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Kabarettpreis 2025 – Sieger*innen-Portrait Teil 1: 113 Jahre Lachen im Keller

Das Wiener Kabarett Simpl, mutmaßlich Österreichs älteste Kabarettbühne, erhält den Sonderpreis beim Österreichischen Kabarettpreis 2025.

Joachim Brandl, Jenny Frankl und Michael Niavarani vom Wiener Kabarett Simpl
Joachim Brandl, Jenny Frankl und Michael Niavarani vom Wiener Kabarett Simpl © Simpl

Addiert man die aktuellen Lebensalter der Haupt-, Förder- und Programmpreisträger*innen beim heurigen Österreichischen Kabarettpreis, kommt man ziemlich genau auf jenes des Sonderpreisträgers. Denn das Kabarett Simpl wurde vor 113 Jahren im Souterrain des Hauses Wollzeile 36 gegründet. Folgerichtig hat Julia Sobieszek, langjährige Agenturchefin und Obfrau des Vereins, der hinter dem Preis steht, ihr 2007 erschienenes Buch über fast 100 Jahre Simpl „Zum Lachen in den Keller“ betitelt. Auf 288 Seiten erzählt sie darin von den Anfängen kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs unter Egon Dorn mit Stars wie Fritz Grünbaum, von den personellen Einschnitten durch Kriege und Holocaust (vor allem viele jüdische Künstler*innen kamen ins KZ), von der Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg unter Karl Farkas mit Ernst Waldbrunn und Maxi Böhm und lässt im Vorwort auch den aktuellen Hausherren Michael Niavarani zu Wort kommen. Diesem gehört heute das „größenwahnsinnig gewordene Nudelbrett“ (Zitat Karl Farkas), das er 2019 von Albert Schmidleitner erworben hat, nachdem der Simpl fast seine gesamte Künstlerkarriere begleitet hatte.

Mit nur 23 Jahren machte ihm der damalige Simpl-Chef Martin Flossmann erstmals das Angebot, Künstlerischer Leiter des Hauses zu werden – das für Niavarani zum zweiten Wohnzimmer geworden ist, neben dem von ihm gegründeten Wintergarten Globe und der Sommerloggia Theater im Park. 1993 übernahm Niavarani dann tatsächlich das angetragene Amt an der Seite von Geschäftsführer Albert Schmidleitner und war außerdem bis 2004 Conférencier der Simpl-Revue. Dass er 15 Jahre später in den rot ausgekleideten Keller zurückgekehrt ist und ihn komplett übernommen hat, war eigentlich nur logisch. Denn wie heißt es an einer Stelle im Buch so schön: „Der Simpl frisst einen mit Haut und Haar.“

Der „Bulli“ ist bissiger geworden

Dabei war das Kabarettlokal mit der roten Bulldogge im Logo zu Beginn gar nicht so bissig. Im Gegenteil: In der Vorkriegs-, Weltkriegs- und Zwischenkriegszeit scheute man die Konfrontation mit der Obrigkeit und gab der Zensur oft lieber erst gar keinen Grund für Streichungen. Politische Witze wurden eher vermieden. Der „Bulli“ war damals also eher handzahm – im Unterschied zu heute, wo es eigentlich zum guten Ton jeder Simpl-Revue gehört, in- und ausländische Politiker*innen mit bissiger Satire durch den Kakao zu ziehen.

Den direkten Vergleich der Gags von einst und jetzt liefert Sobieszek in etlichen Auszügen in ihrem lesenswerten Buch, in dem sie auch die Geschichte des „Bulli“ erzählt, den der Simpl von der gleichnamigen Münchner Kabarettbühne übernommen hatte.

Für die Simpl-Revuen von heute bedeuten jedenfalls Regierungswechsel, dass manche Gags umgeschrieben werden, bis ein Jahr nach der Premiere ein völlig neues Programm auf die Bühne gebracht wird, das dann quasi das Grundgerüst jeder Saison bildet. Gerade in der jetzigen Ära Niavaranis gibt es daneben aber nicht nur zahlreiche Gastspiele (auch der Hausherr selbst gibt sein Solo „Homo Idioticus 2.0“), sondern auch verschiedene andere Produktionen – aktuell etwa die Impro-Show „Dem Faust aufs Aug 3 – Movie Edition“ oder die Slapstick-Komödie „Frau Van Helsings Dracula – Die ganze Wahrheit“.

Der Simpl hat zwar heute wie damals eine männliche Führung, aber ist keine Männerbastion mehr, in der die hübschen Damen in erster Linie als optischer Aufputz dienen.

Die Frauen reden heute mehr mit

Was sich noch gegenüber früher verändert hat: Der Simpl hat zwar heute wie damals eine männliche Führung, aber ist keine Männerbastion mehr, in der die hübschen Damen in erster Linie als optischer Aufputz dienen. Die neue Simpl-Revue hat Niavarani gemeinsam mit Jenny Frankl geschrieben, Regie führt er gemeinsam mit Helena Steele, und die Liedtexte hat Sigrid Hauser gemeinsam mit Johannes Glück verfasst.

Nur der Conférencier, der durch den Abend führt, ist mit Joachim Brandl erneut ein Mann. Frauen in dieser Rolle gab es in 113 Jahren lediglich dreimal: Tilde Lechner (1916), Dolores Schmidinger / Steffi Paschke (1999/2000) und Claudia Rohnefeld (2015 bis 2017). Letztere ist mittlerweile selbst zur Theaterleiterin aufgestiegen: Sie hat nach dem Tod von Gerald Pichowetz sein Gloria-Theater übernommen und wagt im Frühjahr 2026 einen Neubeginn beim Floridsdorfer Spitz.

Der Österreichische Kabarettpreis wird seit 1999 vergeben. Ins Leben gerufen hat ihn damals Wolfgang Gratzl, der damalige Leiter der Wiener Kleinkunstbühne Vindobona. 2010 übernahm ein eigens gegründeter Verein unter dem Vorsitz der Kabarett-Agenturchefin Julia Sobieszek die Verantwortung für den Preis, der mittlerweile in sechs Kategorien vergeben wird:

  • Der Hauptpreis geht an herausragende Künstler*innen.
  • Der Förderpreis ist Nachwuchstalenten gewidmet.
  • Der Programmpreis wird unter allen Kabarettist*innen vergeben, die in den vergangenen zwölf Monaten ein neues Programm auf die Bühne gebracht haben.
  • Der Sonderpreis ist eine Art Würdigung des Lebenswerks: Die Jury widmet ihn Personen oder Institutionen, die sich besonders um das Kabarett im deutschsprachigen Raum verdient gemacht haben.
  • Mit dem Fernsehpreis zeichnet das Publikum in einem öffentlichen Voting die beliebteste Satire-/Comedy-/Kabarettshow im deutschsprachigen TV aus – Streaming-Formate eingeschlossen.
  • Mit dem Online-Preis würdigt das Publikum die beliebtesten Content-Creator im deutschsprachigen Raum.

Die ersten vier Preisträger*innen bestimmt eine Fachjury aus rund einem Dutzend Kulturjournalist*innen gemeinsam mit zwei Bühnenbetreiber*innen als Gastjuror*innen. Das Online-Voting für den Fernseh- und Online-Preis läuft von 11. bis 31. August auf der Website vom Österreichischen Kabarettpreis.

Kabarett Simpl

Portrait Redakteur Mathias Ziegler
Mathias Ziegler
ist seit seiner Jugend Stammgast im Kabarett. Der versierte Redakteur und Podcast-Host baute bei der Wiener Zeitung die Kabarettberichterstattung mit auf und ist der Szene stark verbunden geblieben.

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