtig gab, oder ob sich das erst mit der Zeit etabliert hat. Ach ja, und ich glaube übrigens, dass ich mit all dieser Erfahrung eine ganz gute Managerin und Beraterin wäre (lacht).
Für mich ist es eine Art von Abschied, ja. Aber keine Sorge: Es ist nicht schlimm für mich, wenn andere Menschen mich als Anna F. in der Band Friedberg sehen.
Das kann man wahrscheinlich auch als Zuschreibung an die Anna F. von früher sehen. Früher war das ganz schlimm, da habe ich Songs monatelang mit mir rumgetragen. Ich hatte wirklich Angst davor, sie jemandem zu zeigen, weil ich Angst vor einer Bewertung hatte – vor allem von Menschen, die man kennt und schätzt. Das hat mich richtig fertig gemacht. Aber da spielt mittlerweile auch rein, dass ich mehr Selbstsicherheit habe und auf meinen Bauch hören kann. Und mir ist es ja auch wichtig, Feedback zu bekommen und damit zu arbeiten. Aber grundsätzlich will man ja, dass das, was da aus dem Innersten von einem selbst hinauskommt, von anderen gemocht wird, oder? Damit bin ich wahrscheinlich auch nicht alleine.
Die Steirerin Anna Wappel alias Anna F. ist seit 20 Jahren Teil der heimischen Musikbranche. Der Durchbruch gelang der heute 38-Jährigen im Jahr 2009 mit ihrem Hit „Time Stands Still“, im selben Jahr veröffentlichte sie mit „For Real“ ihr erstes von drei Alben und sie erhielt den Amadeus Austrian Music Award. Seit 2018 lebt Anna F. in London, mit ihrer Band „Friedberg“ war sie kürzlich Vorband von Placebo, ihre Songs werden auf dem renommierten Sender BBC Radio 6 gespielt, jetzt hat die Band mit „Hardcore Workout Queen“ ihr erstes Album veröffentlicht.
Friedberg touren im Dezember durch Deutschland, Frankreich, Österreich und Portugal: Friedberg Live
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