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„Mein Salzburgerisch wird auch in Köln verstanden“

Musikerin Anna Buchegger über Heimat, Traditionen, politische Korrektheit und ihr neues Album „Soiz“.
Musikerin Anna Buchegger
© Hadaier/Buchegger

Vor vier Jahren hat Anna Buchegger (26) die ORF-Castingshow „Starmania“ gewonnen. Seither hat sie sich als Solokünstlerin eine Karriere aufgebaut. Voriges Jahr ist ihr Debütalbum „Windschatten“ erschienen, auf dem sie sich mit dem Heimatbegriff auseinandergesetzt hat. Nur ein Jahr später legt sie jetzt mit ihrem zweiten Album „Soiz“ (VÖ: 3. Oktober) nach, auf dem sie noch einen Schritt weiter geht. Mit funk tank spricht Anna darüber, was Heimat für sie bedeutet, warum sie so gern im Dialekt singt und wie sie als Künstlerin im Rampenlicht trotzdem ihre Privatsphäre zu schützen versucht.

funk tank: Der Begriff Heimat spielt bei dir eine wichtige Rolle, jetzt widmest du ihm schon das zweite Album!

Anna Buchegger: Das Thema ist für mich spannend, weil ich in meinem Masterstudium in Contemporary Arts Practice dazu geforscht habe. Der Begriff Heimat gewinnt besonders in Zeiten schneller Veränderungen und Entwicklungen an Bedeutung. In solchen Situationen wird häufig versucht, Heimat zu bewahren oder sich von anderen abzugrenzen. Heimat steht zugleich für Gemeinschaft und Abgrenzung – ein Spannungsfeld, das dazu führt, dass sich zunehmend mehr Menschen heimatlos fühlen. Und im Zuge meiner Forschungsarbeit haben mir sehr viele Menschen mit Migrationshintergrund ihre eigenen Geschichten erzählt. Da gibt es die unterschiedlichsten Zugänge.

Und dann gibt es ganz viele mit einer neuen Heimat, in der sie nicht einmal wahlberechtigt sind.

Da ist das Stadt-Land-Gefälle ein sehr wichtiges Thema. Und die Kernfamilie, die auch mit der Heimat zu tun hat: Wer darf überhaupt eine Familie gründen, wie ist das Machtgefüge innerhalb der Kernfamilie?

Der Heimatbegriff reicht ja von „Daham statt Islam“-Wahlplakaten bis zur Tracht auf der Wiener Wiesn.

Ja, Tradition und Brauchtum – das ist auch ein spezielles Thema. Da interessiert mich die Frage: Wird Tradition überhaupt hinterfragt? Und kann man sie wertschätzen und gleichzeitig weiterentwickeln und sich kritisch damit auseinandersetzen? Heimat ist etwas, das nicht einfach statisch ist, sondern einer konstanten Auseinandersetzung unterliegt. Man muss diesen Begriff immer weiterentwickeln, das ist nichts, was stagniert. Das hat mit Wertschätzung und Allgemeinwohl zu tun.

Wie ist das bei dir? Wo bist du daheim?

Naja, ich komme aus einem eher kleinen Ort mit ein paar Tausend Einwohnerinnen und Einwohnern. Und jetzt lebe ich in Wien. Von dem her habe ich sowohl das Ländliche, Kleinbürgerliche als auch das Kosmopolitische in mir. Ich bin Abtenauerin, Salzburgerin, jetzt auch Wienerin, Österreicherin, Europäerin, Weltbürgerin, ...

Zum Thema Heimat passt auch die Frage, in welcher Sprache man singt: ob im eigenen Dialekt, auf Hochdeutsch oder doch auf Englisch.

Das hat natürlich auch immer etwas mit Sprachbarrieren zu tun. Und für viele hat das auch mit Heimat zu tun, wie man miteinander kommuniziert.

Mir kommt auch vor, dass es im Dialekt insgesamt nicht so viele Worte über Gefühle oder Emotionszustände gibt – aber dafür irrsinnig viele über landwirtschaftliche Gerätschaften. Vielleicht redet man ja nicht so gern über Gefühle und lieber über die Arbeit.

Du singst im Salzburger Dialekt. Warum?

Ich mag vor allem diese weichen Vokale, das hat an sich schon was Sängerisches. Jede Dialektvarietät hat ein bisschen andere Vokale, das finde ich sehr schön. Das sollte man auch weitergeben. Die Kunst kann das gut. Sprache ist ja vor allem dafür da, dass man sich austauscht und einander versteht. Aber in der Kunst kann man auch die Sprache weitergeben, die man vielleicht nicht so gut versteht, wo man vielleicht zweimal hinhören muss. Es geht auch viel verloren, wenn man Dialekt ins Hochdeutsche übersetzt.

Umgekehrt habe ich einst – ich glaube, es war in Felix Mitterers „In der Löwengrube“ – den Satz gehört, dass man im Dialekt eigentlich nur schwer „Ich liebe dich“ sagen kann.

Ja, das geht nicht, das ist nicht dasselbe. Mir kommt auch vor, dass es im Dialekt insgesamt nicht so viele Worte über Gefühle oder Emotionszustände gibt – aber dafür irrsinnig viele über landwirtschaftliche Gerätschaften. Vielleicht redet man ja nicht so gern über Gefühle und lieber über die Arbeit.

Im Dialekt zu singen, schränkt auch den Aktionsradius ein, oder? Also in Deutschland ist es schwieriger, denke ich.

Ich habe ein Konzert in Köln gespielt, da haben schon einige nachher gesagt, dass sie meine Texte verstanden haben.

Wer ist deine Zielgruppe?

Jetzt hab ich das schon ein bissl beobachtet bei meinen Konzerten. Meine Musik wird nicht extrem viel gestreamt, und ich habe sicher bisher mehr Menschen live erreicht als digital. Und auf den Live-Konzerten ist mir schon aufgefallen, dass es ein sehr breites Publikum in verschiedenen Altersgruppen ist, in dem auch sehr viele queer sind. In Salzburg waren es viele schwule Männer, in Graz viele lesbische Frauen, und es waren auch trans* Personen dabei. Viele haben gesagt, sie finden es schön, dass ich Heimat thematisiere und sie sich darin auch wiederfinden, weil es nicht ausgrenzend ist.

War das eine Intention von dir, so verbindend zu wirken?

Nein. Ich wollte es hauptsächlich für mich aufarbeiten. Aber ich finde es natürlich sehr schön, wenn sich die queere Community damit identifizieren kann. Vielleicht ist das auch noch ein Erbe meines „Starmania“-Siegs 2021. Ich teile auch einen Freundeskreis mit Tom Neuwirth alias Conchita Wurst, den es auch voll gecatcht hat. Er hat Skizzen von Trachten gemacht und versucht, im Dialekt zu schreiben. Das finde ich cool.

Wie schützt du deine Privatsphäre als Künstlerin, die im Rampenlicht steht und damit in der Öffentlichkeit sichtbar ist?

Ich glaube, ein wichtiger Faktor ist die Kunstfigur, die ich für mich geschaffen habe. Heißt: Sobald ich mein Bühnen-Outfit anhabe, ist klar: Hier kommt nicht die private Anna, sondern ihr Alter Ego.

Da fragt man sich natürlich als Außenstehender: Wo ist die Grenze? Wie viel private Anna steckt in der Kunstfigur?

Ich finde es eigentlich voll spannend, wenn man das nicht so genau weiß. Ich würde aber sagen, das bin alles ich, nur viel verstärkter, viel überzogener. Und mit dem Kostüm kann man das plakativ umsetzen. Sobald ich da hineinschlüpfe, habe ich das Gefühl, ich kann mich ein bisschen abgrenzen, und es ist auch nicht alles gleich so persönlich. Es geht ja schon immer um sehr persönliche Themen, die auch gesellschaftskritisch sind. Aber es hat einfach ein bisschen einen Schutzmechanismus, was ich ganz fein finde. Aber grundsätzlich ist es schon schwierig, die Privatsphäre zu wahren, weil jetzt schon so viele Details öffentlich sind – da kann ich nicht mehr zurückrudern. Aber ich finde, Haltung einzunehmen und für gewisse Werte einzustehen, ist einfacher, wenn man so einen gewissen Schutz hat. Aber vielleicht bilde ich mir den auch nur ein.

Wie sehr musst du trotz allem aufpassen, was du sagst? Wie weit lehnst du dich auch einmal aus dem Fenster?

Ich würde schon sagen, dass ich sehr impulsiv bin. Aber da geht es um Themen, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe oder sogar eine wissenschaftliche geschrieben habe, wo ich eine Expertise habe. Und bei anderen Themen, wo ich die nicht habe, traue ich mich zu sagen: Das weiß ich nicht, da kann ich nichts dazu sagen. Ich glaube, das ist sehr wichtig.

Man muss nicht immer zu allem etwas sagen. Aber es kann natürlich immer passieren, dass man etwas sagt, das andere in den falschen Hals bekommen. Ich erinnere mich, dass ich in „Starmania“ auf die Frage, warum ich so gut singen kann, gesagt habe: „Ich hab einfach viel geübt“ – und dann hab ich unbedacht die Redewendung „bis zur Vergasung“ benutzt. Moderatorin Arabella Kiesbauer hat schnell reagiert und gesagt: „Da müssen wir sehr vorsichtig sein.“ Da ist es mir auch selber bewusst geworden. Ich wollte dann nachher online ein Statement dazu abgeben, dass es natürlich keine Absicht war und ich sicher keine Antisemitin bin, aber der ORF wollte das nicht. Ich hab das aber feig gefunden und in der nächsten Show selbst Stellung bezogen – und da hat es dann auf Twitter Leute gegeben, die mit Boykott-Aufrufen reagiert haben. Und andere haben mir tatsächlich Briefe geschrieben, in denen sie erklärt haben, dass es ja eigentlich kein originärer NS-Begriff ist.

Das ist die typische österreichische Reaktion: Die einen buhen dich aus, die anderen feiern dich.

Das Spannende war, wer mich da gecancelt hat. Das waren nämlich keine Linkslinken, sondern eher so Leute mit Pferdebildern, von denen ich das nicht erwartet hätte. Daran hat mich der Skandal um den Song Contest-Gewinner JJ und seine Aussage über Israel und Russland erinnert. Es kann so schnell gehen, dass du plötzlich unten durch bist. Ich habe mich damals sehr geschämt und sogar jüdische Freundinnen und Freunde gefragt, wie sie das denn empfinden. Die haben mich dann wieder beruhigt.

Es zeugt ja auch von Charakterstärke, wenn man Verantwortung übernimmt.

Und man darf nie vergessen, dass politische Korrektheit ein Prozess ist. Es gibt Begriffe, die man immer wieder neu bewerten muss.

Heuer feiert der Film „Sound of Music“ sein 60-jähriges Jubiläum. Ich habe mit diesem Titel lange Falco und nicht die Familie Trapp assoziiert. Du widmest auf deinem neuen Album Maria Trapp einen eigenen Song. Wie hältst du es insgesamt mit diesen Klischees und Stereotypen, die der Film transportiert?

Was mich vor allem an Maria Trapp fasziniert, ist, dass sie nicht wirklich eine Stereotype reproduziert. Im Film und auch im Musical wird sie – ich glaube, durchaus authentisch – als eher crazy dargestellt, als eine Frau, die nicht unbedingt so agiert, wie man es von ihr erwartet. Und sie hat sich relativ früh gegen die Nationalsozialisten aufgelehnt. Das ist auch etwas, was ich am Film schätze: Es ist einerseits Heimatidylle, aber andererseits wird der Nationalsozialismus thematisiert. Das ist eigentlich sehr untypisch fürs Heimatfilm-Genre.

Ich nehme an, eine der nervigsten Fragen ist, ob du von der Musik leben kannst?

Mit dieser Frage bin ich praktisch aufgewachsen. Das werde ich bei jedem Familientreffen gefragt. Manchmal lüge ich dann auch.

Und was ist deine Vision für dich selbst?

Ich denke auf jeden Fall langfristig. Was mich inhaltlich beschäftigt, ist diese unvermeidliche Verbindung von Kunst und Politik, weil die Kunst ja immer gesellschaftliche Veränderungen, Entwicklungen widerspiegelt und für viele ein Medium ist, um individuellen Befindlichkeiten Ausdruck zu verschaffen. Ich denke, es dürfte klar sein, wo ich politisch stehe – ohne mich von einer Partei vereinnahmen zu lassen.

Ich wünsche mir ein solidarisches Miteinander, in dem man einander gegenseitig mehr zuhört und keine Scheu vor Meinungsverschiedenheiten und möglichen Konfrontationen hat.

Ich möchte die Kunst- und Kulturlandschaft mitgestalten und ein Sprachrohr für andere Kunstschaffende sein, weil ich fest davon überzeugt bin, dass dieser Bereich eine enorme gesellschaftliche Relevanz hat. Deshalb brauchen wir Solidarität in der Branche. Die Musikwirtschaft schafft ja irrsinnig viele Jobs, die an so einem Konzert dranhängen und von der Wertschöpfung profitieren, von der Tontechnik bis zum Hotel, in dem das Publikum übernachtet. Ich selbst spiele sehr gerne Konzerte, und nachher mit ein paar Menschen zu plaudern, das macht mir eigentlich mehr Spaß, als lange im Studio herumzutüfteln, was wir für eine Sound-Ästhetik entwickeln sollen.

Ich finde auch die Rahmendetails voll spannend: Wie kann man eine eigene Welt schaffen, wie schaut ein Video aus, was vermittelt ein Video, hat es ein Drehbuch oder ist es nur Ambiente, hat es ein Gefühl – ich finde es geil, wenn man eine eigene Designwelt drumherum bauen kann.

Musikerin Anna Buchegger
© Hadaier/Buchegger

Anna Buchegger ist Musikerin, Dialekt-Liebhaberin und kritische Beobachterin ihrer Heimat. Vier Jahre nach ihrem Starmania-Sieg zeigt sie mit ihrem zweiten Album „Soiz“ (VÖ: 3. Oktober 2025), wie man Tradition, Haltung und Popmusik glaubwürdig vereint. Live zu erleben ist sie u. a. bei der Album-Präsentation am 17. Oktober 2025 im WUK Wien sowie am 20. Februar 2026 im Freiraum St. Pölten und am 4. April 2026 im Grazer Orpheum.

Anna Buchegger

Portrait Redakteur Mathias Ziegler
Mathias Ziegler
ist seit seiner Jugend Stammgast im Kabarett. Der versierte Redakteur und Podcast-Host baute bei der Wiener Zeitung die Kabarettberichterstattung mit auf und ist der Szene stark verbunden geblieben.

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