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Klasse statt Masse

Alexa Oetzlinger hat die Wiener Kulisse vor vier Jahren mitten in der Krise übernommen. Ein Gespräch über ihre Ausrichtung der Spielstätte, die Herausforderungen und darüber, warum es die Interessensgemeinschaft Kabarett derzeit nicht mehr braucht.
Alexa Oetzlinger hat die Wiener Kulisse vor vier Jahren mitten in der Krise übernommen.
© Christopher Glanzl

Seit 1. Jänner 2022 ist Alexa Oetzlinger die Hausherrin in der Wiener Kulisse, die heuer ihr 45-jähriges Bestehen feiert. Mitten in der Corona-Pandemie hat sie das Bühnenwirtshaus in der Rosensteingasse 39, in dem sie davor schon ein halbes Jahr tätig war, von ihrer Vorgängerin Doris Ringseis übernommen. Sie ist also nicht die erste Frau in dieser Position. Bereits an der Gründung der Kulisse am 8. Oktober 1980 waren zwei Damen beteiligt: Beatrix Alsner und Eva Trauner bildeten gemeinsam mit Fritz Aumayr, Andreas Elsner und Wolfgang Kalal ein Betreiberkollektiv, das schließlich Kalal die Leitung der Bühne überließ, bis er diese 1995 an Ringseis übergab. Im funk tank-Interview zieht Alexa Oetzlinger eine bisherige Bilanz ihrer Tätigkeit und verrät den Grund ihrer Übernahme.

funk tank: Du bist jetzt seit fast vier Jahren in der Kulisse die Chefin. Wie ist es dazu gekommen?

Alexa Oetzlinger: Ich war immer schon theater- und kabarettaffin. Ich habe mehrere Berufsausbildungen und bin schon sehr lange selbständig. Ich habe im Bereich Event gearbeitet, inszenierte Erlebniswelten für große Unternehmen, war im Bereich Neuromarketing für Shoppingcenter tätig, habe eine Sozialarbeiterausbildung gemacht und in einer Drogenberatungsstelle gearbeitet. 2018 habe ich eine Agentur für Kulturmanagement und Kommunikation gegründet – und dann kam 2020 Corona. Da hat man uns Agenturen am Anfang der Pandemie gesagt, dass wir nicht direkt betroffen seien. Damit haben wir keine Unterstützung bekommen. Was aber vollkommen durchgeknallt war.

Warum?

Agenturen buchen Termine ein bis zwei Jahre im Vorhinein. Ich hatte meine Agentur erst 2018 gegründet. Das heißt, die meisten der Termine, die ich da für meine Klienten und Klientinnen gebucht hatte, sind genau in die Zeit ab 2020 gefallen, wo alle Bühnen geschlossen waren. Somit haben diese Termine alle nicht stattgefunden – die Agenturen werden aber erst beim Auftritt der Künstler*innen auf Provisionsbasis bezahlt. Ich habe de facto für zwei Jahre Arbeit kaum Geld bekommen.

Während der Pandemie wollte ich aber nicht den ganzen Tag daheim sitzen und von meinen Ersparnissen leben, sondern habe mir sofort einen Job gesucht, und zwar wieder in der Sozialarbeit. Auch, weil ich wusste, dass diese Gruppe besonders rasch die Covid-Impfung bekommt. Und so habe ich in einem Langzeitarbeitslosenprojekt in Wien gearbeitet. Gleichzeitig hat mich die damalige Kulisse-Chefin Doris Ringseis, die während der Pandemie die meiste Zeit auf Kreta verbracht hat, gefragt, ob ich nicht auf ihr Haus aufpassen möchte, bis das Gröbste vorbei ist.

Und dann bist du von der Haussitterin zur Hausherrin geworden.

Genau. Weil mich das einfach gereizt hat, selbst eine Bühne zu führen. Weil eines der schönsten Dinge dabei ist, dass man gestalten kann. Und wenn ich schon so viele Stunden dort verbringe und so viel investiere, dann will ich, dass dabei auch was für die Gesellschaft herauskommt. Die Kulisse war immer schon politisch sehr weit links. Ich habe es in die Richtung weitergetrieben, dass ich viele Politikformate gemacht habe: „Geheimnisverrat im Salon Pilz“, die „Dunkelkammer“ mit Stefan Kaltenbrunner, Michael Nikbakhsh und Peter Hochegger, „Feminismus für alle“ mit Barbara Blaha. Eine meiner großen strategischen Ausrichtungen ist – ich hasse den Begriff, aber er passt halt gut – politisches Infotainment.

Hast du mehr Frauen als Männer auf der Bühne?

Das nicht, aber im Vorjahr hatte ich den höchsten Frauenanteil von allen Kabarettbühnen. Und die Kulisse war das erste Haus, wo Denice Bourbon mit dem PCCC (Wiens erstem politisch korrekten Comedy Club, Anm.) auftreten konnte. Und daraus hat sich entwickelt, dass die ganzen Leute aus dieser Szene bei mir ihre Premieren feiern und eng ans Haus gebunden sind, wie etwa der Kuseng, der heuer beim Österreichischen Kabarettpreis gewonnen hat.

Mir ist wichtig, dass marginalisierte Gruppen – und da gehören leider auch Frauen immer noch dazu – auch den ihnen gebührenden Platz haben. Ein kleines Haus wie die Kulisse hat die Verpflichtung, nicht immer nur abzuschöpfen mit den Großen und Bekannten, sondern man muss auch den Jungen die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren und zu wachsen. Und da bin ich den Superstars dankbar, dass sie bei mir spielen, weil sie mir sozusagen querfinanzieren, dass ich mir das leisten kann.

Kulisse Wien
© Christopher Glanzl

Ein kleines Haus wie die Kulisse hat die Verpflichtung, nicht immer nur abzuschöpfen mit den Großen und Bekannten, sondern man muss auch den Jungen die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren und zu wachsen.

Welche Bilanz ziehst du insgesamt nach fast vier Jahren als Kulisse-Chefin?

Es waren die anstrengendsten vier Jahre meines Lebens, die mich vermutlich auch einiges an Lebensjahren gekostet haben (lacht). Als ich übernommen habe, hat es geheißen, die Pandemie ist vorbei. Und was war? Schon wieder ein Lockdown. Dann kam der Ukraine-Krieg, danach die Teuerung. Wirtschaftlich waren die vergangenen Jahre die Hölle. Aber gleichzeitig waren es die lustigsten vier Jahre meines Lebens.

Ich muss jedoch zugeben: Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich das Haus nicht übernommen. Es war auch sehr lange nichts renoviert worden, somit ist ein Teil nach dem anderen eingegangen. Erst voriges Jahr haben wir die Klos um viel Geld runderneuert. Immer, wenn ich glaube, jetzt haben wir’s, wird wieder irgendwas kaputt, wo seit 25 Jahren oder länger nichts gemacht wurde.

Deshalb bin ich den Künstlerinnen und Künstlern unendlich dankbar, weil sie mich unterstützen. Alfred Dorfer hat mir unzählige Vorstellungen geschenkt, damit ich Sachen renovieren kann. Josef Hader und Peter Klien haben Benefizabende gemacht. Auch Klaus Eckel ist immer zur Stelle. Viele Künstler*innen, die das Haus lieben, helfen mir, es zu neuer Blüte zu bringen. Und all diese Stars spielen bei mir nicht, weil sie so viel Geld verdienen, sondern weil sie einfach nette Menschen sind.

Gerade ein Bühnenwirtshaus wie die Kulisse ist wirtschaftlich schwierig, weil es so personalintensiv ist. Wäre es größer und jeden Abend ausgebucht, wäre alles leichter – aber dann könnte ich nicht das Konzept verfolgen, auch den Jungen und Nicht-Arrivierten eine Bühne zu bieten. Und das ist mir schon wichtig.

Was ist aus der IG Kabarett geworden, die du während der Pandemie mitgegründet hast?

Die Idee zur Interessengemeinschaft Kabarett hatte ich, weil ich der Meinung war, dass wir uns als Branche, die sehr solistisch unterwegs ist, in der Krise verbünden müssen. Ich war damals recht neu in der Branche und kannte noch nicht einmal ansatzweise alle. Da habe ich eine*n nach der/dem anderen durchgerufen und gefragt, ob sie mitmachen wollen. Die meisten haben gesagt, sie haben keine Zeit und müssen sich um sich selbst kümmern – bis ich dann Julia Sobieszek angerufen habe, und die hat gesagt: Das machen wir sofort! Wir haben uns dann beide reingehängt, wir haben täglich zigmal telefoniert, teilweise bis zwei, drei Uhr in der Nacht, unfassbar! Wir haben in 48 Stunden eine Website aus dem Boden gestampft und geschaut, was wir politisch bewegen können.

Wenn öffentliche Institutionen den Bildungsauftrag nicht mehr ernst nehmen und Kultur kein wichtiger Teil unserer österreichischen DNA mehr ist, dann geht die Schere immer mehr auseinander.

Das Ziel war eine Stärkung des Kabaretts in der Corona-Krise. Habt ihr das erreicht?

Wir haben schon einiges erreicht. Was nachhaltig wirkt, sind die Kabarettstipendien. Von denen werden immer noch jedes Jahr fünf vergeben, mit jeweils 1.500 Euro monatlich für ein Jahr dotiert vom Kulturministerium. Dass uns das gelungen ist, finde ich wirklich super. Aktuell braucht es die IG Kabarett aber zum Glück nicht mehr. Es liegt jedoch alles in der Schublade und könnte binnen Sekunden wiederbelebt werden.

Wie geht es der Branche jetzt, fünf Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie?

Ich glaube, nicht so schlecht. Die Spielstätten sind mehr geworden durch die ganzen Sommertheater und den Wiener Kultursommer, der eigentlich nur für eine Saison gedacht war, aber heuer zum sechsten Mal stattgefunden hat. Die Besucher*innen werden halt nicht mehr, und natürlich zieht das Sommertheater vom Winterbetrieb ab. Aber es wird wieder. Auch in der Kulisse ist die Auslastung nicht so schlecht. Es ist sich bis jetzt immer irgendwie ausgegangen.

Hast du einen konkreten Wunsch an die Kulturpolitik?

Ja, und zwar einen großen: Statt Projektförderungen wäre eine Standortförderung besonders für kleine Häuser wichtig, weil das mehr Sicherheit gibt. Jetzt sperrt ein kleines Theater in Wien nach dem anderen zu: Die Gruam gibt es nicht mehr nach dem Brand, das Theater am Alsergrund hört auf, weil es sich wirtschaftlich einfach nicht mehr rentiert. In Wahrheit gibt es an kleinen Häusern in Wien dann nur noch das Niedermair und die Kulisse. Fakt ist aber, dass gerade die dringend für die ganze Branche notwendig sind, weil die wenigsten Bühnenkünstler*innen als Influencer aus dem Internet raushüpfen und auf Anhieb riesige Häuser füllen.

Wenn wir dieses Kulturgut Kabarett bewahren möchten, dann müssen wir kleine Bühnen als Brutstätte sichern. Mit einer Standortförderung müsste ich mir nicht dauernd den Kopf zerbrechen, welche neuen Projekte ich erfinden muss, um Geld zu bekommen – es gäbe eine langfristige Perspektive.

Aus dem Internet kommt ja jetzt viel Stand-up-Comedy auf die Bühne. Die hat in Österreich noch keine lange Tradition.

Ich weiß nicht warum, aber das Publikum bei uns will das irgendwie nicht so recht. Das funktioniert bei uns nicht so wie in Deutschland. Ich habe auch in der Kulisse unterschiedliche Formate ausprobiert, aber das ist wirklich schwierig.

Allerdings hat während der Pandemie ein Demokratisierungsprozess stattgefunden. Nicht mehr die Bühnenbetreiber*innen alleine entscheiden, wen sie spielen lassen, sondern wir schauen uns natürlich auch die Follower-Zahlen an, und so entscheidet das potenzielle Publikum mit. Aber da ist dann oft das Haupt-Event gar nicht so sehr das, was auf der Bühne passiert, sondern das Rundherum, dass man zum Beispiel Selfies mit der Influencerin macht.

Siehst du da auch einen Wandel im Publikum?

Ja. In meiner Jugend – ich bin fünfzig – sind wir regelmäßig aus Gmunden mit dem Bus zur Staatsoper gefahren, zum Volkstheater, wohin auch immer, haben uns Kabarett angeschaut. Auch meine Kinder, die jetzt Mitte zwanzig sind, waren im Theater der Jugend von der Schule aus, waren im Kabarett. Das fällt jetzt alles völlig flach.

Von der Schule und der Bildungsdirektion kommt gar nichts mehr – mit der Begründung, dass die Eltern kein Geld haben. Wenn öffentliche Institutionen den Bildungsauftrag nicht mehr ernst nehmen und Kultur kein wichtiger Teil unserer österreichischen DNA mehr ist, dann geht die Schere immer mehr auseinander. Die einen wachsen vom Elternhaus her mit Theater, Museen, Musik, Kabarett auf, während die anderen nie damit in Berührung kommen. Und das tut mir leid für diese Kinder, weil ihnen vieles entgeht.

Die Wiener Kulisse ist ein traditionsreiches Bühnenwirtshaus in Wien-Ottakring, das seit 1980 Kabarett, Musik und politisch engagierte Kleinkunst zeigt.

Alexa Oetzlinger ist die Leiterin der Wiener Kulisse, Kulturmanagerin und Produzentin, die das Haus seit 2022 mit Schwerpunkt auf politischem Kabarett und Nachwuchsförderung führt.

Kulisse Wien

Portrait Redakteur Mathias Ziegler
Mathias Ziegler
ist seit seiner Jugend Stammgast im Kabarett. Der versierte Redakteur und Podcast-Host baute bei der Wiener Zeitung die Kabarettberichterstattung mit auf und ist der Szene stark verbunden geblieben.

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